HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1350
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 205/23, Beschluss v. 13.09.2023, HRRS 2023 Nr. 1350
Die Hauptverhandlung wird ausgesetzt.
Der Senat beabsichtigt zu entscheiden:
Die Verhängung einer Jugendstrafe nach § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG, bei der wegen der Schwere der Schuld Strafe erforderlich ist, setzt nicht voraus, dass bei dem Angeklagten eine Erziehungsbedürftigkeit oder -fähigkeit festgestellt werden kann.
Der Senat fragt bei den anderen Strafsenaten an, ob an gegebenenfalls entgegenstehender Rechtsprechung festgehalten wird.
Das Landgericht hat die Angeklagten des Landfriedensbruchs in Tateinheit mit Beihilfe zur Brandstiftung schuldig gesprochen. In einem ersten Rechtsgang hatte es ihnen jeweils die Auflage erteilt, binnen eines Jahres ab Rechtskraft des Urteils 20 Arbeitsleistungen nach Weisung der Jugendgerichtshilfe zu erbringen. Dabei hatte es sich an der Verhängung einer Jugendstrafe gehindert gesehen, weil in der Tat weder schädliche Neigungen (§ 17 Abs. 2 Alt. 1 JGG) hervorgetreten seien, noch die Schwere der Schuld eine Jugendstrafe erforderlich mache (§ 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG); zudem sei eine solche erzieherisch nicht geboten.
Diese Entscheidung hat der Senat mit Urteil vom 13. Dezember 2021 - 5 StR 115/21, NStZ 2022, 749 im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen, weil die Annahme des Landgerichts, der jugendspezifisch zu bemessende Schuldgehalt der durch die Angeklagten begangenen Taten erreiche nicht das erforderliche Maß der Schwere der Schuld, nicht rechtsfehlerfrei begründet worden war. Die Verneinung einer Erziehungsbedürftigkeit durch die Strafkammer erwies sich als rechtsfehlerhaft, weil sie nur die schulische und berufliche Entwicklung der Angeklagten sowie ihr soziales Engagement in den Blick genommen hatte, nicht aber ihre grundsätzliche Einstellung zu politisch motivierter Gewaltkriminalität.
Die zur neuen Entscheidung berufene Jugendkammer hat gegen die Angeklagten wiederum keine Jugendstrafe verhängt, sondern sie zur Erbringung von Arbeitsleistungen (15 Arbeitsleistungen zu je sechs Stunden) nach Weisung der Jugendgerichtshilfe verurteilt. Dabei hat sie das Vorliegen schädlicher Neigungen verneint, eine Schwere der Schuld im Sinne von § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG hingegen bejaht. Eine Jugendstrafe komme gleichwohl nicht in Betracht, weil bei den Angeklagten keine nachhaltige Erziehungsbedürftigkeit (mehr) vorliege, die jedenfalls bei Taten, bei denen es sich nicht um Kapitaldelikte oder andere schwerste Straftaten handele, eine kumulative Voraussetzung der Verhängung einer Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld darstelle. Dagegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihren auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen.
1. Nach den bestandskräftigen Feststellungen des Landgerichts reisten die zum Tatzeitpunkt jugendlichen Angeklagten Anfang Juli 2017 gemeinsam mit zwei zum Tatzeitpunkt bereits erwachsenen früheren Mitangeklagten nach H., um an den Protesten gegen den dort stattfindenden G20-Gipfel teilzunehmen. Dort angekommen liefen sie zunächst bei einer angemeldeten Demonstration mit und waren über deren Auflösung durch die Polizei erbost. Neben ihrem generellen Willen zum politischen Protest gegen den G20-Gipfel und die Politik der G20-Staaten waren sie nunmehr durch ihre Wut auf die Polizei zusätzlich motiviert und beschlossen, am frühen Morgen des 7. Juli 2017 gemeinsam zum Treffpunkt für eine im Bereich der E. in H. avisierte „Protestaktion“ zu gehen, die als in Richtung Innenstadt ziehender „Schwarzer Block“ stattfinden sollte. Allein aufgrund der Ankündigung eines „Schwarzen Blocks“ wussten die Angeklagten, dass mit dessen Aufmarsch die Bevölkerung und etwaige Polizeikräfte erheblich eingeschüchtert und die öffentliche Sicherheit beeinträchtigt werden würde. Zudem war ihnen klar, dass jedenfalls einige Teilnehmer der Protestaktion aktiv gewaltbereit sein würden und es als Mittel des „Protests“ aus dem Aufmarsch heraus auch zur Begehung von Gewalttätigkeiten gegen Sachen und gegen die Polizei kommen könnte.
Bereits anfänglich führten die Angeklagten dunkle Kleidung und Utensilien bei sich, um sich wie die anderen Teilnehmer des „Schwarzen Blocks“ zu uniformieren und zu vermummen, was sie vor Beginn der Aktion auch taten. Als sich der „Schwarze Block“ in Bewegung setzte, marschierten sie relativ weit vorne mit. Aus dem Aufmarsch heraus kam es zum Anzünden von Mülltonnen als Straßen4barrikade, dem Einwerfen von Glasscheiben in Geschäftshäusern und im Rathaus A., dem Beschmieren von Wänden mit Parolen sowie zu einer durch den Aufmarsch vermittelten Bedrohung der Anwohner.
Weiter wurden während ihres Mitmarschierens insgesamt 15 private Pkw angezündet, was die Angeklagten allerdings erst nach dem Inbrandsetzen des elften Fahrzeugs bemerkten. Da sie in Kenntnis der vorangegangenen Brandstiftungen gleichwohl im „Schwarzen Block“ weiter mitzogen, hat ihnen die Jugendkammer die letzten vier vor ihrem Verlassen des Aufmarschs angezündeten Fahrzeuge zugerechnet.
Aus dem hinteren Teil des Aufzugs wurde ein Gelenkbus, der infolge der Straßenbarrikaden hatte anhalten müssen, angegriffen. Eine Passantin, die den Aufmarsch mit dem Mobiltelefon filmte, wurde lautstark aufgefordert, das zu unterlassen und das Gerät herauszugeben. Ein unbekannter Teilnehmer des Aufmarschs warf einen schweren Pflasterstein in Fenster einer Privatwohnung, wodurch zwar durch einen glücklichen Zufall niemand getroffen, die Bewohner aber verängstigt wurden. Die letztgenannten Tathandlungen hat das Landgericht den Angeklagten nicht zugerechnet, denn sie hätten, auch nachdem sie das Inbrandsetzen von Privat-Pkws mitbekommen hatten, nicht mit tätlicher Gewalt gegen Privatpersonen gerechnet und diese auch nicht gewollt. Nach dem Wurf mit dem Pflasterstein verließen die Angeklagten den Aufmarsch. Es kam danach zu weiteren Gewalttätigkeiten, unter anderem auch zu einem überraschenden tätlichen Angriff auf Polizeibeamte, bei dem mehrere Polizeifahrzeuge beschädigt wurden. Auch diese Taten hat das Landgericht den Angeklagten nicht zugerechnet.
2. a) Auf der Grundlage dieser Feststellungen hat die Jugendkammer die Angeklagten im ersten Rechtsgang des Landfriedensbruchs in Tateinheit mit Beihilfe zur Brandstiftung für schuldig befunden und dabei die Tatbestandsvarianten des § 125 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 StGB - Gewalttätigkeiten gegen Sachen - und des § 125 Abs. 1 Nr. 2 StGB - Bedrohung von Menschen mit einer Gewalttätigkeit - als erfüllt angesehen. Allerdings hätten sie den Tatbestand des Landfriedensbruchs nur als Teilnehmer, nicht aber auch als Täter verwirklicht, was sich zwar wegen des Einheitstäterbegriffs in § 125 Abs. 1 StGB auf den Schuldspruch nicht auswirke, aber für die Strafzumessung von Bedeutung sei.
Der Senat hat den Schuldspruch bestätigt, die rechtliche Einordnung der Handlungen der Angeklagten lediglich als Teilnahme am Landfriedensbruch hingegen beanstandet, weil die Angeklagten nach den Feststellungen des Landgerichts eine Bedrohung von Menschen mit einer Gewalttätigkeit nach § 125 Abs. 1 Nr. 2 StGB als Täter verwirklichten (BGH, Urteil vom 13. Dezember 2021 - 5 StR 115/21, NStZ 2022, 749 Rn. 18 ff.). Neben anderen Rechtsfehlern bei der Bemessung der Jugendstrafe stellte diese sich nur auf die Bestimmung des Schuldgehalts auswirkende fehlerhafte rechtliche Einordnung einen der Gründe dar, aus denen der Senat das Urteil im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben hat.
b) Die nunmehr zur Entscheidung berufene Jugendkammer ist davon ausgegangen, dass schädliche Neigungen im Sinne von § 17 Abs. 2 Alt. 1 JGG bei den Angeklagten jedenfalls im Zeitpunkt der Urteilsverkündung nicht (mehr) vorgelegen hätten. Dabei hat sie nicht zuletzt auf eine rechtsfehlerfrei festgestellte, von den Angeklagten seit der Tatbegehung bis zur (zweiten) Hauptverhandlung durchgemachte „bemerkenswerte“ persönliche Entwicklung im Hinblick auf die Bewertung ihrer Teilnahme an dem Aufmarsch in der E., den hierbei begangenen Gewalttätigkeiten, ihrer eigenen Verantwortlichkeit hierfür und ihrer Einstellung zu politisch motivierter Gewalt abgestellt.
Das Merkmal der Schwere der Schuld nach § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG hat das Landgericht hingegen im Wege einer jugendspezifischen Prüfung des Schuldgehalts auf der Grundlage einer eingehenden Gesamtbewertung aller wesentlichen Umstände bejaht, weil die Angeklagten mit ihrem Verhalten nicht nur erhebliche Straftatbestände verwirklicht hätten, sondern ihre Handlungen sich auch als verwerfliche Tat mit schwerem Verschulden darstelle. An der Verhängung einer Jugendstrafe hat es sich gleichwohl gehindert gesehen, weil bei den Angeklagten - wiederum insbesondere mit Blick auf ihre persönliche Entwicklung - eine nachhaltige Erziehungsbedürftigkeit nicht (mehr) bestanden habe. Eine solche sei nach Auffassung der Jugendkammer aber jedenfalls bei Taten, bei denen es sich nicht um Kapitaldelikte oder um schwerste Gewalt- oder Sexualdelikte oder andere Fälle schwerster Kriminalität handele, kumulative Voraussetzung der Verhängung einer Jugendstrafe auch wegen Schwere der Schuld.
Dagegen richtet sich die mit der Sachrüge geführte Revision der Staatsanwaltschaft, die die Verhängung von Jugendstrafen gegen die Angeklagten erstrebt.
Der Senat beabsichtigt, das Urteil auf die zuungunsten der Angeklagten eingelegten Revisionen der Staatsanwaltschaft aufzuheben. Er ist der Ansicht, dass in allen Fällen, in denen wegen der Schwere der Schuld Strafe erforderlich ist (§ 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG), eine Jugendstrafe zu verhängen ist, ohne dass es darauf ankommt, ob eine Erziehungsbedürftigkeit oder -fähigkeit festgestellt werden kann. Das ergibt sich aus Folgendem:
1. Nach § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG wird Jugendstrafe verhängt, wenn wegen der Schwere der Schuld Strafe erforderlich ist. Die Schuldschwere ist nach einhelliger Ansicht in Rechtsprechung und Literatur nach jugendspezifischen Kriterien zu bestimmen. Maßgeblicher Anknüpfungspunkt ist die innere Tatseite; dem äußeren Unrechtsgehalt der Tat kommt nur insofern Bedeutung zu, als hieraus Schlüsse auf die Persönlichkeit des Täters und das Maß der persönlichen Schuld gezogen werden können. Entscheidend ist, inwieweit sich die charakterliche Haltung, die Persönlichkeit und die Tatmotivation des jugendlichen oder heranwachsenden Täters in der Tat in vorwerfbarer Schuld niedergeschlagen haben (st. Rspr.; vgl. zuletzt etwa BGH, Urteil vom 1. Dezember 2022 - 3 StR 471/21, NStZ 2023, 428 Rn. 8 mwN; MüKoStGB/Radtke/Scholze, 4. Aufl., § 17 JGG Rn. 65; Meier/Rössner/Laue, JGG, 2. Aufl., § 17 Rn. 26; BeckOK JGG/Brögeler, 30. Ed., § 17 Rn. 17 f.; Eisenberg/Kölbel, JGG, 24. Aufl.; § 17 Rn. 46 ff.; jeweils mwN).
2. Ein Erfordernis der Erziehungsbedürftigkeit bei der wegen der Schwere der Schuld erforderlichen Jugendstrafe sieht der Wortlaut des § 17 Abs. 2 JGG nicht vor. Die Vorschrift lautet:
„Der Richter verhängt Jugendstrafe, wenn wegen der schädlichen Neigungen des Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind, Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel zur Erziehung nicht ausreichen oder wenn wegen der Schwere der Schuld Strafe erforderlich ist.“ Das zwischen den beiden Alternativen stehende „oder“ macht deutlich, dass mit § 17 Abs. 2 Alt. 1 JGG (schädliche Neigungen) die schon in den Gesetzesmaterialien zur Änderung des Reichsjugendgerichtsgesetzes im Jahr 1952 angesprochene „Erziehungsstrafe“ adressiert ist, und mit § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG - als selbständige Alternative dazu - die „Schuldstrafe“ (vgl. BT-Drucks. I/3264, S. 40).
a) Diese setzt nach dem Wortlaut des § 17 Abs. 2 JGG gerade nicht voraus, dass ihre Verhängung zu Erziehungszwecken notwendig ist (in diesem Sinne auch BGH, Beschluss vom 6. Mai 2013 - 1 StR 178/13, NStZ 2013, 658, 659; MüKoStGB/Radtke/Scholze aaO Rn. 61; BeckOK JGG/Brögeler aaO Rn. 4.1; Meier/Rössner/Laue aaO Rn. 28; Brunner/Dölling, JGG, 14. Aufl., § 17 Rn. 27; Petersen, Sanktionsmaßstäbe im Jugendstrafrecht, 2008, S. 182 f.).
Entgegen der insbesondere in der Hauptverhandlung ausgeführten Auffassung der Verteidigung des Angeklagten H. lässt sich auch aus der Verwendung des Wortes „erforderlich“ nicht ableiten, dass das Jugendgericht kumulativ das Erziehungsbedürfnis und/oder die -fähigkeit des jugendlichen oder heranwachsenden Angeklagten prüfen und feststellen müsste. Denn die Erforderlichkeit knüpft in § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG gerade nicht an erzieherische Notwendigkeiten oder Möglichkeiten an, sondern allein an die Schuldschwere, was durch die Formulierung „wenn wegen der Schwere der Schuld Strafe erforderlich ist“ zum Ausdruck kommt (vgl. dazu auch unten 5. b).
b) Auch aus dem in § 2 Abs. 1 JGG normierten Leitprinzip, nach dem vorrangig alle Rechtsfolgen am Erziehungsgedanken auszurichten sind, sowie aus der Regelung des § 18 Abs. 2 JGG lässt sich eine andere wortgetreue Auslegung des § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG nicht herleiten. Solches ergibt sich insbesondere nicht daraus, dass bei der Bemessung der Jugendstrafe „die erforderliche erzieherische Einwirkung“ zu ermöglichen ist. Denn daraus kann angesichts des dargelegten Wortlauts des § 17 Abs. 2 JGG gerade nicht der Schluss gezogen werden, ein Erziehungsbedürfnis und eine -fähigkeit würden auch schon bei der Verhängung vorausgesetzt (so aber Eisenberg, NStZ 2013, 636, 637; ähnlich Buckolt, Die Zumessung der Jugendstrafe, 2009, S. 47; in diesem Sinne auch die Jugendkammer in dem angefochtenen Urteil).
Es ist zur Berücksichtigung des Erziehungsgedankens auch nicht erforderlich, die erzieherische Notwendigkeit zur Anordnungsvoraussetzung einer Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld zu machen. Denn bereits für die Beantwortung der Frage, ob die für § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG ausreichende Schwere der Schuld vorliegt, ist - wie oben dargelegt - maßgeblich auf jugendtypische Kriterien abzustellen. Insoweit gilt nichts anderes als im allgemeinen Strafrecht, in dem die Resozialisierung des Täters zwar grundsätzlich einen wichtigen Strafzweck darstellt (allg. Meinung, vgl. nur BGH, Beschluss vom 12. Juni 2017 - GSSt 2/17, BGHSt 62, 184 Rn. 24 mwN; BVerfG, Urteil vom 5. Juni 1973 - 1 BvR 536/72, BVerfGE 35, 202 Rn. 70 mwN), diese aber nicht Voraussetzung der Anordnung einer Freiheitsstrafe ist (MüKoStGB/Radtke/Scholze aaO Rn. 53; vgl. auch SSW-StGB/Eschelbach, 5. Aufl., § 46 Rn. 28; aA mit Blick auf die Regelung des § 91 JGG aF für die Jugendstrafe aber wohl Buckolt aaO S. 47 mwN).
Auch § 18 Abs. 2 JGG gebietet eine vom Wortlaut abweichende Auslegung des § 17 Abs. 2 JGG nicht. Indem die Vorschrift darauf abstellt, dass bei der Bemessung die „erforderliche“ erzieherische Einwirkung im Blick zu behalten ist, wird lediglich zum Ausdruck gebracht, dass der Erziehungsgedanke auf der Ebene der Bemessung der Jugendstrafe vorrangig zu berücksichtigen ist (st. Rspr.; vgl. zuletzt BGH, Beschluss vom 7. Februar 2023 - 3 StR 481/22 Rn. 13 f. mwN; vgl. auch Kaspar, Festschrift für Schöch, 2010, S. 209, 221); dies gilt auch dann, wenn Jugendstrafe ausschließlich wegen Schwere der Schuld verhängt wird (BGH, aaO Rn. 14; Urteil vom 21. Juli 2022 - 4 StR 177/22, NStZ 2022, 755 Rn. 6 mwN). Aus Letzterem ergibt sich zugleich, dass § 18 Abs. 2 JGG für die Frage der Auswahl der Jugendstrafe als gebotener Sanktion keine Vorgaben macht.
3. Maßgeblich dafür, dass es in Fällen der Verhängung einer Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld nach § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG nicht auf eine Erziehungsbedürftigkeit oder -fähigkeit ankommt, spricht - entgegen der Auffassung der Jugendkammer - die Entstehungsgeschichte der Norm:
a) Wie auch das Landgericht im Kern nicht verkannt hat, hat der Gesetzgeber bereits in den Materialien zum Gesetz zur Änderung des Reichsjugendgerichtsgesetzes ausgeführt, dass „Jugendstrafe nur verhängt werden [soll], wenn der Täter erziehungsfähig und der Erziehung durch Strafe bedürftig ist oder, wenn wegen der Größe seiner Schuld eine Strafe nicht entbehrt werden kann. Damit ist nach dem erklärten Willen des Gesetzes nur die Erziehungs- und die Schuldstrafe zugelassen. Auf letztere kann nicht verzichtet werden, da sonst die Möglichkeit einer Bestrafung Jugendlicher, die zwar schuldhaft gehandelt haben, aber nicht erziehungsbedürftig oder erziehungsfähig sind, ganz ausgeschlossen würde“ (BTDrucks. I/3264, S. 40 f.). Auch wenn zuvor in den Materialien in der Begründung zu § 2 JGG aF hervorgehoben wurde, dass Strafe hinter anderen Erziehungsmaßregeln und Zuchtmitteln zurücktreten solle (BT-Drucks. I/3264 S. 39), ergibt sich aus dieser Formulierung, dass es nach der gesetzgeberischen Konzeption sowohl die Erziehungsstrafe - bei schädlichen Neigungen - als auch die Schuldstrafe gibt, wobei letztere gerade nicht an eine Erziehungsbedürftigkeit anknüpft. Soweit das Landgericht dem entnommen hat, „dass ein gewisses Schuldausmaß vorausgesetzt wird und es sich bei Fällen, in denen ohne Erziehungsbedarf eine Jugendstrafe verhängt werden kann, um Ausnahmefälle handeln soll“, besagt dies nichts über ein kumulatives Erfordernis der Erziehungsbedürftigkeit in Fällen der Verhängung einer Jugendstrafe nach § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG.
b) Auch aus der Neufassung von § 2 Abs. 1 JGG durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Jugendgerichtsgesetzes und anderer Gesetze vom 13. Dezember 2007, BGBl. I S. 2894, ergibt sich nichts Anderes. Die Vorschrift lautet:
„Die Anwendung des Jugendstrafrechts soll vor allem erneuten Straftaten eines Jugendlichen oder Heranwachsenden entgegenwirken. Um dieses Ziel zu erreichen, sind die Rechtsfolgen und unter Beachtung des elterlichen Erziehungsrechts auch das Verfahren vorrangig am Erziehungsgedanken auszurichten.“ In der Begründung zu dieser Gesetzesänderung ist - was auch das Landgericht nicht verkannt hat - ausdrücklich klargestellt worden, dass die Formulierung „vor allem“ in Satz 1 der Vorschrift „Raum dafür [lässt], in Einzelfällen neben dem Gedanken der Spezialprävention auch andere Sanktionszwecke zu berücksichtigen. Entsprechend verdeutlicht der Zusatz „vorrangig“ in Satz 2, dass nicht in allen Fällen ausschließlich erzieherische Erwägungen im Sinne moderner Pädagogik, die vornehmlich auf helfende und fördernde Maßnahmen ausgerichtet sind, maßgeblich sein können.“ Weiter heißt es: „Insbesondere bei der Verhängung einer Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld (§ 17 Abs. 2, zweite Alternative), die bereits als solche eine Berücksichtigung des Schuldgedankens über das erziehungsnotwendige Maß hinaus impliziert, und bei der ‚vorrangig‘ am Erziehungsgedanken orientierten Bemessung der Jugendstrafe kann danach auch Belangen des Schuldausgleichs Rechnung getragen werden.“ (BT-Drucks. 16/6293, S. 9).
Daraus ergibt sich nicht, dass durch die Einführung von § 2 Abs. 1 JGG etwas an der Selbständigkeit der beiden Alternativen in § 17 Abs. 2 JGG - Erziehungsstrafe einerseits und Schuldstrafe andererseits - geändert werden sollte. Es trifft deshalb nicht zu, dass der Gesetzgeber die Erziehungsbedürftigkeit stets als kumulatives Erfordernis einer wegen Schwere der Schuld zu verhängenden Jugendstrafe angesehen hätte (so auch Meier/Rössner/Laue aaO Rn. 28; aA aber im Ergebnis wohl Eisenberg, NStZ 2013, 636, 638; ders., NStZ 2018, 729, 730; Eisenberg/Kölbel aaO Rn. 59); vielmehr belegt gerade das angenommene Bedürfnis für eine Öffnung für „Belange des Schuldausgleichs“, dass es in Fällen des § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG Jugendstrafen auch „über das erziehungsnotwendige Maß hinaus“ geben kann. Dies erhellt, dass nach der gesetzgeberischen Konzeption ein Erziehungsbedarf nicht Voraussetzung der Verhängung einer Jugendstrafe sein sollte.
4. Soweit in diesem Zusammenhang in einigen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs hervorgehoben wird, ohne nähere Prüfung der Erziehungsbedürftigkeit und -fähigkeit könne jedenfalls in Fällen von „Kapitaldelikten oder anderen besonders schweren Taten“, namentlich „schweren Gewaltdelikten“ und „gravierenden Sexualdelikten“ eine Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld verhängt werden, weil in solchen Fällen der Strafzweck des gerechten Schuldausgleichs nicht völlig hinter dem Erziehungsgedanken zurückstehen dürfe (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 11. Juli 2017 - 3 StR 107/17, StV 2017, 710, 711; Urteile vom 16. November 1993 - 4 StR 591/93, StV 1994, 598; vom 2. Februar 2022 - 2 StR 295/21 Rn. 30 mwN; vgl. auch BGH, Urteil vom 4. August 2016 - 4 StR 142/16, NStZ 2017, 648, 649), kommt auch darin zum Ausdruck, dass eine Erziehungsbedürftigkeit oder -fähigkeit nicht Voraussetzung der Verhängung einer Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld ist. Keinesfalls kann diesen Entscheidungen - anders als das Landgericht gemeint hat - im Umkehrschluss entnommen werden, bei Straftaten, die keiner der genannten Kategorien zuzurechnen sind, bei denen das Merkmal der Schwere der Schuld im Sinne von § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG aber gleichwohl verwirklicht ist, komme die Verhängung einer Jugendstrafe nur in Betracht, wenn kumulativ eine Erziehungsbedürftigkeit und -fähigkeit des Täters festgestellt werden könne.
Denn eine Fallgruppe der „Kapitaldelikte“, der „schweren Gewaltdelikte“ oder der „gravierenden Sexualdelikte“ sieht das Gesetz nicht vor. Es lässt als Voraussetzung der Verhängung einer Jugendstrafe nach § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG vielmehr genügen, dass „wegen der Schwere der Schuld Strafe erforderlich ist.“ Wiegt die - jugendspezifisch zu bestimmende - Schuld nach der vorzunehmenden Gesamtbewertung aller wesentlichen Umstände so schwer, dass die Verhängung von Jugendstrafe die erforderliche Reaktion darstellt, ist Jugendstrafe zu verhängen; das Vorliegen der Schuldschwere im Sinne von § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG ist mithin hinreichende Voraussetzung der Jugendstrafe (MüKoStGB/Radtke/Scholze aaO Rn. 60; Brunner/Dölling aaO Rn. 27; auch Meier/Rössner/Laue aaO Rn. 28; Ostendorf, JGG, 11. Aufl., § 17 Rn. 4; im Ergebnis auch Meyer, Beiträge zum Strafrecht, 2007, S. 155, 175 f.; aA Eisenberg/Kölbel aaO Rn. 59; unklar Diemer/Schatz/Sonnen, JGG, 8. Aufl., § 17 Rn. 24).
a) Diese gesetzgeberische Wertung ist zu befolgen. Sie kann nicht dadurch unterlaufen werden, dass trotz angenommener Schuldschwere die Verhängung der Jugendstrafe von den ungeschriebenen Merkmalen der Erziehungsbedürftigkeit und/oder -fähigkeit abhängig gemacht wird. Das Merkmal der Schwere der Schuld stellt zwar seinerseits einen unbestimmten Rechtsbegriff dar und ist deshalb auslegungsbedürftig; es kann aber nicht ohne gesetzliche Grundlage durch nach unklaren Maßgaben ausgewählte weitere Kriterien eingeschränkt werden. Dies gilt zumal, da die genannten Begriffe der „Kapitaldelikte“, der „schwersten Gewalt- oder Sexualdelikte“ oder anderer „Fälle schwerster Kriminalität“ keinen Gewinn an Bestimmtheit bieten (vgl. BeckOK JGG/Brögeler aaO Rn. 16.1).
b) Allerdings mag insoweit zwar zutreffen, dass die Schwere der Schuld insbesondere bei Kapitalverbrechen und anderen besonders schweren Straftaten zu bejahen ist; es kann aber bei der Prüfung nicht schematisch etwa auf den Deliktscharakter (Verbrechen/Vergehen) abgestellt werden, entscheidend ist vielmehr das konkrete Tatbild des Einzelfalls, insbesondere die Art und Weise der Einwirkung auf das Opfer, die Gefährlichkeit der Tathandlung, die Schwere der erlittenen Verletzungen sowie das Vor- und Nachtatverhalten (st. Rspr.; vgl. zuletzt etwa BGH, Urteil vom 1. Dezember 2022 - 3 StR 471/21, NStZ 2023, 428 Rn. 10 mwN). Bei der Frage, was eine „besonders schwere Straftat“ ausmacht, die die Bejahung der Schwere der Schuld im Sinne von § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG rechtfertigen kann, ist zudem zu beachten, dass die Qualität einer solchen Tat weder derjenigen von „Kapitaldelikten“ vergleichbar sein muss (vgl. BGH, Urteil vom 18. Dezember 2014 - 4 StR 457/14, NStZ 2016, 102 mwN) noch derjenigen entspricht, die das Gesetz für bestimmte „besonders schwere“ Qualifikationstatbestände (etwa § 250 Abs. 2 StGB) oder „besonders schwere“ Fälle (etwa § 243 Abs. 1 StGB) vorsieht. Auch Vergehen sind grundsätzlich geeignet, die Schuldschwere im Sinne des § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG zu begründen (BGH, Urteile vom 15. Juli 2021 - 3 StR 481/20, NStZ 2022, 753 Rn. 25; vom 13. Dezember 2021 - 5 StR 115/21, NStZ 2022, 749 Rn. 16 ff.; vom 1. Dezember 2022 - 3 StR 471/21, NStZ 2023, 428 Rn. 10).
5. Gegen das Erfordernis eines kumulativen Merkmals der Erziehungsbedürftigkeit und/oder -fähigkeit als Voraussetzung der Verhängung einer Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld nach § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG sprechen letztlich auch systematische Gründe.
a) Würde insoweit zwischen „Kapitaldelikten“ und vergleichbar schweren Straftaten einerseits sowie andererseits weniger schwerwiegenden Straftaten in dem Sinne unterschieden werden, dass in der letztgenannten Fallgruppe eine Jugendstrafe nur gegen (noch) erziehungsbedürftige oder -fähige Angeklagte verhängt werden kann, entsprächen sich für die Fallgruppe der „weniger schwerwiegenden Straftaten“ die Anordnungsvoraussetzungen „schädliche Neigungen“ und „Schwere der Schuld“ weitestgehend. Dies steht im Widerspruch dazu, dass nach Wortlaut und Entstehungsgeschichte die „Erziehungsstrafe“ und die „Schuldstrafe“ als selbständige Alternativen ausgestaltet sind (vgl. MüKoStGB/Radtke/Scholze aaO Rn. 61; vgl. auch Petersen, aaO S. 182).
b) Für die Auffassung, dass der Gesetzgeber einerseits schädliche Neigungen und andererseits die Schwere der Schuld als unabhängig voneinander zu beurteilende Anordnungsvoraussetzungen angesehen hat, spricht ein weiteres systematisches Argument, das sich der Regelung des § 27 JGG entnehmen lässt. Die Vorschrift lautet:
„Kann nach Erschöpfung der Ermittlungsmöglichkeiten nicht mit Sicherheit beurteilt werden, ob in der Straftat eines Jugendlichen schädliche Neigungen von einem Umfang hervorgetreten sind, daß eine Jugendstrafe erforderlich ist, so kann der Richter die Schuld des Jugendlichen feststellen, die Entscheidung über die Verhängung der Jugendstrafe aber für eine von ihm zu bestimmende Bewährungszeit aussetzen.“ Bei dieser Reaktionsmöglichkeit der Jugendgerichte handelt es sich nach überwiegender Auffassung um eine eigenständige Sanktionsform, die zwischen den Zuchtmitteln und der Verhängung der Jugendstrafe einzuordnen ist (Eisenberg/Kölbel aaO, § 27 Rn. 2; Ostendorf aaO, Grundlagen zu den §§ 27 bis 30 Rn. 1; BeckOKJGG/Nehring, aaO, § 27 Rn. 5; jeweils mwN auch zu abweichenden Beurteilungen der Rechtsnatur; vgl. auch Brunner/Dölling aaO, § 27 Rn. 3). Ihre Anwendung setzt voraus, dass schädliche Neigungen festgestellt werden, jedoch zweifelhaft bleibt, ob aufgrund deren Umfangs die Verhängung einer Jugendstrafe erforderlich ist (st. Rspr.; vgl. zuletzt etwa BGH, Beschluss vom 21. Januar 2021 - 2 StR 280/20).
Diese Zwischenstufe ist nach der gesetzgeberischen Konzeption auf die Fälle beschränkt, in denen eine Jugendstrafe wegen schädlicher Neigungen (§ 17 Abs. 2 Alt. 1 JGG) in Betracht kommt. Eine Aussetzung zur Prüfung einer Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld (§ 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG) ist nicht vorgesehen.
Hätte der Gesetzgeber aber die Verhängung einer Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld - auch - von erzieherischen Erfordernissen abhängig machen wollen, hätte es nahegelegen, die Regelung § 27 JGG auf Fälle der „Schuldstrafe“ nach § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG zu erstrecken, zumal durchaus Fälle denkbar sind, in denen zwar die Schwere der Schuld vorliegt, der Umfang der Erziehungsbedürftigkeit des Jugendlichen aber zunächst noch unklar ist. Zugleich belegt der Umstand, dass der Gesetzgeber die Möglichkeit der Aussetzung der Jugendstrafe auf die Fälle beschränkt hat, in denen nicht mit Sicherheit beurteilt werden kann, ob der Umfang der schädlichen Neigungen, mithin der erzieherischen Defizite, eine Jugendstrafe „erforderlich“ machen, dass mit der Erforderlichkeit der Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld nach § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG gerade nicht auch ein Erziehungsbedarf angesprochen ist (vgl. oben unter 2. a).
6. Im Ergebnis ist deshalb, wenn die - jugendspezifische - Prüfung der Schuldschwere im Sinne von § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG deren Vorliegen erbracht hat (zum Prüfungsmaßstab siehe oben unter 1.), Jugendstrafe zu verhängen. Bei der Bestimmung der Strafhöhe ist sodann dem Erziehungsgedanken Rechnung zu tragen (§ 18 Abs. 2 JGG), eine positive Entwicklung bis zur Urteilsverkündung kann insbesondere in diesem Rahmen und für die Frage einer etwaigen Aussetzung der Strafe zur Bewährung von Bedeutung sein.
Die Zugrundelegung dieser Rechtsgrundsätze würde vorliegend zu einem anderen Ergebnis im Strafausspruch führen. Denn die Jugendkammer hat - für sich genommen rechtsfehlerfrei und unter Anwendung der zutreffenden Maßstäbe (vgl. oben unter 1.) - die Schwere der Schuld im Sinne von § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG bejaht und die Verhängung einer Jugendstrafe nur deshalb abgelehnt, weil die Angeklagten (noch) erziehungsbedürftig sein müssten und sie dies verneint hat. Ohne das - abzulehnende - kumulative Erfordernis der Erziehungsbedürftigkeit oder -fähigkeit wäre deshalb auf dieser Grundlage Jugendstrafe zu verhängen gewesen.
An der beabsichtigten Entscheidung sieht sich der Senat durch entgegenstehende Rechtsprechung anderer Senate gehindert, auch wenn die höchstrichterliche Rechtsprechung insoweit nicht eindeutig ist (vgl. sogleich unter 2.). Insoweit gilt:
1. Die Rechtsfrage ist entscheidungserheblich. Dem steht nicht entgegen, dass das Urteil auch weitere Rechtsfehler aufweisen könnte, die zu seiner (teilweisen) Aufhebung führen würden. So erweist es sich nicht als unbedenklich, dass das Landgericht bei der Verhängung der Arbeitsauflagen keinen Zeitraum festgelegt hat, innerhalb dessen die Arbeitsleistungen zu erbringen sind (OLG Braunschweig, NStZ 2012, 575, 576; vgl. zu einer Bewährungsauflage nach § 56b StGB BVerfG, Beschluss vom 2. September 2015 - 2 BvR 2343/14 Rn. 28 mwN). Es kann hier offenbleiben, ob dieses Versäumnis zur Aufhebung der Auflagen insgesamt führen könnte (in diesem Sinne wohl OLG Braunschweig aaO) oder lediglich, soweit die Bestimmung eines Zeitraums für die Erbringung der Arbeitsleistungen unterblieben ist, oder ob gegebenenfalls nur die Vollstreckung eines Ungehorsamsarrests nach § 15 Abs. 3 Satz 2, § 11 Abs. 3 JGG ausscheiden müsste. Denn jedenfalls würde es sich bei einer (teilweisen) Aufhebung der Auflagen um eine Entscheidung zugunsten der Angeklagten handeln (§ 301 StPO); die Frage, ob das Urteil zuungunsten der Angeklagten aufzuheben ist, weil keine Jugendstrafe festgesetzt worden ist, bliebe davon unberührt. Aus dem gleichen Grund bedarf es im Rahmen dieses Anfrageverfahrens keiner Entscheidung, ob bei angenommenem Fehlen einer (nachhaltigen) Erziehungsbedürftigkeit die Sanktionierung mit einem Zuchtmittel - noch dazu gegenüber mittlerweile erwachsenen Angeklagten (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 20. August 2015 - 3 StR 214/15, NStZ 2016, 101, 102; Rose, NStZ 2023, 430, 433 jeweils mwN; eingehend Budelmann, Jugendstrafrecht für Erwachsene?, 2005, S. 80 ff.) - überhaupt (noch) in Betracht kommt.
2. Der beabsichtigten Entscheidung des Senats stehen Entscheidungen anderer Senate (möglicherweise) entgegen, weil nicht in allen Fällen hinreichend deutlich geworden ist, ob mit neuerer Rechtsprechung ältere, teilweise anderslautende Judikate aufgegeben wurden.
a) Der 1. Strafsenat hat mehrfach entschieden, dass auf Jugendstrafe nur erkannt werden dürfe, wenn die Strafe aus erzieherischen Gründen erforderlich sei (BGH, Urteil vom 12. Oktober 1971 - 1 StR 437/71; Beschlüsse vom 13. Januar 1981 - 1 StR 582/80; vom 24. Februar 1981 - 1 StR 753/80; vom 14. Mai 1981 - 1 StR 211/81). In einer späteren Entscheidung hat er sich von diesen Judikaten distanziert und ausgeführt, erzieherische Gesichtspunkte seien zwar in erster Linie maßgebend, der Schwere der Schuld könne aber eigenständige Bedeutung beizumessen sein. Soweit Entscheidungen des Bundesgerichtshofs aus neuerer Zeit dahin verstanden werden könnten, der Erziehungszweck sei bei Prüfung der Rechtsfolge gemäß § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG das allein ausschlaggebende Kriterium und bestimme auch allein die Obergrenze der nach § 18 Abs. 2 JGG zu bemessenden Jugendstrafe, werde daran nicht festgehalten (BGH, Beschluss vom 1. Dezember 1981 - 1 StR 634/81).
Weitere Entscheidungen könnten so gedeutet werden, dass erst bei der Bestimmung der Strafhöhe der Erziehungszweck in den Vordergrund gestellt wurde (vgl. BGH, Beschluss vom 11. April 1989 - 1 StR 108/89, BGHR JGG § 17 Abs. 2 Schwere der Schuld 1; unklar, ob nur die Strafhöhe oder die Sanktionsart an sich fehlerhaft war: Beschluss vom 2. Februar 1993 - 1 StR 920/92). Mit Beschluss vom 6. Mai 2013 (1 StR 178/13, BGHR JGG § 17 Abs. 2 Schwere der Schuld 5) hat der 1. Strafsenat alsdann - obiter dictum - ausgeführt, er neige dazu, „bereits das Vorliegen eines gewissen Schuldausmaßes allein als Anordnungsgrund einer auf das Merkmal der „Schwere der Schuld” gestützten Jugendstrafe ohne eine faktische Erziehungsfähigkeit und -bedürftigkeit des jugendlichen oder heranwachsenden Täters genügen zu lassen.“ Diese Rechtsprechung hat er in der Folge indes nicht fortgeführt, sondern vielmehr in einem Urteil vom 9. Januar 2018 - 1 StR 239/17, NStZ 2018, 659, 660 - allerdings wiederum nicht tragend - ausgeführt, dass die Verhängung einer Jugendstrafe selbst dann nicht in Betracht gekommen wäre, wenn die Schuld des Angeklagten als „schwer“ im Sinne des § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG einzustufen gewesen wäre, weil dies mangels Persönlichkeits- oder Erziehungsmängeln des Angeklagten aus erzieherischen Gründen nicht erforderlich gewesen sei.
b) Der 2. Strafsenat hatte zunächst ebenfalls - tragend - entschieden, dass auf Jugendstrafe auch bei Schwere der Schuld gemäß § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG nur dann erkannt werden dürfe, wenn dies aus erzieherischen Gründen erforderlich sei (BGH, Beschluss vom 11. März 1981 - 2 StR 104/81; vgl. auch Beschluss vom 23. April 1982 - 2 StR 192/82, NStZ 1982, 332, wonach auch bei der Prüfung der Frage, ob und in welchem Umfang wegen schwerer Schuld Jugendstrafe verhängt werden soll, der Erziehungsgedanke vorrangig zu beachten und erst in zweiter Linie die Schwere der Schuld zu berücksichtigen sei).
In einer späteren Entscheidung hat er im Fall eines Totschlagsversuchs die Verhängung von Jugendstrafe gebilligt und nur die Strafhöhe beanstandet, weil ein Erziehungsbedürfnis, das die Verhängung einer zu verbüßenden Haftstrafe erfordere, nicht ausreichend belegt sei (BGH, Urteil vom 19. Februar 2014 - 2 StR 413/13, NStZ 2014, 407, 408). Zuletzt hat er ausgeführt, einer Jugendstrafe stehe nicht entgegen, dass bei dem Angeklagten ein Erziehungsbedarf nicht mehr festgestellt werden könne, weil auf die Möglichkeit der Bestrafung schwerer Straftaten durch Verhängung einer Jugendstrafe auch in den Fällen nicht verzichtet werden könne, in denen ein Jugendlicher oder Heranwachsender nicht erziehungsbedürftig oder erziehungsfähig ist (BGH, Urteil vom 13. November 2019 - 2 StR 217/19, NStZ 2020, 301; vgl. dazu auch BGH, Urteil vom 18. Juli 2018 - 2 StR 150/18, NStZ 2018, 728, 729).
c) Der 3. Strafsenat hat zunächst mehrfach die Auffassung vertreten, dass auch wegen Schwere der Schuld nur dann auf Jugendstrafe erkannt werden dürfe, wenn dies aus erzieherischen Gründen erforderlich sei (BGH, Beschluss vom 26. August 1994 - 3 StR 173/94; Urteil vom 9. August 2000 - 3 StR 176/00, NStZ-RR 2001, 215, 216). In späteren Entscheidungen, die indes jeweils (schwere) Gewaltdelikte betrafen, hat er trotz Rechtsfehlern bei der Begründung von Erziehungsmängeln oder ungenügend begründetem Erziehungsbedarf die Verhängung von Jugendstrafe dem Grunde nach nicht beanstandet und Bedenken nur gegen die Bemessung der Jugendstrafe erhoben (BGH, Beschlüsse vom 27. Oktober 2009 - 3 StR 404/09, NStZ-RR 2010, 56, 57; vom 27. September 2011 - 3 StR 259/11, NStZ-RR 2011, 385, 386; vom 2. August 2012 - 3 StR 209/12; NStZ 2013, 287). In mehreren weiteren Entscheidungen hat der 3. Strafsenat erwogen, sich dem obiter dictum des 1. Strafsenats (Beschluss vom 6. Mai 2013 - 1 StR 178/13, BGHR JGG § 17 Abs. 2 Schwere der Schuld 5) anzuschließen, dies aber letztlich offen gelassen und seinerseits die Frage aufgeworfen, ob jedenfalls bei Straftätern, die im Zeitpunkt der Verurteilung erwachsen sind, der Erziehungsgedanke insgesamt kein taugliches Strafzumessungskriterium mehr sein könne (BGH, Beschlüsse vom 20. August 2015 - 3 StR 214/15, NStZ 2016, 101, 102; vom 8. März 2016 - 3 StR 417/15, NStZ 2016, 680, 681).
Mit Beschluss vom 11. Juli 2017 - 3 StR 107/17, StV 2017, 710, 711 hat der 3. Strafsenat dann aber wieder ausgeführt, die „Verhängung einer Jugendstrafe, auf die - wie hier - allein unter dem Gesichtspunkt der Schwere der Schuld (§ 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG) erkannt wird, komm[e] grundsätzlich nur in Betracht, wenn dies auch aus erzieherischen Gründen erforderlich“ sei. „Belangen des Schuldausgleichs [könne] eigenständige Bedeutung nur ausnahmsweise beigemessen werden, insbesondere im Bereich von Kapitaldelikten oder anderen besonders schweren Taten.“ In der Folge hat er - wie dargelegt - entschieden, dass etwa auch bei Vergehen eine Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld in Betracht komme (BGH, Urteile vom 15. Juli 2021 - 3 StR 481/20, NStZ 2022, 753 Rn. 25; vom 1. Dezember 2022 - 3 StR 471/21, NStZ 2023, 428 Rn. 10). Mit Urteil vom 10. Februar 2022 (3 StR 436/21 Rn. 17) hat er zudem ausgeführt, dass der Strafzweck des gerechten Schuldausgleichs jedenfalls in Fällen schwerer Gewaltdelikte nicht völlig hinter den Erziehungsgedanken zurücktreten dürfe, weil auf die Möglichkeit der Bestrafung schwerer Straftaten durch Verhängung einer Jugendstrafe auch in Fällen nicht verzichtet werden könne, in denen ein Jugendlicher oder Heranwachsender nicht erziehungsbedürftig oder erziehungsfähig sei.
d) Der 4. Strafsenat hat in mehreren Entscheidungen die Verhängung einer Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld nur dann für geboten erachtet, wenn diese auch erzieherisch notwendig war (vgl. BGH, Urteile vom 11. November 1960 - 4 StR 387/60, BGHSt 15, 224, 225 ff.; vom 29. September 1961 - 4 StR 301/61, BGHSt 16, 261, 263; Beschlüsse vom 20. Januar 1998 - 4 StR 656/97, NStZ-RR 1998, 317, 318; vom 2. Dezember 2008 - 4 StR 543/08, NStZ 2009, 450). In anderen Entscheidungen hat er betont, dass der Erziehungsgedanke nicht das allein ausschlaggebende Kriterium sei und insbesondere auch der Schwere der Schuld eine eigenständige Bedeutung zukommen könne (BGH, Urteile vom 21. April 1983 - 4 StR 99/83; vom 16. November 1993 - 4 StR 591/93).
In seiner jüngeren Rechtsprechung hat er alsdann den Erziehungsgedanken überwiegend erst bei der Frage der Bemessung der Jugendstrafe (§ 18 Abs. 2 JGG) in den Blick genommen (vgl. zuletzt etwa BGH, Urteil vom 21. Juli 2022 - 4 StR 177/22, NStZ 2022, 755; vgl. auch Urteil vom 4. August 2016 - 4 StR 142/16, NStZ 2017, 648, 649; Beschluss vom 29. Januar 2020 - 4 StR 564/19, NStZ-RR 2020, 141, 142).
e) Der 6. Strafsenat hat sich mit der Rechtsfrage - soweit ersichtlich - noch nicht zu befassen gehabt.
f) Der Senat gibt etwaige eigene entgegenstehende Rechtsprechung (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 22. Januar 2014 - 5 StR 555/13, NStZRR 2014, 119, 120) ausdrücklich auf.
HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 1350
Bearbeiter: Christian Becker