HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Juli 2023
24. Jahrgang
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IV. Strafverfahrensrecht (mit Gerichtsverfassungsrecht)


Entscheidung

818. BGH 3 StR 68/22 – Beschluss vom 4. April 2023 (OLG München)

Mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland; Verlesung der Erklärungen von Behörden (Erkennbarkeit des Urhebers; mittelbare Erkenntnisse des Urhebers); tatgerichtliche Beweiswürdigung (erforderliche Darlegungen zur Eignung von Lichtbildern zur Identifizierung der Abgebildeten in Bezug auf die Bildqualität oder Identifizierungsmerkmale).

§ 129a StGB; § 129b StGB; § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO; § 261 StPO

1. Auch wenn – hier nicht entscheidungserheblich – eine Verlesung nach § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO nur dann zulässig sein sollte, falls die Person des Erklärenden ersichtlich ist, kann diesen Anforderungen im Einzelfall dadurch genügt werden, wenn sich zum Beispiel aus namentlich unterschriebenen Vorblättern ergibt, auf wen die zugehörigen Berichte zurückzuführen sind und dass es sich nicht um einen bloßen Entwurf handelt, und Detailinformationen zu bestimmten Erkenntnissen, etwa der ermittelnde Beamte bei Bedarf über die Führungsgruppe erfragt werden können.

2. Für die Frage der Verlesbarkeit nach § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO kommt es nicht darauf an, ob die erklärende Person die Erkenntnisse unmittelbar selbst gewonnen hat oder lediglich aufgrund fremder, namentlich durch mehrere Observationsbeamte zusammengetragener Erkenntnisse berichtet.

3. Das Maß der gebotenen Darlegung im schriftlichen Urteil zu Lichtbildern, die der Identifizierung einer Person dienen, hängt grundsätzlich von der jeweiligen Beweislage und insoweit den Umständen des Einzelfalles ab. Soweit der Bundesgerichtshof für die Identifizierung einer abgebildeten Person in spezifischen Konstellationen besondere Anforderungen an die Abfassung der Urteilsgründe gestellt hat, sind diese nicht ohne weiteres auf sämtliche Fallkonstellationen der Identifizierung einer Person mittels eines Fotos zu übertragen.


Entscheidung

853. BGH 6 StR 124/23 – Beschluss vom 18. April 2023 (LG Lüneburg)

Mitteilungspflicht über Verständigungsgespräche (Verfahrensrüge: Angabe der den Mangel enthaltenden Tatsachen, konkret behauptetes vollständiges Verfahrensgeschehen: keine bloße Wiedergabe vage erinnerter und nur möglicher Verfahrensabläufe); unverbindliche Erörterungen ohne Verständigungsbezug; Strafzumessung (Stufenverhältnis von sogenannten harten Drogen, Amphetamin: mittlere Gefährlichkeit).

§ 243 Abs. 4 Satz 2 StPO; § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO; § 46 StGB

1. Für die Rüge einer Verletzung von § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO ist erforderlich, dass Tatsachen vorgetragen werden, aus denen sich ergibt, dass ein nach dieser Vorschrift mitteilungspflichtiges Gespräch stattgefunden hat und dessen wesentlicher Inhalt in der Hauptverhandlung nicht oder nicht ausreichend mitgeteilt und protokolliert wurde.

2. Die bloße Wiedergabe vage erinnerter und nur möglicher Verfahrensabläufe ersetzt den notwendigen bestimmten Tatsachenvortrag nicht.

3. Bei Amphetamin handelt es sich – mit Blick auf das Stufenverhältnis von sogenannten harten Drogen wie Heroin und Kokain über Amphetamin – um ein Betäubungsmittel von lediglich „mittlerer Gefährlichkeit“ (st. Rspr.).


Entscheidung

826. BGH 3 StR 109/23 – Beschluss vom 16. Mai 2023 (LG Saarbrücken)


Sog. Inbegriffsrüge (Lückenhaftigkeit der Beweiswürdigung; erforderliche Erörterungen im Urteil bei unterschiedlichen Übersetzungen derselben Kommunikation).

§ 261 StPO

Zwar kann es grundsätzlich einen Erörterungsmangel darstellen, wenn unterschiedliche Übersetzungen derselben Kommunikation als Urkunden in die Beweisaufnahme eingeführt werden und sich das Tatgericht mit erheblichen Abweichungen der verschiedenen Übersetzungen nicht befasst. Allerdings kann die Verfahrensrüge nach § 261 StPO („Inbegriffsrüge“), mit der die Lückenhaftigkeit der Beweiswürdigung wegen der nicht erschöpfenden Würdigung des Beweismaterials gerügt wird, der Revision nur dann zum Erfolg verhelfen, wenn sich mit Rücksicht auf die sonstigen Feststellungen eine Erörterung aufdrängen musste.


Entscheidung

764. BGH 2 StR 162/22 – Beschluss vom 7. Februar 2023 (LG Aachen)

Pflicht zur elektronischen Übermittlung (Revisionseinlegung: elektronisches Anwaltspostfach, Versand „per EGVP“, elektronische Übermittlung, Form- und Wirksamkeitsvoraussetzung, elektronische Signatur, Signatur, Einreichen auf sicherem Übermittlungsweg, elektronische Poststelle einer Behörde oder eines Gerichts, Versender, Bote, Authentizität des elektronischen Dokuments); Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

§ 32d StPO; § 45 StPO; § 31a BRAO

1. Nach der seit dem 1. Januar 2022 geltenden Vorschrift des § 32d Satz 2 StPO müssen Verteidiger und Rechtsanwälte die Revision und ihre Begründung als elektronisches Dokument übermitteln. Hierbei handelt es sich um eine Form- und Wirksamkeitsvoraussetzung der jeweiligen Prozesshandlung, welche bei Nichteinhaltung deren Unwirksamkeit zur Folge hat.

2. Da für Revisionseinlegung und -begründung, soweit sie nicht zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt werden, gesetzlich die Schriftform, für die Revisionsbegründungsschrift darüber hinaus auch die Unterzeichnung durch den Verteidiger oder einen Rechtsanwalt vorgeschrieben ist (§§ 341 Abs. 1, 345 Abs. 2 StPO), müssen diese Dokumente bei Übermittlung in elektronischer Form gemäß § 32a Abs. 3 StPO entweder „mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein“ oder – alternativ – „von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg [im Sinne von § 32a Abs. 4 Satz 1 StPO] eingereicht werden“. In der zweiten Alternative muss die verantwortende Person das Dokument also nicht nur (einfach) „signieren“, indem sie es maschinenschriftlich oder in sonstiger Weise mit ihrem Namenszug versieht, sondern auch „einreichen“, d.h. die Übermittlung auf sicherem Wege selbst vornehmen.

3. Im Falle der Übermittlung auf dem sicheren Weg zwischen einem gemäß § 31a BRAO von der Bundesrechtsanwaltskammer eingerichteten besonderen elektronischen Anwaltspostfach und der elektronischen Poststelle einer Behörde oder eines Gerichts (§ 32a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 StPO) muss die Übertragung über das besondere elektronische Anwaltspostfach des durch die Signatur als verantwortliche Person ausgewiesenen Rechtsanwalts erfolgen und zudem dieser selbst – und nicht etwa ein Kanzleimitarbeiter – auch der tatsächliche Versender sein.

4. Erfolgt die Übermittlung nach § 32a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 StPO durch einen Boten, wird die Authentizität des elektronischen Dokuments nicht gewährleistet.


Entscheidung

845. BGH 5 StR 164/23 – Beschluss vom 6. Juni 2023 (LG Itzehoe)

Übermittlung von Revision und Begründung als elektronisches Dokument (Übermittlung der einfach signierten Schrift über besonderes elektronisches Anwaltspostfach eines anderen Anwalts).

§ 32d S. 2 StPO; § 341 Abs. 1 StPO

Nach § 32d Satz 2 StPO müssen Verteidiger und Rechtsanwälte die Revision und ihre Begründung als elektronisches Dokument übermitteln. Insoweit handelt es sich um eine Form- und Wirksamkeitsvoraussetzung der jeweiligen Prozesshandlung, welche bei Nichteinhaltung deren Unwirksamkeit zur Folge hat. Die bloße Übermittlung der vom Rechtsanwalt einfach signierten Schrift über das besondere elektronische Anwaltspostfach eines anderen Rechtsanwalts genügt diesem Formerfordernis nicht.


Entscheidung

840. BGH 5 StR 52/23 – Beschluss vom 27. April 2023 (LG Berlin)

Schweigerecht (Verbot nachteiliger Schlüsse aus dem Zeitpunkt der erstmaligen Einlassung).

§ 136 Abs. 1 S. 2 StPO; Art. 2 Abs. 1 GG; Art. 1 Abs. 1 GG

Macht ein Angeklagter von seinem Schweigerecht Gebrauch, so darf dies nicht zu seinem Nachteil gewertet werden. Der unbefangene Gebrauch dieses Schweigerechts wäre nicht gewährleistet, wenn der Angeklagte die Prüfung und Bewertung der Gründe für sein Aussageverhalten befürchten müsste. Deshalb dürfen weder aus einer durchgängigen noch aus einer anfänglichen Aussageverweigerung eines Angeklagten – und damit auch nicht aus dem Zeitpunkt, zu dem er sich erstmals einlässt – nachteilige Schlüsse gezogen werden.


Entscheidung

829. BGH 3 StR 434/22 – Beschluss vom 8. März 2023 (OLG Düsseldorf)

Revision gegen erstinstanzliches Urteil des Oberlandesgerichts (kein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung, mit der die Ablehnung eines Richters als unzulässig verworfen oder als unbegründet zurückgewiesen wurde).

§ 28 Abs. 2 StPO; § 304 Abs. 4 StPO; § 338 Nr. 3 StPO

Eine revisionsrechtliche Verfahrensrüge, die sich gegen eine Entscheidung richtet, durch die ein im ersten Rechtszug zuständiges Oberlandesgericht die Ablehnung eines Richters als unzulässig verworfen oder als unbegründet zurückgewiesen hat, ist unzulässig.


Entscheidung

837. BGH 5 StR 136/23 – Beschluss vom 6. Juni 2023 (LG Berlin)

Verfahrenshindernis aufgrund eines unwirksamen Eröffnungsbeschlusses (große Strafkammer; Besetzung

außerhalb der Hauptverhandlung; fehlende Unterschrift; Umlaufverfahren).

§ 203 StPO

1. Zur Eröffnung des Hauptverfahrens gemäß § 203 StPO genügt eine schlüssige und eindeutige Willenserklärung des Gerichts, die Anklage nach Prüfung und Bejahung der Eröffnungsvoraussetzungen zur Hauptverhandlung zuzulassen. Der Eröffnungsbeschluss muss schriftlich abgefasst, aber nicht von allen Richtern unterschrieben werden.

2. Die Entscheidung über die Eröffnung des Verfahrens und die Zulassung der Anklage vor einer Großen Strafkammer ist stets mit drei Berufsrichtern in der Besetzung außerhalb der Hauptverhandlung zu treffen (§ 199 Abs. 1 StPO iVm § 76 Abs. 1 Satz 2 GVG). Wirken an der Eröffnungsentscheidung weniger Berufsrichter mit, ist sie unwirksam. Das Fehlen eines wirksamen Eröffnungsbeschlusses stellt ein in diesem Verfahren nicht mehr behebbares Verfahrenshindernis dar, das die Einstellung des Verfahrens zur Folge hat.

3. Fehlt eine Unterschrift auf dem Eröffnungsbeschluss, muss anderweitig nachgewiesen sein, dass der Beschluss von allen hierzu berufenen Richtern gefasst worden ist. Dies setzt eine mündliche Beschlussfassung oder eine dahin zu verstehende gemeinsame Besprechung oder Beratung über die Eröffnung voraus. Wird der Beschluss im Umlaufverfahren – also im Wege einer schriftlichen Beratung und Abstimmung aufgrund eines Entscheidungsvorschlags – getroffen, führt das Fehlen einer Unterschrift zu dessen Unwirksamkeit, denn es handelt sich bis zur Unterzeichnung durch alle Richter lediglich um einen Entwurf.


Entscheidung

808. BGH 4 StR 413/22 – Beschluss vom 13. April 2023 (LG Münster – große Strafkammer bei dem Amtsgericht Bocholt)

Beweiswürdigung (beschränkte Revisibilität; Zeuge vom Hörensagen: überwiegende Überführung des Angeklagten, erhöhte Anforderungen an die Sorgfalt und Vollständigkeit der Gesamtwürdigung der Beweisergebnisse, Glaubwürdigkeit der unmittelbaren Beweisperson, Bestätigung durch andere wichtige und im unmittelbaren Bezug zum Tatgeschehen stehenden Gesichtspunkte); gefährliche Körperverletzung (gefährliches Werkzeug: erhebliche Verletzung, „Pieksen“ in den Rücken, Einsatz eines abstrakt gefährlichen Werkzeugs in konkret ungefährlicher Weise).

§ 261 StPO; § 224 StGB

1. Erhöhte Anforderungen sind an die Sorgfalt und Vollständigkeit der vom Tatgericht vorzunehmenden und in den Urteilsgründen darzulegenden Gesamtwürdigung der Beweisergebnisse zu stellen, wenn ein nichtgeständiger Angeklagter überwiegend durch Angaben eines Zeugen überführt werden soll und dessen Bekundungen nur mittelbar über eine Vernehmungsperson in die Hauptverhandlung eingeführt werden können. Denn das Tatgericht kann in derartigen Fällen die Glaubwürdigkeit der unmittelbaren Beweisperson und die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben nicht originär, sondern nur vermittelt durch den Bericht der Vernehmungsperson beurteilen.

2. Auf die Aussage eines Zeugen vom Hörensagen kann eine Feststellung jedenfalls regelmäßig nur dann gestützt werden, wenn sie durch andere wichtige und im unmittelbaren Bezug zum Tatgeschehen stehende Gesichtspunkte bestätigt wird.

3. Ein gefährliches Werkzeug im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist jeder (feste) Gegenstand, der nach seiner Beschaffenheit und der konkreten Art seiner Benutzung im Einzelfall dazu geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen herbeizuführen. Mit einer erheblichen Verletzung ist eine nach Dauer oder Intensität gravierende, jedenfalls nicht nur ganz leichte Verletzung oder Gesundheitsschädigung gemeint. Der Einsatz eines abstrakt gefährlichen Werkzeugs in konkret ungefährlicher Weise erfüllt den Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB danach nicht.


Entscheidung

801. BGH 4 StR 234/22 – Urteil vom 30. März 2023 (LG Ansbach)

Mord (Beweiswürdigung: Tötungsabsicht, geplante Ausnutzung eingeschränkter Abwehrmöglichkeiten, Darlegung in den Urteilsgründen, rational nachvollziehbare Überlegungen; Nachvollziehbarkeit, Eigengefährdung, Straßenverkehr; Heimtücke: Arglosigkeit, Wehrlosigkeit, maßgeblicher Zeitpunkt, Versuchsstadium, von langer Hand geplante Tat, Hinterhalt); gefährliche Körperverletzung (gefährliches Werkzeug: Kraftfahrzeug, körperliche Misshandlung unmittelbar durch den Anstoß des vom Täter verwendeten Fahrzeugs).

§ 211 StGB; § 224 StGB; § 261 StPO; § 267 StPO

1. §§ 261 und 267 StPO verpflichten den Tatrichter, in den Urteilsgründen darzulegen, dass seine Überzeugung von den die Anwendung des materiellen Rechts tragenden Tatsachen auf einer umfassenden, von rational nachvollziehbaren Überlegungen bestimmten Beweiswürdigung beruht. Die wesentlichen Beweiserwägungen müssen daher – über den Wortlaut des § 267 Abs. 1 Satz 2 StPO hinaus – in den schriftlichen Urteilsgründen so dargelegt werden, dass die tatgerichtliche Überzeugungsbildung für das Revisionsgericht nachzuvollziehen und auf Rechtsfehler hin zu überprüfen ist. Dabei sollte durch das Gliederungssystem erkennbar sein, auf welche Feststellungskomplexe sich die jeweiligen Ausführungen zur Beweiswürdigung beziehen.

2. Eine Beweisregel, nach der es einem Tötungsvorsatz entgegensteht, dass mit der Vornahme einer fremdgefährdenden Handlung auch eine Eigengefährdung einhergeht, gibt es nicht. Bei riskanten Verhaltensweisen im Straßenverkehr kann zwar eine vom Täter als solche erkannte Eigengefährdung dafür sprechen, dass er auf einen guten Ausgang vertraut hat. Dies gilt aber nur, wenn die Verhaltensweise nicht von vornherein darauf angelegt ist, eine andere Person zu verletzen oder einen Unfall herbeizuführen.

3. Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers ist grundsätzlich der Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs, also der Eintritt des Tötungsdelikts in das Versuchsstadium. Dies gilt indes nicht uneingeschränkt. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass bei einer von langer Hand geplanten und vorbereiteten Tat das heimtückische Vorgehen im

Sinne des § 211 Abs. 2 StGB auch in Vorkehrungen liegen kann, die der Täter ergreift, um eine günstige Gelegenheit zur Tötung zu schaffen, sofern diese bei der Ausführung der Tat noch fortwirken. Wird das Tatopfer in einen Hinterhalt gelockt oder ihm eine raffinierte Falle gestellt, kommt es daher nicht mehr darauf an, ob es zu Beginn der Tötungshandlung noch arglos war. Infolge seiner Arglosigkeit wehrlos ist dann auch derjenige, der in seinen Abwehrmöglichkeiten fortdauernd so erheblich eingeschränkt ist, dass er dem Täter nichts Wirkungsvolles mehr entgegenzusetzen vermag.

4. Eine Verurteilung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfordert, dass die Körperverletzung durch ein von außen unmittelbar auf den Körper einwirkendes gefährliches Tatmittel eingetreten ist. Wird ein Kraftfahrzeug als Werkzeug eingesetzt, muss daher die körperliche Misshandlung unmittelbar durch den Anstoß des vom Täter verwendeten Fahrzeugs ausgelöst worden sein.


Entscheidung

850. BGH 5 StR 483/22 – Beschluss vom 25. Mai 2023 (LG Dresden)

Beweiswürdigung (auf dem Wiedererkennen des Angeklagten beruhender Tatnachweis; Zeuge; Anforderungen an die Darlegung durch das Tatgericht; revisionsgerichtliche Kontrolle).

§ 261 StPO

Beruht der Tatnachweis im Wesentlichen auf dem Wiedererkennen des Angeklagten durch einen Tatzeugen, ist das Tatgericht aus sachlich-rechtlichen Gründen regelmäßig verpflichtet, die Angaben des Zeugen zur Täterbeschreibung zumindest in gedrängter Form wiederzugeben. Um die tatgerichtliche Würdigung nachvollziehen zu können, bedarf es zudem eines Abgleichs der Beschreibung des Zeugen mit dem Erscheinungsbild des Angeklagten. Konnte ein Zeuge eine ihm zuvor unbekannte Person nur kurze Zeit beobachten, darf sich das Tatgericht nicht ohne Weiteres auf dessen subjektive Gewissheit beim Wiedererkennen verlassen, sondern muss aufgrund objektiver Kriterien nachprüfen, welche Beweisqualität dieses Wiedererkennen hat und dies in den Urteilsgründen für das Revisionsgericht nachvollziehbar darlegen.


Entscheidung

839. BGH 5 StR 38/23 – Beschluss vom 4. Mai 2023 (LG Flensburg)

Unterbrechung der Verjährung (Reichweite der Unterbrechungswirkung bei Ermittlung wegen mehrerer Taten; Bestimmung des Verfolgungswillens); Verfälschen einer echten Urkunde (nachträgliche Änderung des Erklärungs- und Beweisgehalts; fehlende Beweiseignung und -bestimmung bei als solcher erkennbarer Collage).

§ 78c StGB; § 267 StGB

1. Wird wegen mehrerer Taten ermittelt, bezieht sich die Unterbrechungswirkung (§ 78c Abs. 1 StGB) einer Durchsuchungsanordnung zwar grundsätzlich auf alle verfahrensgegenständlichen Taten, sofern nicht der Verfolgungswille des tätig werdenden Strafverfolgungsorgans erkennbar auf eine oder mehrere Taten beschränkt ist. Dabei kann bei einer Vielzahl von Taten zu Beginn der Ermittlungen eine zusammenfassende Kennzeichnung des Tatkomplexes ausreichend sein, wobei die Aufführung aller zugehörigen Einzelfälle häufig noch gar nicht möglich, aber auch nicht erforderlich ist. Es hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab, welche Taten innerhalb eines bestimmten Geschehenskomplexes Gegenstand einer Untersuchungshandlung sind. Für die Bestimmung des Verfolgungswillens der Strafverfolgungsorgane ist neben dem Wortlaut der Verfügung auch der Sach- und Verfahrenszusammenhang entscheidend, wobei der Akteninhalt zur Auslegung heranzuziehen ist.

2. Die für das Verfälschen einer echten Urkunde gem. § 267 Abs. 1 Alt. 2 StGB erforderliche nachträgliche Änderung des Erklärungs- und Beweisgehalts einer Urkunde muss einerseits, wenn auch nicht unumkehrbar, so doch auf Dauer angelegt sein und darf andererseits dem Tatobjekt seine Urkundeneigenschaft nicht nehmen. Das Ergebnis der Verfälschung muss daher weiterhin die Merkmale einer Urkunde im Sinne des § 267 Abs. 1 StGB aufweisen, also eine verkörperte Erklärung enthalten, die ihrem gedanklichen Inhalt nach geeignet und bestimmt ist, für ein Rechtsverhältnis Beweis zu erbringen, und die ihren Aussteller erkennen lässt. Eine – als solche erkennbare – Collage ist demnach keine Urkunde, weil ihr die Eignung und Bestimmung fehlt, im Rechtsverkehr Beweis zu erbringen.


Entscheidung

842. BGH 5 StR 82/23 – Urteil vom 24. Mai 2023 (LG Leipzig)

Kognitionspflicht (Erschöpfen des durch die Anklage abgegrenzten Prozessstoffs; keine Berücksichtigung der im Eröffnungsbeschluss zu Grunde gelegten Bewertung).

§ 264 Abs. 1 StPO

Die Kognitionspflicht gebietet, dass der durch die zugelassene Anklage abgegrenzte Prozessstoff durch vollständige Aburteilung des einheitlichen Lebensvorgangs erschöpft wird. Der Unrechtsgehalt der Tat muss ohne Rücksicht auf die dem Eröffnungsbeschluss zugrunde gelegte Bewertung ausgeschöpft werden, soweit keine rechtlichen Gründe entgegenstehen. Fehlt es daran, so ist dies schon auf die Sachrüge hin beachtlich.


Entscheidung

807. BGH 4 StR 400/22 – Beschluss vom 25. April 2023 (LG Detmold)

Beweiswürdigung (beschränkte Revisibilität; Aussage gegen Aussage: Urteilsgründe, entscheidenden Angaben des einzigen Belastungszeugen, vorangegangene Aussagen des Zeugen, Konstanzanalyse); Teileinstellung bei mehreren Taten (Gründe für die Teileinstellung: Bedeutung für die Beweiswürdigung zu den verbleibenden Vorwürfen, Glaubhaftigkeit der Bekundungen des Belastungszeugen, Mitteilung der Gründe in den Urteilsgründe).

§ 261 StPO; § 154 Abs. 2 StPO

1. In Fällen, in denen Aussage gegen Aussage“ steht, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, welche die Entscheidung beeinflussen können, in seine Überlegungen einbezogen hat. Um dem Revisionsgericht die sachlich-rechtliche Überprüfung der Beweiswürdigung zu ermöglichen, sind daher regelmäßig auch die entscheidenden Angaben des einzigen Belastungszeugen in Form einer geschlossenen Darstellung in den Urteilsgründen wiederzugeben. Dabei sind auch vorangegangene Aussagen des Zeugen wieder zu geben, denn

anderenfalls kann das Revisionsgericht nicht überprüfen, ob das Tatgericht eine fachgerechte Konstanzanalyse vorgenommen und Abweichungen zutreffend gewichtet hat.

2. Stellt das Tatgericht das Verfahren wegen eines Teils der anklagegegenständlichen Vorwürfe nach § 154 Abs. 2 StPO ein, kann den Gründen für die Teileinstellung Bedeutung für die Beweiswürdigung zu den verbleibenden Vorwürfen insbesondere mit Blick auf die Frage der Glaubhaftigkeit der Bekundungen des Belastungszeugen zukommen. Ist dies nach der konkret gegebenen Beweissituation der Fall, ist der Tatrichter aus Gründen sachlichen Rechts gehalten, die Gründe für die Teileinstellung im Urteil mitzuteilen.


Entscheidung

811. BGH 4 StR 462/22 – Beschluss vom 25. April 2023 (LG Hagen)

Beweiswürdigung (beschränkte Revisibilität; erhöhte Anforderungen an die Beweiswürdigung: Aussage gegen Aussage, Angaben eines Zeugen von Hörensagen).

§ 261 StPO

Besondere Beweissituationen, wozu namentlich die Konstellationen gehören, in denen „Aussage gegen Aussage“ steht oder das Tatgericht sich auf die Angaben eines Zeugen vom Hörensagen stützt, stellen erhöhte Anforderungen an die Beweiswürdigung.