HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 850
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 483/22, Beschluss v. 25.05.2023, HRRS 2023 Nr. 850
Im Fall II.4 der Urteilsgründe wird der Vorwurf des bewaffneten Sichverschaffens von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 154a Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 StPO von der Strafverfolgung ausgenommen.
Auf die Revision des Angeklagten wird
das Urteil des Landgerichts Dresden vom 1. Juli 2022 im Schuldspruch im Fall II.4 der Urteilsgründe dahin geändert, dass der Angeklagte des besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Sachbeschädigung schuldig ist,
das vorbezeichnete Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben
im Schuldspruch in den Fällen II.1 und II.2 der Urteilsgründe,
im Strafausspruch im Fall II.4 der Urteilsgründe,
im Gesamtstrafausspruch.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen (II.1 und II.2 der Urteilsgründe), des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis (II.3 der Urteilsgründe) und des besonders schweren Raubes in Tateinheit mit bewaffnetem Sichverschaffen von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, gefährlicher Körperverletzung und Sachbeschädigung (Fall II.4 der Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt und den Anrechnungsmaßstab für erlittene Auslieferungshaft bestimmt. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg und ist im Übrigen unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
1. Der Senat hat mit Zustimmung des Generalbundesanwalts im Fall II.4 den Vorwurf des bewaffneten Sichverschaffens von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG aus prozessökonomischen Gründen gemäß § 154a Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 StPO von der Strafverfolgung ausgenommen, da insoweit ein Vollstreckungshindernis aufgrund des auslieferungsrechtlichen Spezialitätsgrundsatzes besteht (§ 83h Abs. 1 IRG). Die Beschränkung führt zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen Änderung des Schuldspruchs, die angesichts der strafschärfenden Berücksichtigung des tateinheitlich verwirklichten, nunmehr von der Strafverfolgung ausgenommenen Verbrechens nach § 30a Abs. 2 BtMG den Wegfall der im Fall II.4 verhängten Einzelstrafe zur Folge hat.
2. Die Verurteilung in den Fällen II.1 und II.2 hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand.
a) Das Landgericht hat insoweit festgestellt, der Angeklagte habe an zwei nicht näher bestimmbaren Tagen im Zeitraum vom 18. August bis 2. Oktober 2018 an den gesondert verfolgten Gr. im Stadtgebiet von D. im ersten Fall (II.1) mindestens 100 Gramm Crystal zum Preis von 4.500 Euro und im zweiten Fall (II.2) ein Kilogramm Marihuana zum Preis von 3.000 Euro sowie 150 Gramm Crystal zum Preis von 6.000 Euro verkauft und übergeben. Die Betäubungsmittel hatten einen durchschnittlichen Wirkstoffgehalt von jeweils mindestens 65 Prozent S-Methamphetamin-Base (Crystal) und 4 Prozent THC (Marihuana).
b) Das Landgericht hat die Feststellungen zum Tathergang und seine Überzeugung von der Täterschaft des - hierzu schweigenden - Angeklagten maßgeblich auf die Angaben des Zeugen K. gestützt. Allein dieser Zeuge hatte den Angeklagten als Täter identifiziert, allerdings nur anlässlich seiner eigenen polizeilichen Beschuldigtenvernehmung in einem Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz. Der Zeuge hatte bekundet, im Tatzeitraum gemeinsam mit dem gesondert verfolgten Gr. mit Betäubungsmitteln Handel getrieben zu haben. In diesem Rahmen sei es bei zwei Gelegenheiten zur Übergabe größerer Betäubungsmittelmengen (wie festgestellt) durch „Tschetschenen“, darunter den Angeklagten, gekommen. Der Zeuge habe den gesondert Verfolgten mit dem Pkw zum Übergabeort, einem Hinterhof in D., gefahren. Dort habe er aus kurzer Entfernung beobachtet, wie drei „Tschetschenen“ zur Abwicklung des Geschäfts in einen dort stehenden Pkw BMW mit B. er Kennzeichen eingestiegen seien. Der gesondert Verfolgte habe die Betäubungsmittel vom „Hauptakteur“ überreicht bekommen. Diesen habe der Zeuge später bei der Polizei „anhand der Lichtbildmappe“ als den Angeklagten identifiziert. Die weiteren Ermittlungen der Polizei ergaben, dass ein Pkw mit B. er Kennzeichen auf den Angeklagten zugelassen gewesen war und dieser, so wie vom Zeugen K. in Bezug auf den „Verkäufer“ berichtet worden war, „etwas, mit Boxen“ „zu tun“ gehabt habe.
c) Die Beweiswürdigung des Landgerichts erweist sich auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 6. August 2020 - 1 StR 178/20, NStZ 2021, 184, 185 mwN) als durchgreifend rechtsfehlerhaft.
aa) In schwierigen Beweislagen, zu denen Konstellationen zählen, in denen - wie hier - der Tatnachweis im Wesentlichen auf dem Wiedererkennen des Angeklagten durch einen Tatzeugen beruht, ist das Tatgericht aus sachlich-rechtlichen Gründen regelmäßig verpflichtet, die Angaben des Zeugen zur Täterbeschreibung zumindest in gedrängter Form wiederzugeben (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 30. April 2003 - 2 BvR 2045/02, NJW 2003, 2444, 2445; BGH, Beschlüsse vom 8. Februar 2023 - 6 StR 516/22, NStZ 2023, 250; vom 3. März 2021 - 2 StR 11/21, vom 29. November 2016 - 2 StR 472/16, NStZ-RR 2017, 90 f; vom 1. Oktober 2008 - 5 StR 439/08, NStZ 2009, 283). Um die tatgerichtliche Würdigung nachvollziehen zu können, bedarf es zudem eines Abgleichs der Beschreibung des Zeugen mit dem Erscheinungsbild des Angeklagten (BGH, Beschluss vom 25. Januar 2006 - 5 StR 593/05, NStZ-RR 2006, 212). Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung nicht gerecht.
bb) Im Urteil fehlen jegliche Angaben dazu, welche Merkmale oder Ausprägungen der Erscheinung des Angeklagten den Zeugen K. im Zeitpunkt seiner polizeilichen Beschuldigtenvernehmung in die Lage versetzt haben sollen, ihn „anhand einer Lichtbildmappe“ wiederzuerkennen. Darüber hinaus gibt es im Urteil keine Täterbeschreibung. Schon aus diesen Gründen leidet die Beweiswürdigung unter erheblichen Lücken. Dies gilt umso mehr, als der Zeuge den Angeklagten in der Hauptverhandlung „nicht direkt als den von ihm identifizierten Täter benennen“ „wollte“. Besondere Anforderungen an die Darlegungen des Identifizierungsvorgangs ergaben sich hier aber auch zusätzlich daraus, dass der Zeuge den Angeklagten vor den festgestellten Betäubungsmittelübergaben nicht kannte. Dies folgt aus seinem Bekunden, wonach ihm der gesondert Verfolgte die „Tschetschenen“ als „neue Geschäftspartner“ präsentiert habe, bevor es zu dem Treffen auf einem D. er Hinterhof kam. Für derartige Identifizierungsleistungen gilt: Konnte ein Zeuge eine ihm zuvor unbekannte Person nur kurze Zeit beobachten, darf sich das Tatgericht nicht ohne Weiteres auf dessen subjektive Gewissheit beim Wiedererkennen verlassen, sondern muss aufgrund objektiver Kriterien nachprüfen, welche Beweisqualität dieses Wiedererkennen hat und dies in den Urteilsgründen für das Revisionsgericht nachvollziehbar darlegen (BGH, Beschlüsse vom 8. Februar 2023 - 6 StR 516/22, NStZ 2023, 250; vom 3. März 2021 - 2 StR 11/21, vom 29. November 2016 - 2 StR 472/16, NStZRR 2017, 90 f; vom 1. Oktober 2008 - 5 StR 439/08, NStZ 2009, 283).
Diese Anforderungen erfüllt das Urteil nicht. Zur konkreten Wahrnehmungssituation des Zeugen bei der jeweiligen Betäubungsmittelübergabe, insbesondere dazu, ob er den Angeklagten hierbei längere Zeit beobachten oder nur kurzzeitig sehen konnte, verhalten sich die Urteilsgründe nicht. Es kann nicht nachvollzogen werden, wie der Zeuge von seiner Position heraus den Angeklagten als „Fahrer“ und „Hauptakteur“, welcher „etwas mit Boxen zu tun“ habe, ausmachen konnte. Die Wahrnehmung solch markanter Eigenschaften erscheint angesichts dessen, dass die „Tschetschenen“ in einen parkenden Pkw stiegen, ungewöhnlich; erst recht mit Blick darauf, dass die polizeiliche Sachbearbeiterin die Angaben des Zeugen zu diesen Vorfällen als eine „absolute Randnotiz“ bezeichnete. Aufgrund der aufgezeigten Erörterungsmängel entbehrt die Schlussfolgerung des Landgerichts, der Zeuge habe den Angeklagten „eindeutig“ „anhand der Lichtbildmappe“ identifiziert - ungeachtet dessen, dass auch hier erforderliche Ausführungen zur konkreten Durchführung der Lichtbildvorlage bei der Polizei fehlen (dazu vgl. BGH, Beschluss vom 4. April 2023 - 6 StR 110/23) - jeder Grundlage.
d) Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil auf dem aufgezeigten Rechtsfehler beruht. Mit der Aufhebung der Schuldsprüche entfallen die in den Fällen II.1 und II.2 verhängten Einzelstrafen.
3. Der Wegfall der Einzelstrafen in den Fällen II.1, II.2 und II.4 entzieht auch dem Ausspruch über die Gesamtstrafe die Grundlage.
4. Die Teilaufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache in diesem Umfang hat der Kostenentscheidung die Grundlage entzogen, so dass die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde gegenstandslos geworden ist. Für 9 10 11 12 eine (isolierte) Kostenund Auslagenentscheidung hinsichtlich der Verfolgungsbeschränkung ist kein Raum (vgl. BGH, Beschlüsse vom 31. Mai 2016 - 3 StR 54/16; vom 4. September 2014 - 1 StR 70/14).
HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 850
Bearbeiter: Christian Becker