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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 837

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 136/23, Beschluss v. 06.06.2023, HRRS 2023 Nr. 837


BGH 5 StR 136/23 - Beschluss vom 6. Juni 2023 (LG Berlin)

Verfahrenshindernis aufgrund eines unwirksamen Eröffnungsbeschlusses (große Strafkammer; Besetzung außerhalb der Hauptverhandlung; fehlende Unterschrift; Umlaufverfahren).

§ 203 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Zur Eröffnung des Hauptverfahrens gemäß § 203 StPO genügt eine schlüssige und eindeutige Willenserklärung des Gerichts, die Anklage nach Prüfung und Bejahung der Eröffnungsvoraussetzungen zur Hauptverhandlung zuzulassen. Der Eröffnungsbeschluss muss schriftlich abgefasst, aber nicht von allen Richtern unterschrieben werden.

2. Die Entscheidung über die Eröffnung des Verfahrens und die Zulassung der Anklage vor einer Großen Strafkammer ist stets mit drei Berufsrichtern in der Besetzung außerhalb der Hauptverhandlung zu treffen (§ 199 Abs. 1 StPO iVm § 76 Abs. 1 Satz 2 GVG). Wirken an der Eröffnungsentscheidung weniger Berufsrichter mit, ist sie unwirksam. Das Fehlen eines wirksamen Eröffnungsbeschlusses stellt ein in diesem Verfahren nicht mehr behebbares Verfahrenshindernis dar, das die Einstellung des Verfahrens zur Folge hat.

3. Fehlt eine Unterschrift auf dem Eröffnungsbeschluss, muss anderweitig nachgewiesen sein, dass der Beschluss von allen hierzu berufenen Richtern gefasst worden ist. Dies setzt eine mündliche Beschlussfassung oder eine dahin zu verstehende gemeinsame Besprechung oder Beratung über die Eröffnung voraus. Wird der Beschluss im Umlaufverfahren - also im Wege einer schriftlichen Beratung und Abstimmung aufgrund eines Entscheidungsvorschlags - getroffen, führt das Fehlen einer Unterschrift zu dessen Unwirksamkeit, denn es handelt sich bis zur Unterzeichnung durch alle Richter lediglich um einen Entwurf.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 16. November 2022 mit den Feststellungen aufgehoben und das Verfahren eingestellt.

Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung und wegen Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und einer Woche verurteilt. Die mit der Sachrüge zulässig geführte Revision des Angeklagten führt zur Einstellung des Verfahrens wegen eines Verfahrenshindernisses. Es fehlt an einem wirksamen Eröffnungsbeschluss.

1. Zur Eröffnung des Hauptverfahrens gemäß § 203 StPO genügt eine schlüssige und eindeutige Willenserklärung des Gerichts, die Anklage nach Prüfung und Bejahung der Eröffnungsvoraussetzungen zur Hauptverhandlung zuzulassen (BGH, Beschluss vom 4. August 2016 - 4 StR 230/16, NStZ 2016, 747 mwN). Der Eröffnungsbeschluss muss schriftlich abgefasst, aber nicht von allen Richtern unterschrieben werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. Oktober 2013 - 3 StR 167/13, NStZ 2014, 400 f.; vom 21. Oktober 2020 - 4 StR 290/20, NStZ 2021, 179, jeweils mwN).

Die Entscheidung über die Eröffnung des Verfahrens und die Zulassung der Anklage vor einer Großen Strafkammer ist stets mit drei Berufsrichtern in der Besetzung außerhalb der Hauptverhandlung zu treffen (§ 199 Abs. 1 StPO iVm § 76 Abs. 1 Satz 2 GVG). Wirken an der Eröffnungsentscheidung weniger Berufsrichter mit, ist sie unwirksam (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Juli 2019 - 4 StR 310/19 mwN). Das Fehlen eines wirksamen Eröffnungsbeschlusses stellt ein in diesem Verfahren nicht mehr behebbares Verfahrenshindernis dar, das die Einstellung des Verfahrens zur Folge hat (vgl. BGH, aaO).

2. Auch eingedenk der eingeholten dienstlichen Erklärungen der drei Berufsrichter der Strafkammer kann der Senat nicht hinreichend sicher (vgl. zu diesem Maßstab BGH, Beschluss vom 4. August 2016 - 4 StR 230/16, NStZ 2016, 747) feststellen, dass das Landgericht eine wirksame Eröffnungsentscheidung getroffen hat. Der schriftliche Eröffnungsbeschluss ist nur von zwei Berufsrichtern unterschrieben worden.

a) Fehlt - wie hier - eine Unterschrift auf dem Eröffnungsbeschluss, muss anderweitig nachgewiesen sein, dass der Beschluss von allen hierzu berufenen Richtern gefasst worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 29. September 2011 - 3 StR 280/11, NStZ 2012, 225). Dies setzt eine mündliche Beschlussfassung oder eine dahin zu verstehende gemeinsame Besprechung oder Beratung über die Eröffnung voraus (vgl. BGH, Beschluss vom 13. März 2014 - 2 StR 516/13).

Wird der Beschluss im Umlaufverfahren - also im Wege einer schriftlichen Beratung und Abstimmung aufgrund eines Entscheidungsvorschlags (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. September 1991 - 2 B 99/91, NJW 1992, 257) - getroffen, führt das Fehlen einer Unterschrift zu dessen Unwirksamkeit, denn es handelt sich bis zur Unterzeichnung durch alle Richter lediglich um einen Entwurf (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. Oktober 2013 - 3 StR 167/13, NStZ 2014, 400 f.; vom 29. September 2011 - 3 StR 280/11, NStZ 2012, 225).

b) Zwar haben die beisitzenden Richter dienstlich erklärt, auch der Vorsitzende (dessen Unterschrift fehlt) habe an dem Beschluss mitgewirkt. Dieser hat jedoch erläutert, er habe an dem Beschluss „im Wege des Umlaufverfahrens mitgewirkt“; dass die Entscheidung auch von seinem Willen mitgetragen worden sei, ergebe sich aus einer auf dem Eröffnungsbeschluss getroffenen Verfügung und weiteren Beschlüssen vom selben Tage.

Aus den dienstlichen Erklärungen folgt weder eine konkrete mündliche Beschlussfassung noch eine dahin zu verstehende gemeinsame Besprechung oder Beratung, sondern vielmehr, dass der Beschluss im Umlaufverfahren gefasst werden sollte. Weil im Umlaufverfahren nur zwei von drei Richtern den Eröffnungsbeschluss unterschrieben haben, stellt er mithin keine ausreichende Grundlage für das Verfahren dar. Die auf dem Beschlussentwurf angebrachte Verfügung des Vorsitzenden ist weder unterschrieben noch datiert und belegt deshalb seine Mitwirkung an der Beschlussfassung ebenfalls nicht.

3. Das Fehlen eines wirksamen Eröffnungsbeschlusses hat die Einstellung des Verfahrens nach § 206a Abs. 1 StPO zur Folge. Zur Klarstellung hat der Senat das angegriffene Urteil mit den Feststellungen aufgehoben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 29. September 2011 - 3 StR 280/11, NStZ 2012, 225; vom 13. März 2014 - 2 StR 516/13; vom 31. Juli 2008 - 4 StR 251/08; vgl. aber auch etwa BGH, Beschluss vom 18. Juli 2019 - 4 StR 310/19).

4. Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO.

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 837

Bearbeiter: Christian Becker