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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Januar 2022
23. Jahrgang
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1. Das einer Schöffin ausgesprochene ärztliche Beschäftigungsverbot nach § 16 Abs. 1 MuSchG führt nicht zu einer gesetzeswidrigen Gerichtsbesetzung. (BGHSt)
2. Die als öffentliches Ehrenamt ausgeführte Schöffentätigkeit (§ 31 Satz 1 GVG) unterfällt indes nicht dem persönlichen Anwendungsbereich des Mutterschutzgesetzes, da das Gericht nicht Arbeitgeber der Schöffin und damit nicht Adressat eines – hier vom betriebsärztlichen Dienst ausgesprochenen – ärztlichen Beschäftigungsverbots. (Bearbeiter)
3. Für Berufsrichterinnen gelten die an den Arbeitgeber gerichteten Regelungen – aufgrund der statusrechtlichen Besonderheiten – nach § 1 Abs. 3 Satz 1 MuSchG nicht direkt, sondern über § 71 DRiG, § 46 BeamtStG in Verbindung mit den landesrechtlichen Vorschriften (hier für Sachsen § 3 SächsRiG, § 77 Nr. 1 SächsBG, §§ 1, 15 Abs. 1 SächsUrlMuEltVO). Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat für die Zeit des nachgeburtlichen Mutterschutzes einer Berufsrichterin ein „Dienstleistungsverbot“, das zu einer gesetzeswidrigen Gerichtsbesetzung führe, angenommen (BGH HRRS 2017 Nr. 143). Der Senat kann weiter offenlassen, ob er sich dieser Annahme anschließen würde (zuletzt zweifelnd BGH HRRS 2021 Nr. 320), da für Schöffinnen die Mutterschutzvorschriften weder direkt noch entsprechend gelten. (Bearbeiter)
4. Unterschiedlichen Regelungen für ehrenamtliche Richterinnen und Berufsrichterinnen widersprechen nicht dem Grundgedanken des Mutterschutzgesetzes. Dessen Ziel ist nicht die Gewährung eines absoluten Schutzes in allen Lebensbereichen; vielmehr soll der besonderen Situation der von dem persönlichen Anwendungsbereich des § 1 MuSchG erfassten Frauen Rechnung getragen werden. So sind Schöffinnen zwar in gleicher Weise schutzwürdig wie Berufsrichterinnen, indes ergibt sich nicht dasselbe Schutzbedürfnis. Denn dem Schutzbedürfnis der ehrenamtlich tätigen Richterinnen kann durch die Vorlage eines auf die Schöffentätigkeit bezogenen ärztlichen Attests, das die Verhandlungsunfähigkeit bestätigt, ausreichend Rechnung getragen werden. (Bearbeiter)
5. Eine Strafkammer ist unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt dazu verpflichtet, die Schwangerschaft einer Berufsrichterin oder Schöffin offenzulegen oder Fragen der Verfahrensbeteiligten dazu zu beantworten; jedenfalls bei einer Schöffin gilt Gleiches im Hinblick auf etwaige ärztliche Beschäftigungsverbote nach § 16 MuSchG. Anderes mag allenfalls gelten, wenn ausnahmsweise die Verhandlungsunfähigkeit einer zur Entscheidung berufenen Person wegen einer ernsthaften Erkrankung aufgrund konkreter und tragfähiger Anhaltspunkte in Rede steht oder es um die Frage geht, ob eine Konstellation des zwingenden nachgeburtlicher Mutterschutzes einer Berufsrichterin vorliegt. Dass eine Schöffin aufgrund einer Schwangerschaft aus gesundheitlichen Gründen nicht geeignet sein sollte, das Schöffenamt auszuüben, liegt auch in Fällen des § 16 MuSchG regelmäßig fern. (Bearbeiter)
6. Als erhebliche Straftat im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB kommen prognostizierte Betäubungsmitteldelikte zumindest dann in Betracht, wenn eine bewaffnete Begehung in Rede steht (Abgrenzung gegenüber BGH HRRS 2011 Nr. 1054). (Bearbeiter)
1. Das einer ehrenamtlichen Richterin nach § 16 Abs. 1 MuSchG ausgesprochene Beschäftigungsverbot führt nicht zu einem Mitwirkungsverbot in der Hauptverhandlung. Das an den Arbeitgeber, nicht aber an das Gericht gerichtete Beschäftigungsverbot führt schon deshalb nicht zu einer gesetzeswidrigen Besetzung, weil die als öffentliches Ehrenamt ausgeführte Schöffentätigkeit (§ 31 Satz 1 GVG) nicht dem persönlichen Anwendungsbereich des Mutterschutzgesetzes unterfällt (vgl. dazu im Einzelnen BGH, Urteil vom 30. September 2021 – 5 StR 161/21, zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
2. Eine Strafkammer unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt dazu verpflichtet, die Schwangerschaft einer Berufsrichterin oder Schöffin offenzulegen oder Fragen der Verfahrensbeteiligten dazu zu beantworten; jedenfalls bei einer Schöffin gilt im Hinblick auf etwaige ärztliche Beschäftigungsverbote nach § 16 MuSchG Gleiches.
3. Anderes mag allenfalls gelten, wenn ausnahmsweise die Verhandlungsunfähigkeit einer zur Entscheidung berufenen Person wegen einer ernsthaften Erkrankung aufgrund konkreter und tragfähiger Anhaltspunkte in Rede steht oder es um die Frage geht, ob eine Konstellation
im Sinne der Entscheidung des 2. Strafsenats vom 7. November 2016 (HRRS 2017 Nr. 143) vorliegt (zwingender nachgeburtlicher Mutterschutz einer Berufsrichterin). Dass eine Schöffin aufgrund einer Schwangerschaft aus gesundheitlichen Gründen nicht geeignet sein sollte, das Schöffenamt auszuüben, liegt auch in Fällen des § 16 MuSchG regelmäßig fern.
Ein Sachverständigengutachten ist nicht schon dann als ungeeignetes Beweismittel anzusehen, wenn darin zwar keine sicheren und eindeutigen Beweisergebnisse erzielt werden, die enthaltenen Ausführungen aber gleichwohl die unter Beweis gestellte Behauptung als mehr oder weniger wahrscheinlich erscheinen lassen können. Bringt das Tatgericht jedoch zum Ausdruck, dass es eine allenfalls geringgradige Wahrscheinlichkeitsaussage nicht für geeignet hält, seine Überzeugung zu beeinflussen, begegnet es keinen durchgreifenden verfahrensrechtlichen Bedenken, wenn es ein beantragtes Sachverständigengutachten mangels ausreichend aussagekräftiger und nicht weiter ermittelbarer Anknüpfungstatsachen als völlig ungeeignetes Beweismittel ansieht.
Die Hauptverhandlung im Sicherungsverfahren setzt nicht die Verhandlungsfähigkeit des Beschuldigten voraus. Dies ergibt sich neben dem Regelungszusammenhang der §§ 413 ff. StPO und des § 71 Abs. 1 StGB insbesondere daraus, dass gemäß § 415 Abs. 1 StPO die Verhandlung selbst dann durchgeführt werden kann, wenn das Erscheinen des Beschuldigten vor Gericht wegen seines Zustandes unmöglich oder aus Gründen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung unangebracht ist.
1. Der Richter kann einen Schöffen auf dessen Antrag wegen eingetretener Hinderungsgründe von der Dienstleistung an bestimmten Sitzungstagen entbinden (§ 54 Abs. 1 GVG); der Antrag ist formlos, auch telefonisch, möglich. Er ist deshalb ebenso wie die Entscheidung aktenkundig zu machen (§ 54 Abs. 3 Satz 2 GVG). Dabei sind – zumindest in gedrängter Form – diejenigen Umstände zu dokumentieren, welche die Annahme der Unzumutbarkeit der Schöffendienstleistung tragen. Ausreichend ist es insoweit auch, wenn sich anhand aktenkundiger Umstände, etwa aus dem Inhalt von Schreiben des Schöffen, die mitgeteilten Antragsgründe ergeben und nachvollziehbar ist, dass diese der Entscheidung des Vorsitzenden zu Grunde gelegen haben.
2. Nach § 73a Abs. 1 StGB ordnet das Gericht die Einziehung von Gegenständen des Täters oder Teilnehmers abgeurteilter Taten auch dann an, wenn diese durch andere rechtswidrige Taten oder für sie erlangt worden sind. Die erweiterte Einziehung ist unbeschadet der prinzipiellen Subsidiarität der erweiterten gegenüber der originären Einziehung des Wertes von Taterträgen zulässig, wenn nach Ausschöpfung aller verfügbaren Beweismittel nicht eindeutig zu klären ist, ob die Erlöse aus abgeurteilten oder aus anderen rechtswidrigen Taten herrühren. Erforderlich ist dann nur die richterliche Überzeugung, dass die Gegenstände aus Straftaten und nicht aus legalen Quellen herrühren.
1. Zwar erfordert das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG) ebenso wie das Gebot aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK eine Erledigung des Strafverfahrens in einer angemessenen Zeitspanne. Gleichwohl führt nicht jede im Strafprozess vorkommende Verzögerung zu einer Verletzung des Beschleunigungsgebots im Sinne einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung. Eine solche liegt vielmehr erst bei einer von den Strafverfolgungsorganen zu verantwortenden erheblichen Verzögerung vor. Ob eine derartige Verzögerung vorliegt, bemisst sich nach einer auf die Verhältnisse des konkreten Einzelfalls bezogenen Gesamtwürdigung.
2. Sind an einer Deliktserie mehrere Personen als Mittäter, mittelbare Täter, Anstifter oder Gehilfen beteiligt, ist die Frage, ob die einzelnen Taten tateinheitlich oder tatmehrheitlich zusammentreffen, bei jedem Tatbeteiligten gesondert zu prüfen und zu entscheiden.
3. Ob bei der akzessorischen Beihilfe Tateinheit oder Tatmehrheit anzunehmen ist, hängt sowohl von der Anzahl der Beihilfehandlungen als auch von der Zahl der vom Gehilfen geförderten Haupttaten ab. Tatmehrheit ist danach anzunehmen, wenn durch mehrere Hilfeleistungen mehrere selbständige Taten unterstützt werden. Dagegen liegt nur eine einzige Beihilfe vor, wenn der Gehilfe mit nur einer Unterstützungshandlung zu mehreren Haupttaten eines Anderen Hilfe leistet. Handlungseinheit liegt ferner vor, wenn sich mehrere Unterstützungshandlungen auf dieselbe Haupttat beziehen.
4. Für die Annahme von Tateinheit ist auch die teilweise Identität der objektiven Ausführungshandlungen ausreichend. Fördert eine von mehreren Beihilfehandlungen gleichzeitig zwei Haupttaten in deren Ausführungsstadium, so werden diese sowie die übrigen sich auf diese beiden Haupttaten beziehende Beihilfehandlungen zur Handlungseinheit verknüpft.
1. Die Frist gemäß § 349 Abs. 3 Satz 2 StPO ist nicht verlängerbar und eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen ihre Versäumung ist rechtlich nicht möglich. 2. Nach Fristablauf braucht eine Ergänzung der Revisionsbegründung selbst dann nicht abgewartet zu werden, wenn sie in Aussicht gestellt worden ist.
Einem vom Gericht zu Beginn der Hauptverhandlung unterbreiteten Verständigungsvorschlag liegt regelmäßig – für alle Beteiligten ersichtlich – die Erwartung zugrunde, dass der Angeklagte zeitnah dazu ein Geständnis ablegt und damit die Verhandlungsdauer verkürzt. Ein solcher Vorschlag begründet daher regelmäßig nicht das für die Hinweispflicht nach § 265 Abs. 2 Nr. 2 StPO erforderliche Vertrauen dahingehend, dass die ursprüngliche Strafrahmenzusage auch für ein späteres Geständnis gilt.
Zwar ist das Tatgericht von Rechts wegen nicht gehindert, einem Zeugen teilweise zu glauben und teilweise nicht. Denn es existiert kein Erfahrungssatz des Inhalts, dass einem Zeugen nur entweder insgesamt geglaubt oder insgesamt nicht geglaubt werden darf. Eine solche Beweiswürdigung bedarf jedoch besonders eingehender Begründung.
1. Auf den Einwand der örtlichen Unzuständigkeit gemäß § 16 Abs. 1 Satz 2 StPO hin hat das Gericht ausschließlich zu prüfen, ob es für den ihm vorliegenden Lebenssachverhalt örtlich zuständig ist. Eine inhaltliche Prüfung dahin, ob hinreichender Tatverdacht für die seiner Kognitionspflicht unterliegende Tat oder Teile dieser Tat besteht, findet dagegen nicht statt. Denn insoweit liegt mit dem Eröffnungsbeschluss eine abschließende Entscheidung vor, die im Verfahren nach § 16 StPO nicht erneut zu beurteilen ist.
2. Der Taterfolg der Hinterziehung von Tabaksteuer nach § 370 Abs. 1 Nr. 3 AO, also die Nichtfestsetzung der beim Verbringen in das deutsche Steuergebiet entstandenen Tabaksteuer, wird auf der gesamten Transitstrecke vom Einfuhrort bis zum Bestimmungsort der Tabakwaren oder so lange, bis diese sonst „zur Ruhe kommen“, immer weiter perpetuiert, wenn keines der für die im Rahmen der Fahrtstrecke zuständigen Zollämter die Festsetzung der Tabaksteuer vornimmt.
Gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO teilt der Vorsitzende nach Verlesung des Anklagesatzes mit, ob vor Beginn der Hauptverhandlung Erörterungen nach den § 202a, § 212 StPO stattgefunden haben, deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c StPO) gewesen ist, und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt. Dabei darf sich die Mitteilung nicht darauf beschränken, das Ergebnis der Erörterungen mitzuteilen, sondern es muss auch über den dahin führenden Entscheidungsprozess informiert werden.
Eine Beweiswürdigung kann ungeachtet des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsumfangs rechtsfehlerhaft sein, wenn sie über schwerwiegende Verdachtsmomente hinweggeht. Das kann der Fall sein, wenn das Tatgericht es unterlässt, die Motivation für ein festgestelltes verschleierndes Nachtatverhalten des freigesprochenen Angeklagten zu erörtern.