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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
November 2020
21. Jahrgang
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Von Dr. Max Putzer, Berlin[*]
In zunehmendem Maße beschäftigen Verwaltungs- und Strafverfolgungsbehörden sowie Strafgerichte Anzeigen wegen Verstößen gegen Handlungs- und Unterlassungspflichten in Rechtsverordnungen, die zur Eindämmung des neuartigen Corona-Virus erlassen wurden. Nicht allein die sich regelmäßig und teils kurzfristig ändernden, oftmals unübersichtlichen und gar widersprüchlichen Rechtsverordnungen der einzelnen Landesregierungen stellen Behörden und Gerichte vor Herausforderungen. Auch die Systematik der Straf- und Bußgeldvorschriften des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) lässt Klarheit vermissen; zudem unterlag das infektionsschutzrechtliche Regelwerk auch insoweit gesetzlichen, zur Bekämpfung der Pandemie ergriffenen Änderungen. Der Beitrag beleuchtet in diesem Zusammenhang einzelne, im Rahmen der aktuellen Rechtsanwendung aufgeworfene Rechtsfragen.
Der sogenannte Lockdown zur Bekämpfung des Corona-Virus SARS-CoV-2 liegt zwar erst einige Monate zurück. Konkrete Erinnerungen an die weitreichenden Beschränkungen der öffentlichen und privaten Sphäre verblassen vor den immensen Herausforderungen der Organisation des Alltags- und Berufslebens während der Pandemie oder werden aus Unsicherheit oder Angst vor einem erneuten – kompletten – Shutdown verdrängt. Zur umfassenden Regulierung des gesellschaftlichen und privaten Lebens durch Rechtsverordnung bedienten sich (und bedienen sich weiterhin) die Landesregierungen der Ermächtigungsnorm des § 32 S. 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG)[1], auf deren Grundlage abstrakt-generelle Ge- und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten nach den §§ 28 bis 31 IfSG erlassen wurden. Während sich einzelne Bundesländer für die Verhängung einer Ausgangssperre entschieden, die ein Verlassen der eigenen Wohnung an den Nachweis eines Ausnahmetatbestandes knüpfte, beschränkten andere Länder – weniger grundrechtsintensiv – die Möglichkeiten der Kontaktaufnahme zu anderen Menschen ("social distancing"). Was sämtliche landesrechtliche Regelungen einte, waren Verbote, sich öffentlich, sowohl im geschlossenen Raum als auch unter freiem Himmel, mit Personen aus anderen Haushalten zu versammeln bzw. aus anderen Gründen zusammenzukommen. Verstöße gegen entsprechende Regelungen der Landesverordnungsgeber[2] stehen nun im Mittelpunkt von Bußgeld- und Strafverfahren, die zunehmend auch die Gerichte erreichen. Verwaltungsbehörden und Staatsanwaltschaften, wie sodann auch die in der Regel mit den Verfahren befassten Amtsgerichte, haben zunächst die (positiven und negativen) tatbestandlichen Voraussetzungen der jeweils anwendbaren Fas-
sung der Rechtsverordnung zu prüfen und ihre jeweilige gesetzliche Grundlage zu bestimmen (hierzu unter II.). Ein zweiter Prüfungsschritt betrifft die zeitliche Dimension der Anwendbarkeit der Straf- und Bußgeldvorschriften der §§ 73 ff. IfSG, die insofern Probleme aufwirft, als nach zwei gesetzlichen Reformen heute nicht mehr jede Handlung strafbar ist, die noch zu Beginn des Lockdowns eine Strafvorschrift des Bundesgesetzes verletzt hätte (hierzu unter III.).
Ob eine Zuwiderhandlung gegen Vorschriften in einer Rechtsverordnung nach § 32 S. 1 IfSG bzw. gegen eine vollziehbare Anordnung, die auf Grundlage des IfSG oder einer solchen Rechtsverordnung ergangen ist, den Tatbestand einer Strafnorm oder einer Bußgeldvorschrift erfüllt, hängt maßgeblich vom Zeitpunkt der inkriminierten Handlung ab.
Bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite[3] am 28. März 2020, mit dem der Bundesgesetzgeber auf den Ausbruch der Pandemie mittels einer ersten Anpassung des Infektionsschutzrechts reagierte, konnte sowohl ordnungswidrig handeln als auch sich strafbar machen, wer ein Ge- oder Verbot auf Grund der jeweiligen Landesverordnung verletzte. Den objektiven Tatbestand der Strafnorm des § 75 Abs. 1 Nr. 1 IfSG in damaliger Fassung erfüllte, wer einer vollziehbaren Anordnung u.a. nach § 28 Abs. 1 S. 2, auch in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach § 32 S. 1, zuwiderhandelte. Ordnungswidrig handelte hingegen nach § 73 Abs. 1a Nr. 6 IfSG, wer gegen eine vollziehbare Anordnung u.a. nach § 28 Abs. 1 S. 1, auch hier in Verbindung mit einer Landesverordnung nach § 32 S. 1 IfSG verstieß. Mithin kam es maßgeblich darauf an, ob das in einer der Rechtsverordnungen niedergelegte Ge- oder Verbot, das keine Beachtung fand, sich auf S. 1 oder S. 2 der Befugnisgeneralklausel des § 28 Abs. 1 IfSG stützte.[4] § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG a.F. umfasste sämtliche notwendige Schutzmaßnahmen zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten, mithin in Situationen, in denen Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider bereits festgestellt wurden, die nicht unter S. 2 fielen.[5] Hierbei verwies die Vorschrift insbesondere (und verweist in seiner aktuellen Fassung weiterhin) auf die speziellen Befugnisnormen zur Anordnung von Absonderung (vgl. § 30 IfSG), Tätigkeitsverboten (vgl. § 31 IfSG) und Überwachung (vgl. § 29 IfSG). S. 2 der Vorschrift ermächtigte hingegen u.a. zum Verbot und zur Beschränkung von Veranstaltungen und sonstigen Ansammlungen "einer größeren Anzahl von Menschen"; auch konnten Personen verpflichtet werden, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht zu verlassen oder bestimmte Orte nicht zu betreten, "bis die notwendigen Schutzmaßnahmen durchgeführt worden sind". Verstöße gegen generelle Verbote von Veranstaltungen und Ansammlungen, aber auch von sonstigen Zusammenkünften oder Versammlungen[6] erfüllten somit, bei Überschreitung einer quantitativen Erheblichkeitsschwelle, den Tatbestand einer Strafnorm. Ein Verstoß gegen die in zahlreichen Bundesländern verordneten Ausgangssperren hingegen war vom Wortlaut des § 28 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 IfSG, da von dauerhafter Natur und von ihrem Zweck her nicht auf die Sicherung einer bestimmten anderen Maßnahme zur Verhinderung oder Bekämpfung einer Infektionskrankheit ausgerichtet, gleichwohl nicht erfasst.[7] Sie ergingen, wie die übrigen Einschränkungen, sofern diese tatbestandlich nicht von § 28 Abs. 1 S. 2 erfasst waren, auf Grundlage von S. 1 der Generalklausel.
Voraussetzung für die Tatbestandsmäßigkeit beider Normen war (und ist weiterhin in ihrer jeweils aktuellen Fassung) die Feststellung eines Verstoßes gegen eine individuelle vollziehbare Anordnung auf Grund des IfSG oder auf Grund einer Rechtsverordnung (wiederum) auf Grund des IfSG. Der Begriff der vollziehbaren Anordnung i.S.v. § 73 Abs. 1a Nr. 6 und § 75 Abs. 1 Nr. 1 IfSG ist in Abgrenzung zur Rechtsverordnung als abstrakt-genereller Regelung zu bestimmen. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des § 75 Abs. 2 IfSG, wonach sich strafbar macht, wer "einer Rechtsverordnung (…) oder einer vollziehbaren Anordnung auf Grund einer solchen Rechtsverordnung zuwiderhandelt (…)." Dieselbe, Rechtsverordnung und vollziehbare Anordnung gegenüberstellende Formulierung findet sich auch in § 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG (alte und aktuelle Fassung). Dem steht auch nicht entgegen, dass andere Buß- und Strafnormen den Verstoß gegen vollziehbare Anordnungen, "auch in Verbindung mit einer Rechtsverordnung (…)" sanktionieren (vgl. § 73 Abs. 1a Nr. 6 und Nr. 11a IfSG, § 75 Abs. 1 Nr. 1 IfSG). Diese abweichende Formulierung soll vielmehr zum Ausdruck bringen, dass sich entsprechende Anordnungen nicht allein auf Normen des IfSG, sondern auch auf Bestimmungen in Rechtsverordnungen, die auf einer Ermächtigungsnorm im IfSG gründen, stützen können.[8] Hiervon ausgehend ist zweifelhaft, ob die zu Beginn der Pandemie, noch vor dem Inkrafttreten von Rechtsverordnungen mit umfassendem Regelungsanspruch erlassenen Allgemeinverfügungen i.S.d. § 35 S. 2 VwVfG unter die vollziehbaren Anordnungen nach § 73 Abs. 1a Nr. 6 IfSG und § 75 Abs. 1 Nr. 1 IfSG fallen.[9] Zwar kommt Allgemeinverfügungen kein Rechtsnormcharakter zu, da sie sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten (oder bestimmbaren) Personenkreis richten.[10] Den in einzelnen Bundesländern erlassenen Allgemeinverfügungen,[11] die später flächendeckend
durch Rechtsverordnungen gleichen oder vergleichbaren Regelungsumfangs ersetzt wurden, fehlte gleichwohl jeglicher individueller Charakter, sofern sie sich an die gesamte Bevölkerung richteten und das öffentliche Leben umfassend regulierten.[12]
Anordnungen i.S.v. § 73 Abs. 1a Nr. 6 und § 75 Abs. 1 Nr. 1 IfSG dürften in der Regel als mündliche Aufforderungen zur Beendigung einer Zuwiderhandlung ergehen,[13] etwa zum Verlassen einer Demonstration oder zur Auflösung einer privaten Feier. Sie sind nach § 28 Abs. 3 i.V.m. § 16 Abs. 8 IfSG sofort vollziehbar. Sofern der Nachweis einer solchen Anordnung nicht gelingt, oder nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie den Angeklagten bzw. Betroffenen nicht erreicht hat, bliebe noch der Rückgriff auf die Bußgeldvorschrift des § 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG – allerdings erst für Handlungen ab dem 28. März 2020 (hierzu sogleich unter 2.). Denn bis zur Gesetzesnovelle vom 27. März 2020 konnte nicht sanktioniert werden, wer unmittelbar der Bestimmung in einer der Landesverordnungen nach § 32 S. 1 IfSG zuwiderhandelte, ohne dass das jeweilige Ver- oder Gebot dem Betroffenen gegenüber (individuell) konkretisiert worden wäre. In § 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG, wonach ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig einer der in der Vorschrift erschöpfend aufgezählten Rechtsverordnung oder einer vollziehbaren Anordnung auf Grund einer solchen Rechtsverordnung zuwiderhandelt, soweit die Rechtsverordnung für einen bestimmten Tatbestand auf diese Bußgeldvorschrift verweist, fehlte bis dahin der Verweis auf § 32 S. 1 IfSG. Warum der historische Gesetzgeber diese Ermächtigungsnorm nicht in die Bußgeldvorschrift in ihrer bis zum 28. März 2020 gültigen Fassung aufnahm, lässt sich im Nachhinein nicht mehr rekonstruieren. Im durch das IfSG abgelösten Bundesseuchenrecht verwies die Vorgängernorm des § 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG auf sämtliche auf Grund des BSeuchG[14] erlassenen Rechtsverordnungen, soweit die jeweilige Rechtsverordnung auf die Bußgeldvorschrift verwies (vgl. § 69 Abs. 3 BSeuchG); Strafblankette sollten insoweit auf ausdrücklichen Wunsch des Gesetzgebers nicht nötig sein.[15] Im Zuge der zentralen Reform des Bundesseuchenrechts im Jahre 1979 modifizierte der Bundesgesetzgeber auch die Bußgeldvorschriften. Nach der neuen Fassung des § 69 Abs. 2 BSeuchG handelte nunmehr ordnungswidrig, wer vorsätzlich oder fahrlässig einer in der Vorschrift genannten Rechtsverordnung zuwiderhandelte, soweit sie für einen bestimmten Tatbestand auf die Bußgeldvorschrift verwies.[16] Die ebenfalls neu eingeführte Ermächtigungsnorm des § 38a S. 1 BSeuchG, die bei Überleitung des Bundesseuchenrechts in das Infektionsschutzrecht inhaltsgleich in § 32 S. 1 IfSG Eingang gefunden hat,[17] wurde gleichwohl nicht in § 69 Abs. 2 BSeuchG übernommen. Die Vorschrift des § 38a S. 1 IfSG fand ausweislich der Gesetzesmaterialien Eingang in das Gesetz, da nach der zeitgleich eingeführten gefahrenabwehrrechtlichen Generalklausel des § 34 Abs. 1 BSeuchG – der spätere § 28 Abs. 1 IfSG – allein Einzelanordnungen und Allgemeinverfügungen erlassen werden konnten, aber keine Möglichkeit bestand, sich an die Allgemeinheit, also einen unbestimmten Personenkreis zu richten.[18] Dass in dem neuen § 69 Abs. 2 BSeuchG eine Verweisung auf § 38a S. 1 BSeuchG fehlte, könnte – nicht zum ersten und letzten Mal in der Historie des Seuchen- und Infektionsschutzrechts – einem gesetzgeberischen Versehen geschuldet sein.[19] Denn die Änderung der Vorschrift intendierte gerade eine Anpassung an die vom Gesetzgeber vorgenommenen materiellen und formellen Änderungen des Gesetzes sowie an die Vorschriften des OWiG.[20] Da mit Überführung der Bußgeldvorschrift in das Infektionsschutzrecht allein eine Anpassung an die neue Rechtssystematik erfolgen sollte,[21] fehlte auch im übergeleiteten § 73 Abs. 1 Nr. 24 IfSG, der dem heutigen § 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG entspricht, ein Verweis auf § 32 S. 1 IfSG.
Mit seiner ersten umfassenden Reaktion auf die neue pandemische Lage reformierte der Bundesgesetzgeber nicht nur die Befugnisgeneralklausel des § 28 Abs. 1 IfSG zur Bekämpfung von Infektionskrankheiten grundlegend, sondern ergänzte auch die Bußgeldvorschriften in § 73 IfSG.
So überführte er die Befugnis zur Anordnung von Ausgangs- und Betretungsverboten von § 28 Abs. 1 S. 2 IfSG in dessen S. 1. Da zugleich die zeitliche Beschränkung auf die Durchführung notwendiger Schutzmaßnahmen entfiel, stützten sich die einzelnen Landesverordnungsgeber bei Erlass von Ausgangssperren teils ausdrücklich auf diesen neuen Halbsatz des § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG. Verstöße hiergegen waren damit, sofern zugleich einer vollziehbaren individuellen Anordnung zuwidergehandelt wurde, weiterhin nach § 73 Abs. 1a Nr. 6 IfSG bußgeldbewehrt. Die Nichtbeachtung vollziehbarer Anordnungen zur Durchsetzung eines Verbots von Ver- oder Ansammlungen, Zusammenkünften und Veranstaltungen hingegen blieb weiterhin Straftat nach § 75 Abs. 1 Nr. 1 IfSG,
hier jedoch mit dem Unterschied, dass eine größere Anzahl von Menschen zur Erfüllung des objektiven Tatbestandes nicht mehr erforderlich war. Definiert man eine Zusammenkunft von Personen in Abgrenzung zur Ansammlung anhand quantitativer Merkmale, wofür einiges spricht, wurde damit eine Strafbarkeit bei einem gezielten Zusammentreffen von nur zwei Personen zumindest denkbar.[22] Möchte man dem Gesetzgeber keinen bösen Willen unterstellen, so ist seine Begründung für die Änderung von § 28 Abs. 1 IfSG, den Wortlaut aus Gründen der Normenklarheit anpassen zu wollen, [23] zumindest missverständlich.
Darüber hinaus wurden durch die Gesetzesreform die – dort bislang unberücksichtigt gebliebenen – Rechtsverordnungen nach § 32 S. 1 IfSG in die Bußgeldvorschrift des § 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG aufgenommen. Die Regelung eröffnete die Möglichkeit zur Festsetzung eines Bußgeldes für den Fall, dass einer der dort genannten Rechtsverordnungen (oder einer vollziehbaren Anordnung auf Grund einer solchen Rechtsverordnung) zuwidergehandelt wurde, soweit diese Verordnung für einen bestimmten Tatbestand auf die Bußgeldvorschrift des § 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG verweist. Der Bundesgesetzgeber wollte Verstöße unmittelbar gegen die kurz vor Verabschiedung des Gesetzes in sämtlichen Bundesländern ergangenen Verordnungen zur Eindämmung der Pandemie bußgeldbewehren [24] und damit wohl eine noch rechtzeitig erkannte Gesetzeslücke schließen. Er schuf so zum ersten Mal seit Einführung der Generalklausel sowie der Ermächtigung für die Landesregierungen, durch Rechtsverordnungen Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen (im Jahre 1979) die Möglichkeit, unmittelbare Verstöße gegen solche Rechtsverordnungen zu sanktionieren.
Fraglich ist, welche Anforderungen an die Bestimmtheit einer Verweisung in der jeweiligen Landesverordnung zu stellen sind, um Zuwiderhandlungen bebußen zu können: Genügt etwa die bloße Nennung der Bußgeldvorschrift des IfSG in einer der Bestimmungen – regelmäßig im letzten Abschnitt – der Landesverordnung [25] , ist statt dessen zumindest die enumerative Aufzählung der einzelnen, Ge- und Verbote enthaltenden Bestimmungen zu erwarten[26] oder gar doch eine spiegelbildliche Abschrift des jeweiligen Bußgeldkatalogs der Landesregierung[27] ? Im Ergebnis dürfte die pauschale Verweisung auf sämtliche ein Tun oder Unterlassen befehlende Bestimmungen einer verfassungsrechtlichen Prüfung standhalten. Denn nach dem Willen des Bundesgesetzgebers sollte die Entscheidung des jeweiligen Landesverordnungsgebers zur Bußgeldbewehrung maßgeblich sein. Und diese kommt in einem allgemeinen Rückverweis unter pauschaler Bezugnahme auf die Ge- und Verbotstatbestände für den Normadressaten hinreichend klar zum Ausdruck. Umgekehrt stellte sich im Falle einer detaillierten, erschöpfenden Aufzählung sämtlicher Vorschriften die Frage nach der Lesbarkeit und damit nach der Normklarheit. Die Adressaten der Rechtsnorm müssen erkennen können, welche Handlung oder welches Unterlassen ge- oder verboten ist sowie, dass ihnen im Falle einer Zuwiderhandlung Sanktionen drohen. Mithin kommt es maßgeblich auf die Bestimmtheit der tatbestandlichen Voraussetzungen der jeweiligen Ge- oder Verbotsvorschrift selbst an.[28] Hiergegen spricht auch nicht, dass nach der Bußgeldvorschrift des § 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG die Verweisung in der Rechtsverordnung "für einen bestimmten Tatbestand" erfolgen muss. Denn in der ursprünglichen seuchenrechtlichen Vorschrift fehlte diese Formulierung noch; und die Materialien lassen keinen Rückschluss auf einen Wunsch des Gesetzgebers nach inhaltlicher Änderung der Bußgeldvorschrift zu, als er den Wortlaut des § 69 Abs. 2 BSeuchG modifizierte.
Durch Erweiterung des § 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG waren aber nunmehr zugleich auch Fälle denkbar, in denen der Verstoß gegen eine konkret-individuelle, vollziehbare Anordnung, (auch) wenn diese in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach § 32 S. 1 IfSG erging, zwei Gesetze zugleich verletzte. Stützte sich das Ge- oder Verbot in der Verordnung auf § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG, zu dessen Durchsetzung eine solche Anordnung erging, erfüllte die Zuwiderhandlung nicht nur den Tatbestand des § 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG, sondern auch die Voraussetzungen einer weiteren Bußgeldvorschrift, nämlich § 73 Abs. 1a Nr. 6 IfSG. Und im Falle eines Verstoßes gegen ein Ver- oder Gebot, das auf § 28 Abs. 1 S. 2 IfSG gründete, lag neben einer Ordnungswidrigkeit gemäß § 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG sogar eine Straftat vor, denn auch der objektive Tatbestand des § 75 Abs. 1 Nr. 1 IfSG war dann gegeben.
Dass ein und dieselbe Handlung den Tatbestand zweier Bußgeldvorschriften zugleich erfüllt, ist in Bezug auf den Grundsatz der Normenklarheit problematisch,[29] gleichwohl im Ergebnis verfassungsrechtlich unbedenklich. Denn § 73 Abs. 2 IfSG ordnet für die Verletzung der beiden Vorschriften die gleiche Rechtsfolge an. Ein Konflikt zwischen § 73 Abs. 1a Nr. 6 und § 75 Abs. 1 Nr. 1 IfSG wäre nach § 21 Abs. 1 OWiG zu lösen, wonach nur das Strafgesetz Anwendung findet, falls eine Handlung gleichzeitig Straftat und Ordnungswidrigkeit ist. [30] Für die Praxis dürfte der Lösung dieses Problem jedoch kaum Bedeutung zukommen, da der Gesetzgeber mit Wirkung zum 23. Mai 2020 die Strafnorm geändert hat (hierzu unter III.).
Zumindest für Handlungen, die gegen durch individuelle Anordnungen konkretisierte Ver- und Gebote nach § 28 Abs. 1 S. 2 IfSG verstoßen, schaffte das Zweite Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite[31] Klarheit. Mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe wird seitdem nur noch bestraft, wer einer vollziehbaren Anordnung nach § 30 Abs. 1 S. 1 IfSG zuwiderhandelt; den in dieser Vorschrift genannten besonders gefährlichen Krankheiten kommt in der gegenwärtigen Pandemie jedoch keine besondere Bedeutung zu. Stattdessen fand § 28 Abs. 1 S. 2 IfSG Eingang in die Bußgeldvorschrift des § 73 Abs. 1a Nr. 6 IfSG. Der Gesetzgeber begründete dies damit, dass zwischen Verstößen gegen S. 1 und S. 2 des § 28 Abs. 1 IfSG "kein durchgängiges Stufenverhältnis im Sinne eines leichter und schwerer wiegenden Verstoßes erkannt werden kann", sodass er eine gleichmäßige Sanktionierung von entsprechenden Zuwiderhandlungen als Ordnungswidrigkeit für angezeigt erachtete.[32] Dies gilt selbst für (in der Praxis durchaus relevante) Verstöße gegen individuelle Anordnungen einer Absonderung gegen Kranke, Krankheits- und Ansteckungsverdächtige sowie gegen Ausscheider durch die örtlich zuständigen Gesundheitsämter nach § 30 Abs. 1 S. 2 IfSG. Da die Strategie zur Bekämpfung der gegenwärtigen Pandemie insbesondere darauf ruht, infizierte Personen abzusondern und ihre Risikokontakte zu identifizieren, um Infektionsketten zu unterbrechen, erscheint diese Entscheidung des Gesetzgebers zumindest rechtspolitisch fragwürdig.[33]
Mit seinem am 19. November 2020 in Kraft getretenen Dritten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite[34] hat der Bundestag die Vorschrift des § 28a neu in das IfSG eingefügt. § 28a Abs. 1 IfSG erweitert – beschränkt auf die Bekämpfung von COVID-19 – die Regelbeispiele in § 28 Abs. 1 S. 1 und S. 2 IfSG um zahlreiche weitere, bei der Eindämmung des Virus bereits erprobte Maßnahmen, ohne dass seine Aufzählung abschließend wäre. Der Bundesgesetzgeber meinte damit den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Parlamentsvorbehalts und des Bestimmtheitsgebots besser gerecht werden zu können.[35] Die Ergänzung der Generalklausel des § 28 Abs. 1 IfSG um die besonderen Schutzmaßnahmen des § 28a Abs. 1 IfSG machte gleichwohl keine Folgeänderung der §§ 73 ff. IfSG erforderlich; Rechtsgrundlage für einzelne Eindämmungsmaßnahmen in der derzeitigen Pandemie bleiben weiterhin die Sätze 1 und 2 des § 28 Abs. 1 IfSG.
Unverändert mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe zu bestrafen ist nach § 74 IfSG, wer u.a. eine in § 73 Abs. 1a Nr. 6 und Nr. 24 IfSG bezeichnete vorsätzliche Handlung begeht und dadurch eine in § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 genannte meldepflichtigen Krankheit, einen in § 7 genannten meldepflichtigen Krankheitserreger oder eine in einer Rechtsverordnung nach § 15 Abs. 1 oder Abs. 3 genannte Krankheit oder einen dort genannten Krankheitserreger[36] verbreitet. Mit Erlass der Verordnung über die Ausdehnung der Meldepflicht auf Infektionen mit dem erstmals im Dezember 2019 in Wuhan/Volksrepublik China aufgetretenen neuartigen Coronavirus[37] hat das Bundesministerium für Gesundheit die Pflicht zur namentlichen Meldung gemäß § 15 Abs. 1 IfSG auf SARS-CoV-2 ausgedehnt.[38] Die Regelung wurde wegen des länger andauernden Infektionsgeschehens mittlerweile in § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 4 IfSG überführt.[39] Die Strafnorm des § 75 Abs. 3 IfSG, wonach mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft wird, wer durch eine in § 75 Abs. 1 bezeichnete Handlung eine meldepflichtige Krankheit bzw. einen meldepflichtigen Krankheitserreger verbreitet, dürfte hingegen in der aktuellen Pandemie nach der Beschneidung des § 75 Abs. 1 Nr. 1 IfSG durch den Bundesgesetzgeber keine Rolle (mehr) spielen.
Allein die zeitliche Einordnung der jeweils inkriminierten Handlung – vor, nach oder zwischen den beiden ersten maßgeblichen, pandemiebedingten Reformen des Infektionsschutzrechts – reicht jedoch nicht aus, um bestimmen zu können, ob sie als Straftat verfolgt oder (lediglich) als Ordnungswidrigkeit geahndet werden kann. Vielmehr ist, soweit der Bundesgesetzgeber Verstöße gegen individuelle Anordnungen aufgrund der Corona-Verordnungen der Bundesländer von der Straf- auf die Ebene der Ordnungswidrigkeiten "heruntergezont" hat, das im Zeitpunkt der (behördlichen oder gerichtlichen) Entscheidung mildere Gesetz, mithin § 73 Abs. 1a Nr. 6 IfSG anzuwenden.
Zwar kommt es grundsätzlich auf das Gesetz an, das zur Zeit der Tat gilt (vgl. § 2 Abs. 1 StGB). Dies gilt jedoch nicht, wenn das sogenannte Meistbegünstigungsprinzip bzw. -privileg nach Abs. 3 greift. Danach ist das mildeste Gesetz anzuwenden, wenn das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert wird. Diese Voraussetzungen sind erfüllt, wenn eine Handlung, die bis Mai 2020 noch strafbar war, nunmehr allein bußgeldbewehrt ist. Denn in den Anwendungsbereich des § 2 Abs. 3 StGB fällt auch die Herabstufung einer Straftat zu einer Ordnungswidrigkeit.[40] Betroffen hiervon sind vor dem 23. Mai 2020 begangene Verstöße gegen vollziehbare Anordnungen zur Durchsetzung von Ge- und Verboten gemäß § 28 Abs. 1 S. 2 IfSG in Rechtsverordnungen nach § 32 S. 1 IfSG – etwa eine Zuwiderhandlung gegen polizeiliche Anordnungen zur Durchsetzung eines Ver- oder Ansammlungsverbots.
Hiergegen ist auch nicht einzuwenden, dass die jeweiligen Landesverordnungen Zeitgesetze i.S.v. § 2 Abs. 4 StGB seien. Danach ist ein Gesetz, das nur für eine bestimmte Zeit gelten soll, auf Taten, die während seiner Geltung begangen sind, auch dann anzuwenden, wenn es außer Kraft getreten ist. Diese Rückausnahme ist auf die vorliegende Konstellation nicht anwendbar. Ein Zeitgesetz ist ein Gesetz, dessen Außerkrafttreten kalendermäßig oder durch ein bestimmtes künftiges Ereignis festgelegt ist (Zeitgesetz i.e.S.) oder ein Gesetz, das erkennbar nur als vorübergehende Regelung für sich ändernde tatsächliche Verhältnisse gedacht ist (Zeitgesetz i.w.S.).[41] Zwar war bzw. ist die Geltung der zur Eindämmung des neuartigen Corona-Virus erlassenen Rechtsverordnungen von vornherein zeitlich begrenzt, und ist eine Zuwiderhandlung gegen ein in der jeweiligen Verordnung ausgesprochenes Ge- oder Verbot tatbestandliche Voraussetzung für die Verfolgung wegen einer Straftat nach § 75 Abs. 1 Nr. 1 IfSG a.F. Ob eine Strafnorm Zeitgesetz i.S.v. § 2 Abs. 4 StGB ist, bemisst sich jedoch nicht allein anhand der blankettausfüllenden Norm – hier die Vorschriften in der jeweiligen Landesverordnung. Denn für die Frage nach dem "Ob" der Strafbarkeit eines bestimmten Verhaltens ist die Blankettstrafnorm des § 75 Abs. 1 IfSG maßgeblich, die unstreitig kein Zeitgesetz ist. Vielmehr ist eine Gesamtbetrachtung von blankettausfüllender Rechtsnorm und Blankettstrafnorm erforderlich;[42] erst beide Vorschriften zusammen ergeben die Vollvorschrift.[43]
Dies vorausgesetzt, sind durchaus Fälle denkbar, in denen das zeitlich befristete Ge- oder Verbot in einer Rechtsverordnung den Charakter einer Strafnorm oder Bußgeldvorschrift prägt, und zwar dann, wenn die Blankettnorm noch im Zeitpunkt der behördlichen oder gerichtlichen Entscheidung den Verstoß gegen eine (nicht mehr wirksame) Bestimmung der jeweiligen Verordnung als strafbar qualifiziert oder bußgeldbewehrt. So können Verstöße gegen vollziehbare Anordnungen nach § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG auch heute noch gemäß § 4 Abs. 4 OWiG als Ordnungswidrigkeit geahndet werden, auch wenn das jeweilige Ge- oder Verbot mittlerweile aufgehoben ist. Da umgekehrt die Zuwiderhandlung gegen eine vollziehbare Anordnung nach § 28 Abs. 1 S. 2 IfSG seit Mai 2020 nicht mehr strafbar ist, kann sie nach der ratio des § 2 Abs. 3 StGB – wonach niemand wegen einer Tat verurteilt werden soll, die nach dem Gesetz nicht mehr strafbewehrt ist – auch nicht mehr als Straftat verfolgt werden. Hätte der Bundesgesetzgeber entgegen der Regel des § 2 Abs. 3 StGB gewollt, dass zum Zeitpunkt der Tat als strafwürdig erachtetes Verhalten trotz Änderung des IfSG weiterhin als Straftat verfolgt werden soll, hätte er dies ausdrücklich gesetzlich anordnen müssen.[44] Statt dessen entsprach eine künftig[45] gleichmäßige Sanktionierung als Ordnungswidrigkeit seinem ausdrücklichen Willen.[46] Sollte dem im Einzelfall ein in den Sanktionsvorschriften einer Rechtsverordnung oder einem Bußgeldkatalog zum Ausdruck gebrachter Wille des Landesverordnungsgebers entgegenstehen, so kommt es hierauf nicht an, denn der Bundesgesetzgeber hat insoweit von seiner (nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG konkurrierenden) Regelungskompetenz abschließend Gebrauch gemacht.
Mit der umfangreichen Entkriminalisierung von Verstößen gegen in den Landesverordnungen zur Eindämmung des neuartigen Coronavirus ausgesprochenen Ge- und Verboten entsprach der Bundesgesetzgeber einer verbreiteten Einstellung in der Bevölkerung, dass eine Geldstrafe als Sanktion nur im Ausnahmefall angemessen ist. Dies belegen erste kriminologische Erhebungen zum Umgang mit Verstößen gegen Corona-Beschränkungen.[47] Zusammengefasst sind Verstöße gegen die Landesverordnungen zur Eindämmung des neuartigen Coronavirus von Verwaltungsbehörden, Staatsanwaltschaften und Gerichten rechtlich wie folgt zu behandeln:
Liegt keine Zuwiderhandlung gegen eine vollziehbare Anordnung vor, sondern wurde (nur) unmittelbar gegen ein Ge- oder Verbot in den genannten Verordnungen verstoßen, kann eine nach dem 28. März 2020 begangene Handlung nach § 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG als Ordnungswidrigkeit geahndet werden, wenn die jeweilige Landesverordnung (pauschal) auf die Bußgeldvorschrift verweist. Voraussetzung ist jedoch, dass die jeweilige Ge- bzw. Verbotsnorm mit höherrangigem Recht, insbesondere mit Verfassungsrecht vereinbar ist, was inzident geprüft werden muss.[48] Erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen insbesondere die in einzelnen Bundesländern angeordneten pauschalen Versammlungsverbote mit, teilweise gar ohne Genehmigungsvorbehalt.[49]
Wurde stattdessen gegen eine vollziehbare Anordnung nach §§ 28 Abs. 1 S. 1 und 2, 30 Abs. 1 S. 2, 31 IfSG – auch in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach § 32 S. 1 IfSG – verstoßen, kann diese Tat nur als Ordnungswidrigkeit geahndet werden, selbst wenn sie zum Zeitpunkt der Tat bzw. Beendigung der Tat noch den Tatbestand des § 75 Abs. 1 Nr. 1 IfSG erfüllte. In Bezug auf vollziehbare Anordnungen nach § 28 Abs. 1 S. 2 IfSG bestimmt dies § 2 Abs. 3 StGB, der die Anwendung von § 73 Abs. 1a Nr. 6 IfSG als milderes Gesetz anordnet. Was hingegen vollziehbare Anordnungen nach § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG anbelangt, folgt dies für Verstöße, die vor dem 28. März 2020 begangen wurden, aus § 73 Abs. 1a Nr. 6 IfSG; spätere Handlungen erfüllen zudem zugleich den Tatbestand des § 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG. Aus Gründen der Normklarheit sollte der Bundesgesetzgeber im Zuge der nächsten Reform des IfSG klar abgrenzbare Anwendungsbereiche für beide Bußgeldvorschriften schaffen. Nach wohl noch herrschender Auffassung ist die Rechtmäßigkeit der jeweiligen vollziehbaren Anordnung
– unter Hinweis auf die Verwaltungsakzessorietät der §§ 73 ff. IfSG – nicht Gegenstand inzidenter Prüfung durch Behörden und Gerichte; allein bei nichtigen Verwaltungsakten soll die Straf- bzw. Bebußbarkeit entfallen.[50] Dem wird zu Recht entgegengehalten, dass jedenfalls der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit auf der Zuwiderhandlung gegen die Anordnung zur Durchsetzung des Ge- bzw. Verbots, nicht jedoch deren sofortige Vollziehbarkeit liegt.[51] Dass die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs gegen die Anordnung entfällt, dient allein der effektiven infektionsschutzrechtlichen Gefahrenabwehr.[52] Dieser Zweck tritt zum Zeitpunkt der behördlichen oder gerichtlichen Entscheidung über die Festsetzung eines Bußgelds in den Hintergrund. Folgte man gleichwohl im Sinne strenger Akzessorietät weiterhin der Mehrheitsmeinung, wäre im Falle der Rechtswidrigkeit des sofort vollziehbaren Verwaltungsakts ein Straf- bzw. Ahndungsaufhebungsgrund[53] oder die Einstellung des Ordnungswidrigkeitenverfahrens nach § 47 Abs. 1 bzw. Abs. 2 OWiG zu prüfen.
* Der Autor ist Richter in Berlin, z. Zt. Amtsgericht Tiergarten.
[2] Vgl. etwa die Beispiele bei Fromm VR 2020, 186, 188.
[3] Gesetz v. 27. März 2020, BGBl. I 587.
[4] Vgl. Ruppert medstra 2020, 148, 152.
[5] Zur Abgrenzung zwischen Maßnahmen der Verhütung (§§ 16 ff. IfSG) und Maßnahmen der Bekämpfung, vgl. Zwanziger, in: Eckart/Winkelmüller (Hrsg.), Infektionsschutzrecht, § 16 Rn. 3 ff.
[6] So zu Recht Peglau jurisPR-StrafR 7/2020 Anm 1.
[7] Ebenso Rixen NJW 2020, 1097, 1098 f.; Heuser StV 2020, 426, 428.
[8] Vgl. Lorenz/Oğlakcıoğlu KriPoz 2020, 108, 115.
[9] A.A. wohl Rixen NJW 2020, 1097, 1101.
[10] Vgl. BVerwGE 12, 87, 90 = NJW 1961, 2077 f.
[11] Vgl. etwa Bremer Allgemeinverfügung v. 23. März 2020, öffentlich bekanntgegeben, https://www.amtliche-bekanntmachungen.bremen.de/sixcms/media.php/1624/Allgemeinverf%FCgung_Verbot%20von%20Veranstaltungen%20etc._final_23032020_barrierefrei.pdf; Hamburger Allgemeinverfügungen v. 22. März 2020 (Amtl. Anz. 2020, 422); Saarländische Allgemeinverfügung v. 25. März 2020 (ABl. I, 194); Sächsische Allgemeinverfügung v. 22. März 2020, https://www.coronavirus.sachsen.de/download/AllgV-Corona-Ausgangsbeschraenkungen_22032020.pdf; Sachsen-Anhaltinische Allgemeinverfügung v. 22. März 2020, https://www.mz-web.de/blob/36452036/3fbf301a078dfe5aa1ce92c97e79dc38/d-ausgangsbeschraenkung-anlaesslich-der-pandemie-220320-data.pdf;
[12] Vgl. VG München, Beschluss v. 24. März 2020 – M 26 S 20.1252 und M 26 S 20.1255 – jeweils juris Rn. 22 f.; krit. auch Lorenz/Oğlakcıoğlu KriPoz 2020, 108, 115; Weißenberger HRRS 2020, 166, 174.
[13] Vgl. Peglau jurisPR-StrafR 7/2020 Anm. 1.
[15] Vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten beim Menschen (Bundes-Seuchengesetz), BT-Drs. 3/1888, 32.
[16] Vgl. Viertes Gesetz zur Änderung des BSeuchG v. 18. Dezember 1979, BGBl. I 2248.
[17] Vgl. BT-Drs. 14/2530, 75.
[18] Vgl. Entwurf eines Vierten Gesetz zur Änderung des Bundes-Seuchengesetzes, BT-Drs. 8/2468, 21, 29.
[19] Vgl. Pschorr JuWiss v. 28. April 2020, https://www.juwiss.de/67-2020/.
[20] Vgl. BT-Drs. 8/2468, 32.
[21] Vgl. BT-Drs. 14/2530, 89 f.
[22] Vgl. Peglau jurisPR-StrafR 7/2020 Anm. 1.
[23] Vgl. Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite, BT-Drs. 19/18111, 24.
[24] Vgl. BT-Drs. 19/18111, 25.
[25] Vgl. etwa § 24 4. ÄnderungsVO Berliner SARS-CoV-2-EindmaßnV v. 21. April 2020, GVBl. 263.
[26] Vgl. etwa § 19 ÄnderungsVO Berliner SARS-CoV-2-EindmaßnV v. 2. April 2020, GVBl. 234.
[27] Vgl. etwa § 24 9. ÄnderungsVO Berliner SARS-CoV-2-EindmaßnV v. 28. Mai 2020, GVBl. 507.
[28] So auch BerlVerfGH, Beschluss v. 20. Mai 2020 – 81 A/20 – juris Rn. 17 f.
[29] Vgl. Pschorr JuWiss v. 28. April 2020, abrufbar unter https://www.juwiss.de/67-2020/.
[30] Vgl. Rau in: Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 2. Aufl. (2020), § 19 Rn. 15; Peglau jurisPR-StrafR 7/2020 Anm. 1; krit. Pschorr JuWiss v. 28. April 2020, https://www.juwiss.de/67-2020/.
[31] Gesetz v. 19. Mai 2020, BGBl. I 1018.
[32] Vgl. Entwurf eines Zweiten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite, BT-Drs. 19/18967, 61.
[33] Ebenso wohl Weisser medstra 2020, 153, 155.
[34] Gesetz v. 18. November 2020, BGBl. I 2397.
[35] Vgl. BT-Drs. 19/23944, 2.
[36] Der letzte Hs. wurde mit Gesetz v. 18. November 2020 "aus Gründen des Bestimmtheitsgrundsatzes" angepasst, vgl. BGBl. I 2020, 2397; BT-Drs. 19/23944, 39.
[37] Verordnung v. 30. Januar 2020 ("2019-nCoV"), BAnz. AT 31.1.2020 V 1.
[38] Vgl. Putzer, in: Eckart/Winkelmüller (Hrsg.), Infektionsschutzrecht, § 15 Rn. 6.
[39] Vgl. Gesetz v. 19. Mai 2020, BGBl. I 1018.
[40] Vgl. BGHSt 12, 148, 152 ff., 159 = NJW 1959, 252, 253.
[41] Fischer, StGB, 67. Aufl. (2020), § 2 Rn. 13.
[42] So auch Lorenz/Oğlakcıoğlu KriPoz 2020, 108, 111.
[43] Vgl. Fischer, StGB, 67. Aufl. (2020), § 1 Rn. 10.
[44] So wohl Hecker, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. (2019), § 2 Rn. 58.
[45] Vgl. BT-Drs. 19/18967, 61.
[46] I.E. ebenso Rau, in: Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 2. Aufl. (2020), § 19 Rn. 19; Neuhöfer/Kindhäuser, in: Eckart/Winkelmüller (Hrsg.), Infektionsschutzrecht, § 75 Rn. 4; Lorenz/Oğlakcıoğlu, in: Kießling (Hrsg.), IfSG, vor § 73 ff. Rn. 23; Peglau jurisPR-StrafR 7/2020 Anm. 1.
[47] Vgl. Habermann/Singelnstein/Zech KrimOJ 2020, 394, 411 f.
[48] Vgl. Weißenberger HRRS 2020, 166, 173.
[49] Vgl. Wittmann, in: Ridder/Breitbach/Deiseroth (Hrsg.), Versammlungsrecht, 2. Aufl. (2020), § 15 Rn. 56, m.w.N.
[50] Vgl. Peglau jurisPR-StrafR 7/2020 Anm. 1; Rau, in: Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 2.Aufl. (2020), § 19 Rn. 7, mwN.
[51] Vgl. Lorenz/Oğlakcıoğlu KriPoz 2020, 108, 112, i.E. ebenso Weißenberger HRRS 2020, 166, 175.
[52] Vgl. BT-Drs. 3/1888, 25, zu § 35 Abs. 2 BSeuchG.
[53] Vgl. Heine/Schittenhelm, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. (2019), vor § 324 ff. Rn. 19.