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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
November 2020
21. Jahrgang
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Als (unmittelbarer) Täter im Sinne des § 25 Abs. 1 Alt. 1 StGB handelt stets, wer alle Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes in eigener Person verwirklicht. Er ist als
unmittelbarer Täter (hier: einer versuchten schweren räuberischen Erpressung) auch dann anzusehen, wenn er unter dem Einfluss eines anderen oder gar nur in dessen Interesse agiert hat. Auf die Voraussetzungen der Zurechnungsnorm des § 25 Abs. 2 StGB kommt es in einem solchen Fall nicht an.
1. Eine schuldhafte Provokation kann zur Einschränkung des Notwehrrechts führen, wenn bei vernünftiger Würdigung der gesamten Umstände des Einzelfalls der Angriff als adäquate und voraussehbare Folge der Pflichtverletzung des Angegriffenen erscheint. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt eine Notwehreinschränkung allerdings voraus, dass die tatsächlich bestehende Notwehrlage durch ein rechtswidriges, jedenfalls aber sozialethisch zu missbilligendes Vorverhalten des Angegriffenen verursacht worden ist und zwischen diesem Vorverhalten und dem rechtswidrigen Angriff ein enger zeitlicher und räumlicher Zusammenhang besteht. Fehlt ein solcher Zusammenhang, ist ein pflichtwidriges Vorverhalten des Angegriffenen für die Beurteilung der Notwehrlage ohne Bedeutung.
2. 33 StGB entfällt nicht schon, wenn der Täter den Angriff provoziert hat oder sich dem Angriff hätte entziehen können. Für seine Anwendung ist vielmehr grundsätzlich auch dann Raum, wenn infolge der von dem Angegriffenen schuldhaft mitverursachten Notwehrlage ein nur eingeschränktes Notwehrrecht nach § 32 StGB besteht, sofern der Täter die Grenzen der (eingeschränkten) Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken überschreitet.
3. Zur Begründung einer etwaigen beträchtlichen Übersetzung der erhöhten Mindeststrafe des § 224 Abs. 1 StGB bei Vorliegen von zahlreichen Milderungsgründen ist es rechtlich bedenklich, als einzigen Strafschärfungsgrund nur eine nicht einschlägige und lange zurückliegende Vorbelastung „in sehr geringem Umfang“ einzustellen.
Will der Täter die Tat nicht selbst, sondern durch einen Dritten begehen (§ 25 Abs. 1 StGB), so liegt ein unmittelbares Ansetzen zur Tat im Sinne des § 22 StGB regelmäßig vor, wenn der Täter seine Einwirkung auf den Tatmittler abgeschlossen hat und dieser die Tathandlung nach den insoweit maßgeblichen Vorstellungen des Täters in engem Zusammenhang mit dem Abschluss der Einwirkung vornehmen soll, das geschützte Rechtsgut daher aus Sicht des Täters bereits in diesem Zeitpunkt gefährdet ist.
1. Sukzessive Mittäterschaft, die sich auch auf die Verwirklichung von qualifizierenden Merkmalen beziehen kann, liegt vor, wenn in Kenntnis und mit Billigung des bisher Geschehenen – auch wenn dies von dem ursprünglichen gemeinsamen Tatplan abweicht – in eine bereits begonnene Ausführungshandlung als Mittäter eingetreten wird. Das Einverständnis bezieht sich dann auf die Gesamttat mit der Folge, dass diese strafrechtlich zugerechnet wird. Nur für das, was vollständig abgeschlossen vorliegt, vermag das Einverständnis die strafrechtliche Verantwortlichkeit nicht zu begründen, selbst wenn die hinzutretende Person dessen Folgen kennt, billigt und ausnutzt. Ein die Mittäterschaft begründender Eintritt kann vor der Vollendung der Tat erfolgen, etwa indem eine auf die Vollendung der geplanten Tat abzielende Handlung in Kenntnis des bisher Geschehenen vorgenommen oder fortgesetzt wird. Sie ist aber auch noch nach der strafrechtlichen Tatvollendung möglich, solange der zunächst allein Handelnde die Tat noch nicht beendet hat. Deshalb kann die Zurechnung einer vom ursprünglichen Tatplan nicht umfassten Erfüllung eines Qualifikationsmerkmals auch dann noch erfolgen, wenn der qualifizierende Umstand nach der Tatvollendung noch vorliegt und von dem Hinzutretenden in dessen Kenntnis und unter Ausnutzung des Erschwerungsgrundes noch auf die Sicherung des Taterfolges gerichtete Handlungen vorgenommen werden.
2. Eine Freiheitsberaubung tritt im Wege der Gesetzeskonkurrenz hinter einen Raub nur insoweit zurück, als sie das tatbestandsmäßige Mittel zu dessen Begehung ist.
3. Eine in der sog. Vorlaufzeit zwischen der (letzten) tatrichterlichen Aussetzungsentscheidung und dem Beginn der Bewährungszeit verübte Straftat steht nach § 56f Abs. 1 Satz 2 StGB unter dem Gesichtspunkt des Bewährungswiderrufs einer Straftat in der Bewährungszeit gleich und entfaltet eine vergleichbare Warnfunktion. Denn der Angeklagte hätte bereits Anlass zu der Annahme gehabt, dass er sich in der Zukunft bewähren muss, sodass auch in diesem Fall ein erheblicher Straferschwernisgrund gegeben gewesen wäre.
Die minder schwere Tat der Zuhälterei nach § 181a StGB ist nicht geeignet, die Vergewaltigung und den schweren Menschenhandel zu einer Tat zu verbinden.
In Fällen, in denen ein durch die Brandlegung verursachter Sachbeschädigungserfolg ausschließlich an Sachen eintritt, die in den verschiedenen Tatalternativen des § 306 Abs. 1 StGB als taugliche Tatobjekte der Brandstiftung erfasst werden, die Sachbeschädigung gemäß § 303 Abs. 1 StGB durch die vollendete einheitliche Brandstiftung nach § 306 Abs. 1 StGB verdrängt wird. § 306 Abs. 1 StGB ist im Verhältnis zu § 303 StGB das speziellere Delikt.
1. Selbstaufnahmen des Tatopfers können Gegenstand der unbefugten Weitergabe im Sinne des § 201a Abs. 1 Nr. 4 StGB sein. (BGHR)
2. Da die von § 201a Abs. 1 Nr. 4 StGB in Bezug genommenen Nummern 1 und 2 unter anderem voraussetzen, dass die Bildaufnahme „von einer anderen Person“ hergestellt wird, sind Selbstaufnahmen der abgebildeten Person von diesen Tatbestandsvarianten ausgeschlossen. In der Literatur ist umstritten, ob daraus zu folgern ist, dass auch bei einer Tat nach § 201a Abs. 1 Nr. 4 StGB Selbstaufnahmen der geschädigten Person als Tatobjekt ausgeschlossen sind oder ob der Tatbestand auch durch die Weitergabe der von dem Aufgenommenen selbst angefertigten Bildaufnahmen erfüllt werden kann. (Bearbeiter)
1. Eine sexuell aufreizende Wiedergabe der unbekleideten Genitalien oder des unbekleideten Gesäßes eines Kindes gemäß § 184b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c StGB liegt vor, wenn die genannten Körperteile aus Sicht eines durchschnittlichen Betrachters in sexuell motivierter Weise im Blickfeld stehen. Hierfür sind die aus der Schrift (§ 11 Abs. 3 StGB) zu entnehmenden Umstände heranzuziehen; auf die daraus nicht ersichtlichen Beweggründe der die Wiedergabe erstellenden oder damit umgehenden Person kommt es nicht an. (BGHR)
2. Eine sexuell aufreizende Wiedergabe ist eine solche, die eine sexuell konnotierte Fokussierung auf die näher bezeichneten unbekleideten Körperregionen eines Kindes enthält. Der Begriff des Aufreizens findet sich bereits im europäischen Recht und geht nach der allgemeinen Wortbedeutung in sexualisierter Weise über eine neutrale Abbildung hinaus. Davon abzugrenzen sind Wiedergaben mit anderer Intention, beispielsweise als unverfängliches Urlaubsfoto oder zu medizinischen, wissenschaftlichen oder künstlerischen Zwecken. (Bearbeiter)
3. Dafür, lediglich die (Gesamt-)Darstellung als solche und sich daraus ergebende Gesichtspunkte heranzuziehen, nicht aber darüber hinausgehende Zwecke des Erstellers oder Verwenders, sprechen auch systematische Erwägungen. Anderenfalls wäre eine konsistente Bewertung, ob eine bestimmte Schrift kinderpornographisch ist oder nicht, nicht möglich. Wären etwa die Zwecke zu berücksichtigen, die eine Person konkret beim Umgang mit der Schrift verfolgt, könnte dies eine unterschiedliche Einordnung derselben Schrift - beim gleichzeitigen Umgang mehrerer sogar zum selben Zeitpunkt - zur Folge haben. Eine derartige uneinheitliche, situationsbedingtsubjektive Auslegung des objektiven Tatbestandsmerkmals der kinderpornographischen Schrift ist im Gesetz nicht angelegt. (Bearbeiter)
1. Durch das Ausdrucken von mittels eines Computers verfälschten Gehaltsrechnungen und Kontoauszügen werden nicht inhaltlich falsche Kopien, sondern unechte Urkunden im Sinne des § 267 Abs. 1 StGB hergestellt.
Für das Gebrauchen dieser unechten Urkunden gemäß § 267 Abs. 1 StGB ist es ohne Belang, ob diese Urkunden selbst oder von ihnen gefertigte Kopien derselben vorgelegt werden. Dass das Gebrauchen gefälschter Fotokopien grundsätzlich nicht den Tatbestand einer Urkundenfälschung nach § 267 Abs. 1 StGB erfüllt, bleibt davon unberührt.
2. Wer Immobilien zu einem überhöhten Preis an nicht solvente Personen verkauft und den Käufern hierfür in betrügerische Weise Bankdarlehen verschafft, erlangt (vgl. § 73 StGB) aus diesen Taten regelmäßig von den getäuschten Banken die Auszahlung der Darlehenssumme. Sobald diese auf ein Notaranderkonto gezahlt wird, fließt sie nicht nur den Darlehensnehmern zu, sondern – weil der Notar beim Grundstückskaufvertrag als Treuhänder für beide Parteien tätig wird – mit Auszahlungsreife auch den Grundstücksverkäufern.
Die Qualifikationsnorm des § 225 Abs. 3 StGB enthält keine Erfolgsqualifikation im Sinne des § 18 StGB sondern ein Vorsatzdelikt, sodass die durch die Misshandlung verursachte Todesgefahr für das Tatopfer vom Vorsatz des Täters umfasst sein muss.
1. Bei dem Angriff auf den Seeverkehr in der Tatvariante des § 316c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b StGB handelt es sich um ein reines Tätigkeitsdelikt. Der objektive Tatbestand setzt voraus, dass der Täter Gewalt anwendet, die Entschlussfreiheit einer Person angreift oder sonstige Machenschaften vornimmt. Das Merkmal „um dadurch die Herrschaft ... zu erlangen oder auf dessen Führung einzuwirken“ beschreibt lediglich ein Handlungsziel im Sinne einer überschießenden Innentendenz, aber keinen tatbestandsmäßigen Erfolg.
2. Bei Tätigkeitsdelikten ist die Tat mit Ausführung der Tathandlung zwar vollendet, nach dem vom Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung angewendeten materiellen Beendigungsbegriff aber erst mit dem Abschluss der auf demselben Vorsatz beruhenden tatbestandsmäßigen Ausführungshandlung beendet, also erst wenn der Täter sein rechtsverneinendes Tun insgesamt aufgibt. Beim Angriff auf den Seeverkehr tritt Tatbeendigung daher erst ein, wenn der Täter von der Gewaltanwendung, vom Angriff auf die Entschlussfreiheit bzw. von den sonstigen Machenschaften wieder Abstand nimmt.
1. Diebstahl begeht gemäß § 242 Abs. 1 StGB, wer eine fremde bewegliche Sache in der Absicht wegnimmt, sich oder einem Dritten dieselbe rechtswidrig zuzueignen. Unter Wegnahme wird der Bruch fremden und die Begründung neuen Gewahrsams durch den Täter verstanden. Der Gewahrsam ist ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis einer Person über eine Sache, das von deren Herrschaftswillen getragen ist. Dafür ist die Sachherrschaft wesentlich, der unter Ausschluss fremder Einwirkungsmöglichkeiten kein Hindernis entgegenstehen darf. Der einmal begründete Gewahrsam bleibt als tatsächliches Verhältnis, das dem Inhaber die Sachherrschaft ermöglicht, solange bestehen, bis dessen tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit verloren geht. Selbst der Gewahrsam eines Verletzten an seinen neben ihm liegenden Sachen ist nicht schon deshalb zu verneinen, weil er nicht mehr fähig ist, etwas zu deren Schutz zu unternehmen.
2. Stehen mangels einer Blutprobe nur die in ihrer Richtigkeit festgestellten oder nicht widerlegbaren Trinkmengenangaben zur Verfügung, so ist die Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit auf der Grundlage der sogenannten Widmark-Formel mit dem für den Täter günstigsten Abbauwert (0,1 ‰ pro Stunde seit Trinkbeginn), einem Resorptionsdefizit (10 %) und dem Reduktionsfaktor (0,7) zu berechnen.
3. Auch wenn davon auszugehen ist, dass es keinen gesicherten Erfahrungssatz darüber gibt, dass ohne Rücksicht auf psychodiagnostische Beurteilungskriterien allein wegen einer bestimmten Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit in aller Regel vom Vorliegen einer alkoholbedingt erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit ausgegangen werden muss, ist der im Einzelfall festzustellende Wert ein Beweisanzeichen für eine erhebliche alkoholische Beeinflussung. Dies gilt unbeschadet der Tatsache, dass die Wirkungen einer Alkoholaufnahme individuell verschieden sind. Der Blutalkoholgehalt zeigt jedenfalls die wirksam aufgenommene Alkoholmenge an. Je höher dieser Wert ist, umso näher liegt die Annahme einer erheblichen Einschränkung der Steuerungsfähigkeit.
4. Bei einer besonders starken Alkoholaufnahme kann eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit nur ausgeschlossen werden, wenn gewichtige Anzeichen dafür sprechen, dass das Hemmungsvermögen des Täters zur Tatzeit erhalten geblieben war.
5. Erforderlich ist eine Gesamtwürdigung der feststellbaren Alkoholaufnahme einerseits und der psychodiagnostischen Kriterien andererseits. Bei der notwendigen Gesamtwürdigung spielen im Einzelfall insbesondere folgende Umstände eine Rolle: die Alkoholgewöhnung des Täters, der feststellbare Blutalkoholgehalt zur Tatzeit und
Trinkmenge sowie Trinkgeschwindigkeit, die körperliche und seelische Verfassung des Täters zur Zeit der Tat, das Tatmotiv, das mehr oder weniger gesteuert wirkende Leistungsverhalten vor, während und nach der Tat, das Vorliegen von markanten Ausfallerscheinungen, Störungen von Denken und Wahrnehmung, Veränderungen im Affekt, das Vorhandensein oder Fehlen einer Erinnerung an das Geschehen, die mehr oder weniger genaue Tatplanung und ein zielgerichtetes Verhalten bei der Tatbegehung, ein umsichtiges Nachtatverhalten sowie konstellative Faktoren, wie Übermüdung, Erkrankung, Drogen- oder Medikamenteneinnahme, eine affektive Erregung oder eine Persönlichkeitsstörung.
6. Generell ist der indizielle Beweiswert eines intakten Erinnerungsvermögens für die Beurteilung des Hemmungsvermögens zudem problematisch. Dies bedarf jedenfalls einer näheren Überprüfung unter Einbeziehung in die Gesamtschau aller Umstände des Einzelfalls.
1. Bei einer Tat nach § 132 Var. 1 StGB handelt es sich um kein „eigenhändiges Delikt“. Mittäterschaft oder Beihilfe kommt daher nach allgemeinen Regeln in Betracht. Eine strafbare Beteiligung setzt indes – wie stets – einen konkreten Tatbeitrag zur Tatbestandsverwirklichung voraus.
2. Die bloße Kenntnis von der Tat und deren Billigung ohne einen die Tatbestandsverwirklichung objektiv fördernder Tatbeitrag genügt für die mittäterschaftliche Zurechnung nicht. Sie vermag auch noch keine Beihilfe zur Amtsanmaßung nach § 27 zu begründen.