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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Aug./Sept. 2019
20. Jahrgang
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Von Wiebke Winter, LL.B., Bucerius Law School[*]
Während vor wenigen Jahren § 219a StGB als eine Norm angesehen wurde, deren rechtstatsächliche Relevanz "verschwindend gering" sei,[1] ist die Vorschrift seit dem Fall rund um die Ärztin Kristina Hänel zum Politikum und zum Gegenstand juristischer Debatten geworden. Nach einer langen gesellschaftlichen und parlamentarischen Diskussion und diversen Gesetzesvorschlägen der verschiedenen Fraktionen[2] wurde am 21. Februar 2019 vom Bundestag das Gesetz zur Verbesserung der Information über einen Schwangerschaftsabbruch[3] beschlossen, das am 29. März 2019 in Kraft getreten ist.
Fraglich bleibt jedoch, ob diese Neuregelung den Streit um die Verfassungsmäßigkeit und/oder Sinnhaftigkeit des § 219a StGB tatsächlich einzudämmen vermag. Dafür müssen zunächst die Neuregelung und ihre Auswirkung auf Ärzte[4] und Patientinnen dargestellt werden (II.). Im Anschluss kann die Frage nach der Abschaffung des § 219a StGB aus strafrechtssystematischer und rechtspolitischer Sicht erörtert werden (III.).
Um die Auswirkungen der Reform des § 219a StGB erfassen zu können, muss ein kurzer Blick auf die Historie und Regelungssystematik der §§ 218 ff. StGB geworfen werden. Der in den 1990er Jahren gefundene Kompromiss[5] stellt den Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich unter Strafe (§ 218 StGB). Unter bestimmten Voraussetzungen ist der Abbruch für den Arzt oder die Schwangere jedoch nicht rechtswidrig (§ 218a Abs. 2, 3 StGB) oder straflos (§ 218a Abs. 1 StGB). Ein Abbruch nach § 218a Abs. 1 StGB setzt eine zuvor erfolgte Konfliktberatung
gemäß § 219 StGB i.V.m. dem Schwangerschaftskonfliktgesetz (SchKG) voraus. Diese dient dem Schutz des ungeborenen Lebens und soll der Schwangeren Perspektiven für ein Leben mit dem Kind aufzeigen (§ 219 Abs. 1 S. 1, 2 StGB). Das sogenannte Beratungsmodell wird von § 219a StGB flankiert, der ein "Werbungsverbot" für Schwangerschaftsabbrüche statuiert. Das Bundesverfassungsgericht hatte diese Ausgestaltung in seinem Grundsatzurteil aus dem Jahr 1993 für verfassungsgemäß erklärt.[6] Nach der Auffassung der Richter könne so durch §§ 218 ff. StGB ein angemessener Ausgleich zwischen dem Schutz des Fötus und den Rechten der werdenden Mutter geschaffen werden.
Bis zur Neuregelung des § 219a StGB wurden nach Auffassung der Gerichte von der Norm Fälle erfasst, in denen Ärzte öffentlich darauf hinwiesen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführten. Nach Anzeigen verschiedener Abtreibungsgegner wurde auch die Allgemeinmedizinerin Kristina Hänel nach diesem Paragrafen verurteilt. Sie hatte auf ihrer Website darauf hingewiesen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführe und zudem die dafür verwendete Methodik in einem abrufbaren PDF-Dokument erklärt. Zudem wies sie auf die Bezahlungsmöglichkeiten in ihrer Praxis hin.[7] Die Gerichte urteilten, dass sie dies zu einem eigenen Vermögensvorteil tat und der Tatbestand auch bei nur aufklärenden Informationen erfüllt sei.[8]
Im Nachgang der Urteilsverkündung wurde vielfach kritisiert, dass § 219a StGB Frauen in ihrer Informationsfreiheit beschränke. Insbesondere könnten sie sich nicht hinreichend darüber informieren, wo Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt würden.[9]
Nach verschiedenen Gesetzesvorschlägen der Oppositionsfraktionen im Bundestag[10] hat die Große Koalition von CDU/CSU und SPD im vergangenen Winter einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt, der am 29. März 2019 vom Parlament beschlossen wurde.[11]
Mit dem Gesetz zur Verbesserung der Information über einen Schwangerschaftsabbruch hat der Gesetzgeber einen neuen § 219a Abs. 4 StGB geschaffen.[12] Dieser lautet:
(4) Absatz 1 gilt nicht, wenn Ärzte, Krankenhäuser oder Einrichtungen
1. auf die Tatsache hinweisen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche unter den Voraussetzungen des § 218a Absatz 1 bis 3 vornehmen, oder
2. auf Informationen einer insoweit zuständigen Bundes- oder Landesbehörde, einer Beratungsstelle nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz oder einer Ärztekammer über einen Schwangerschaftsabbruch hinweisen.
Anders als zuvor ist es Ärzten somit nun unzweifelhaft erlaubt, öffentlich darauf hinzuweisen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche unter den Voraussetzungen des § 218a Abs. 1-3 StGB vornehmen.[13] Wie sich e contrario aus § 219a Abs. 4 Nr. 2 StGB ergibt, ist es Ärzten jedoch weiterhin verboten, eigene Informationen über den Ablauf und die Methoden eines Schwangerschaftsabbruchs bereit zu stellen. Lediglich ein Hinweis auf die Informationsangebote der im Gesetz genannten neutralen Stellen ist strafrechtlich zulässig.[14] Damit wird das weitergehende Informationsangebot auf der Website von Kristina Hänel trotz der Rückverweisung des OLG Frankfurt vom 3. Juli 2019 an das LG Gießen[15] auch nach der Gesetzesänderung rechtswidrig bleiben.
Mit dem Gesetz wurde zudem das Schwangerschaftskonfliktgesetz (SchKG) ergänzt. Nach dem neuen § 13 Abs. 3 SchKG führt die Bundesärztekammer eine Liste der zu Schwangerschaftsabbrüchen nach § 218a Abs. 1-3 StGB bereiten Ärzte, Krankenhäuser und Einrichtungen. Die Liste enthält auch Angaben über die jeweils angewendeten Methoden zu Durchführung des Schwangerschaftsabbruchs (S. 2) und wird monatlich aktualisiert (S. 3). Die Listen werden im Internet veröffentlicht und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), dem Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben sowie den Ländern zur Verfügung gestellt (§ 13 Abs. 3 S. 3 SchKG). Auch die BZgA veröffentlicht nach § 13a SchKG diese Liste. Ferner erteilt der bundesweit zentrale Notruf nach § 1 Abs. 5 S. 1 SchKG Auskunft über die in der Liste enthaltenen Angaben.
Die Neuregelung soll mit ihrer Klarstellung mehr Rechtssicherheit für Ärzte bieten, die Schwangerschafts-
abbrüche nach § 218a Abs. 1-3 StGB anbieten.[16] Die von der BÄK geführte Liste kann zudem die Informationssuche für Patientinnen erleichtern.
Die Neuregelung führt jedoch zu Auslegungsschwierigkeiten.[17] Zunächst ist fraglich, wie im Licht der Neuregelung mit dem Wort "hinweisen" das Wort "anbieten" im Rahmen des § 219a Abs. 1 StGB zu verstehen ist. Insbesondere fällt die Abgrenzung zwischen den beiden Alternativen schwer, sodass die Norm aufgrund der vergleichbaren Anwendungsbereiche inkonsistent wirkt.[18] Schließlich ist fraglich, ob Ärzte auch mitteilen dürfen, wann sie die Voraussetzungen des § 218a Abs. 2 StGB als erfüllt ansehen und dann einen Schwangerschaftsabbruch nach dieser Norm vornehmen. Hierzu ist regelmäßig eine Einzelfallabwägung nötig. Aufgrund dieser Einzelfallabwägung scheint es jedoch unrealistisch, dass Ärzte in der Praxis das Bedürfnis haben, einzelfallbezogene Abwägungen schon öffentlich darzustellen. Der richtige Ort wird hier wohl eher das persönliche Gespräch sein.[19]
Zudem ist unklar, wie die Hinweismöglichkeit im Rahmen des § 219a Abs. 4 Nr. 2 StGB zu verstehen ist.[20] Darf ein Arzt den Text der staatlichen Stellen kopieren und auf seine Homepage stellen? Muss er dann einen eindeutigen Quellennachweis erbringen? Jedenfalls darf der Arzt die Informationen der staatlichen Stellen auf seiner Homepage verlinken.[21] Der Sinn des § 219 Abs. 4 Nr. 2 StGB wäre auch bei einem schlichten Kopieren erfüllt: Es gäbe eine einheitliche Informationsvermittlung.[22] Allerdings wäre eine solche Auslegung nicht mehr vom Wortlaut der Norm gedeckt. Hinweisen meint nicht die eigene Zurverfügungstellung, vielmehr soll auf eine andere Seite verwiesen werden.[23]
Die "Kompromisslösung" des Gesetzgebers sorgte indes nicht dafür, dass alle Stimmen der Kritiker verstummten. Sie begrüßen zwar überwiegend[24] die Möglichkeit der eigenständigen Informationsmöglichkeit, es werden jedoch weiter Reformen der §§ 218 ff. StGB und insbesondere die Abschaffung des § 219a StGB gefordert.[25] Dies hätte zur Folge, dass Ärzte auch über die bei Schwangerschaftsabbrüchen angewendete Behandlungsmethoden frei und eigenständig informieren dürften. Für die Argumentation werden vor allen Dingen strafrechtsdogmatische und rechtspolitische Argumente angeführt, die in diesem Beitrag kritisch hinterfragt werden sollen.
Strafrechtsdogmatisch spricht für eine weitergehende Reform des § 219a StGB, dass die Norm zu einer weiten Vorverlagerung der Strafbarkeit führt.[26] Der Zweck der §§ 218 ff. StGB liegt im Schutz des ungeborenen Lebens, also der Existenz des heranwachsenden Kindes vor seiner Tötung.[27] Insbesondere sollen Schwangerschaftsabbrüche weitgehend vermieden werden (vgl. § 219 Abs. 1 S. 2 StGB). Die Verankerung eines Verhaltens im Strafrecht ist aufgrund seiner ultima ratio Funktion jedoch nur zu rechtfertigen, wenn durch das Verhalten ein als schutzwürdig anerkanntes Rechtsgut beeinträchtigt wird.[28] Dies könnte bei der unter Strafe stehenden reinen Werbung im Vorfeld fraglich sein, da dadurch der Fötus noch nicht konkret gefährdet wird.[29]
Der Telos des § 219a StGB ist jedoch nicht nur, Schwangerschaftsabbrüche zu vermeiden: Vielmehr soll verhindert werden, dass der Schwangerschaftsabbruch in der Öffentlichkeit als etwas "Normales" dargestellt und kommerzialisiert wird.[30] Es handelt sich bei § 219a StGB um ein sogenanntes "Klimadelikt". Solche Normen sind dem StGB auch nicht fremd: So lässt auch § 184 Abs. 1 Nr. 5 StGB eine potentielle Gefährlichkeit von pornografischen Schriften ausreichen.[31] Die Normen sind mit dem abstrakten Gefährdungsdelikt[32] des § 219a StGB vergleichbar. Ähnlich liegt es bei § 217 StGB: auch hier wird schon die Förderung möglicherweise tatbestandslosen Handelns unter Strafe gestellt.[33]
Zweitens differenziert § 219a StGB nicht zwischen den verschiedenen Varianten des Schwangerschaftsabbruchs.[34] Insbesondere stellt er auch die Informationsga-
be über rechtmäßige und straflose Abbrüche unter Strafe. Dies ist ein Resultat der Anpassung des § 219a StGB an die nach der Wiedervereinigung Deutschlands vorgenommene Reform der §§ 218 ff.[35] Es kommt somit wieder zu dem oben dargestellten Konflikt, dass grundsätzlich nur die rechtswidrige Verletzung von Rechtsgütern vom Strafrecht erfasst werden soll. Daher ist zu überlegen, ob die Norm für diese Fälle im Ordnungswidrigkeitenrecht besser verortet wäre.[36] Dafür spräche weiter, dass eine dort verortete Norm den oben dargestellten Konflikt mit der Vorverlagerung der Strafbarkeit entspannen könnte.[37]
Dagegen spricht jedoch, dass dies zu einer systematischen Aufspaltung des Schwangerschaftsrechts führen würde. Zwar kann gegen dieses Argument angeführt werden, dass auch die Beratung zum Schwangerschaftsabbruch teilweise im Schwangerschaftskonfliktgesetz geregelt wird. Dort wird jedoch lediglich § 219 StGB ausgestaltet und keine weiterreichende Regelung getroffen. Eine Aufspaltung wäre somit systemfremd. Zudem muss es dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber überlassen bleiben, wo er die Norm verortet.[38]
Zu überlegen bleibt jedoch, ob § 219a StGB auf rechtswidrige Fälle des Schwangerschaftsabbruchs verfassungskonform teleologisch reduziert werden muss.[39] Dies wäre zwingend, wenn es verfassungswidrig wäre, dass Ärzte nicht auf die Methode hinweisen dürfen, die sie bei einem rechtmäßigen Schwangerschaftsabbruch verwenden.
Das weiterhin statuierte Verbot des § 219a StGB greift in die Berufsfreiheit der Ärzte aus Art. 12 Abs. 1 GG ein.[40] Es handelt sich bei dem Verbot jedoch lediglich um eine Ausübungsschranke.[41] Der Eingriff in das Grundrecht kann somit einfachgesetzlich aufgrund vernünftiger Allgemeinwohlerwägungen gerechtfertigt werden.[42] § 219a StGB ist ein formelles Gesetz. Vernünftige Allgemeinwohlerwägungen können einerseits in der abstrakten Gefährdung des Fötus und andererseits in der Normalisierung und Kommerzialisierung des Abbruchs gesehen werden. Dies wird auch durch die Regelung des § 24b Abs. 3 SGB V deutlich; danach werden die Kosten eines straflosen Schwangerschaftsabbruchs grundsätzlich nicht übernommen.[43] Es handelt sich nicht um einen normalen Heileingriff.[44] Allerdings muss gefragt werden, ob von dieser Annahme eine Ausnahme für gerechtfertigte Schwangerschaftsabbrüche gemacht werden muss.[45] Dies ergibt sich aus der Systematik und den flankierenden Gesetzen. Bei gerechtfertigten Abtreibungen besteht grundsätzlich keine Beratungspflicht. Zudem werden die Kosten für solche Abbrüche übernommen. Allerdings kann auch hier erwogen werden, dass die Verhinderung der Normalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen als vernünftige Erwägung zumindest die weitergehende Informationsgabe über die Behandlungsmethodik einzuschränken vermag. Der Gesetzgeber hat hier einen weitreichenden Ermessensspielraum.[46]
§ 219a StGB ist erforderlich, da insbesondere eine Regelung in den LBO-Ä[47] kein gleich geeignetes, milderes Mittel darstellt. Schließlich können auch andere Akteure, wie z.B. kaufmännische Leiter von Krankenhäusern oder medizinischen Versorgungszentren für Schwangerschaftsabbrüche werben.[48]
Aufgrund des verhältnismäßig leichten Eingriffs in die Ausübungsfreiheit der Ärzte, die über Verweise auf Informationen staatlicher Stellen hinweisen dürfen, überwiegt dieses Recht auch gegenüber der Berufsausübungsfreiheit der Ärzte.[49] Dies lässt sich e contrario auch aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ableiten. Dort wurde lediglich festgestellt, dass Ärzte das Recht haben sollten, darüber zu informieren, ob sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen.[50] Dem wurde jedoch schon mit § 219a Abs. 4 StGB nachgekommen.
Auch besteht kein grundrechtlich verbürgtes Recht der Frauen auf einen bestimmten Weg der Information, soweit Informationen grundsätzlich frei und einfach zugänglich sind.[51] Somit besteht kein verfassungsrechtlicher Anlass für eine teleologische Reduktion des § 219a StGB.[52]
Es bleibt einzig die Frage bestehen, ob es rechtspolitisch wünschenswert ist, § 219a StGB weiter einzuschränken bzw. zu streichen.
Das dafür gern angeführte Argument, dass die Norm aus der Zeit des Naziregime stamme,[53] ist nur scheinbar ein Argument gegen die Regelung.[54] Die ersten Entwürfe zu der Norm stammten schon aus der Weimarer Republik. Die Norm ist somit nicht zwingend dem Hitlerregime zuzuordnen.[55]
Allerdings ist fraglich, ob die Zurverfügungstellung von Informationen über die Abbruchsmethoden zu einer erweiterten Stimulierung führen würde als durch die Bekanntgabe über die Bereitschaft zur Vornahme rechtmäßiger oder strafloser Abbrüche. Insbesondere ist fraglich, ob eine stärkere Stimulierung stattfindet als wenn der Arzt auf die Informationen hinweist, die von staatlicher Stelle bereitgestellt werden.
Rechtspolitisch kritisch am § 219a Abs. 4 Nr. 2 StGB ist weiter zu sehen, dass er suggeriert, dass allein der Staat Informationen zu Abbrüchen zur Verfügung stellt.[56] Zwar ist fraglich, ob im Internet nur qualitativ hochwertige Informationen zu finden sind.[57] Allerdings können auch heute noch Ärzte, die selbst keine Schwangerschaftsabbrüche vornehmen über diese eigenständig informieren. Damit ist § 219a Abs. 4 Nr. 2 StGB irreführend. Zudem nimmt § 219a StGB den Ärzten nicht die Möglichkeit, im persönlichen Beratungsgespräch weitergehende Informationen an die Schwangere zu geben (§ 5 Abs. 2 Nr. 2 SchKG).[58]
Der von der großen Koalition gefundene Kompromiss ist jedoch dahingehend zu begrüßen, als dass Framings[59] im Rahmen von Schwangerschaftsabbrüchen zumindest bei Ärzten, die Abbrüche vornehmen, vermieden werden und die Informationen der Behörde zu zentralen Informationen werden. Zwar sind Framings bis zur Grenze des grob Anstößigen nicht von Rechts wegen verboten,[60] allerdings wird die mit einem Schwangerschaftsabbruch verbundene Interessenkollision bei einer Bezeichnung des Fötus als "Schwangerschaftsgewebe" nicht hinreichend dargestellt.[61] Dies entspricht auch dem vom Gesetzgeber als primäre Quelle vorgesehenen Beratungskonzept, wonach als wesentlicher Bestandteil der Kompromisslösung[62] die Schwangere in ihrer Entscheidungsfindung persönlich durch einen Arzt oder eine Beratungsstelle unterstützt wird.[63] So besteht aus rechtspolitisch begrüßenswerter Sicht ein symbolischer und sozialkommunikativer Schutz,[64] der auch vom Bundesverfassungsgericht zur Bedingung eines weitgehenden Strafverzichts gemacht wurde.[65] Dabei soll hier jedoch betont werden, dass dies nach Auffassung der Verfasserin allein für die öffentliche Kommunikation durch Hinweise von Ärzten gilt. Der Kompromiss mit § 219a StGB führt somit zu einer sinnvollen Flankierung der §§ 218 ff. StGB.[66]
Der vom demokratisch legitimierten Gesetzgeber gefundene Kompromiss ist daher auch rechtspolitisch begrüßenswert.
Wie die hier dargestellten Ausführungen zeigen, handelt es sich bei der Regelung des Schwangerschaftsabbruchs aufgrund des Zusammenspiels von Strafrechtsdogmatik, Grundrechten, gesellschaftlichen Werten und Ethik um eine außerordentlich schwierige rechtspolitische Debatte. Der Grad, der beschritten werden muss, um das Selbstbestimmungsrecht Schwangerer, die Berufsausübung der Ärzte und das Lebensrecht der Embryonen in einen angemessenen Einklang zu bringen, ist sehr schmal. Der Gesetzgeber ist mit der Neuregelung des § 219a Abs. 4 StGB dem Bedürfnis von Schwangeren nach einem vereinfachten Informationszugang nachgekommen. Auch für Ärzte besteht eine höhere Rechtssicherheit in Bezug auf ihre Informationsmöglichkeiten. Gleichzeitig wird durch die Beibehaltung des § 219a StGB sichergestellt, dass Abtreibungen weiterhin nicht als etwas "Normales" oder "Kommerzielles" dargestellt werden. Trotz der noch bestehenden Auslegungsschwierigkeiten im Rahmen des § 219a Abs. 4 StGB und der Undifferenziertheit der Norm in Bezug auf rechtmäßige Schwangerschaftsabbrüche ist die Gesetzesänderung daher im Ergebnis zu begrüßen.
Insbesondere begrüßt die Autorin, dass der Gesetzgeber im Zuge desselben Gesetzes das Alter für die Gebührenerstattung von Verhütungsmitteln von 20 auf 22 Jahre angehoben hat. Der kostenlose Zugang zu Verhütungsmitteln dient der Vermeidung ungewollter Schwangerschaften und damit Schwangerschaftsabbrüchen. Die freie Zurverfügungstellung von Verhütungsmitteln sollte weiter diskutiert werden. Ein dahingehender Gesetzesvorschlag wurde zwar abgelehnt, jedoch auch von der regierenden CDU/CSU-Fraktion als richtige Zielrichtung aufgefasst.[67] Es muss daher an die Legislative appelliert werden, Verhütungsmittel – insbesondere für Personen mit geringem Einkommen oder für Sozialhilfeempfänger – kostengünstiger oder kostenfrei anzubieten.
[*] Wiebke Winter, LL.B., ist Doktorandin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Medizinrecht der Bucerius Law School.
[1] Gropp, in: Münchener Kommentar StGB (2017), § 219a Rn. 3; vgl. Duttge, in: Prütting, Medizinrechtskommentar (2016), § 219a StGB Rn. 3.
[2] Fraktion DIE LINKE: BT-Drs. 19/93; Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: BT-Drs. 19/630; Fraktion SPD: BT-Drs. 19/1046; Fraktion FDP: BT-Drs. 19/820.
[3] BGBl. I 2019, S. 350; BT-Drs. 19/7693.
[4] Für einen verbesserten Lesefluss wird in diesem Aufsatz das generische Maskulinum verwendet. Ausnahme bilden die schwangeren Patientinnen, die schon aus biologischen Gründen nur weiblich sein können.
[5] Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz vom 21. August 1995 (BGBl. I S. 1050 ff.); vgl. zu vorherigen Lösungsmöglichkeiten und der Debatte in den 1970er Jahren BVerfGE 39, 1 ff.; 5. StÄG; 5. StrRG; ausführlich dazu Gropp, a.a.O. (Fn. 1), vor §§ 218 ff. Rn. 1 ff.
[6] BVerfGE 88, 203 ff.
[7] S. http://www.kristinahaenel.de/page_abbruch.php.
[8] AG Gießen medstra 2018, 126; LG Gießen medstra 2019, 119, 120; vgl. auch Kühl, in: Lackner/Kühl, StGB (2018), § 219a Rn. 2 ff.; kritisch Hoven, Stellungnahme zur Öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestages zum Gesetzentwurf der Bundesregierung (BR-Drs. 71/19) und Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD (BT-Drs. 19/7693) zur Verbesserung der Information über einen Schwangerschaftsabbruch, S. 1 f.; a.A. wohl Knauer/Brose in: Spickhoff, Medizinrecht (2018), § 219a, b StGB, Rn. 2.
[9] Vgl. BT-Drs. 19/7693, S. 1; kritisch dazu Vorhoff, Stellungnahme zu § 219a StGB vor dem Rechtsausschuss, S. 1.
[10] S. Fn. 2.
[12] BGBl. I Nr. 9, S. 350; dabei wurde ein § 13 Abs. 3 und § 13a SchKG an- bzw. eingefügt.
[14] BT-Drs. 19/7693, S. 2, 11.
[15] OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 27.6.2019, Az. 1 Ss 15/19: Das OLG Frankfurt hat das Urteil des LG Gießen aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Verhandlung and das LG Gießen zurückverwiesen. Dies begründete das Gericht damit, dass sie einerseits die neue Gesetzeslage berücksichtigen müssten, andererseits aber an die Feststellungen des Landgerichts gebunden seien, vgl. OLG Frankfurt a. M., Pressemitteilung vom 3. Juli 2019, Nr. 36/2019.
[16] BT-Drs. 19/7693, S. 1; Kubiciel, Stellungnahme in der Öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Justiz und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestags zum Gesetzentwurf der Bundesregierung (BR-Drs. 71/19) und Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD (BT-Drs. 19/7693) zur Verbesserung der Information über einen Schwangerschaftsabbruch, S. 3.
[17] Vgl. dazu ausführlich Dorneck medstra 2019, 137, 139 f.
[18] Frommel jM 2019, 165, 166.
[19] So ausführlich auch Dorneck medstra 2019, 137, 139.
[20] Hoven, a.a.O. (Fn. 7), S. 4 f.
[22] Kubiciel jurisPR-StrafR 4/2019 Anm. 1.
[23] So auch Dorneck medstra 2019, 137, 140; a.A. Kubiciel jurisPR-StrafR 4/2019 Anm. 1.
[24] A.A. Duttge, in: Beckmann, Duttge, Gärditz, Hillgruber, Windhöfel (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Herbert Tröndle (2019), S. 727 (im Erscheinen) hält die Änderung für zu weitgehend.
[25] Jusos, Beschluss G1 "Für ein Recht auf reproduktive Selbstbestimmung: Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen" vom Juso-Bundeskongress 2018, die eine gesamte Abschaffung der §§ 218 ff. BGB fordern; DJB, Stellungnahme zum Referentenentwurf des BMJV "Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Informationen über einen Schwangerschaftsabbruch" vom 28. Januar 2019 und zum Eckpunktepapier zur "Verbesserung der Information und Versorgung in Schwangerschaftskonfliktlagen" vom 12. Dezember 2018, 31. Januar 2019, S. 2; Hoven, a.a.O. (Fn. 7), S. 5; Frommel medstra 2019, 129 sowie jM 2019, 165 ff. hält die Ausarbeitung für nicht gelungen.
[26] Sowada ZfL 2018, 24; DJB a.a.O. (Fn. 24), S. 3; ähnlich Rahe JZ 2018, 232, 235.
[27] BVerfGE 39, 1; Eschelbach, in: BeckOK StGB, v. Heintschel-Heinegg, 41. Edition (Stand: 1. Februar 2019), § 218 Rn. 1.
[28] Hecker in: Schönke/Schröder StGB (2019), Vorb. zu § 1, Rn. 30; Hillenkamp, Hess. Ärzteblatt, 2/2018, 92; dazu auch Jakobs ZStW 97 (1985), 751 ff.
[29] Merkel, in: NK StGB (2017), § 219a Rn. 2.
[30] BT-Drs. 7/1981 (neu), S. 17 f.; LG Gießen medstra 2019, 119, 120.
[31] S. zu dem Vergleich Duttge, a.a.O. (Fn. 23), S. 719 f. (im Erscheinen).
[32] Merkel, in: NK StGB (2017), § 219a Rn. 2.
[33] Knauer/Brose, in: Spickhoff, Medizinrecht (2018), § 217 StGB Rn. 1; Duttge, a.a.O. (Fn. 23), S. 720 (im Erscheinen).
[34] Vgl. Dorneck medstra 2019, 136, 139, die darin eine Schwäche des neuen Gesetzes sieht.
[35] Vgl. zur Historie Gropp, a.a.O. (Fn. 1), vor §§ 218 ff. Rn. 6 ff.
[36] Dafür vor Rechtsänderung KriK ZfL 2018, 31,32; Merkel, in: NK StGB (2017), § 219a Rn. 3a; DJB, a.a.O. (Fn. 24), S. 2; ablehnend Hillenkamp, Hess. Ärzteblatt, 2/2018, 92, 93.
[37] DJB, a.a.O. (Fn. 24), S. 3.
[38] So im Ergebnis auch Satzger ZfL 2018, 22, 24; vgl. auch Gärditz ZfL 2018, 18, 19 f.
[39] Für Einschränkung (bei alter Rechtslage) KriK ZfL 2018, 31ff.; Weigend ZfL 2018, 120 f.
[40] LG Gießen medstra 2019, 119, 121; DJB, a.a.O. (Fn. 24), S. 3.
[41] Rahe JZ 2018, 232, 236 f.
[42] Schmidt, in: Erfurter Kommentar (2019), Art. 12 GG, Rn. 23 ff.
[43] Berghäuser JZ 2018, 497, 500.
[44] Vgl. Beschlussprotokoll des 121. Deutschen Ärztetages, Entschließung TOP Ic (S. 239 ff.).
[45] So Walter ZfL 2018, 26, 27 f.; ausführlich zudem Rahe JZ 2018, 232, 235 f.
[46] Vgl. BVerfG NJW 1958, 1035 ff.; BVerfG NJW 1961, 2011, 2013 f.; Scholz, in: Maunz/Dürig GG (2018), Art. 12 Rn. 336; vgl. Kubiciel, a.a.O. (Fn. 15), S. 6.
[47] Vgl. dazu bspw. pars pro toto § 14 der Berufsordnung Hamburger Ärzte und Ärztinnen.
[48] Berghäuser JZ 2018, 497, 502; Kubiciel, a.a.O. (Fn. 15), S. 2; Rahe JZ 2018, 232, 237; a.A. DJB, a.a.O. (Fn. 24), S. 3.
[49] Kubiciel, a.a.O. (Fn. 15), S. 6; a.A. Hoven a.a.O. (Fn. 7), S. 3.
[50] BVerfG ZfL 2006, 135, 138.
[51] Duttge, a.a.O. (Fn. 23) S. 715 (im Erscheinen); DJB, (Fn. 24), S. 3 sieht Recht weiterhin unzumutbar eingeschränkt; ähnlich wohl Hillenkamp, Hess. Ärzteblatt 2/2018, 92, 93.
[52] So auch LG Bayreuth ZfL 2007, 16 f.; Kubiciel jurisPR-StrafR 4/2019 Anm. 1.; i.E. zustimmend Rahe JZ 2018, 232, 236; auch europarechtlich ist die Norm mit dem Hinweis auf ein überwiegendes Allgemeinwohlinteresse wohl nicht zu beanstanden.
[53] Gesetz zur Abänderung strafrechtlicher Vorschriften v. 26.5.1933.
[54] Eingehend dazu Frommel jM 2019, 165, 168 f.
[55] Ausführlich Hillenkamp, Hess. Ärzteblatt 2/2018, 92; zudem Duttge, a.a.O. (Fn. 23), S. 717 (im Erscheinen); Kubiciel ZfL 2018, 110 f.; Schweiger ZRP 2018, 98, 99; anders Fraktion DIE LINKE: BT-Drs. 19/93; Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: BT-Drs. 19/630.
[56] Kritisch Weilert ZfL 2019, 135, 138 (im Erscheinen).
[57] Kubiciel, a.a.O. (Fn. 15), S. 2.
[58] Dazu auch Duttge, a.a.O. (Fn. 23), S. 727 (im Erscheinen).
[59] Definition Wikipedia (https://de.wikipedia.org/wiki/Framing-Effekt, zul. abgerufen am 31. Mai 2019): "Framing (deutsch etwa: Einrahmungseffekt) bedeutet, dass unterschiedliche Formulierungen einer Botschaft – bei gleichem Inhalt – das Verhalten des Empfängers unterschiedlich beeinflussen.".
[60] Berghäuser, Anm. zu LG Gießen, medstra 2019, 119, 123.
[61] Weilert ZfL 2019, 135, 138 (im Erscheinen); ähnlich Duttge, a.a.O. (Fn. 23), S. 714 (im Erscheinen).
[62] Sowada ZfL 2018, 24; Gärditz ZfL 2018, 18, 19.
[63] Kubiciel, a.a.O. (Fn. 15), S. 2; Berghäuser JZ 2018, 497, 501 f.; Gärditz ZfL 2018, 18, 19; Satzger ZfL 2018, 22, 23; zweifelnd: Rahe JR 2018, 232, 234.
[64] Gärditz ZfL 2018, 18, 19; kritisch Hoven ZfL 2018, 30, KriK ZfL 2018, 31.
[65] BVerfGE 88, 203, 264 ff.
[66] Berghäuser JZ 2018, 497, 501; Frommel ZfL 2018, 17, 18; Gärditz ZfL 2018, 18, 22; Kubiciel, a.a.O. (Fn. 14), S. 2; zweifelnd Rahe JR 2018, 232, 234; a.A. Hoven, a.a.O. (Fn. 7), S. 1 f.
[67] BT-Drs. 19/7858, S. 6.