HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Aug./Sept. 2019
20. Jahrgang
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V. Wirtschaftsstrafrecht und Nebengebiete


Entscheidung

773. BGH 1 StR 467/18 - Beschluss vom 11. Juli 2019

Anfrageerfahren; Einziehung von Taterträgen und des Wertes von Taterträgen im Jugendstrafverfahren (Ermessen des Tatrichters).

§ 132 Abs. 3 Satz 1 GVG; § 73 Abs. 1 StGB; § 73c Satz 1 StGB; § 8 Abs. 3 Satz 1 JGG

Der Senat beabsichtigt zu entscheiden: Im Jugendstrafverfahren steht die Entscheidung über die Einziehung von Taterträgen nach § 73 Abs. 1 StGB und des Wertes von Taterträgen nach § 73c Satz 1 StGB im Ermessen des Tatgerichts (§ 8 Abs. 3 Satz 1 JGG).


Entscheidung

766. BGH 1 StR 127/19 - Beschluss vom 23. Mai 2019 (LG Neuruppin)

Steuerhinterziehung durch Unterlassen (Suspendierung von Erklärungspflichten nach dem nemo-tenetur-Grundsatz: grundsätzliches Fortbestehen von Erklärungspflichten im Steuerverfahren, insbesondere bei Möglichkeit der Selbstanzeige, Beschränkung der Erklärungspflicht bei deliktisch erlangten Einkünften, hier: Steuererklärungspflicht bei Erlangung von Tabakwaren durch Steuerhehlerei).

Art. 1 Abs. 1 GG; Art. 2 Abs. 1 GG; Art. 20 Abs. 3 GG; Art. 6 Abs. 1 EMRK; § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO; § 393 Abs. 1 Satz 1 AO; § 374 Abs. 1 AO; § 23 Abs. 1 Satz 2, 3 TabStG

1. Erlangt jemand unversteuerte und unverzollte Tabakwaren durch eine Steuerhehlerei, ist er mit Hinblick auf den nemo-tenetur-Grundsatz nicht zur Abgabe einer

Steuererklärung nach § 23 Abs. 1 Satz 2 und 3 TabStG verpflichtet und macht sich folglich auch nicht einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen strafbar.

2. Im steuerlichen Verfahren besteht die Pflicht zur Mitwirkung grundsätzlich auch dann fort, wenn der Steuerpflichtige sich durch die Erfüllung dieser Pflicht selbst belasten könnte. Im Hinblick auf eine mögliche Strafbarkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO im Falle des Unterlassens von den Erklärenden möglicherweise selbst belastenden Angaben wird die Selbstbelastungsfreiheit jedoch in Ausnahmefällen dadurch gewährleistet, dass die Strafbewehrung der steuerlichen Pflichten suspendiert ist (vgl. BGHSt 47, 8, 15 f.). In der Regel bestehen die Erklärungspflichten jedoch fort, wenn der Betroffene auf andere Weise, insbesondere durch ein strafrechtliches Verwendungsverbot ausreichend geschützt werden kann (vgl. BGHSt 60, 188 Rn. 22 mwN). In diesem Zusammenhang ist vor allem danach zu differenzieren, ob sich die in Rede stehende Erklärungspflicht auf den durch das Strafverfahren betroffenen oder einen anderen Veranlagungszeitraum bezieht (vgl. BGHSt 47, 8, 12 ff.).

3. Für den Fall deliktisch erlangter Einkünfte ist anerkannt, dass der nemo-tenetur-Grundsatz zu einer Reduzierung des Umfangs der Erklärungspflicht führt. Der Steuerpflichtige ist zwar verpflichtet, den Umfang der illegal erworbenen Vermögenswerte in der Steuererklärung anzugeben, er muss aber keine weiteren Angaben über deren genaue Herkunft machen.

4. Dem Erklärungspflichtigen sind allerdings dann keinerlei Rechte aus dem nemo-tenetur-Grundsatz zuzubilligen, wenn er die Strafverfolgung für bereits begangene Steuerhinterziehungen durch die Abgabe einer wirksamen Selbstanzeige nach § 371 AO vermeiden kann (vgl. BGHSt 60, 188 Rn. 22).


Entscheidung

765. BGH 1 StR 92/19 - Beschluss vom 21. Mai 2019 (LG Mannheim)

Beihilfe zur Steuerhinterziehung durch Unterlassen (steuerliche Erklärungspflicht als besonderes persönliches Merkmal).

§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO; § 27 Abs. 1 StGB; § 28 Abs. 1 StGB; § 49 Abs. 1 StGB

Die sich auf die Tatbestandsvoraussetzungen der Pflichtwidrigkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO gründende steuerliche Erklärungspflicht ist nach der geänderten Rechtsprechung des Senats ein strafbarkeitsbegründendes besonderes persönliches Merkmal nach § 28 Abs. 1 StGB. Bei einem Gehilfen, der im Zeitpunkt der Gehilfenhandlung nicht selbst zur Aufklärung der Finanzbehörde verpflichtet ist, ist daher eine Strafrahmenverschiebung nach § 28 Abs. 1, § 49 Abs. 1 StGB neben der Milderung nach § 27 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB vorzunehmen, es sei denn, das Tatgericht hätte allein wegen Fehlens der Erklärungspflicht Beihilfe statt Täterschaft angenommen.


Entscheidung

764. BGH 1 StR 8/19 - Beschluss vom 7. Mai 2019 (LG Hof)

Einschleusen von Ausländern (Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung: Voraussetzungen, kein Entfallen der Qualifikation bei Einwilligung des Geschleusten; lebensgefährliche Behandlung: Voraussetzungen).

§ 96 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG

1. Eine Einwilligung des geschleusten Ausländers mit der Art und Weise ihrer Beförderung lässt die die Qualifikation des § 96 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG nicht entfallen. § 96 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG schützt vorrangig ein Rechtsgut der Allgemeinheit, das ebenfalls geschützte Individualinteresse des Geschleusten stellt sich lediglich als sekundäres Teilunrecht, also als bloße Steigerung des Unrechts dar.

2. Der Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung nach § 96 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG wird ein Ausländer ausgesetzt, wenn er während der Schleusung in die konkrete Gefahr gebracht wird, dass eine der in § 226 Abs. 1 StGB genannten schweren Folgen oder eine diesen nahekommende Schädigung eintritt. Dieses Merkmal entspricht den Qualifikationen unter anderem in § 225 Abs. 3 Nr. 1 StGB, § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c StGB und § 330 Abs. 2 Nr. 1 StGB. Für eine konkrete Gefahr ist erforderlich, dass die Sicherheit des Geschleusten nach objektivnachträglicher Prognose so stark beeinträchtigt ist, dass das Eintreten oder Ausbleiben einer schweren Gesundheitsschädigung nur noch vom Zufall abhängt.

3. Das Merkmal einer das Leben gefährdenden Behandlung in § 96 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG entspricht der Vorschrift des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB, so dass die dazu geltenden Grundsätze zur Auslegung herangezogen werden können. Das Merkmal ist erfüllt, wenn die Behandlung, der der Ausländer während der Schleusung ausgesetzt ist, nach den Umständen des Einzelfalls geeignet ist, eine Lebensgefahr herbeizuführen; eine konkrete Gefährdung des Lebens muss noch nicht eingetreten sein.


Entscheidung

779. BGH 3 StR 133/19 - Urteil vom 13. Juni 2019 (LG Berlin)

Zuwiderhandlung gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot (Erheblichkeit der Zuwiderhandlung; Abgrenzung von neutralen Handlungen; Bezug zu den Verbotsgründen; geringe Schuld; Zuwiderhandlung durch Außenstehenden; kein Erfordernis eines konkreten Nutzens für den Verein); Meinungsfreiheit (Auseinandersetzung mit straflosen Bedeutungen eines Liedes).

§ 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG; Art. 5 Abs. 1 GG

1. Das Merkmal einer gewissen Erheblichkeit der Zuwiderhandlung i.S.d. § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG führt nicht dazu, dass nur schwerwiegende Verstöße erfasst würden. Es dient vielmehr dazu, tatbestandsmäßige von eher neutralen Handlungen abzugrenzen, und stellt sicher, dass nur solches Verhalten bestraft wird, das gerade unter dem Gesichtspunkt der Verbotsgründe von Belang ist. Das Kriterium zielt hingegen nicht auf die Fälle geringer Schuld. Dies ergibt sich bereits aus der Vorschrift des § 20 Abs. 2 Nr. 1 Var. 1 VereinsG, der anderenfalls - zumindest weitestgehend - der Anwendungsbereich entzogen würde.

2. Im Sinne des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VereinsG handelt einem Betätigungsverbot nach § 18 Satz 2 VereinsG auch ein Außenstehender zuwider, wenn sein Verhalten auf die verbotene Vereinstätigkeit bezogen und dieser förderlich ist. Hierfür genügt es, dass das Täterhandeln konkret geeignet ist, eine für die verbotene Vereinstätigkeit vorteilhafte Wirkung hervorzurufen; auf die Feststellung eines tatsächlich eingetretenen messbaren Nutzens kommt es nicht an.

3. Eine Auseinandersetzung mit möglichen anderen straflosen Bedeutungen einer von der Meinungsfreiheit geschützten Äußerung ist entbehrlich, wenn sich nicht strafbare Bedeutungsinhalte nach den Begleitumständen, unter denen das betreffende Lied abgespielt wurde, als lediglich denktheoretische Möglichkeiten darstellen.


Entscheidung

783. BGH 3 StR 47/19 - Beschluss vom 2. Mai 2019 (LG Bochum)

Anwendung des vereinsrechtlichen Kennzeichenverbots auf Motoradwesten sog. Outlaw Motorcycle Gangs (Gesamterscheinungsbild; abweichende Regionalbezeichnung; gesetzgeberischer Wille; restriktive Auslegung; Verwenden in im Wesentlichen gleicher Form; Reichweite der Verbotsnorm).

§ 20 Abs. 1 Nr. 5 VereinsG; § 9 VereinsG

1. Ein Kennzeichen eines verbotenen Vereins wird nach dem nunmehr geltenden § 9 Abs. 3 VereinsG in „im Wesentlichen gleicher Form“ grundsätzlich auch dann verwendet, „wenn bei ähnlichem äußerem Gesamterscheinungsbild das Kennzeichen des verbotenen Vereins oder Teile desselben mit einer anderen Orts- oder Regionalbezeichnung versehen wird“ (§ 9 Abs. 3 S. 2 VereinsG). Damit fallen die Motoradwesten sog. Outlaw Motorcycle Gangs regelmäßig unter das – gem. § § 20 Abs. 1 Nr. 5 VereinsG strafbewehrte – Kennzeichenverbot, wenn die Gestaltung mit Ausnahme einer im sog. „Bottom Rocker“ abweichenden Ortsbezeichnung mit derjenigen einer verbotenen Gruppierung übereinstimmt (aufgrund der neuen Gesetzeslage abweichend gegenüber BGH HRRS 2015 Nr. 1018).

2. Auf eine restriktive Auslegung dahingehend, dass eine Tatbestandsverwirklichung ausscheidet, wenn sich aus dem Gesamtzusammenhang der Benutzung des Kennzeichens eindeutig ergibt, dass diese dem Schutzzweck der Norm nicht zuwider läuft, kommt es nicht (mehr) an, weil aufgrund des eindeutigen Wortlauts und des unmissverständlich zum Ausdruck gekommenen gesetzgeberischen Willens die entsprechenden Fälle von der Verbotsnorm erfasst sein sollten. Insbesondere ist diese nicht nur einschlägig, wenn etwa der Verwender persönliche Beziehungen zu den verbotenen Vereinen unterhalten oder sich selbst im Rahmen seiner Vereinsmitgliedschaft bereits strafbar gemacht hätte. Eine solche Einschränkung knüpft offenbar an das Merkmal des „Teilens der Zielrichtung des verbotenen Vereins“ an, das der Gesetzgeber indes gerade gestrichen hat.

3. Nachdem nunmehr auch die Strafnorm des § 20 Abs. 1 Nr. 5 VereinsG ausdrücklich auf § 9 Abs. 3 VereinsG verweist (vgl. zur früheren Rechtslage BGH HRRS 2015 Nr. 1018), ist der Verstoß gegen das Kennzeichenverbot auch im Fall des § 9 Abs. 3 VereinsG strafbewehrt.


Entscheidung

880. BGH 4 StR 590/18 - Beschluss vom 4. Juli 2019 (LG Coburg)

Unerlaubte Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Konkurrenzen; Beförderung von Rauschgift zu Handelszwecken; Verbindung zu einer materiellrechtlichen Tat).

§ 52 StGB; § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG; § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG

1. Bei einer Beförderung von Rauschgift zu Handelszwecken (Einfuhrfahrt, Transportfahrt vom Lieferanten zum Depot, Fahrt zum Abnehmer etc.) stehen weitere Gesetzesverstöße, die der Täter durch das Führen des Transportfahrzeugs verwirklicht, wegen der Teilidentität der Ausführungshandlungen zu dem in der Beförderung liegenden Betäubungsmittelhandel im Verhältnis der Tateinheit nach § 52 StGB.

2. Zu der von den Strafsenaten des Bundesgerichtshofs bislang unterschiedlich beantworteten Rechtsfrage, ob mehrere Taten der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge durch eine einheitliche, in ihren Ausführungshandlungen jeweils teilidentischen Tat des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer materiellrechtlichen Tat verbunden werden, wird auf die Gründe der Senatsbeschlüsse vom 21. Juni 2018 – 4 StR 647/17 und vom 6. Dezember 2017 – 4 StR 395/17 verwiesen. Diese Divergenz in den Auffassungen der Strafsenate hat zur Folge, dass der Senat bei einer den Angeklagten beschwerenden Annahme von Tatmehrheit eine Sachentscheidung zu dem Konkurrenzverhältnis erst nach Durchführung eines Anfrage- und Vorlageverfahrens nach § 132 Abs. 2 und 3 GVG treffen kann.


Entscheidung

794. BGH 3 StR 448/18 - Beschluss vom 10. Januar 2019 (LG Hannover)

Tatbestandliche Bewertungseinheit beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (auf Umsatz gerichtete Tätigkeit; Förderung desselben Güterumsatzes; konkrete Anhaltspunkte; Gleichzeitigkeit von Bezahlung einer vorausgegangenen und Abholung einer neuen Lieferung).

§ 29 BtMG; § 52 StGB

1. Handeltreiben mit Betäubungsmitteln im Sinne von § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG ist jede eigennützige, auf den Umsatz von Betäubungsmitteln gerichtete Tätigkeit, wobei verschiedene Betätigungen, die auf die Förderung ein und desselben Güterumsatzes abzielen, eine tatbestandliche Bewertungseinheit bilden. Dies gilt auch, wenn der Täter Rauschgift sukzessiv aus einer einheitlich von zu Verkaufszwecken erworbenen Handelsmenge weiterverkauft. Zwar ist es nicht geboten, festgestellte Einzelverkäufe zu einer Bewertungseinheit zusammenzufassen, nur weil die nicht näher konkretisierte Möglichkeit besteht, dass sie ganz oder teilweise aus einem Verkaufsvorrat stammen. Liegen aber nach den Feststellungen konkrete Anhaltspunkte für eine Bewertungseinheit

vor, darf das Tatgericht darüber ohne Erörterung nicht hinweggehen.

2. Bei aufeinanderfolgenden, sich auf unterschiedliche Betäubungsmittelmengen beziehenden Umsatzgeschäften liegt eine jedenfalls teilweise, Tateinheit begründende Überschneidung der objektiven Ausführungshandlungen darin, dass sich der Täter zu seinem Lieferanten begibt, um einerseits die vorangegangene Lieferung zu bezahlen und dabei zugleich eine neue, zuvor bestellte Lieferung abzuholen. In diesen Fällen dient das Aufsuchen des Lieferanten als verbindendes Element gleichermaßen beiden Umsatzgeschäften, so dass dieses als teilidentische Ausführungshandlung die Annahme von Tateinheit im Sinne von § 52 Abs. 1 StGB begründet (vgl. bereits BGH HRRS 2018 Nr. 679).

3. Selbst ohne eine für alle Umsatzgeschäfte teilidentische Ausführungshandlung verbinden sich mehrere Handelsgeschäfte zu einer einheitlichen Tat im Sinne einer natürlichen Handlungseinheit, wenn es im Rahmen einer bestehenden Lieferbeziehung zur Entgegennahme weiterer Betäubungsmittel aus Anlass der Bezahlung bereits zuvor „auf Kommission“ erhaltener Rauschgiftmengen kommt. Nichts anderes hat zu gelten, wenn ein Lieferant seinerseits im Rahmen einer bestehenden Handelsbeziehung Rauschmittel an seinen Abnehmer übergibt und gleichzeitig das Geld für vorangegangene Lieferungen entgegennimmt.


Entscheidung

838. BGH 2 StR 287/18 - Beschluss vom 5. Juni 2019 (LG Meiningen)

Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (Konkurrenzen: Bewertungseinheit bei Beschaffung eines Verkaufsvorrates; keine grundsätzliche Verklammerung durch wiederholtes Auffüllen des Betäubungsmittelvorrats; fehlende Feststellung des Wirkstoffgehaltes).

§ 29 BtMG; § 46 Abs. 3 StGB; 52 Abs. 1 StGB

1. Eine Bewertungseinheit kann sich daraus ergeben, dass der Täter sich einen zum Verkauf bestimmten Verkaufsvorrat beschafft oder darüber verfügt. Bereits mit dem Beschaffen der dem späteren Güterumsatz dienenden einheitlichen Rauschgiftmenge ist der Tatbestand des Handeltreibens in Bezug auf die Gesamtmenge erfüllt. Zu dieser Tat gehören dann auch alle späteren Betätigungen, die auf den Vertrieb desselben Rauschgifts gerichtet sind. Auf die zahlreichen Einzelverkäufe kommt es daher nicht an. Dies gilt unabhängig von der Zahl der Abnehmer und auch dann, wenn sich der einheitliche Erwerbsvorgang auf verschiedene Betäubungsmittelarten bezieht, so dass auch in einem solchen Fall Bewertungseinheit zwischen dem Erwerb und der sukzessiven Abgabe der unterschiedlichen Betäubungsmittel besteht.

2. Das wiederholte Auffüllen eines Betäubungsmittelvorrats führt grundsätzlich nicht zur Verklammerung der Erwerbsakte zu einer Bewertungseinheit. Der bloße Umstand, dass bei jedem Neukauf noch Reste der vorangegangenen Lieferung vorhanden waren, die mit dem neuerworbenen Rauschgift vermischt wurden, verbindet nicht sämtliche Ankäufe zu einer einheitlichen Vorratsmenge. Dies gilt selbst dann, wenn die einzelnen Portionen von einem Lieferanten erworben worden waren, und dieser sie seinerseits aus einem einheitlichen Vorrat entnommen. Allein der gleichzeitige Besitz mehrerer Drogenmengen verbindet die hierauf bezogenen Handlungen nicht zu einer Tat des unerlaubten Handeltreibens.

3. Mehrere Taten des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln – unabhängig vom Vorliegen einer Bewertungseinheit – stehen zueinander dann in Tateinheit im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB, wenn ihre tatbestandlichen Ausführungshandlungen sich – teilweise – überschneiden. Da das Vorhalten einer Handelsmenge zum Vertrieb als Teilakt des Handeltreibens anzusehen ist, vermag der gleichzeitige Besitz zweier für den Verkauf bestimmter Vorräte jedenfalls dann Tateinheit in diesem Sinne zu begründen, wenn die Art und Weise der Besitzausübung über eine bloße Gleichzeitigkeit hinausgeht und die Wertung rechtfertigt, dass – etwa wegen eines räumlichen und zeitlichen Zusammenhangs – die tatsächliche Ausübung des Besitzes über die eine Menge zugleich die Ausübung der tatsächlichen Verfügungsgewalt über die andere darstellt.

4. Auf konkrete Feststellungen zum (vorgestellten) Wirkstoffgehalt kann bei Verurteilung von Verbrechen nach dem Betäubungsmittelgesetz regelmäßig nicht verzichtet werden. Denn der Wirkstoffgehalt wirkt sich entscheidend insbesondere auf den Schuldumfang der Taten. Führt bereits das Beschaffen der dem späteren Güterumsatz dienenden einheitlichen Rauschgiftmenge zur Verwirklichung des Tatbestands des Handeltreibens in Bezug auf die Gesamtmenge kann es genügen, entsprechende (Mindest-)Feststellungen zu dem erworbenen Verkaufsvorrat zu treffen. Diese werden regelmäßig ausgehend von der sichergestellten Betäubungsmittelmenge und den zuvor tatsächlich durchgeführten Verkäufen getroffen werden können. Hierzu wird es allerdings – wie stets – nicht genügen, bloße Mengenangaben oder lediglich allgemeinen Qualitätsangaben oder von den Beteiligten gewählte Handelsbezeichnungen anzugeben, die einen Wirkstoffgehalt nicht erkennen lassen. Sind konkrete Feststellungen anhand der sichergestellten Betäubungsmittel oder der durchgeführten Testkäufe nicht möglich, ist der Tatrichter gehalten, die notwendigen Feststellungen zu Menge und Wirkstoffgehalt im Wege einer Schätzung nach den dazu von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zu treffen.


Entscheidung

864. BGH 4 StR 176/19 - Beschluss vom 2. Juli 2019 (LG Detmold)

Fahren ohne Fahrerlaubnis (Fahrtunterbrechungen).

§ 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG

Das Dauerdelikt des § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG umfasst die gesamte von vornherein auch über eine längere Wegstrecke geplante Fahrt bis zu deren endgültigem Abschluss, ohne dass kurzzeitige Fahrtunterbrechungen zu einer Aufspaltung der einheitlichen Tat führen. Etwas anderes gilt nur, wenn die Fortsetzung der Fahrt auf einem neu gefassten Willensentschluss des Täters beruht.