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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Aug./Sept. 2019
20. Jahrgang
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Von Oberstaatsanwältin Dr. Dagmar Schubert, Verden[*]
Eine so umfassende gesetzliche Neuregelung, wie die seit 1.7.2017 geltende zum Recht der Vermögensabschöpfung benötigt einige Zeit, um in der Rechtswirklichkeit anzukommen. Sie muss von den verschiedenen Rechtsanwendern auf ihre Praxistauglichkeit getestet und in das bestehende Rechtssystem in ihrer praktischen Anwendung eingefügt werden, weshalb auch jede obergerichtliche Entscheidung zum neuen Regelungswerk von besonderem Interesse ist.
Das neue Recht der Vermögensabschöpfung verlangt in § 73 StGB zwingend eine Einziehungsentscheidung, wenn Täter oder Teilnehmer durch eine Straftat etwas erlangt haben. Auf den ersten Blick handelt es sich dabei um eine Regelung, die zwar dem Grundsatz "Straftaten dürfen sich nicht lohnen!" gerecht wird, aber auch nicht unerheblichen zusätzlichen Aufwand verursacht. Umso hilfreicher ist die Entscheidung des BGH vom 11.12.2018[1], die ausführlich die Möglichkeit, die rechtlichen Hintergründe und Grenzen des formlosen Verzichts beleuchtet.
Das Vorgehen im Wege der formlosen außergerichtlichen Einziehung ist auch nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017[2] weiterhin möglich, wenn der Senat in seiner Entscheidung vom 11.12.2018 auch darauf hinweist, dass die formlose Einziehung auf einfachere, eindeutige Fälle beschränkt sein sollte.
Der Entscheidung liegt der Fall zugrunde, dass ein Angeklagter wegen Handels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in der Hauptverhandlung auf Wertpapiere, Bargeld und Edelmetalle verzichtet hatte und das Gericht in seiner abschließenden Entscheidung auch die Einziehung angeordnet hat. Der BGH befasst sich damit, unter welchen Voraussetzungen ein Verzicht wirksam ist und welche Wirkung er entfaltet. Im Ergebnis schließt er sich der Auffassung an, nach der es sich bei der sogenannten "außergerichtlichen Einziehung" um eine rechtsgeschäftliche Willenserklärung des Angeklagten an den Justizfiskus handele, die auf Übertragung des Eigentums an einem sichergestellten Gegenstand gerichtet sei. Soweit der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft eine Verzichtserklärung annehme, handele er innerhalb der ihm eingeräumten Vertretungsmacht für den Justizfiskus.
In der Besprechung der BGH-Entscheidung ist bereits herausgearbeitet worden[3], wie wichtig es für den Beschuldigten im Hinblick auf dessen Privatautonomie sein kann, über die Möglichkeit des Verzichts auf sichergestellte Gegenstände selbständig zu einem von ihm bestimmten Zeitpunkt entscheiden zu können. Schließlich gebe die Erklärung eines Verzichts auf vorläufig gesicherte Vermögenswerte dem Beschuldigten die Möglichkeit, die eigene Schuldeinsicht und Reue zu zeigen und als strafmilderndes Nachtatverhalten bewertet zu sehen. Dem Beschuldigten stehe es in jeder Phase des Strafverfahrens frei, den Anspruch des Staates zu erfüllen.[4] Einer Entscheidung des Strafrichters bedürfe es dann nicht mehr.[5] Er wäre also, wie auch die strafvollstreckende Staatsanwaltschaft, entlastet.
Auch den Urteilen des BGH vom 10.4.2018 (5 StR 611/17)[6], 7.6.2018 (4 StR 63/18)[7], 13.12.2018 (3 StR 307/18)[8] und dem Beschluss vom 10.12.2018 (5 StR 539/18)[9] ist zu entnehmen, dass die Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung einem formlosen Verzicht grundsätzlich nicht im Wege steht. Nur versteht
es sich keineswegs von selbst, dass der Einziehungsbetroffene tatsächlich Eigentum an der Sache erlangt hat, auf die er verzichtet und bei der es sich um Tatbeute handelt.[10] Dann aber bliebe trotz Verzichts eine Einziehungsentscheidung erforderlich. Wenn die Privatautonomie des Beschuldigten für die Möglichkeit einer Verzichtserklärung streitet, was spricht dann dagegen und für eine förmliche Einziehungsentscheidung trotz der Möglichkeit zum Verzicht?
Nicht generell kann davon ausgegangen werden, dass ein Verzicht für den Beschuldigten zu einer Strafmilderung führt. Auch dies hängt, wie viele Fragen im Zuge der Reaktion auf strafbares Verhalten, vom Einzelfall ab. Ist im Extremfall die Einziehung rechtlich unerlässlich, liegt eine Strafmilderung sogar eher fern.[11]
Im Falle des Vorliegens von originär Erlangtem stellt sich die gewichtige Frage des Eigentumserwerbs. Nur, wenn der Beschuldigte tatsächlich zweifelsfrei Eigentum an der Tatbeute erlangt hat, kann er diese im Wege des Verzichts – frei von Rechten Dritter – dem Staat gem. § 929 S. 2 BGB übereignen.[12]
Stand der sichergestellte Vermögenswert dem von der Einziehung Betroffenen oder einem Dritten zu, der Kenntnis von den Tatumständen hatte, geht das Eigentum bei Einziehung (auch) nach Rechtslage seit 1.7.2017 mit Rechtskraft einer Einziehungsentscheidung auf den Staat über (§ 75 Abs. 1 Satz 1 StGB).
Im Falle des stattgefundenen Eigentumserwerbs durch den Täter/Teilnehmer mag der Verzicht also eine "Abkürzung" auf dem Weg der Wiederherstellung der Vortatrechtsverhältnisse und hin zu einer zeitnahen gerechten Sachverhaltsklärung sein.
Anderenfalls, wenn also ein wirksamer Eigentumserwerb durch den Erklärenden gar nicht stattgefunden hat[13], geht die Verzichtserklärung ins Leere.[14] Und es ist bei Weitem kein Einzelfall, dass nach erklärtem Verzicht später Dritte ein begründetes Recht an einem Einziehungsgegenstand geltend machen. Wäre in einem solchen Fall kein Verzicht erfolgt, sondern eine Einziehungsentscheidung ergangen, hätte der Staat aufschiebend bedingt Eigentum erworben.[15] Dem Eigentümer blieben sechs Monate, um sein Recht im Nachverfahren der Vollstreckungsbehörde gegenüber geltend zu machen (§ 433 StPO).
Die Eigentumsverhältnisse sind also bezüglich des originär Erlangten nach einer rechtskräftigen Einziehungsentscheidung klar geregelt, nicht unbedingt aber nach einem Verzicht.
Sind im Falle der Wertersatzeinziehung im Ermittlungsverfahren Vermögenswerte in Vollziehung eines Vermögensarrestes zugunsten der Verletzten gesichert worden, vermag der Verzicht jedenfalls keinen staatlichen Anspruch auf Zahlung eines Einziehungsbetrages zu begründen, zu dessen Befriedigung die gesicherten Vermögenswerte verwertet werden dürften.[16] Außerdem wird dem Entschädigungsverfahren die Grundlage entzogen. Nur mit Rechtskraft einer Einziehungsentscheidung erlangt nämlich der Staat im Falle der Wertersatzeinziehung einen Anspruch auf Zahlung des vom Gericht festgesetzten Wertersatzbetrages, entweder zu Gunsten der Staatskasse (sofort oder nach sechs Monaten) oder aber zur Entschädigung etwaiger Verletzter.[17] Nur aus der korrekt herausgearbeiteten Einziehungsentscheidung ergibt sich, welcher Tatverletzte in welcher Höhe aus den gesicherten Vermögenswerten zu entschädigen ist.[18]
Für die Staatsanwaltschaft, die einen Verzicht annimmt, besteht zum einen das Risiko, dass wegen vorrangiger Pfändungen die Rechte an dem Wertgegenstand trotz vorläufiger Vermögenssicherung letztlich an einen nicht am Strafverfahren unmittelbar oder mittelbar Beteiligten Dritten übergehen.[19] Zum anderen trägt ab Rechtsübergang der Justizfiskus, der den Zeitpunkt der Verzichtserklärung ggf. nicht steuern kann, das Risiko des Wertverlusts[20], ohne zu wissen, wie eine spätere Einziehungsentscheidung getroffen worden wäre.
Probleme können bei unterbliebener Einziehungsanordnung auch auftreten, wenn bezüglich des Beschuldigten im Nachgang zur Hauptverhandlung ein Insolvenzverfahren eröffnet wird. Dann könnte ein erklärter Verzicht auf das Taterlangte zugunsten des Staates unter Umständen unter den Voraussetzungen der §§ 129 ff. InsO durch den Insolvenzverwalter angefochten werden.[21] Eine isolierte Verteilung des Wertersatzes für die Tatbeute an die durch die Straftat Verletzten entfiele.
Im Ergebnis bleibt es dem Beschuldigten unbenommen, eine Verzichtserklärung im Sinne eine Willenserklärung auf Eigentumsübertragung oder im Sinne eines unwiderruflichen Verzichts auf etwa bestehende Rechte an sichergestellten Gegenständen abzugeben[22] , um nach § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB eine Strafmilderung zu erreichen. Die Staatsanwaltschaft sollte wegen der bestehenden erheblichen rechtlichen Risiken[23] aber genau prüfen und im Zweifel zurückhaltend dabei sein, den Verzicht anzunehmen und eine Annahme (die nach Auffassung des BGH nicht unbedingt der ausdrücklichen Erklärung be-
darf[24]) ggf. sofort ausdrücklich ablehnen. In einfach und übersichtlich gelagerten Fällen[25] kann der Verzicht eine schnelle Lösung der Einziehungsfrage darstellen, die dann allerdings ebenso einfach auch förmlich zu treffen wäre. In umfangreicheren Verfahren, insbesondere mit einer Mehrzahl an Verletzten, mag die korrekt getroffene Einziehungsentscheidung aufwändig erscheinen, bildet aber die Grundlage für eine sich daran anschließende klar geregelte Strafvollstreckung mit zügig zu realisierendem Verteilungsverfahren. Dabei ist seitens der Staatsanwaltschaft auch zu bedenken, dass es bei wirksamem Verzicht des Angeklagten auf einen sichergestellten Gegenstand keiner Einziehungsentscheidung mehr bedarf[26] und es für einen entsprechenden Antrag, sollte sich dafür nachträglich noch eine Notwendigkeit ergeben, möglicherweise kein Rechtsschutzbedürfnis mehr besteht.
Immerhin hat es das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung zum erklärten Ziel, das bestehende Regelungskonzept der "Rückgewinnungshilfe" durch ein gerechtes und opferfreundliches Entschädigungsmodell zu ersetzen.[27] Dieses neue Modell mag nun auch mit Leben erfüllt werden.
[*] Die Verfasserin ist Leiterin der Zentralstelle für Korruptionsstrafsachen bei der Staatsanwaltschaft Verden, zuständig auch für Vermögensermittlungen. Der Beitrag gibt ihre persönliche Auffassung wieder.
[1] BGH Beschluss vom 11.12.2018 (5 StR 198/18) = HRRS 2019 Nr. 109.
[3] Vgl. Habetha NJW 2019, 1642 ff.
[4] Habetha NJW 2019, 1642, 1644.
[5] So auch BGH Urteil vom 10.4.2018 (5 StR 611/17), NStZ 2018, 333 = HRRS 2018, Nr. 457.
[6] NStZ 2018, 333 = HRRS 2018, Nr. 457.
[7] NStZ-RR 2018, 341 (Leitsatz); Volltext in juris.
[8] BGH Urteil vom 13.12.2018 (3 StR 307/18), BeckRS 2018, 40771 RN 6 = HRRS 2019, Nr. 497.
[9] NStZ-RR 2019, 108 (Leitsatz) = HRRS 2019, Nr. 137.
[10] Habetha NJW 2019, 1642, 1644.
[11] Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 9. A., 2018, § 33 Rn 52.
[12] Vgl. Schuster zu 5 StR 611/17, NZWiSt 2018, 510, 512.
[13] Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, § 33 Rn 51; Köhler NStZ 2017, 497, 500.
[14] BGH Urteil vom 10.4.2018 (5 StR 611/17), NStZ 2018, 333 = HRRS 2018, Nr. 457.
[15] Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, § 33 Rn 163.
[16] Reitemeier, Vermögensabschöpfung, 2018, S. 205.
[17] Vgl. Reitemeier, Vermögensabschöpfung, S. 207.
[18] Reitemeier/Koujouie, Das neue Recht der Vermögensabschöpfung, 2017, S. 78.
[19] Vgl. Savini, Handbuch zur Vermögensabschöpfung nach altem und neuem Recht, 2017, S. 257.
[20] Rönnau/Hohn wistra 2002, 445, 453.
[21] Laustetter jurisPR-StrafR 12/2018 Anm. 5 C.
[22] BGH, Beschluss vom 11.12.2018 (5 StR 198/18) RN 13 = HRRS 2019, Nr. 109.
[23] Köhler NStZ 2017, 497, 501.
[24] BGH Beschluss vom 11.12.2018 (5 StR 198/18) RN 22 f. = HRRS 2019, Nr. 109.
[25] Nur solche hat eben auch der BGH im Blick in seinem Beschluss vom 11.12.2018 (5 StR 198/18) RN 32 = HRRS 2019, Nr. 109.
[26] BGH, Beschluss vom 10.12.2018 (5 StR 539/18), NStZ-RR 2019, 108 (Leitsatz) = HRRS 2019, Nr. 137.
[27] Vgl. Regierungsentwurf zum Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13.4.2017, BT-Drs. 18/9525, S. 61.