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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Mai 2019
20. Jahrgang
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1. Ein im Ermittlungsverfahren im Auftrag der Polizei tätig gewordener Übersetzer kann nur dann gemäß § 74 StPO als befangen abgelehnt werden, wenn er in der
Hauptverhandlung vom Gericht als Sachverständiger gehört wird. (BGHR)
2. Zweifeln an der Richtigkeit der in die Hauptverhandlung gemäß § 249 Abs. 1 StPO ordnungsgemäß eingeführten Übersetzungen hat das Gericht im Rahmen seiner Aufklärungspflicht nachzugehen. (BGHR)
3. Den Verfahrensbeteiligten bleibt es insoweit unbenommen, schon während des Ermittlungsverfahrens Gegenvorstellungen bei der Staatsanwaltschaft zu erheben. Auch im Rahmen der Hauptverhandlung können die Verfahrensbeteiligten eine ihrer Ansicht nach fehlerhafte Übersetzung beanstanden. (Bearbeiter)
4. Wie das Tatgericht die Überzeugung von Übereinstimmung der Übersetzung mit den fremdsprachigen Gesprächsprotokollen gewinnt, bleibt ihm nach Maßgabe der Aufklärungspflicht überlassen. (Bearbeiter)
5. Ein vom Landeskriminalamt hinzugezogener Übersetzer überschreitet im Regelfall nicht seine Kompetenzen, wenn er aus dem Kontext früherer von ihm abgehörter – eventuell nicht im Wortlaut übersetzter – Gespräche zur besseren Verständlichkeit Erläuterungen beifügt, solange er durch Klammern deutlich macht, dass es sich nur um eine mögliche Deutung seinerseits handelt und damit die letztendliche Interpretationshoheit dem Landeskriminalamt als seinem Auftraggeber überlässt. Etwas anderes könnte sich lediglich dann ergeben, wenn ein Übersetzer ohne Anhaltspunkte aus dem Kontext einseitig tendenziöse, für den Angeklagten belastende Schlussfolgerungen ziehen würde. (Bearbeiter)
1. Zwar dürfen grundsätzlich auch aus einem Teilschweigen des Angeklagten Wertungen gezogen werden. Dies gilt aber nur dann, wenn nach den Umständen Angaben zu diesem Punkt zu erwarten gewesen wären, andere mögliche Ursachen des Verschweigens ausgeschlossen werden können und die gemachten Angaben nicht ersichtlich lediglich fragmentarischer Natur waren.
2. Der Umstand, dass die Gesundheit, die Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Betreffenden nicht beeinträchtigt sind, schließt die Annahme eines Hangs im Sinne des § 64 StGB nicht aus.
1. Die in Haftsachen zu beachtenden verfassungsrechtlichen Vorgaben, die dazu dienen, das Spannungsverhältnis zwischen den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlichen und zweckmäßig erscheinenden Freiheitsbeschränkungen und dem Freiheitsanspruch des noch nicht rechtskräftig verurteilten Beschuldigten – unter maßgeblicher Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit – aufzulösen, gelten nicht nur für den vollstreckten Haftbefehl, sondern sind auch – wie vorliegend – für einen außer Vollzug gesetzten Haftbefehl von Bedeutung.
2. Ein außer Vollzug gesetzter Haftbefehl ist aufzuheben, wenn seine Aufrechterhaltung trotz Aussetzung des Vollzugs unverhältnismäßig ist, weil auch die Haftverschonungsauflagen erhebliche Grundrechtseingriffe beinhalten können. In diesem Zusammenhang ist auch das Beschleunigungsprinzip bedeutsam, dessen Verletzung durch eine vermeidbare Verfahrensverzögerung der Strafverfolgungsbehörden allerdings nicht zur Aufhebung eines außer Vollzug gesetzten Haftbefehls zwingt, weil eine Abwägung aller bedeutsamen Gesichtspunkte erforderlich ist. Die Aufhebung des Haftbefehls kann aber erforderlich sein, wenn eine Reduzierung der Haftverschonungsauflagen nicht ausreicht, weil selbst deren Fortdauer wegen der damit immer noch verbundenen erheblichen Einschränkungen der Freizügigkeit nach einer Gesamtabwägung nicht mehr hinnehmbar wäre.
1. Den nach § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO erforderlichen Hinweis auf eine mögliche Einziehungsentscheidung ist vom Vorsitzenden förmlich zu erteilen, da § 265 Abs. 2 StPO nunmehr ausdrücklich auf die in § 265 Abs. 1 StPO normierte besondere Hinweispflicht verweist. Die zur alten Rechtslage vertretene Auffassung, im Falle einer analogen Heranziehung von § 265 StPO genüge für die Erteilung des Hinweises eine konkludente Information aus dem Gang der Hauptverhandlung heraus, ist überholt (vgl. BGH StV 2018, 796). Dass der betreffende Gesichtspunkt in der Hauptverhandlung von einem anderen Verfahrensbeteiligten als dem Gericht zur Sprache gebracht wird, reicht danach nicht aus.
2. Sind mehrere Personen an einer Deliktsserie beteiligt, so ist bei der Bewertung des Konkurrenzverhältnisses für jeden Täter oder Teilnehmer gesondert zu prüfen und zu entscheiden, ob die einzelnen Straftaten der Serie in seiner Person tateinheitlich oder tatmehrheitlich zusam-
mentreffen. Maßgeblich ist hierbei der Umfang des Tatbeitrages bzw. der Tatbeiträge des Beteiligten. Erfüllt er hinsichtlich aller oder einzelner Taten der Serie sämtliche Tatbestandsmerkmale in eigener Person oder leistet er für alle oder einige Einzeltaten zumindest einen individuellen, nur je diese fördernden Tatbeitrag, so sind ihm diese Taten, soweit nicht natürliche Handlungseinheit vorliegt, als tatmehrheitlich begangen zuzurechnen. Erbringt er dagegen im Vorfeld oder während des Laufs der Deliktsserie Tatbeiträge, durch die alle oder je mehrere Einzeldelikte der Tatgenossen gleichzeitig gefördert werden, so sind ihm die je gleichzeitig geförderten einzelnen Straftaten als tateinheitlich begangen zuzurechnen, da sie in seiner Person durch den jeweiligen einheitlichen Tatbeitrag zu einer Handlung im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB verknüpft werden. Ob die anderen Beteiligten die einzelnen Delikte nach obigen Grundsätzen gegebenenfalls tatmehrheitlich begangen haben, ist demgegenüber ohne Bedeutung (st. Rspr.).
3. Erschöpfen sich die Tatbeiträge im Aufbau und der Aufrechterhaltung des auf die Straftaten ausgerichteten „Geschäftsbetriebes“, sind diese Tathandlungen als – uneigentliches – Organisationsdelikt zu einer einheitlichen Tat im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB zusammenzufassen (vgl. BGH NStZ 2015, 334 mwN). Für die konkurrenzrechtliche Beurteilung der Taten des Täters oder Teilnehmers kommt es dabei nicht darauf an, ob die anderen Beteiligten, die die tatbestandlichen Ausführungshandlungen vornehmen, (Mit-)Täter oder Gehilfen sind oder ob es sich um gutgläubige Werkzeuge handelt.
1. Der Senat weist – zum wiederholten Male – darauf hin, dass in den Urteilsgründen die für erwiesen erachteten Tatsachen in sachlicher Form unter Auslassung ausschmückender Formulierungen dargestellt werden sollten.
2. Formulierungen, die Wertungen enthalten und nicht durch Tatsachen belegt sind, können den Bestand des Urteils gefährden.
1. Gemäß § 258 Abs. 2 Hs. 2 StPO gebührt dem Angeklagten nach dem Schluss der Beweisaufnahme und den Schlussvorträgen das letzte Wort. Tritt das Gericht danach erneut in die Beweisaufnahme ein, ist dem Angeklagten wiederum das letzte Wort zu erteilen. Denn mit dem Wiedereintritt in die Verhandlung haben die früheren Ausführungen des Angeklagten ihre Bedeutung als abschließende Äußerungen im Sinne des § 258 Abs. 2 Hs. 2 StPO verloren.
2. Der Wiedereintritt in die Verhandlung muss nicht förmlich, sondern kann auch konkludent durch Vornahme einer Prozesshandlung geschehen. Ob von einem Wiedereintritt in die Verhandlung auszugehen ist, ist anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu bestimmen. Maßgeblich ist, ob es sich um einen Verfahrensvorgang handelt, der für die Sachentscheidung des Tatgerichts von Bedeutung sein kann. Davon ist bei einer Erörterung der Sach- und Rechtslage regelmäßig auszugehen, selbst wenn diese nicht notwendig auf eine Verständigung (§ 257c StPO) abzielt.
Ein Verstoß gegen § 253 Abs. 2 StPO durch Nichtverlesung von Vernehmungsniederschriften kommt grundsätzlich nicht in Betracht. Diese Vorschrift gestattet ausnahmsweise den unmittelbaren Zugriff auf eine Vernehmungsniederschrift im Wege des Urkundenbeweises, sie gebietet ihn aber nicht. Eine Pflicht zur Verlesung kann lediglich aus der Aufklärungspflicht des Gerichts (§ 244 Abs. 2 StPO) abgeleitet werden. Verstöße hiergegen sind ggf. mit der Aufklärungsrüge geltend zu machen,
1. Als völlig ungeeignet im Sinne von § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO ist ein Beweismittel nur dann einzustufen, wenn das Gericht ohne Rücksicht auf das bisher gewonnene Beweisergebnis feststellen kann, dass sich mit ihm das in dem Beweisantrag in Aussicht gestellte Ergebnis nach sicherer Lebenserfahrung nicht erzielen lässt. Die absolute Ungeeignetheit des Beweismittels muss sich dabei aus dem Beweismittel im Zusammenhang mit der Beweisbehauptung selbst ergeben (vgl. BGH NStZ 2010, 52).
2. In Fällen einer angekündigten Aussageverweigerung muss der Tatrichter alle gebotenen Schritte unternehmen, um sich von der Irrtumsfreiheit, Ernsthaftigkeit und Endgültigkeit der Weigerung zu überzeugen, um den Zeugen als völlig ungeeignetes Beweismittel einstufen zu können. Bei der Prüfung, ob die Weigerung ernsthaft und endgültig ist, wird es für den Tatrichter regelmäßig erfor-
derlich sein, bei bedeutsamen Beweisthemen und gewichtigen Tatvorwürfen zulässige Erzwingungsmaßregeln nicht nur zu verhängen, sondern auch zu vollstrecken.
3. Der Begriff der Ausbeutung gemäß § 181a Abs. 1 Nr. 1 StGB verlangt ein planmäßiges und eigensüchtiges Ausnutzen der Prostitutionsausübung als Erwerbsquelle, das zu einer spürbaren Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der Prostituierten führt (st. Rspr.). Ein Einvernehmen mit der Prostituierten stellt für sich allein das Merkmal der Ausbeutung nicht in Frage.
4. Der Tatbestand der dirigierenden Zuhälterei gemäß § 181a Abs. 1 Nr. 2 StGB setzt in allen Begehungsweisen eine bestimmende Einflussnahme auf die Prostitutionsausübung voraus; eine bloße Unterstützung reicht nicht. Das Verhalten muss vielmehr geeignet sein, die Prostituierte in Abhängigkeit vom Täter zu halten, ihre Selbstbestimmung zu beeinträchtigen, sie zu nachhaltigerer Prostitutionsausübung anzuhalten oder ihre Entscheidungsfreiheit in sonstiger Weise nachhaltig zu beeinflussen (vgl. BGH NStZ-RR 2002, 232 mwN).
Gespräche, die Angaben über konkret begangene Straftaten enthalten, gehören nicht zum unantastbaren Kern privater Lebensgestaltung.
1. Für die Zulässigkeit einer regelmäßig in einem frühen Stadium der Ermittlungen in Betracht kommenden Durchsuchung reicht der über bloße Vermutungen hinausreichende, auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte gestützte konkrete Verdacht aus, dass eine Straftat begangen worden ist und der Verdächtige als Täter oder Teilnehmer in Betracht kommt. Dabei können Behördenzeugnisse zur Begründung eines Anfangsverdachts grundsätzlich herangezogen werden, wobei der konkrete Beweiswert des Zeugnisses von seinem Inhalt und davon abhängig ist, ob es lediglich dem Beleg eines Anfangsverdachts oder der Begründung eines höheren Verdachtsgrades dient.
2. Die Gerichte sind nicht grundsätzlich gehalten, Informationen über die Rechtmäßigkeit sog. G-10-Maßnahmen einzuholen, sofern Erkenntnisse aus solchen Maßnahmen verwertet werden. Entsprechende Informationen sind nur dann einzuholen (etwa durch Anforderung der Akten des Bundesamts für Verfassungsschutz), wenn konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die gegen die Rechtmäßigkeit der G-10-Maßnahmesprechen. Ein pauschales Misstrauen gegenüber den in die Beantragung, Anordnung und Kontrolle der Beschränkungsmaßnahmen involvierten Behörden und Gremien, die an Recht und Gesetz gebunden sind, ist demgegenüber nicht angezeigt.
Wird der Angeklagte durch zwei Rechtsanwälte verteidigt, von denen einer mit der Revision Verfahrensverstöße frist- und formgerecht begründet worden ist, ist ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch dann nicht zulässig, wenn der andere Verteidiger die Frist zur Geltendmachung von Verfahrensbeschwerden. Denn es handelt sich bei der Revision des Angeklagten unabhängig von der Zahl seiner Verteidiger um ein einziges Rechtsmittel mit einer einheitlichen Begründungsfrist. Eine Wiedereinsetzung zur Nachholung von Verfahrensbeanstandungen kommt in dieses Fällen nur ausnahmsweise in Betracht, wenn dies zur Wahrung des rechtlichen Gehörs des Angeklagten (Art. 103 Abs. 1 GG) unerlässlich erscheint.
Dass der Beschwerdeführer nicht vorgetragen hat, zu welchem Zeitpunkt das von allen Richtern unterschriebene Urteil auf den Weg zur Geschäftsstelle und damit zu den Akten gebracht wurde, steht der Zulässigkeit der Rüge nicht entgegen. Dabei handelt es sich nämlich um einen Umstand, der den Verfahrensakten nicht zu entnehmen war. Vom Beschwerdeführer kann im Rahmen der sich aus § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ergebenden Begründungspflicht jedoch nicht verlangt werden, Tatsachen anzugeben, die ihm nicht allgemein oder als Verfahrensbeteiligtem zugänglich sind.
1. Nach § 273 Abs. 1 StPO sind im Hauptverhandlungsprotokoll auch diejenigen Urkunden zu bezeichnen, von deren Verlesung nach § 249 Abs. 2 StPO abgesehen worden ist. Die Bezeichnung hat dabei so genau zu erfolgen, dass die Urkunden identifizierbar sind. Bei umfang-
reichen Konvoluten kann eine zusammenfassende und pauschale Benennung der nach § 249 Abs. 2 StPO zu behandelnden Urkunden genügen.
2. Der Hinweis, dass der außerhalb der Hauptverhandlung in der Sonderform des § 249 Abs. 2 StPO gewonnene Beweisstoff dennoch als Inbegriff der Hauptverhandlung im Sinne des § 261 StPO der Überzeugungsbildung des Gerichts zugrunde gelegt werden kann, richtet sich an die Verfahrensbeteiligten. Können also die Verfahrensbeteiligten nach dem Wortlaut der Anordnung die Urkunden leicht identifizieren, die zum Gegenstand der Beweisaufnahme gemacht werden, genügt die Anordnung dem Bestimmtheitserfordernis des § 249 Abs. 2 StPO.
3. Feststellungen im Hauptverhandlungsprotokoll sind auslegungsfähig. Für die Auslegung stehen auch außerhalb des Protokolls liegende Erkenntnisquellen zur Verfügung, insbesondere die Akten. Die Beweiskraft des Protokolls wird hierdurch nicht beseitigt.
Für die gemäß § 302 Abs. 2 StPO erforderliche ausdrückliche Ermächtigung zur Rücknahme eines Rechtsmittels ist keine bestimmte Form vorgeschrieben; sie kann auch mündlich erteilt werden. Für ihren Nachweis genügt die anwaltliche Versicherung des Verteidigers. Ein Widerruf der Ermächtigung zur Revisionsrücknahme ist nur zulässig, solange die Rücknahmeerklärung noch nicht bei Gericht eingegangen.
Ein Adhäsionsantrag hat inhaltlich den Anforderungen an eine Zivilklage (§ 253 ZPO) zu genügen. Wenn der Umfang der beantragten Geldleistung im richterlichen Ermessen steht, muss zwar kein konkreter Betrag geltend gemacht werden; das Bestimmtheitsgebot verlangt aber zumindest die Angabe einer Größenordnung, um das Gericht und den Gegner darüber zu unterrichten, welchen Umfang der Streitgegenstand haben soll. Deshalb fehlt es an der von § 404 Abs. 1 S. 2 StPO geforderten Bestimmtheit, wenn der Adhäsionskläger keine Angaben zur Größenordnung des begehrten Schmerzensgeldes macht.