HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Mai 2019
20. Jahrgang
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III. Strafzumessungs- und Maßregelrecht


Entscheidung

497. BGH 3 StR 307/18 – Urteil vom 13. Dezember 2018 (LG Stade)

BGHSt; Vermögensabschöpfung (formlose Einziehung; Verzicht des Angeklagten auf Herausgabe; erweiterte Einziehung; Absehen von der Einziehungsentscheidung; Ansprüche von Tatgeschädigten; Vollstreckungsverfahren; Zweck der Neuregelung; Vereinfachung der Einziehung; Opferschutz; Einziehung von nicht zuordenbarem Diebesgut).

§ 73 StGB; § 73a Abs. 1 StGB; § 75 StGB; § 459h StPO

1. In den Fällen der erweiterten Einziehung gemäß § 73a Abs. 1 StGB hindert ein von dem Angeklagten erklärter Verzicht auf die Herausgabe der betreffenden Gegenstände das Tatgericht zwar nicht, die Einziehung gleichwohl anzuordnen, wenn es davon überzeugt ist, dass der Angeklagte die Gegenstände durch andere rechtswidrige Taten erlangt hat; es ist ihm aber unbenommen, mit Rücksicht auf die Verzichtserklärung von einer Entscheidung über die erweiterte Einziehung abzusehen. (BGHSt)

2. Die Neuregelung der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung hat an der Zulässigkeit der gerichtlichen Praxis, im Falle einer Verzichtserklärung des Angeklagten von einer Einziehungsentscheidung abzusehen, nichts geändert (so auch bereits BGH HRRS 2018 Nr. 457). Die Streichung von § 73 Abs. 1 S. 2 StGB a.F. und die dementsprechende Neufassung von § 73 StGB sollte die in der Praxis verbreitete „formlose“ Vermögensabschöpfung nicht einschränken. (Bearbeiter)

3. Das Fortbestehen der Möglichkeit des Verzichts auf die Herausgabe sichergestellter Gegenstände entspricht auch Sinn und Zweck des Gesetzes, die in erster Linie darin bestehen, eine effektive Vermögensabschöpfung sicherzustellen. Die Vermögensabschöpfung sollte dem Tatgericht möglichst einfach gemacht werden, damit sie auch tatsächlich praktiziert und damit klargestellt wird, dass Straftaten sich nicht lohnen dürfen. Die mit der Reform darüber hinaus verbundene Stärkung des Opferschutzes war demgegenüber kein Selbstzweck und nicht das wesentliche Ziel der Neuregelung. (Bearbeiter)


Entscheidung

504. BGH 3 StR 501/18 – Beschluss vom 23. Januar 2019 (LG Aurich)

Schätzung des Wertes von Taterträgen bei der Einziehungsentscheidung (Vorrang der genauen Wertermittlung; Überzeugung von der Richtigkeit der Schätzung; kein Widerspruch zu Ergebnissen der Beweisaufnahme; Zweifelssatz).

§ 73 StGB; § 73d Abs. 2 StGB

1. Eine Schätzung nach § 73d Abs. 2 StGB kommt nur in Betracht, wenn die Werte, die für §§ 73 bis 73d StGB maßgebend sind, nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden können oder ihre Ermittlung einen unverhältnismäßigen Aufwand an Zeit oder Kosten erfordert. Mit Ergebnissen der Beweisaufnahme darf die Schätzung nicht im Widerspruch stehen.

2. Auch bei einer Schätzung hat sich das Tatgericht aufgrund des gesamten Ergebnisses der Beweisaufnahme eine Überzeugung von der Richtigkeit oder Unrichtigkeit der maßgeblichen Umstände zu bilden, um die Festsetzung eines der Wirklichkeit nahekommenden Schätzwertes zu ermöglichen. Dabei ist für die Ermittlung der Tatsachengrundlagen der Schätzung – nicht dagegen für die Schätzung selbst – der Zweifelssatz anzuwenden. Die Grundlagen, auf welche sich die Schätzung stützt, müssen festgestellt und erwiesen sein sowie im Urteil mitgeteilt werden


Entscheidung

523. BGH 5 StR 543/18 – Urteil vom 6. März 2019 (LG Bremen)

Einziehung von Taterträgen (Erlangen eines Vermögenswertes; Ausübung tatsächlicher Verfügungsgewalt; Mittäter; wirtschaftliche Mitverfügungsmacht; späterer Mittelabfluss; Weiterleitung des erlangten Vermögenswertes; kurzfristige Inbesitznahme; transitorischer Besitz).

§ 73 StGB

Ein Vermögenswert ist im Rechtssinne aus der Tat erlangt, wenn er dem Täter oder Teilnehmer unmittelbar aus der Verwirklichung des Tatbestands in irgendeiner Phase des Tatablaufs so zugeflossen ist, dass er hierüber tatsächliche Verfügungsgewalt ausüben kann. Unerheblich ist insoweit, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Täter oder Teilnehmer eine unmittelbar aus der Tat gewonnene (Mit-)Verfügungsmacht später aufgegeben hat und der zunächst erzielte Vermögenszuwachs

durch Mittelabflüsse etwa bei Beuteteilung gemindert wurde. Etwas Anderes gilt lediglich bei einer kurzfristigen Inbesitznahme (sog. transitorischer Besitz, vgl. BGH HRRS 2018 Nr. 1023).


Entscheidung

552. BGH 1 StR 677/18 – Beschluss vom 26. März 2019 (LG Aschaffenburg)

Unerlaubte Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Vorliegen eines minderschweren Falls; revisionsrechtliche Überprüfbarkeit: fehlende Nachvollziehbarkeit der tatrichterlichen Wertung).

§ 30 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 BtMG

Die Beurteilung, ob ein minder schwerer Fall vorliegt, der ein beträchtliches Überwiegen der strafmildernden Umstände voraussetzt, ist im Wesentlichen dem Tatrichter überlassen. Seine Entscheidung ist vom Revisionsgericht grundsätzlich hinzunehmen. Anderes gilt jedoch, wenn die mildernden Faktoren so eindeutig überwiegen, dass die Entscheidung des Tatrichters hinsichtlich des Strafrahmens nicht mehr als nachvollziehbar anzusehen ist (vgl. BGH StV 2014, 612, 613).


Entscheidung

531. BGH 5 StR 684/18 – Beschluss vom 19. März 2019 (LG Cottbus)

Rechtsfehlerhafter Strafausspruch (Berücksichtigung standesrechtlicher Folgen – hier: drohender Widerruf der Approbation als Arzt – als Auswirkungen der Strafe auf das Leben des Täters); Täter-Opfer-Ausgleich (über rein rechnerische Kompensation hinausgehender Beitrag; Aussöhnung; Befriedung der Verhältnisse).

§ 46 StGB; § 46a StGB

Gravierende standesrechtliche Folgen mit zumeist erheblichen wirtschaftlichen Konsequenzen – hier: drohender Widerruf der Approbation als Arzt (§ 5 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BÄO) – sind regelmäßig bei der Prüfung zu berücksichtigen, welche Auswirkungen der Strafe auf das Leben des Täters zu erwarten sind (§ 46 Abs. 1 Satz 2 StGB).


Entscheidung

451. BGH 2 StR 505/18 – Beschluss vom 5. Februar 2019 (LG Aachen)

Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen, verminderte Schuldfähigkeit (mehrstufige Prüfung; Prüfungsmaßstab; Darlegungsanforderungen bei Anschluss an Sachverständigengutachten; Auswirkung auf Schuldgehalt und Strafwürdigkeit); Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Voraussetzungen).

§ 20 StGB; § 21 StGB; § 63 StGB

1. Eine hebephrene Schizophrenie ist eine krankhafte seelische Störung im Sinne von § 20 StGB. Die Diagnose einer Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie führt aber für sich genommen noch nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten, erheblichen Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit. Erforderlich ist vielmehr stets die konkretisierende Darlegung, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat.

2. Wenn sich der Tatrichter darauf beschränkt, sich der Beurteilung eines Sachverständigen zur Frage der Schuldfähigkeit anzuschließen, muss es dessen wesentliche Anknüpfungspunkte und Darlegungen im Urteil so wiedergeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist.

3. Die Frage, ob die Steuerungsfähigkeit bei Tatbegehung auf Grund einer festgestellten Störung im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert war, ist tatsachengestützt zu begründen. Dies erfordert es, sowohl konkrete Feststellungen zum Ausmaß der vorhandenen Störung zu treffen als auch ihre Auswirkungen auf die Tat darzulegen. Die Beurteilung der Erheblichkeit, die im Wesentlichen eine Rechtsfrage ist, muss stets in Bezug auf eine bestimmte Tat und einen konkreten Tatbestand erfolgen, sodass bei tateinheitlicher Verwirklichung mehrerer Tatbestände durchaus verschiedene Wertungsergebnisse entstehen können. Mitunter kann eine Auseinandersetzung damit geboten sein, ob in der Person des Angeklagten letztlich nicht nur Eigenschaften und Verhaltensweisen hervortreten, die sich im Rahmen dessen halten, was bei voll schuldfähigen Menschen anzutreffen und übliche Ursache für strafbares Verhalten ist.

4. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstat auf Grund einer nicht nur vorübergehenden psychischen Störung schuldunfähig (§ 20 StGB) oder vermindert schuldfähig (§ 21 StGB) war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und des von ihm begangenen Anlassdelikts zu entwickeln; sie muss sich auch darauf erstrecken, welche rechtswidrigen Taten von dem Beschuldigten drohen und wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist. Neben der sorgfältigen Prüfung dieser Anordnungsvoraussetzungen ist das Tatgericht auch verpflichtet, die wesentlichen Gesichtspunkte in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen.

5. Die erheblich verminderte Schuldfähigkeit verringert grundsätzlich den Schuldgehalt und damit die Strafwürdigkeit der Tat. Zwar können schulderhöhende Momente diese Verringerung des Schuldgehalts ausgleichen, so dass eine Milderung des Strafrahmens unterbleiben kann. Dies muss der Tatrichter aber ausdrücklich darlegen. Es reicht nicht aus, den sich aus § 21 StGB ergebenden Milderungsgrund ausschließlich bei der Strafzumessung im engeren Sinn zu berücksichtigen.


Entscheidung

544. BGH 1 StR 461/18 – Beschluss vom 10. Januar 2019 (LG Hof)


Anordnung der Sicherungsverwahrung (Gefährlichkeit des Angeklagten für die Allgemeinheit: Sexualstraftaten zulasten von Kindern; erforderliche Darstellung der tatrichterlicher Ermessensentscheidung im Urteil).

§ 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB; § 267 Abs. 6 Satz 1 StPO

Die materielle Anordnungsvoraussetzung der Gefährlichkeit eines Angeklagten für die Allgemeinheit im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB liegt vor, wenn infolge eines bei ihm bestehenden Hanges ernsthaft zu besorgen ist, dass er auch in Zukunft Straftaten begehen wird, die eine erhebliche Störung des Rechtsfriedens darstellen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist mit Taten des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern im Hinblick auf die für die Tatopfer oftmals gewichtigen psychischen Auswirkungen unabhängig von körperlicher Gewaltanwendung typischerweise die Gefahr schwerwiegender psychischer Schäden verbunden.


Entscheidung

474. BGH 4 StR 419/18 – Beschluss vom 27. Februar 2019 (LG Bochum)

Grundsätze der Strafzumessung (Berücksichtigung von Nachtatverhalten); Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Voraussetzung der Wahrscheinlichkeit künftiger gefährlicher Taten).

§ 46 Abs. 2; § 63 StGB

1. Nachtatverhalten darf nicht strafschärfend berücksichtigt werden, wenn dadurch weder neues – über das vollendete Tötungsdelikt hinausgehendes – Unrecht geschaffen wird noch weitere Ziele verfolgt werden, die ein ungünstiges Licht auf den Angeklagten werfen.

2. Wird das Nachtatverhalten durch eine psychische Erkrankung des Angeklagten mitverursacht, hat dies zur Folge, dass es ihm jedenfalls nicht uneingeschränkt strafschärfend angelastet werden darf.

3. Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen. Diese Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln und hat sich darauf zu erstrecken, ob und welche rechtswidrigen Taten von dem Beschuldigten infolge seines Zustandes drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (Häufigkeit, Rückfallfrequenz) und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt.

4. Dass ein Täter trotz bestehenden Defekts über Jahre hinweg keine Straftaten begangen hat oder gänzlich unbelastet ist, ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger gefährlicher Taten. Angesichts der fehlenden Vorbelastung hätte das Landgericht erörtern müssen, warum die Angeklagte in der Vergangenheit nicht durch Aggressionsdelikte in Erscheinung getreten ist und welche prognoserelevanten Schlüsse hieraus zu ziehen sind.


Entscheidung

477. BGH 4 StR 483/18 – Beschluss vom 28. März 2019 (LG Landau)

Grundsätze der Strafzumessung (Feststellung der besonderen Schwere der Schuld: Bewertung von Mordmerkmalen).

§ 46 Abs. 3 StGB

Soweit die Strafkammer dem Angeklagten das „Tatmotiv“ erschwerend angelastet hat, liegt zudem ein Verstoß gegen § 46 Abs. 3 StGB vor. Das Tatmotiv war hier der Wunsch, Geld und Wertsachen zu erbeuten, welches auch den angenommenen Mordmerkmalen Habgier und Ermöglichung einer Straftat zugrunde liegt. Zwar schließt es § 46 Abs. 3 StGB nicht aus, auch die Mordmerkmale selbst der Bewertung daraufhin zu unterziehen, ob sich aus den sie begründenden Tatsachen eine besondere Schuldschwere ergibt. Doch muss es sich jeweils um Umstände handeln, die die Grenze zu den Merkmalen überschreiten; denn nur dann sind sie Umstände von Gewicht, welche den Vollzug eines fünfzehn Jahre überschreitenden Freiheitsentzuges gebieten können.