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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
April 2017
18. Jahrgang
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Von RiLG Jan Dehne-Niemann, Karlsruhe
In seiner zweiten Entscheidung zum Fall Oury Jalloh hat der 4. Strafsenat des BGH am 04.09.2014 das Urteil des Landgerichts Magdeburg[1] bestätigt, mit dem der Angeklagte wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen verurteilt worden war. Gegenstand des Verfahrens waren die Geschehnisse um den Tod des Oury Jalloh am 07.01.2005 in Dessau. Der spätere Geschädigte Jalloh wurde an diesem Tag von Beamten des Polizeireviers Dessau festgenommen, nachdem er Passantinnen angepöbelt hatte, und gemäß § 37 Abs. 1 Nr. 1 LSA-SOG zum Gewahrsam in eine dortige Zelle verbracht. Entgegen § 38 Abs. 1 LSA-SOG führte der Angeklagte, der zu diesem Zeitpunkt verantwortlicher Dienstgruppenleiter des Reviers war, keine richterliche Entscheidung über mit Gewahrsam verbundene Freiheitsentziehung herbei. Weil Jalloh bei der Aufnahme in den Gewahrsam Selbstverletzungsversuche unternahm, ordnete der Angeklagte auf ärztliche Empfehlung seine Fixierung an. Gleichwohl gelang es Jalloh, der nicht ständig optisch überwacht worden war, nach den Feststellungen des Landgerichts, die Matratze anzuzünden, auf der er fixiert war. Er verwendete dabei ein Feuerzeug, das bei seiner Durchsuchung übersehen oder von einem Polizeibeamten in der Gewahrsamszelle verloren worden war. Jalloh verstarb in der Folge an einem inhalativen Hitzeschock. Zur Zeit der Ingewahrsamnahme wies er eine Blutalkoholkonzentration von knapp drei Promille auf.
Das Landgericht Magdeburg beurteilte das Verhalten des Angeklagten, der in seiner Funktion als Dienstgruppenleiter den Gewahrsam Jallohs ohne ständige optische Überwachung vollzogen hatte, als fahrlässige Tötung. Der BGH hat sich dieser rechtlichen Beurteilung sowohl im Hinblick auf die Annahme einer fahrlässigen Tötung als auch hinsichtlich der Ablehnung einer Freiheitsberaubung (mit Todesfolge) angeschlossen. Die Verneinung einer Strafbarkeit nach § 239 Abs. 1, Abs. 4 StGB hat der BGH damit begründet, das Unterlassen der Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung über die Freiheitsentziehung sei zwar gesetzwidrig, aber nicht ursächlich für die Freiheitsberaubung gewesen, da davon ausgegangen werden müsse, dass der zuständige Richter bei Befassung mit dem Sachverhalt den Gewahrsam für zulässig erklärt und dessen Fortdauer angeordnet hätte.
Das Urteil des 4. Senats im Fall Oury Jalloh markiert den vorläufigen Endpunkt einer Serie von uneinheitlichen Entscheidungen zur Berücksichtigungsfähigkeit hypothetischer Kausalverläufe.[2] Betrafen diese Fälle bisher zumeist die Kausalität eines Unterlassens für den Taterfolg oder den Pflichtwidrigkeitszusammenhang und damit die Tatbestandsebene, so kennzeichnet das Urteil im Fall Oury Jalloh die Besonderheit, dass die Kausalitätsfragen nunmehr auf der Deliktsstufe der Rechtswidrigkeit gestellt werden, weil eine richterliche Gewahrsamsfortdaueranordnung die eine tatbestandsmäßige Freiheitsberaubung darstellende Ingewahrsamnahme des Jalloh nicht
schon tatbestandlich ausgeschlossen, sondern erst gerechtfertigt hätte. Unabhängig von der hier nicht grundsätzlich zu erörternden Frage, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen hypothetische Alternativkausalverläufe sich kausalitäts- oder zurechnungsausschließend auswirken[3], kann der Entscheidung des BGH im Fall Jalloh weder im Ergebnis noch in der Begründung, die gleich in mehrfacher Hinsicht zu Widerspruch herausfordert, gefolgt werden. Bedenken bestehen nicht nur gegen die Begründung, mit der der BGH in dem Verhalten des Angeklagten eine Freiheitsberaubung durch Unterlassen erblickt hat (sogleich II.), sondern darüber hinaus auch dagegen, dass der Senat eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Freiheitsberaubung mit Todesfolge gemäß § 239 Abs. 4 StGB zu Unrecht am Fehlen der "Kausalität des Unterlassens für eine rechtswidrige Freiheitsberaubung" hat scheitern lassen (nachfolgend III. und IV.).
Aufmerksamkeit verdienen zunächst die recht knapp ausgefallenen Erwägungen des Senats zur Annahme einer Freiheitsberaubung durch Unterlassen. Die Frage, ob das dem Angeklagten vorgeworfene Verhalten als aktives Tun oder als Unterlassen zu werten ist, hat der Senat in Übereinstimmung mit dem Landgericht Magdeburg in letzterem Sinne beantwortet und sich deshalb zu einer ausführlichen Begründung der dem Angeklagten obliegenden Garantenstellung (§ 13 Abs. 1 StGB) veranlasst gesehen. Aber jedenfalls auf der Grundlage der in ständiger Rechtsprechung bemühten "Schwerpunktformel"[4] hätte mehr dafür gesprochen, eine Freiheitsberaubung durch aktives Handeln anzunehmen. Zu der nur im Ergebnis richtigen Annahme eines freiheitsberaubenden Unterlassens kann man demgegenüber nur gelangen, wenn man auf den Charakter der von Rechts wegen vorzunehmenden (aber eben unterlassenen) Handlung – der Freilassung des Jalloh – abstellt, diese als aktives Tun und deren konträre Nichtvornahme demzufolge als Unterlassen bewertet.
Nach den Feststellungen des Landgerichts wurde der Angeklagte mit dem Vorgang um die Ingewahrsamnahme des Geschädigten Jalloh erst nach deren Beginn, nämlich nach der Verbringung des Jalloh in das Polizeirevier Dessau und das dortige Arztzimmer befasst; mit der Begründung des polizeilichen Gewahrsams hatte er selbst offenbar nichts zu tun. Daraus hat der Senat die Schlussfolgerung gezogen, "der Schwerpunkt des insofern strafrechtlich möglicherweise relevanten Verhaltens des Angekl. (liege) ab diesem Zeitpunkt im Aufrechterhalten des Gewahrsams von Jalloh ohne Einschalten eines Richters, also in einem passiven Verhalten, nicht aber in einem aktiven Tun".
Diesem Zitat liegt im Ausgangspunkt die unausgesprochene Erwägung zugrunde, dass Untätigkeit in aller Regel keine Begehungs-, sondern lediglich Unterlassungsstrafbarkeit begründen kann. So sehr dem jedenfalls für den Regelfall zuzustimmen ist, so oberflächlich oder zumindest missverständlich ist dieser Standpunkt für eine Straftat nach § 239 Abs. 1 StGB. Bei der Freiheitsberaubung handelt es sich um ein Dauerdelikt, dem eine zeitlich gestreckte Erfolgsphase eigentümlich ist. Fallen in diese Erfolgsphase nach Begründung des freiheitsberaubenden Zustandes aktive Handlungen des Täters, so haben solche Verhaltensweisen notwendigerweise ambivalenten Charakter (der Täter hat bei Begründung des Freiheitsentzugs gehandelt, aber anschließend die Freilassung unterlassen). Deshalb ist der Unterlassungscharakter des tatbestandsmäßigen Freiheitsberaubungsverhaltens mit dem bloßen Verweis auf die Aufrechterhaltung eines ohne Zutun des Angeklagten geschaffenen Zustandes ("Aufrechterhalten des Gewahrsams von J") noch nicht zureichend begründet. Im Grunde verfehlt diese Erwägung den vom LG Magdeburg festgestellten Sachverhalt schon deshalb, weil sich das Verhalten des Angeklagten gerade nicht in einer den bereits begründeten Gewahrsams lediglich aufrechterhaltenden Untätigkeit erschöpfte, sondern der Angeklagte während des fortdauerenden Gewahrsams aktive Handlungen vorgenommen hatte, die auch in Zusammenhang mit der Fortsetzung des Gewahrsams standen (und nicht etwa nur zeitlich koinzidierend während des fortdauernden Gewahrsams stattfanden), weil sie allesamt rechtliche Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung des freiheitsentziehenden Zustandes darstellten, nämlich die Verständigung des Arztes zum Zwecke der Prüfung der Gewahrsamsfähigkeit des Jalloh sowie die mehrfachen Eintragungen im Buch über Freiheitsentziehungen. Nimmt man das vom BGH in ständiger Rechtsprechung vertretene Abgrenzungskriterium des "Schwerpunkts der Vorwerfbarkeit" ernst, wonach alle Umstände des Einzelfalls in die Bewertung einzubeziehen sind und insbesondere die soziale Rolle des Täters sowie der soziale Handlungssinn seines Verhaltens für die Einordnung als Tun oder Unterlassen bedeutsam sein sollen,[5] so liegt es zumindest prima facie nicht fern, diese Handlungen im Zusammenspiel mit den dem Angeklagten als Revierleiter zukommenden Steuerungs- und Leitungsbefugnissen schwerpunktbildend im Sinne einer Einordnung als Freiheitsberaubung durch aktives Tun zu berücksichtigen. Dass der Senat dies – begründungslos – nur für den vor der Befassung des Angeklagten mit der Ingewahrsamnahme des Jalloh liegenden Zeitraum angedacht[6] und sein Ergebnis mit der – nach der Schwerpunktformel von der Kausalitäts- und Garantenpflichtfrage unabhängigen und die Abgrenzung von Tun und Unterlassen überhaupt nicht betreffenden – Erwägung gegen etwaige Einwände vorauseilend-vorsorglich immunisiert hat, "ein aktives
Tun hätte ebenso wie ein Unterlassen nicht zu einer rechtswidrigen Freiheitsberaubung geführt, da auch in diesem Zeitraum, in dem die Einholung einer richterlichen Entscheidung noch nicht unerlässlich war, ein Gewahrsamsgrund vorlag", erklärt diese Außerachtlassung sämtlichen aktiven Handelns nicht. Denn mit der hier zunächst interessierenden Abgrenzung von Tun und Unterlassen hat die nachgelagerte Frage des Vorliegens eines Gewahrsamgrundes und der hypothetisch erlangbaren richterlichen Gewahrsamsanordnung nichts zu tun.
Über die zitierte Textstelle hinaus hat der Senat sein Ergebnis nicht begründet, sondern lediglich pauschal auf eine reichsgerichtliche Entscheidung verwiesen.[7] Aus deren Inhalt lässt sich der Schluss ziehen, dass für den Senat das Verhalten des Angeklagten nach der Begründung des Gewahrsams der tragende Gesichtspunkt für die Annahme einer Unterlassung war. Dass – was in der der Konsequenz des vom 4. Senat eingenommenen Standpunkts liegt – allein die ohne den Angeklagten erfolgte Begründung des polizeilichen Gewahrsams als aktives Tun zu werten sein und die nachfolgende Aufrechterhaltung den Charakter eines passiven Unterlassens haben soll, läuft aber darauf hinaus, dass allein die erste logisch-juristische Sekunde des Gewahrsams als durch aktives Tun verursachter Freiheitsberaubungserfolg anzusehen wäre, der nachfolgende Dauerzustand hingegen durch passives Unterlassen. Dies ist schon für sich genommen ein eigenartiges Ergebnis, weil damit die dogmatische Figur des Dauerdelikts überflüssig wird.[8] Die Ungereimtheit wird aber zusätzlich noch dadurch verschärft, dass die Einordnung von freiheitsberaubendem Tun oder Unterlassen dann – gleichsam im Sinne eine vom BGH bislang stets abgelehnten "Energieeinsatz-" oder "Kausalitätskriteriums" – allein von der Zufälligkeit der Beteiligung und Kenntnislage des Täters an dem und bei Beginn der Ingewahrsamnahme abhinge.
Damit trägt die den knappen Erwägungen des Senats zugrundeliegende einseitige Betonung der fehlenden Mitwirkung des Angeklagten an der Gewahrsamsbegründung die Annahme eines Unterlassens für sich genommen – und auch im Ergebnis – nicht. Kann es angesichts der Ambivalenz des Verhaltens des Angeklagten während der Gewahrsamsfortdauer nicht auf dessen reale Tätigkeiten ankommen, so lässt sich ein Unterlassen deshalb nur mit der – vom Senat allerdings nicht gegebenen – Begründung annehmen, dass die Handlung, zu deren Vornahme der Angeklagte rechtlich verpflichtet war, sich als aktives Tun darstellt und deshalb gleichsam spiegelbildlich die Nichtvornahme dieses Tuns als Unterlassen.
Damit ist das Potential der nach dem Entscheidungsinhalt denkbaren Argumentation nicht ausgeschöpft. Der Senat hat sich nämlich nicht damit begnügt, schwerpunktmäßig auf das "Aufrechterhalten des Gewahrsams von J" als "einem passiven Verhalten" abzustellen; er hat zugleich akzentuiert, dass dieses "ohne Einschalten eines Richters" erfolgte.[9] Die Beifügung dieses Zusatzes klingt, als wolle der Senat trotz der genannten, für ein aktives Tun sprechenden Umstände in der Aufrechterhaltung des Gewahrsams jedenfalls auch deshalb ein Unterlassen ("passives Verhalten") sehen, weil der Angeklagte keine rechtfertigende richterliche Gewahrsamsanordnung erwirkt hatte, also die Einholung einer solchen Anordnung unterlassen hatte. Sollte der Senat damit so zu verstehen sein, dass ein Freiheitsberaubungsunterlassen (auch) deshalb vorliege, weil der Angeklagte keinen Richter mit der Gewahrsamsfortdauer befasst hatte, so könnte ihm darin nicht beigepflichtet werden.
Man wird dem Senat – der zwar im Ausgangspunkt zutreffend auf den Inhalt der von dem Angeklagten verletzten Pflicht abgestellt hat, bei der Bestimmung der insoweit relevanten Pflicht aber normtheoretisch inkorrekt vorgegangen ist – nicht unterstellen können, er habe das Tatverhalten der nach §§ 239 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB tatbestandsmäßig-normwidrigen Unterlassungsfreiheitsberaubung darin gesehen, dass der Angeklagte keine richterliche Gewahrsamsanordnung erwirkt hat. Mit dem Verstoß gegen die aus § 239 Abs. 1 StGB fließende Pflicht, den Angeklagten freizulassen, hat die Einholung einer richterlichen Anordnung zunächst nichts zu tun. § 239 Abs. 1 StGB verbietet Freiheitsberaubungen und gebietet nicht die Wahrung des Richtervorbehalts (Art. 2 Abs. 2, 104 Abs. 2 GG, § 38 LSA-SOG); die Nichteinholung einer richterlichen Entscheidung als Freiheitsberaubungsverhalten subsumieren zu wollen würde den Tatbestandssinn des § 239 Abs. 1 StGB verfehlen.[10] Die § 239 Abs. 1 StGB vorausliegende Verhaltensnorm hält den Täter ihrem Wortlaut nach nicht zur Herbeiführung einer (ggf. rechtfertigenden) richterlichen Entscheidung an, sondern zur unverzüglichen Beendigung des freiheitsberaubenden Zustandes; einen Straftatbestand, der einen Verstoß gegen die Pflicht zur Einholung einer richterlichen Gewahrsamsbestätigung pönalisiert, kennt das StGB nicht. Vielmehr handelt es sich bei der Einholung der richterlichen Anordnung um einen prozeduralen Rechtsfertigungsgrund, der im Falle des Vorliegens seiner Voraussetzungen die aus § 239 Abs. 1 StGB folgende Freilassungspflicht ausnahmsweise entfallen lässt, eine Pflicht selbst aber weder begründet noch voraussetzt. Den Unterschied zwischen der Erfüllung der aus der Verhaltensnorm des § 239 Abs. 1 StGB fließenden Pflicht einerseits und dem zur Rechtfertigung führenden Verhalten hat der Senat an anderer Stelle der Entscheidungsbegründung durchaus erkannt, indem er zwischen Pflichterfüllung und Rechtfertigungsherbeiführung differenziert (wenn auch die daraus zu ziehenden Konsequenzen nicht gezogen) hat: "Kommen dabei (…) alternative Handlun-
gen in Betracht, die den Erfolgseintritt entweder durch die Beendigung der Freiheitsentziehung als solcher (zB durch Entlassen des J aus dem Gewahrsam) oder aber durch das Herbeiführen ihrer Rechtmäßigkeit verhindert hätten, besteht bei der Prüfung der hypothetischen Kausalität kein "Vorrang von sich auf die Freiheitsentziehung als solche beziehenden Handlungen gegenüber denjenigen, die (erst) deren Rechtswidrigkeit beseitigen."[11]
Damit ist das folgende Zwischenergebnis festzuhalten: Unterlassen hat es der Angeklagte lediglich, die Rechtsfertigungsvoraussetzungen herbeizuführen. Dies stellt aber keinen Verstoß gegen die aus §§ 239 Abs. 1, 13 StGB folgende Verhaltensnorm dar und begründet deshalb keine Unterlassungsfreiheitsberaubung.
Auch wenn der BGH somit in der unterbliebenen Beachtung des Richtervorbehalts ("Herbeiführen ihrer Rechtmäßigkeit") kein tatbestandsmäßiges Verhalten ("Beendigung der Freiheitsentziehung als solcher") gesehen hat, sondern insoweit zutreffend auf die Aufrechterhaltung des Gewahrsams abgestellt hat, so muss dennoch bezweifelt werden, dass es ihm gelungen ist, die aus § 239 Abs. 1 StGB folgende Verhaltensnorm und die von ihm angenommene, aber hinsichtlich ihrer Herkunft und normtheoretischen Einordnung nicht näher begründeten Pflicht zur Erwirkung einer rechtfertigenden richterlichen Gewahrsamsanordnung normtheoretisch einwandfrei auseinanderzuhalten. Andernfalls hätte sich der Senat im Kontext seiner Rede vom "passiven Unterlassen" nicht darauf beziehen dürfen, dass der Gewahrsam "ohne Einschaltung eines Richters" aufrechterhalten wurde. Indem der Senat die aus der Verhaltensnorm des § 239 Abs. 1 StGB fließende Pflicht zur Freilassung und eine von ihm angenommene Pflicht zur Herbeiführung der Rechtfertigungsvoraussetzungen nicht scharf genug voneinander geschieden hat, dürfte er – so muss mangels näherer Darlegungen in der Urteilsbegründung vermutet werden – zu der Einschätzung gelangt sein, dass eine ambivalente "Pflichtengemengelage" gegeben sei, in der der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit auf der unterlassenen Herbeiführung einer richterlichen Gewahrsamsanordnung liege. Bei aller Vorsicht mit der Exegese höchstrichterlicher Entscheidungen lässt sich der vorstehend zitierten Passage nämlich immerhin mit hinreichender Eindeutigkeit entnehmen, dass nach Ansicht des Senats bei der Prüfung der Quasikausalität des Unterlassens für den Erfolg verschiedene Handlungen, mit denen der Täter inhaltlich unterschiedlich Pflichten nachkommen würde, selbstständig nebeneinanderstehen sollen. Die vom BGH gegebene Begründung ist aber aus mehreren Gründen fehlerhaft: Erstens weil ein Erfolg entgegen dem Eindruck der zitierten Textstelle nicht dadurch verhindert werden kann, dass ihn herbeiführende Handlung rechtmäßig ist; dieser Kategorienfehler und seine Implikationen werden noch näher zu behandeln sein (unten III. 3.). Zweitens setzt der Standpunkt des Senats, es bestehe "bei der Prüfung der hypothetischen Kausalität kein `Vorrang´ von sich auf die Freiheitsentziehung als solche beziehenden Handlungen gegenüber denjenigen, die (erst) deren Rechtswidrigkeit beseitigen", voraus, dass beide Alternativhandlungen (Freilassung des Jalloh und Erwirkung der richterlichen Gewahrsamsanordnung) gleichrangig sind. Diese letztere Annahme ist unrichtig.
Zunächst hat der Senat bedauerlicherweise schon nicht mitgeteilt, woraus sich seiner Auffassung nach eine eigenständig strafrechtlich bedeutsame Verpflichtung ergeben soll, die Rechtmäßigkeit durch Einholung einer Gewahrsamsanordnung herbeizuführen, deren Unterlassung sodann Gegenstand einer Kausalitätsprüfung sein könnte. Darüber erführe man gerne Näheres, zumal eine entsprechende, im Verstoßesfalle strafbewehrte Pflicht an keiner Stelle geschrieben steht, was sub specie Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 GG aber erforderlich wäre (nulla poena sine lege scripta). Ungeachtet des insoweit bestehenden Begründungsdefizits kann man sich auf die Annahme einer solche Verpflichtung einlassen können, wird dabei aber gedanklich die folgende normtheoretische Differenzierung vornehmen müssen: Eine Verpflichtung zur Wahrung des Richtervorbehalts im Sinne eines Gebots zur Einholung einer richterlichen Gewahrsams(fortdauer)anordnung gibt es – wie gesehen – nicht als solche, sondern nur für Situationen, in denen staatlicherseits in die von § 239 Abs. 1 StGB geschützte persönliche Bewegungsfreiheit[12] eingegriffen wird. Man kann deshalb sagen, dass die Verpflichtung zur Einholung einer dann ggf. rechtfertigend wirkenden richterlichen Anordnung unter der Bedingung steht, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 239 Abs. 1 StGB erfüllt sind. Das Gebot zur Erwirkung einer rechtfertigenden richterlichen Anordnung besteht damit nicht unbedingt, sondern verhält sich zum Verbot, den Geschädigten Jalloh weiter festzuhalten, gleichsam akzessorisch:[13] Möchte die Person A eine Handlung X rechtmäßig vornehmen (Gewahrsamsaufrechterhaltung), so muss sie die Handlung Y (Einholung einer richterlichen Anordnung) vornehmen. Da das akzessorische Gebot zur Einholung einer richterlichen Anordnung nicht im luftleeren Raum besteht, sondern seinen Sinn ausschließlich aus dem grundsätzlich (d.h. gerade bei Fehlen einer richterlichen Anordnung) bestehenden Verbot der Freiheitsberaubung bezieht, lässt es sich aus dem grundsätzlichen Verbot der Freiheitsberaubung teleologisch ableiten.[14] Das Gebot, die rechtfertigende Wirkung herbeizuführen, ist objektiv bedingt, nämlich allein durch die Tatbestandserfüllung nach § 239 Abs. 1 StGB. Umgekehrt besteht ein solches Bedingungsverhältnis dagegen nicht. Bei dem Gebot, eine richterliche Gewahrsamsanordnung einzuholen, handelt es sich somit um eine gegenüber dem grundsätzlichen Verbot der Freiheitsberaubung ausnahmsbegründende unselbständige Hilfsregel, die sicherstellen soll, dass dem Täter
sein nach § 239 Abs. 1 StGB tatbestandsmäßig-normwidriges Handlungsprojekt erlaubt ist. Diesem Verständnis von Haupt- und Hilfsregel korrespondiert das Regel-Ausnahme-Verhältnis von Tatbestandsmäßigkeit-Normwidrigkeit einerseits und Rechtswidrigkeit andererseits, das sich daran zeigt, dass die in einem konkreten Einzelfall qua Rechtfertigung bestehende Erlaubtheit des Täterhandelns die Allgemeingültigkeit der Verhaltensnorm nicht suspendiert und damit die Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens nicht in Frage stellt.[15]
Weil die Hauptregel (Freilassung des Jalloh – Rechtsgüterschutz) und die darauf bezogene Hilferegel (Einholung einer richterlichen Gewahrsamsanordnung – Rechtfertigung des rechtsgüterschädigenden Verhaltens durch Gewährung eines Eingriffsrechts unter gleichzeitiger Suspendierung des Rechtsgüterschutzes im konkreten Einzelfall) unterschiedliche Funktionen erfüllen, hat die unterlassene Einholung der richterlichen Anordnung mit der Einordnung als Tun oder Unterlassen nicht das Mindeste zu tun. Entscheidend ist allein, ob das hauptregelwidrige Verhalten als Unterlassen oder – wie im Fall Jalloh nach vorzugswürdiger Betrachtung (vgl. oben 1.) – als aktives Tun einzuordnen ist. Dass es für die Einordnung als Tun oder Unterlassen allein auf das hauptregelwidrige Verhalten ankommen kann, lässt sich im Übrigen an einem Seitenblick auf die Fahrlässigkeitsdogmatik ersehen: Nimmt ein Täter eine Handlung vor, ohne die Bedingungen zu erfüllen, an die eine sorgfaltsgemäße Vornahme dieser Handlung geknüpft ist, so liegt der Gegenstand des strafrechtlichen Vorwurfs nicht in der Unterlassung der Erfüllung seiner Sorgfaltspflichten (dies ist der Grund des Vorwurfs), sondern in der als sorgfaltswidrig apostrophierten Handlung selbst als einem positiven Tun[16]. Es gibt keinen Grund, weshalb es sich anders verhalten soll, wenn es – wie hier – um Bedingungen der Rechtfertigung des Täterhandelns geht; auch dann ist Gegenstand des strafrechtlichen Vorwurfs nicht die Unterlassung der Herbeiführung der Rechtmäßigkeit des Täterhandelns, sondern das eben nicht rechtmäßige Handeln selbst. Deshalb ist für die Frage, ob der Angeklagte die Gewahrsamsfortdauer durch Tun oder durch Unterlassen verursacht hat und sich dementsprechend das freiheitsberaubende Verhalten des Angeklagten als aktives Begehen oder als passives Tun darstellt, die ausschließlich der Rechtfertigung zuzuordnende (bedingte) Pflicht zur Wahrung des Richtervorbehalts und zur Erwirkung einer richterlichen Gewahrsamsanordnung gänzlich ohne Belang. Mit dieser Einsicht ist zugleich auch der Stab über die Annahme des Senats gebrochen[17], "bei der Prüfung der hypothetischen Kausalität (bestehe) kein `Vorrang´ von sich auf die Freiheitsentziehung als solche beziehenden Handlungen gegenüber denjenigen, die (erst) deren Rechtswidrigkeit beseitigen", wenn "alternative Handlungen in Betracht (kommen), die den Erfolgseintritt entweder durch die Beendigung der Freiheitsentziehung als solcher (…) oder aber durch das Herbeiführen ihrer Rechtmäßigkeit verhindert hätten".[18]
Ganz unabhängig von der soeben tendenziell gegen den BGH beantworteten Frage, ob das Verhalten des Angeklagten als Tun oder als Unterlassen zu werten ist, liegt die eigentliche Bedeutung der Entscheidung in den Ausführungen des Senats zu "der Kausalität des Unterlassens des Angeklagten für eine rechtswidrige Freiheitsberaubung". Indem er insoweit eine Ursächlichkeitsbeziehung verneinte, hat der Senat den Schuldspruch des LG Magdeburg, wonach der Angeklagte sich nicht einer Freiheitsberaubung mit Todesfolge (§ 239 Abs. 4 StGB) schuldig gemacht habe, jedenfalls im Ergebnis bestätigt, wenn er auch dessen Begründung kritisiert hat. Die Ansicht des Landgerichts, die Straflosigkeit des Angeklagten aus dem Grunddelikt des § 239 Abs. 1 StGB ergebe sich aus einem unvermeidbaren Verbotsirrtum, weil dieser die Verpflichtung zur Einholung einer richterlichen Gewahrsamsentscheidung nicht gekannt habe, hat der Senat als unzutreffend angesehen: "Bei einem erfahrenen Polizeibeamten wie dem Angekl., der mit dem Vollzug von grundrechtsbeschränkenden Gesetzen betraut ist, liegt dies (scil. die Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums) hinsichtlich der sich bereits aus dem Gesetz unzweifelhaft ergebenden Voraussetzungen gängiger Befugnisse zu schwerwiegenden Grundrechtseingriffen wie einer Freiheitsentziehung derart fern, dass schon die – allenfalls bei einem hier ersichtlich nicht gegebenen Vorliegen gänzlich außergewöhnlicher Umstände in Betracht kommende – Prüfung der Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums nicht geboten war."[19] Aber der Tatrichter muss, wenn er dem Angeklagten fehlendes Unrechtsbewusstsein attestiert, kraft Gesetzes (nämlich gemäß § 17 S. 1 StGB) zwingend die Vermeidbarkeit dieses Verbotsirrtums prüfen, weil er sonst über Schuld- oder Freispruch nicht entscheiden kann. Die Ausführungen des Senats in diesem Punkt dürften daher weniger die Ebene der Rechtsanwendung als vielmehr die Glaubwürdigkeit der Einlassung des Angeklagten zum fehlenden Unrechtsbewusstsein – und damit die an sich revisionsfesten Feststellungen des Landgerichts – betreffen. Aber auch wenn man diese zugrundelegt und einen Verbotsirrtum des Angeklagten hinsichtlich seiner Verpflichtung zur Einholung einer
richterlichen Gewahrsamsentscheidung annehmen möchte, so betrifft dieser eine Fehlleistung eines erfahrenen Polizisten bei berufsalltäglichem Handeln im Kernbereich des Strafrechts und war damit schon durch einen flüchtigen Blick ins Gesetz (§ 38 Abs. 1 LSA-SOG) vermeidbar.
Nach Ansicht des Senats hat sich die fehlerhafte Behandlung des Verbotsirrtums durch das Landgericht aber letztlich nicht ausgewirkt, weil eine richterliche Gewahrsamsfortdaueranordnung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erlangen gewesen wäre, es damit an "der Kausalität des Unterlassens des Angeklagten für eine rechtswidrige Freiheitsberaubung" fehle und der Angeklagte deshalb aus einem anderen als dem vom Landgericht angenommen Grund keiner Freiheitsberaubung schuldig sei. Träfe dies zu, so würde es für eine Freiheitsberaubung mit Toderfolge (§ 239 Abs. 4 StGB) bereits am Grunddelikt der einfachen Freiheitsberaubung (§ 239 Abs. 1 StGB) fehlen. Jedoch ist, wie sich zeigen wird, die auf das Fehlen "der Kausalität des Unterlassens des Angeklagten für eine rechtswidrige Freiheitsberaubung" gegründete Verneinung einer Freiheitsberaubung durch den Senat dogmatisch unhaltbar. Auf eine alternative Verlaufshypothese, wie sie der BGH in der irreal-fiktiven richterlichen Anordnung der Gewahrsamsfortdauer erblickt hat, kann es im Rechtfertigungsbereich nicht ankommen.
Zustimmung verdient allerdings zunächst, dass der Senat das Verhalten des Angeklagten – sieht man es nun als Tun oder als Unterlassen – rundheraus als rechtswidrig eingeordnet und insbesondere der Versuchung widerstanden hat – etwa durch ein Ausweichen auf einen spezifisch strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriff – die ohne richterliche Anordnung erfolgte Freiheitsberaubung als rechtmäßig zu bewerten.
Ein solches Vorgehen, bei dem es auf die Einhaltung der wesentlichen Förmlichkeiten des zur Freiheitsentziehung führenden Verfahrens ankommen soll, wäre in der Rechtsprechung zum freiheitsberaubenden Verhalten von Amtsträgern nicht ohne Vorbild[20]. Indes steht für den vorliegenden Fall der Anwendung eines solchen strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriffs schon entgegen, dass dieser auf die Vorschrift des § 113 StGB zugeschnitten ist und richtigerweise dort seinen alleinigen Anwendungsbereich hat; entgegen der herrschenden[21] und vom BGH[22] jüngst wieder bekräftigten Auffassung ist ein Irrtumsprivileg staatlicher Hoheitsträger außerhalb dieser Vorschrift richtigerweise nicht anzuerkennen.[23] Zudem – und für den vorliegenden Fall viel entscheidender – hätte auch die Anwendung des strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriffs dem Angeklagten nicht helfen und die Freiheitsberaubung rechtfertigen können, denn dass die wesentlichen Förmlichkeiten der Ermächtigungsnorm des § 37 Abs. 1 Nr. 1 LSASOG eingehalten worden sind, lässt sich bei einem Verstoß gegen den verfassungsrechtlich abgesicherten (Artt. 2 Abs. 2, 104 Abs. 2 GG) und in § 38 LSASOG einfachgesetzlich angeordneten Richtervorbehalt schlechterdings nicht sagen. Insofern lohnt ein Seitenblick ins Strafprozessrecht, dem die Methode des Hinzudenkens eines hypothetischen verfahrensfehlerfreien Verlaufs entstammt.[24] Dort wird klar erkannt, dass das freiheitsberaubende Verhalten des Angeklagten sich wegen der unterbliebenen Einholung einer richterlichen Gewahrsamsfortdaueranordnung als nicht gerechtfertigt darstellt. Bei der dort verbreitet praktizierten Methode des Abstellens auf einen hypothetisch rechtmäßigen Ersatzeingriff ("hypothetical clean path") ist und bleibt die den Strafverfolgungsbehörden unterlaufene Maßnahme rechtswidrig; diskutiert wird nur über die Frage, ob trotz ihrer Rechtswidrigkeit das aufgrund der Maßnahme erlangte Beweismittel verwertbar ist, weil und wenn das Beweismittel naheliegenderweise auch auf rechtmäßigem Wege hätte erlangt werden können.
Daran ist – ungeachtet der Unübertragbarkeit des Gedankens des hypothetischen Ersatzeingriffs ("hypothetical clean path doctrine") auf die hier streitbefangenen Frage der Beachtlichkeit des gerechtfertigten Alternativverhaltens (unten III. 3.) – zu ersehen, dass es nicht (schon) darum geht, das Verhalten des Angeklagten als rechtmäßig oder rechtswidrig einzuordnen, sondern (erst) um die Frage, wie es sich auswirkt, dass es zwar definitiv rechtswidrig war, aber auch bei hypothetisch rechtmäßigem Vorgehen der Erfolg eingetreten wäre. Einen rechtfertigenden, d.h. die Rechtswidrigkeit des Gewahrsams entfallen lassenden Effekt kann die irreal gebliebene richterliche Gewahrsamsanordnung schon deshalb nicht zeitigen, weil sie de facto nicht vorlag. Rechtfertigt eine richterliche Gewahrsamsanordnung, so kann eine fiktive richterliche Gewahrsamsanordnung auch nur die Rechtfertigung eines fiktiv gebliebenen Sachverhalts bewirken.[25] Gerechtfertigt wäre das freiheitsberaubende Verhalten des Angeklagten dann und nur dann gewesen, wenn er die rechtfertigungskonstitutive richterliche Anordnung erwirkt hätte.
Wollte man hingegen real nicht vorliegenden imaginären Rechtfertigungsvoraussetzungen real rechtfertigende Kraft beimessen, so liefe das auf eine tiefgreifende Umgestaltung der Rechtfertigungsdomatik insgesamt hinaus. Rechtfertigungsgründe geben dem Bürger Eingriffsrech-
te, indem sie ihn für einen konkreten Ausnahmefall von der Befolgung einer grundsätzlich geltenden Verhaltensanweisung suspendieren und die Nichtbefolgung für straflos erklären.[26] Mit einem Eingriffsrecht des Normunterworfenen korrespondiert auf Seiten des Eingriffsbetroffenen eine Duldungspflicht.[27] Diese Duldungspflicht besteht, weil die Rechtsordnung das gerechtfertigte Eingriffsverhalten als rechtmäßig bewertet. Dem Eingriffsbetroffenen muss ein Abwehrrecht versagt werden, weil die Rechtsordnung über die Zuteilung von Rechten und Pflichten zugleich die Freiheitsräume der Bürger zugeschnitten hat und nicht denkbar ist, dass ein Eingriff eines Bürgers in eine prinzipiell geschützte Rechtsposition eines anderen und dessen Abwehrreaktion gleichermaßen rechtsmäßig sind. Dass beide Verhaltensweise als rechtmäßig bewertet unter dem Schutz der Rechtsordnung stehen, ist demnach ausgeschlossen. Weil sich aber die Versagung eines Abwehrrechts gegen ein Eingriffsrecht als staatlicher Grundrechtseingriff (zumindest) in die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) darstellt, ist für ein Eingreifen einer diesen Grundrechtseingriff rechtfertigenden Schranke erforderlich, dass die Voraussetzungen dieser Schranke wirklich – und nicht nur fiktiv-irreal resp. hypothetisch – vorliegen. Daher besteht ein rechtfertigendes Eingriffsrecht und eine damit einhergehende Duldungspflicht nur, wenn die objektiven Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes erfüllt sind,[28] andernfalls hat es bei der Grundregel zu bleiben, dass das eingreifende Verhalten nicht rechtmäßig ist, weil es nicht von einer die allgemeine Handlungsfreiheit (bzw. in casu Jalloh: die Fortbewegungsfreiheit, Art. 2 Abs. 2 GG) einschränkenden Vorschrift gedeckt ist.[29] Auf die bloße Mutmaßung, dass der zuständige Richter die Fortdauer des Gewahrsams angeordnet hätte, kann eine Rechtfertigung nach dem in § 38 Abs. 1 S. 2 LSA-SOG zum Ausdruck kommenden Subsidiaritätsgedanken legitimerweise nur gestützt werden, wenn eine richterliche Anordnung nicht rechtzeitig bis zum Fortfall des Gewahrsamsgrundes erlangt werden könnte. Diese Subsidiarität der polizeilichen Selbstentscheidungskompetenz würde unterlaufen, ließe man im Nachhinein Mutmaßungen – und seien sie im Einzelfall noch so plausibel – zu, dass eine richterliche Gewahrsamsentscheidung ergangen wäre.
Dass das bloße Vorliegen der "materiellen" Gewahrsamsvoraussetzungen bei gleichzeitig fehlender Wahrung des Richtervorbehalts auf die Bewertung des Verhaltens des Angeklagten als rechtswidrig ohne jeden Einfluss ist, lässt sich an einer auf einer Abwandlung des Originalfalls beruhenden Hilfserwägung exemplifizieren: Angenommen, der Polizeibeamte hätte sich an den zuständigen Amtsrichter gewandt und um Anordnung der Gewahrsamsfortdauer ersucht, der Amtsrichter hätte den Erlass einer solchen Anordnung (ganz gleich ob zu Recht oder zu Unrecht) verweigert, so zöge niemand in Zweifel, dass diese Verweigerung den Angeklagten rechtlich gebunden hätte, und zwar völlig unabhängig davon, ob die Entscheidung, mit der die Anordnung der Gewahrsamsfortdauer verweigert wurde, rechtmäßig war oder nicht. Hätte sich der Polizeibeamte in der Abwandlung des Originalfalls über die aus der Verweigerung resultierende Freilassungsverpflichtung hinweggesetzt, so hätte er kein Gehör mit dem Vorbringen finden können, die Gewahrsamsvoraussetzungen lägen "materiell" vor und der zuständige Amtsrichter habe falsch entschieden. Dies ergibt sich nicht nur daraus, dass bei der Entscheidung über die Gewahrsamsfortdauer der zuständige Amtsrichter auf der Rechtsfolgenseite des § 37 Abs. 1 LSA-SOG dasselbe Ermessen hat wie die für die Begründung des Gewahrsams zuständige Polizei, weshalb mit einem eigenmächtigen Vorgehen des Polizeibeamten die allein maßgebliche Ermessensentscheidung des Richters[30] ausgehebelt und der Richtervorbehalt faktisch ausgehöhlt würde. Der letztlich entscheidende Grund dafür, dass in der Abwandlung wie im Originalfall die Fortdauer des Gewahrsams rechtswidrig war, besteht vielmehr darin, dass wegen der verfassungsrechtlich in Art. 104 Abs. 2 GG abgesicherten Stärkung der Freiheit der Person (Artt. 2 Abs. 2, 104 Abs. 2 GG)[31] die Entscheidung über die mit der Gewahrsamsfortdauer einhergehende Freiheitsentziehung allein beim Richter liegt und für die Rechtfertigung der in einer Ingewahrsamnahme bzw. der entsprechenden Fortdauer des Gewahrsams stets liegenden tatbestandsmäßigen Freiheitsberaubung (§ 239 Abs. 1 StGB) die Beachtung des Richtervorbehalts konstitutiv ist,[32] womit der Berufung auf das Vorliegen (nur) der "materiellen" Gewahrsamsvoraussetzungen von Grundgesetzes wegen der Boden entzogen ist.[33] Im Ergebnis ist und bleibt die Frei-
heitsberaubung durch den Angeklagten schon deshalb eine rechtswidrige, weil dieser entgegen § 38 LSA-SOG den Richtervorbehalt missachtet hatte.
Im Kontext der hypothetischen Erlangbarkeit der richterlichen Gewahrsamsanordnung aufmerken lässt ferner die vom BGH verwendete Definition der Kausalität des Unterlassens. Nach einem Bekenntnis zur fehlenden Kausierungsfähigkeit des Unterlassens äußert sich der Senat zunächst zur Quasikausalität und zur damit einhergehenden Modifikation der condicio-sine-qua-non-Formel und schiebt eine eigenartige Wendung zum anzulegenden Maß der richterlichen Überzeugung nach, wonach sich "die alternative Bewertung, der gleiche Erfolg wäre auch bei Vornahme der gebotenen Handlung eingetreten, auf Grund bestimmter Tatsachen so verdichtet haben (muss), dass die Überzeugung vom Gegenteil mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vernünftigerweise ausgeschlossen ist." Beim Wort genommen liefe dies darauf hinaus, dass – in Übertragung des Risikoerhöhungsprinzips auf die Unterlassungskausalität ("Risikoverringerung") – die bloße Möglichkeit eines trotz der Vornahme der gebotenen Handlung eintretenden Erfolgs die Bejahung der hypothetischen Kausalität nicht hindern würde; umgekehrt gesprochen wäre die Kausalität des Unterlassens für einen Erfolg schon dann zu bejahen, wenn die gebotene Handlung den Erfolg nur möglicherweise verhindert hätte. Mit den vom Senat angeführten umfangreichen Belegen lässt sich diese Äußerung jedoch gerade nicht begründen, denn zu einer Anwendung des kausalitätsersetzenden Risikoverringerungsgedankens hat sich der BGH bislang nicht verstehen können, und auch die vorliegende Entscheidung enthält der Sache nach keinerlei Anhaltspunkte für eine Änderung der Rechtsprechung, zumal der Senat beinahe im selben Atemzug (und auch an späterer Stelle der Begründung) implizit Erfolgsverhinderungsgewissheit verlangt: Es genüge nicht, "dass das Unterlassen der gebotenen Handlung lediglich das Risiko des Erfolgseintritts erhöht hat"; "`mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit´ müsse die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für den Taterfolg in diesem Sinn feststehen". Auch wenn diese Formulierung in erkennbarem Widerspruch zur vom Senat angenommenen Kausierungsunfähigkeit des Unterlassens steht, enthält sie doch zugleich eine klare Absage an das Prinzip der Risikoerhöhung (bzw. – beim Unterlassen – der Risikoverringerung).
Handelt es sich bei dieser misslungenen Formulierung der Nachweisanforderungen an die Unterlassungskausalität lediglich um einen sachlich unbedeutenden lapsus linguae, so bestehen inhaltlich gegen die vom Senat praktizierte Methode schwerwiegende Bedenken: Nach Ansicht des Senats fehlte "es nach den vom Schwurgericht getroffenen Feststellungen an der Kausalität des Unterlassens des Angekl. für eine rechtswidrige Freiheitsberaubung". Dass die Anwendung von Kausalitätskriterien wie auch der Umgang des Senats mit dem prozeduralen Rechtfertigungsgrund der richterlichen Gewahrsamsanordnung insgesamt rechtsfehlerhaft ist, sollen die folgenden Ausführungen zeigen.
Es fällt auf, dass die Wendung "Kausalität des Unterlassens des Angeklagten für eine rechtswidrige Freiheitsberaubung" begrifflich wenig geglückt ist, weil mit ihr nicht klar zum Ausdruck kommt, worauf es dem Senat ankommt. Zunächst liegt auf der Hand, dass damit nicht die Ursächlichkeitsbeziehung zwischen der unterbliebenen Freilassung des Geschädigten als der tatbestandsmäßigen Unterlassung und dessen fortbestehendem Freiheitsentzug als dem Erfolg der Freiheitsberaubung gemeint sein kann; denn hätte der Angeklagte den Geschädigten auf freien Fuß gesetzt, so hätte dies den Erfolg der weiteren Freiheitsberaubung vom Freilassungszeitpunkt an verhindert, weshalb – auch auf der Basis der umstrittenen condicio-cum-qua-non-Formel[34] – an der (Quasi-)Kausalität zwischen Verhalten und Erfolg keine Zweifel bestehen können.[35] Allerdings suggeriert die Verwendung des Adjektivs "rechtswidrig" im Kontext der Freiheitsberaubung, dass es dem Senat um eine Ursächlichkeitsbeziehung zwischen dem in der Entscheidungsbegründung angenommenen Unterlassen des Angeklagten und der Rechtswidrigkeit der fortdauernden Freiheitsentziehung zu gehen scheint. Sollte die Formulierung in diesem Sinne gemeint sein, so wäre dem Senat freilich ein Kategorienfehler unterlaufen: Die Rechtswidrigkeit eines Verhaltens oder eines Erfolges kann man nicht verursachen, sondern sie ist Folge einer Bewertung durch die Rechtsordnung als rechtswidrig[36]; "Rechtswidrigkeit" ist
keine kausierungsfähige Entität, sondern als Metabegriff eine Eigenschaft einer solchen Entität. Hätte der Angeklagte eine richterliche Gewahrsamsanordnung eingeholt, so wäre die weitere Freiheitsentziehung eine rechtmäßige gewesen (vorausgesetzt, der Angeklagte hätte sich auch im Übrigen rechtmäßig verhalten) und nicht wie im dem vom Senat entschiedenen Sachverhalt eine rechtswidrige. Die Rede des Senats von der "Kausalität (…) für eine rechtswidrige Freiheitsberaubung" ist also schon deshalb schief, weil sich mit der Einholung der richterlichen Gewahrsamsfortdaueranordnung die rechtliche Bewertung des fortdauernden freiheitsentziehenden Zustandes geändert hätte.[37]
aa) Parallele zum Pflichtwidrigkeitszusammenhang
Ungeachtet ihrer Missverständlichkeit kann die Rede von der "Kausalität des Unterlassens des Angeklagten für eine rechtswidrige Freiheitsberaubung" inhaltlich somit nicht als Formulierung einer Ursächlichkeitsbeziehung im herkömmlichen Sinne – also zwischen Täterverhalten und Erfolg – verstanden werden, sondern nur als Bezugnahme auf einen normativ zu bestimmenden Zusammenhang zwischen denjenigen Umständen, die zur Bewertung des Täterverhaltens als rechtswidrig führen, und der fortbestehenden Freiheitsberaubung als dem (Dauer-)Erfolg des § 239 Abs. 1 StGB.[38] Dass es dem BGH auf die Auswirkungen der die Rechtswidrigkeit des Täterverhaltens begründenden Umstände auf den Erfolg ankommt, lässt sich daran ersehen, dass der Senat als Grundlage der Prüfung nicht das nach § 239 Abs. 1 StGB hypothetische normgemäße Verhalten – die Freilassung des Geschädigten Jalloh – heranzieht, sondern diesbezüglich auf die hypothetische Rechtfertigung durch Einhaltung des Richtervorbehalts abstellt und überprüft, ob bei Verständigung des zuständigen Richters dieser die Fortdauer der Ingewahrsamnahme angeordnet hätte. Die Einholung einer gewahrsamsaufrechterhaltenden richterlichen Anordnung hätte, wie oben gezeigt wurde, aber nicht den Normbefehl des § 239 Abs. 1 StGB erfüllt und damit die Tatbestandsmäßigkeit entfallen lassen, sondern lediglich den Normbefehl für den konkreten Einzelfall suspendiert und dadurch das tatbestandsmäßige Verhalten gerechtfertigt. In der Sache geht es dem Senat also nicht um eine Ursächlichkeitsbeziehung zwischen dem Täterverhalten und dem Erfolg, sondern – in auffälliger Ähnlichkeit zum Erfordernis des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs[39] bei fahrlässigen Erfolgsdelikten, nach dem der Erfolg spezifisch auf den die Sorgfaltswidrigkeit des Täterhandelns begründenden Umständen beruhen muss – im Sinne eines "Rechtfertigungszusammenhangs" um die Frage, ob der vom Angeklagten mangels Wahrung des Richtervorbehalts auf rechtswidrige Weise produzierte Freiheitsberaubungs(dauer)erfolg auch auf rechtmäßige Weise hätte verursacht werden können. Dass der Senat gleichwohl vermeint, eine Prüfung des Kausalzusammenhangs zwischen tatbestandsmäßiger Unterlassung und Erfolg vorzunehmen, beruht auf der oben kritisierten gedanklichen Konfundierung des allein normwidrigen Verhaltens – der (fortdauernden) Freiheitsberaubung – mit der Unterlassung der hypothetisch rechtfertigenden Einholung der richterlichen Gewahrsamsanordnung. Entsprechend der unklaren Formulierung ist der Begründung denn auch nicht genau zu entnehmen, auf das Fehlen welches Deliktsmerkmals der Senat denn die Straflosigkeit des Angeklagten aus § 239 Abs. 1 StGB stützen möchte. Denn dass die fortdauernde Freiheitsentziehung ohne Einholung einer richterlichen Anordnung eine rechtswidrige war, hat der Senat nicht in Abrede gestellt; die als Vergleichsverhalten herangezogene Beachtung des Richtervorbehalts stellt nur eine Hypothese dar, die die realiter gegebene Rechtswidrigkeit der Freiheitsberaubung nicht zu beseitigen vermag (vgl. oben 1.). Dieses "Hätte auch" einer hypothetisch gerechtfertigten Freiheitsberaubung lässt sich in herkömmlichen dogmatischen Kategorien nicht ohne Weiteres ausdrücken; die Rede des Senats von der "Kausalität der Unterlassung für den Erfolg" verdunkelt, dass es dem Senat letztlich um die Übertragung von herkömmlicherweise unter dem Topos "objektive Zurechnung"[40] rubrifizierenden Maßstäben auf die Rechtfertigungsebene zu tun ist.
bb) Hypothetisch gerechtfertigtes Alternativverhalten – die Rechtsfigur der "hypothetischen Einwilligung"
Anders als auf der Tatbestandsebene zum Verhältnis zwischen Sorgfaltswidrigkeit und Erfolg (sog. Pflichtwidrigkeitszusammenhang), bei dem es nach überwiegender Ansicht auf die Auswirkungen eines sorgfaltsgemäßen Alternativverhaltens ankommen soll, besteht bislang jedoch alles andere als Einigkeit darüber, dass und ggf. in welchem Umfang ein solches "gerechtfertigtes Alternativverhalten" mit strafbarkeitsausschließender Wirkung anzuerkennen ist. Die Problematik wurde bisher beinahe[41] ausschließlich bei dem hochumstrittenen, aus dem Arzthaftungszivilrecht ins Arztstrafrecht transponierten Institut der sog. hypothetischen Einwilligung erörtert. Dort hat es der BGH mehrfach unter Anwendung des Zweifelssatzes strafbarkeitsausschließend ausreichen lassen, dass sich im Nachhinein nicht klären ließ, ob ein vor einer Operation nicht (hinreichend) oder fehlerhaft
aufgeklärter Patient zu der Operation (oder einer Zweitoperation) seine Einwilligung erteilt hätte. Unter den Befürwortern der "hypothetischen Einwilligung" überwiegt trotz missverständlicher Formulierungen in jüngeren Entscheidungen des BGH ("Die Rechtswidrigkeit entfällt …")[42] der Standpunkt, dass diese Figur keine rechtfertigende Wirkung hat, sondern sedes materiae der Ausschluss des Erfolgsunrechts bzw. das Fehlen einer hinreichend sicheren Verbindung von Verhaltens- und Erfolgsunrecht ist,[43] weil der Erfolg möglicherweise auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung im Operationsvorfeld eingetreten wäre und sich damit in dubio pro reo nicht als durch die unterbliebene Aufklärung rechtswidrig verursacht darstellt. Allgemein lässt sich die Problematik um die Anerkennungsfähigkeit des "gerechtfertigten Alternativverhaltens" mit Kuhlen, der sich besonders vehement für eine Übertragung der Kriterien des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs auf die Ebene der Rechtfertigungsgründe auch außerhalb der "hypothetischen Einwilligung" eingesetzt hat, wie folgt formulieren: Sei eine tatbestandsmäßige Handlung wegen eines Rechtfertigungsmangels objektiv nicht gerechtfertigt, so müsse der Erfolg auf diesem Mangel – d.h. auf den diesen Mangel begründenden Tatsachen – objektiv zurechenbar beruhen, andernfalls das objektive Unrecht der (vollendeten) Tat fehle.[44] Übertragen auf den Fall Jalloh würde die Anerkennung der Figur des "hypothetischen Richtervorbehalts" bzw. der "hypothetischen richterlichen Anordnung" durch den BGH dazu führen, dass dem Angeklagten zwar ein rechtswidriges Freiheitsberaubungsverhalten zu attestieren wäre und auch das Erfolgsunrecht einer vollendeten Freiheitsberaubung vorläge, der Angeklagte sich aber darauf berufen könnte, dass der Erfolg bzw. das Erfolgsunrecht nicht oder jedenfalls nicht mit hinreichender Sicherheit gerade auf der Rechtswidrigkeit des freiheitsberaubenden Verhaltens beruht, er also – um es mit dem BGH zu sagen – den Erfolg nicht (sicher) gerade durch das rechtswidrige Freiheitsberaubungsverhalten verursacht hat.[45]
Unabhängig davon, wie man zur Berücksichtigungsfähigkeit von hypothetischen Kausalverläufen und zur Berücksichtigung einer hypothetischen Einwilligung des Geschädigten im Arztstrafrecht steht, kann aber die Übertragung des Gedankens einer hypothetischen Rechtmäßigkeit auf die fehlende Rechtfertigung wegen eines Verstoßes gegen den Richtervorbehalt aus mehreren Gründen nicht überzeugen:
aa) Die Bedeutung des Richtervorbehalts
Über die im Weiteren zu entfaltenden normtheoretischen Einwände gegen die Berücksichtigungsfähigkeit hypothetischer Kausalverläufe auf der Rechtfertigungsebene hinaus ergeben sich durchgreifende verfassungsrechtliche sowie folgenorientierte und somit kriminalpolitische Bedenken zunächst daraus, dass die vom Senat als Verlaufshypothese geprüfte Sachverhaltsmodifikation einen prozeduralen Rechtfertigungsgrund von grundgesetzlicher Tragweite betrifft. Indem der Senat die Folgen des Verstoßes gegen den grundgesetzlich abgesicherten Richtervorbehalt (Artt. 2 Abs. 2, 104 GG) "hinweghypothetisiert" hat, ist dessen Schutzfunktion gegen staatliche Übergriffe zur kleinen Münze degradiert worden. Zwar scheint der Senat die eminente Bedeutung des Richtervorbehalts zunächst erkannt zu haben, indem er formuliert, dieser diene
"der verstärkten Sicherung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG. Alle staatlichen Organe sind verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass der Richtervorbehalt praktisch wirksam wird. Diese praktische Wirksamkeit wird nur erreicht, wenn in jedem Fall, in dem die Freiheitsentziehung ohne vorherige richterliche Entscheidung ausnahmsweise zulässig ist, diese Entscheidung unverzüglich nachgeholt wird. (…) Dementsprechend setzten alle im vorliegenden Fall als Rechtsgrundlage (…) in Betracht kommenden Normen grundsätzlich eine unverzüglich einzuholende richterliche Entscheidung voraus."[46]
Mit der vom Senat in höchsten Tönen gepriesenen Funktion des Richtervorbehalts, eine zusätzliche verfahrensmäßige Absicherung – die Gewährung rechtlichen Gehörs sowie die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks durch eine unabhängige verfahrensexterne Instanz – und damit "Grundrechtsschutz durch Verfahren" zu garantieren, ist aber die Vorgehensweise des Senats nicht zu vereinbaren, eine staatliche Freiheitsentziehung, die auf grundgesetzwidrigen Weg bewirkt wurde, deshalb nicht als rechtswidrig verursacht zuzurechnen, nur weil sie (möglicherweise) auf rechtmäßigem Wege und damit grundgesetzkonform hätte verursacht werden können.[47] Schon die Mutmaßung, dass ein mit der Frage der Aufrechterhaltung des freiheitsberaubenden Zustandes befasster Richter diese (möglicherweise) angeordnet hätte, ist von Grundgesetzes wegen allenfalls dann legitim, wenn die Befassung des Richters mit dieser Frage nicht statthaft und somit gleichsam "Gefahr im Verzug" war. § 38 Abs. 1 S. 2 LSA-SOG spricht, wie bereits gezeigt wurde, insoweit eine eindeutige Sprache und trägt den verfassungsrechtlichen Vorgaben Rechnung, indem dort eine richterliche Entscheidung über den (weiteren) frei-
heitsentziehenden Gewahrsam nur dann für entbehrlich erklärt wird, "wenn anzunehmen ist, dass die Entscheidung des Richters erst nach Wegfall des Grundes der polizeilichen Maßnahme ergehen würde." Die grundgesetzlich vorgegebene und einfachgesetzlich in § 38 LSA-SOG ausgestaltete "Sperrwirkung" der Anwendungsvoraussetzungen der richterlich angeordneten rechtfertigenden Gewahrsamsentscheidung wird durch die Rechtsfigur des Erfolgszurechnungsausschlusses mittels eines "hypothetischen Richtervorbehalts" unterlaufen. Diese Unmethode höhlt die strafrechtliche Absicherung grundlegender und vom Grundgesetz vorgegebener verfahrensmäßiger Garantien aus, ganz abgesehen von der kriminalpolitisch-folgenorientierten Überlegung[48], dass die Vorgehensweise des Senats Polizeibeamten eine Art strafrechtlichen Generalfreibrief für die ahndungslose Missachtung dieser Garantien ausstellt, weil sich im Nachhinein kaum je völlig sicher ausschließen lassen wird, dass ein Richter, der um die Anordnung (der Fortdauer) einer Freiheitsentziehung ersucht worden wäre, diese Anordnung auch getroffen hätte. Genau solche Unwägbarkeiten soll die bereits beschriebene rechtfertigungskonstitutive Wirkung der Wahrung des Richtervorbehalts durch Einholung einer richterlichen Gewahrsamsanordnung ausschließen.
bb) Hypothesenfestigkeit prozeduraler Rechtfertigungsgründe im Allgemeinen
Unabhängig davon, wie man zur Figur des "gerechtfertigten Alternativverhaltens" und der "Rechtfertigungszusammenhangs" im Allgemeinen steht (dazu aber sogleich unter c]), wird man jedenfalls für den prozeduralen Rechtfertigungsgrund des Gewahrsams nach § 37 Abs. 1 Nr. 1 LSA-SOG einen Zurechnungsausschluss auf der Basis einer irreal-fiktiven Alternativverlaufshypothese nicht anerkennen können: Die Frage nach der Rechtfertigung wird im jeweils anstehenden Verfahren durch die von Gesetzes oder gar Grundgesetzes wegen hierfür zuständige Person geklärt. Wie diese Person – in casu der gemäß § 38 Abs. 2 S. 1 LSA-SOG zuständige Richter des AG Dessau-Roßlau – entschieden hätte, ist nicht nur eine im Nachhinein unentscheidbare, sondern auch sinnlose Frage, solange der Richter mit der Gewahrsamsfortdauer nicht befasst wurde, weil diese Frage am Wesen eines prozeduralen Rechtfertigungsgrundes vorbeigeht: Der prozedurale Rechtfertigungsgrund des Gewahrsams nach § 37 Abs. 1 LSA-SOG ist gekennzeichnet durch eine ex-ante-Prüfung seiner Voraussetzungen durch eine nicht am Gewahrsam selbst Beteiligten; man kann insofern von "Mitzuständigkeit des Polizei(verfahrens)rechts" für die Reichweite einer strafrechtlichen Verhaltensanweisung sprechen.[49] Diese "Mitzuständigkeit" eines im Polizei- und Ordnungsrechts strafrechtsextern geregelten Verfahrens hat – neben der oben unter 1. thematisierten Gewährleistung von "Grundrechtsschutz durch Verfahren" – den weiteren Vorzug, dass mit ihr ein höheres Maß an Rechtssicherheit für die den Gewahrsam durchführenden Polizeibeamten einhergeht.[50] Denn ob die Gewahrsamsvoraussetzungen des § 37 Abs. 1 Nr. 1 LSA-SOG gegeben sind, hängt vom polizeirechtlichen Begriff der ex ante zu beurteilenden Gefahr ab und damit von einer Prognose, die sich ex post als unzutreffend herausstellen kann. Die richterliche Anordnung der Freiheitsentziehung bietet für die den Freiheitsentzug durchführenden Personen Schutz vor Strafverfolgung qua Rechtfertigung, wenn sich die der Gefahrenbeurteilung zugrundeliegende Prognose im Nachhinein als unzutreffend herausstellt, und dies selbst dann, wenn die richterliche Anordnung aus anderen Gründen nicht rechtmäßig ergangen ist und im Instanzenzug aufgehoben wird.[51] Die Bedeutung der Prozeduralisierung der Gewahrsamsrechtfertigung zeigt sich also erstens daran, dass auch die strafrechtliche Rechtsmäßigkeitsbeurteilung an die polizeirechtliche ex-ante-Perspektive anknüpft, und zweitens an der für die strafrechtliche Rechtfertigung geltenden und bis zur Nichtigkeit reichenden Richtigkeitsvermutung einer richterlichen Entscheidung. Aus dieser spezifisch prozeduralen Wirkung des § 37 Abs. 1 Nr. 1 LSA-SOG ergibt sich, dass die Frage nach der Zurechnung eines Erfolgs zur Rechtswidrigkeit des Verhaltens – ganz unabhängig von sonstigen dogmatischen Bedenken – sinnlos ist. Die Zurechnung eines Erfolges zu einem Verhalten ist eine stets ex post vorzunehmende Operation, weil nur etwas Geschehenes als Erfolg Zurechnungsgegenstand sein kann. Hingegen knüpft, wie gesehen, § 37 Abs. 1 Nr. 1 LSA-SOG an eine Gefahrenprognose und damit an eine ex-ante-Perspektive an. Diese unterschiedlichen Perspektiven lassen sich nicht miteinander in Einklang bringen. Wenn – woran aus verfassungsrechtlichen Gründen (Art. 2 Abs. 2, 104 Abs. 2 GG) kein Zweifel bestehen kann – die Etablierung eines mit rechtfertigender Wirkung ausgestatteten Verfahrens legitim ist, so muss der den Gewahrsam durchführende Beamte, um gerechtfertigt sein zu können, die Entscheidung des aus gutem Grund ansonsten nicht am Gewahrsam beteiligten Richters einholen, die dieser aus einer ex-ante-Perspektive zu treffen hat; Spekulationen, wie der Richter entschieden hätte, verlassen stets die einzig relevante ex-ante-Perspektive und urteilen zwangsläufig ex post. Der prognostisch-zukunftsorientierte Charakter präventiver staatlicher Freiheitsentziehungen, stempelt eine ex post erfolgende mögliche bessere Erkenntnis – die sich ex ante ohnehin schon aus Gründen der beschränkten menschlichen Erkenntnis kaum je ausschließen lassen wird – zu einer Unkategorie. Aus diesem Grund lässt sich die Vorgehensweise des Senats auch nicht mit dem Argument retten, dem Angeklagten eine rechtswidrige Freiheitsberaubung zu attestieren liefe darauf hinaus, einen reinen Verfahrensverstoß und damit rein formelles Unrecht als Strafunrecht zu behandeln. In der Auswechselung der prognostischen ex-ante-Perspektive gegen eine hypothetisierende ex-post-Perspektive liegt der wahre Kern des (an sich die Rechtfertigungs- und nicht die Zurech-
nungsproblematik betreffenden) Arguments, eine nachträgliche Hypothesenbildung und -prüfung laufe – für den vorliegenden Fall entgegen § 38 Abs. 1 S. 2 LSA-SOG – auf die Zulassung einer nachträglichen richterlichen Genehmigung hinaus, obgleich es doch von Grundgesetzes wegen allein auf das Vorliegen einer Genehmigung im Zeitpunkt der Gewahrsamsbegründung bzw. (in casu Jalloh: -aufrechterhaltung) ankommt.
cc) Hypothesenfestigkeit des Richtervorbehalts im Besonderen
Hinzu kommt ein Weiteres, das dem Senat – mutmaßlich im Bestreben, dem Angeklagten den Verbrechensstrafrahmen des § 239 Abs. 4 StGB zu ersparen – offenbar entgangen ist, das er ausweislich der Urteilsbegründung jedenfalls aber für nicht nennenswert erachtet hat: Die Problematik der für die Aufrechterhaltung des Gewahrsams erforderlichen Wahrung des Richtervorbehalts bestand allein wegen des Umstandes, dass es sich bei dem Angeklagten um einen Polizisten und damit einen an (prozedurale) Grundrechte gebundenen Hoheitsträger handelte. Hätte der Angeklagte im Fall Jalloh als Privatmann agiert, wäre es auf die Einholung einer richterlichen Anordnung von vornherein nicht angekommen und die Freiheitsberaubung eo ipso rechtswidrig gewesen. Hierin liegt ein gewichtiger Unterschied des im Fall Jalloh einschlägigen "hypothetischen Richtervorbehalts" zu der zunächst das Binnenverhältnis unter Privaten betreffenden Figur der hypothetischen Einwilligung: Ist dort zunächst nur ein privatrechtliches Verhältnis betroffen, so spielt der Fall Jalloh von Anfang an im öffentlich-rechtlichen Bereich. Die strafrechtliche Anerkennung und erfolgszurechnungsausschließende Wirkung der hypothetischen Einwilligung im Arztstrafrecht führt – bedenklich genug – "nur" zu einer Eskamotierung des strafrechtlichen Schutzes des Patientenselbstbestimmungsrechts, wohingegen die hier in Rede stehende Hypothesenberücksichtigung bei Missachtung des Richtervorbehalts die Freiheit der Person im sensibelsten Bereich – nämlich in der klassischen Abwehrfunktion gegen staatliche Zugriffe – ohne strafrechtlich abgesicherten Schutz lässt. Für diesen besonderen Schutz des herausragend bedeutsamen Freiheitsgrundrechts aus Art. 2 Abs. 2 GG sorgt – auch nach Aufhebung des früher die Freiheitsberaubung im Amt regelnden § 341 StGB a.F. – die auch Polizisten betreffende Strafbewehrung freiheitsentziehenden Verhaltens.
Dass in dem besonders anfälligen Bereich des Schutzes des Bürgers gegenüber dem Handeln von Hoheitsträgern die strafrechtliche Absicherung der auch und gerade gegenüber Polizisten geltenden Verhaltensnorm des § 239 Abs. 1 StGB zurückgenommen und allein davon abhängig sein soll, dass eine von Grundgesetzes wegen vorgeschriebene richterliche Anordnung (zwar nicht eingeholt wurde, aber möglicherweise) hätte erlangt werden können, läuft auf eine praktische Entwertung des Richtervorbehalts hinaus. Es trifft den Bürger schon hart genug, dass er das Risiko der Rechtswidrigkeit einer richterlichen Gewahrsams(fortdauer)anordnung zu tragen hat, weil diese – bis zur Nichtigkeitsgrenze – auch bei Rechtswidrigkeit wirksam (nämlich lediglich im Instanzenzug anfechtbar) ist und die Freiheitsentziehung rechtfertigt.[52] Viel spricht daher dafür, dass das auf einem Verstoß gegen den Richtervorbehalt beruhende Fehlen einer richterlichen Gewahrsamsanordnung – a maiore ad minus – einer nichtigen Anordnung normativ gleichstehen muss, die als nullum keinerlei rechtliche und damit auch weder rechtfertigende noch als Gegenstand einer Verlaufshypothese erfolgszurechnungsausschließende Wirkung haben kann.
aa) Dogmatische Bedeutung des Geschädigtenschutzes
In dogmatischer Hinsicht dürfen die vorstehenden kriminalpolitischen Erwägungen zur Rücknahme des strafrechtlichen Schutzes in einem besonders sensiblen Bereich allerdings nicht überbewertet werden. Dem strafrechtlichen Schutz des Opfers – und damit auch seiner faktischen Schutzlosigkeit – kann als Argumentationskriterium keine Bedeutung zukommen, weil Strafe immer erst nach geschehener Tat – repressiv – eingreift und es damit in der Natur jeder strafrechtlichen Sanktionsnorm liegt, dass ihre Wirkung "zu spät kommt". Strafrechtlicher Schutz kann dem Geschädigten pro praeterito durch die Bestrafung des Täters ohnehin nicht mehr vermittelt werden. In Bezug auf Geschädigten hat das Strafrecht versagt. Dass der Schutz des Geschädigten sich entgegen einer verbreiteten Sicht auch nicht durch die Etablierung von "Schutznormen" oder "Gewährleistungsnormen" abbilden lässt, wird deutlich, wenn man den Zweck der Verhängung der Sanktion Strafe nicht unmittelbar im Schutz von Rechtsgütern sieht – vor einer geschehenen Rechtsgutsbeeinträchtigung kann die Sanktion Strafe nicht schützen –, sondern im Schutz der durch die Tat angegriffenen Verhaltensnorm; erst die Verhaltensnorm, deren Befolgung die Sanktionsnorm mittels Strafe allein bezweckt, hat den Schutz von Rechtsgütern unmittelbar zum Gegenstand. Strafe trachtet also nicht absolut, sondern nur – pro futuro und gleichsam mittelbar über die Vermittlung von Verhaltensnormen – nach Rechtsgüterschutz. Voraussetzung einer strafrechtlichen Sanktion ist somit der Bruch einer Verhaltensnorm durch den Täter. Genau deshalb ist die Existenzberechtigung der Normenkategorie "Schutznorm", mit der die vorstehenden kriminalpolitischen Erwägungen zur "Schutzlosigkeit" des in die Fänge eines Polizisten geratenen Geschädigten stillschweigend gespielt haben, im Bereich des Strafrechts angreifbar[53]: Weil das Strafrecht in der Gestalt von Sanktionsnormen lediglich mittels der Verhängung von Strafe die Beachtung von außerhalb des Strafrechts liegenden, von diesem vorgefundenen und an diese akzessorisch anknüpfenden Verhaltensnormen schützt, kann das Strafrecht selbst keine eigene Schutznorm aufstellen, sondern ist auf die Gewährung außerstrafrechtlicher, vom Strafrecht vorgefundener subjektiver Rechte angewiesen und kann diese auch nur in dem vom Strafrecht bereits vorgefundenen Maße über die Aufstellung von Verhaltensnormen schützen. Strafrechtlichen Verhal-
tensnormen kommt bei einer solchen Betrachtungsweise keine (eigene, Rechte des Opfers konstituierende) Distributiv- oder Gewährleistungsfunktion zu. Damit hat die Kategorie der strafrechtlichen Schutznorm aber keine eigene normtheoretische Bedeutung, die sich auf Seiten des Geschädigten argumentativ in Stellung bringen ließe: Kann das Strafrecht Rechtsgüter (oder besser: subjektive Rechte) selbst nicht schützen, sondern nur für die Beachtung der diese ihrerseits schützenden Verhaltensnormen sorgen, so verwendet die Rede von der strafrechtlichen Schutzlosigkeit dogmatisch einen Unbegriff, der allenfalls kriminalpolitisch mit Blick auf perhorreszierte Folgen von Bedeutung ist. Eine dogmatische Erwägung muss den Blick vom Opfer lösen und auf die Struktur der an den Täter gerichteten Verhaltensnorm lenken.
bb) Die Bewertungsfunktion der Deliktsmerkmals "Rechtswidrigkeit"
Insoweit ist es zunächst mit der bewertenden Funktion des Deliktsmerkmals "Rechtswidrigkeit" unvereinbar, dass ein tatbestandsmäßig-normwidriges und rechtswidriges Verhalten deshalb strafrechtlich folgenlos bleiben soll, weil der realiter rechtswidrig kausierte Erfolg auch auf rechtmäßigem Wege hätte verursacht werden können. Hinter diesem Befund steht die folgende normtheoretische Erwägung: Bei der Aussage, das Verhalten des Angeklagten sei rechtswidrig gewesen, handelt es sich um eine Bewertung in dem Sinne, er habe mit seinem Verhalten gegen eine bestimmte einem Strafgesetz zugrundeliegende Verhaltensnorm verstoßen. Strafrechtlichen Verhaltensnormen kommt neben einer Bestimmungsfunktion – mit der die Vorstellung einer Verhaltensnorm, die sich an den Einzelnen wendet und ihm sagt, was er tun und lassen soll, verbunden ist – auch eine Bewertungsfunktion zu.[54] Die Bewertung eines Täterverhaltens erfolgt aus einer – weil aus ihr eine Verhaltensanweisung folgen muss: antizipierten – Retrospektive. Das bedeutet, dass im Zeitpunkt der Tathandlung (bzw. -unterlassung) feststehen muss, ob das Täterverhalten rechtswidrig war oder rechtmäßig (hier: gerechtfertigt). Demzufolge gibt es für die Bewertung eines tatbestandsmäßigen Verhaltens nur zwei Kategorien, nämlich rechtswidrig und gerechtfertigt. Dieses binäre Bewertungssystem löst die Vorgehensweise des Senats auf. Im Fall Oury Jalloh hätte nach der Methode des BGH das Verhalten des Angeklagten eigenartigerweise mit der Wendung "rechtswidrig, aber hypothetisch rechtmäßig" bewertet werden müssen. Auch wenn der Senat die hypothetisch gebliebene Beachtung des Richtervorbehalts nicht bei der Verhaltensbewertung als "rechtmäßig" verortet, sondern bei der Zurechnung des Freiheitsberaubungserfolgs zum Täterverhalten, verfehlt das dem BGH offenbar vorschwebende Tertium "rechtswidrig, aber hypothetisch gerechtfertigt" die Bewertungsfunktion strafrechtlicher Verhaltensnormen,[55] weil sich die Bildung einer rechtfertigenden Hypothese und ihre Berücksichtigung als alternative Verlaufshypothese als geradezu dysfunktional erweist, wenn zum Zeitpunkt des Täterhandelns eine Verhaltensnorm dem Täter eine Verhaltensvorgabe machen soll. Auf Rechtswidrigkeitsebene ist damit schon aus diesem Grund der Berücksichtigung von Verlaufshypothesen eine Absage zu erteilen.
cc) Parallele zur Konstellation des "hypothetischen Ersatztäters"
Auf den ersten Blick scheint der Umstand, dass das hypothetische Alternativverhalten nur durch das Handeln eines Dritten – nämlich durch eine mangels Befassung irreal gebliebene Gewahrsamsfortdaueranordnung des zuständigen Amtsrichters – gerechtfertigt ist, Ähnlichkeiten zu der aus der Kausalitätsdogmatik bekannten Konstellation des sog. "hypothetischen Ersatztäters" zu bergen. Diese Konstellation ist dadurch gekennzeichnet, dass – in Anwendung der der condicio-sine-qua-non-Formel entstammenden Wegdenkmethode – ein den identischen Erfolg bewirkender Dritter gleichsam "bereitgestanden" hätte, wenn der Täter seinerseits nicht gehandelt hätte. Seit der Massenkarambolageentscheidung des BGH besteht jedoch im Wesentlichen Einigkeit darin, dass der Täter sich nicht mit kausalitätshindernder Wirkung auf ein hypothetisches erfolgsursächliches Handeln eines Dritten berufen kann und dass einem sich sorgfaltswidrig verhaltenden Täter ein Erfolg auch dann als sorgfaltswidrig verursacht zugerechnet wird, wenn ein vom Geschädigten personenverschiedener Dritter bei sorgfaltsgemäßem Verhalten des Täters den Erfolg verursacht hätte.[56] Auch wenn die dafür gegebenen Begründungen changieren, so stimmt man im Ergebnis darin überein, dass ein irreal gebliebenes Alternativverhalten eines Dritten als unbeachtliche Reserveursache behandelt wird. Von der Konstellation des "hypothetischen Ersatztäters" unterscheidet sich der Fall Jalloh dadurch, dass der hypothetisch mitwirkende Amtsrichter nicht den Erfolg herbeigeführt hätte – diesen hätte auch in der Alternativverlaufshypothese der Angeklagte verursacht -, sondern lediglich dafür gesorgt hätte, dass dies auf rechtmäßigem – nämlich gerechtfertigten – Wege geschehen wäre. Weshalb dieser Unterschied im Fall Jalloh die von allgemeinen Grundsätzen abweichende Zulassung einer über ein Dritthandeln verlaufenden Alternativhypothese begründen soll, ist nicht ersichtlich, geschweige denn, dass der BGH eine solche Begründung gegeben hätte.
Wer diese Begründung nachholen und darauf abstellen möchte, dass dem Angeklagten ein Unterlassen zur Last fällt und die Prüfung der Quasikausalität ohne die Prü-
fung von Hypothesen nicht auskommt, der ist daran zu erinnern, dass es sich bei der hypothetischen Dritthandlung um eine solche eines Richters handelt, der im Rahmen der ihm allein von Grundgesetzes wegen verliehenen Anordnungskompetenz gleichsam als Garant über die verfahrensrechtliche Stellung des Betroffenen und zugleich über dessen Freiheitsrechte (in casu: Artt. 2 Abs. 2, 104 GG) wacht. Insofern bestehen Berührungspunkte mit der Problematik des von Feuerbach[57] ersonnenen "Scharfrichterfalls" auf, dem Engischs[58] Feldzug gegen die condicio-sine-qua-non-Formel zur Bekanntheit verholfen hat und auf den ein vergleichender Blick lohnt: Es geht um den Vater eines ermordeten Kindes, der den Henker beiseite stößt, das Fallbeil selbst auslöst und dadurch den zum Tode verurteilten Mörder seines Kindes in genau demselben Moment tötet, in dem es ohne Eingreifen des Vaters der Henker getan hätte. Eine Minderheitsauffassung geht in Übereinstimmung mit Feuerbach davon aus, dass der Vater den Tod des Henkers entweder nicht verursacht habe oder der Tod ihm jedenfalls nicht im rechtlichen Sinne zurechenbar sei: So hat Samson in Anwendung seines "Intensivierungsprinzips" argumentiert, weil das Eingreifen des Vaters das Leben des Henkers nicht verkürzt und somit die Bestandschancen des Rechtsguts Leben nicht im Geringsten geschmälert habe, fehle es an einem rechtlich relevanten Erfolg i.S. des § 212 StGB.[59] Während dieser Standpunkt Samsons die Bewertung des Todes als Nichterfolg verficht und damit eher erfolgsbezogen argumentiert, wendet sich Kahrs gegen die Begründbarkeit eines Tötungsverbots gegenüber dem Vater und damit gegen die Verhaltensnorm. Da die Rechtsordnung an der Erhaltung des Rechtsgutsobjekts kein Interesse mehr habe, ja der Tod des Kindsmörders sogar erwünscht sei,[60] lasse sich die Aufrechterhaltung des Tötungsverbots gegenüber dem Vater nicht legitimieren.
Jedenfalls letzterer Standpunkt, mit dem das Tötungsverbot gegenüber dem Vater zurückgenommen werden soll, lässt sich offensichtlich nicht halten. Lässt man Art. 102 GG beiseite, so sieht die Rechtsordnung die Tötung des Kindsmörders allein im Rahmen einer ordnungsgemäßen Hinrichtung durch den für die Vollstreckung des Todesurteils vorgesehenen Henker vor; allein unter diesen Voraussetzungen besteht ein – staatliches – Eingriffsrecht, auf das sich der Henker bei Begehung seines nach § 212 StGB tatbestandsmäßigen Totschlags berufen kann.[61] Davon, dass sich im Scharfrichterfall die im Tötungsverbot liegende Verhaltensnorm nicht legitimieren lasse, kann somit keine Rede sein. Wäre es anders, so müsste, um ein Beispiel Roxins aufzugreifen, jedermann straflos einen mit Haftbefehl zur Festnahme Ausgeschriebenen festnehmen können, ohne dass zugleich die Voraussetzungen des § 127 Abs. 1 StPO vorliegen müssten,[62] wodurch die Binnendifferenzierung der Festnahmerechte nach § 127 Abs. 1, Abs. 2 StPO unterlaufen würde.
Daraus, dass ein Eingriffsrecht des Kindsmörders nur unter den Voraussetzung einer ordnungsgemäßen Hinrichtung durch den für die Vollstreckung des Todesurteils vorgesehenen Henker besteht, ergibt sich aus der umgekehrten Perspektive des Kindsmörders, dass diesem eine Pflicht zur Duldung der Hinrichtung nur dann auferlegt ist, wenn die dafür geltenden Voraussetzungen tatsächlich – und nicht nur hypothetisch – erfüllt sind, wie Jakobs es mit der "krassen" Aussage auf den Punkt gebracht hat, dem Hinzurichtenden sei "garantiert, dass er vom Zuständigen getötet wird."[63] Daher kann im Scharfrichterfall die Annahme eines tatbestandmäßigen und rechtswidrigen Totschlages des Vaters auch nicht mit dem Argument fehlender Erfolgsverursachung bzw. -zurechnung des Vaters verneint werden. Wollte man demgegenüber bestreiten, dass es sich bei der Tod des Kindsmörders um einen tatbestandmäßigen Erfolg i.S. des § 212 StGB handelt oder dass der Tod dem Vater des Kindes zugerechnet werden kann, so müsste man, weil solchenfalls kein rechtlich relevanter Eingriff des Vaters in eine Rechtsposition des Kindsmörders und damit kein Angriff i.S. des § 32 StGB vorläge,[64] diesem die Notwehrbefugnis absprechen – kaum ein akzeptables Ergebnis, vergegenwärtigt man sich, dass die Beschränkung der Amtsrechte auf einen beschränkten Personenkreis und auf ein bestimmtes Verfahren die mit dem Handeln Privater einhergehende "Vogelfreiheit" des Betroffenen gerade vermeiden möchte.
Überträgt man die Erkenntnisse dieses Exkurses zum Scharfrichterfall auf die Frage nach der zurechnungsausschließenden Wirkung der hypothetischen richterlichen Gewahrsamsanordnung, so zeigt sich, dass auch im Unterlassungsbereich der Berücksichtigung von hypotheti-
schen Dritthandlungen Grenzen gesetzt sind. Jedenfalls soweit das hypothetische Täterhandeln von der Mitwirkung eines Amtsträgers abhängt, kommt eine "Weghypothetisierung" der Zurechnungsbeziehung zwischen Täterverhalten und Erfolg schon deshalb nicht in Betracht, weil – gerade wegen der Personen- und Verfahrensgebundenheit der Amtsrechte – eine Duldungspflicht des Betroffenen nur unter der Voraussetzung besteht, dass die Voraussetzungen des Amtsrechtfertigungsgrundes real vorliegen. Im Fall Jalloh erweist sich der reale Verlauf zwischen der Nichtfreilassung des Jalloh durch den Angeklagten und der fortdauernden Freiheitsberaubung also bereits deshalb als "hypothesenfest", weil das hypothetisch gerechtfertigte Täterhandeln von der Mitwirkung eines Richters abhängig war.
Dass es bei der Prüfung der Frage, ob der Täter für einen Erfolg verantwortlich ist, auf der Ebene der Rechtfertigung kein Pendant zu der Figur des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs geben kann, lässt sich – auch wenn man die soeben thematisierte Aushöhlung der Bewertungsfunktion von Verhaltensnormen außer Betracht lässt – zudem anhand von dessen Funktion zeigen. Beim Pflichtwidrigkeitszusammenhang geht es um eine Kausalitätsbeziehung zwischen Pflichtwidrigkeit und Erfolg in dem Sinne, dass der tatbestandliche Erfolg seinen Grund gerade in denjenigen Umständen des Sachverhalts haben muss, die das Verhalten des Täters als sorgfaltswidrig erscheinen lassen. Im Wesentlichen besteht daher unter den Anhängern der Lehre von der objektiven Zurechnung, als deren Heimstatt der Pflichtwidrigkeitszusammenhang herkömmlicherweise verstanden wird, heutzutage Einigkeit darüber, dass eine (ex post vorzunehmende) Erfolgszurechnung ausscheidet, wenn derselbe Erfolg auch bei einem sorgfaltsgemäßen Täterverhalten (das üblicher-, aber ungenauerweise als rechtmäßiges Alternativverhalten bezeichnet wird) eingetreten wäre;[65] denn dann erweist sich die (weil aus ihr eine handlungswirksame Verhaltensanweisung folgen soll: ex ante zu formulierende) Sorgfaltsnorm als zur Erfolgsvermeidung in casu concreto ungeeignet. Letztlich geht es bei der Voraussetzung des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs folglich darum, ob die Rechtsordnung dem rechtsunterworfenen Normadressaten mit der zu beachtenden Sorgfaltsnorm eine zur Erfolgsvermeidung konkret taugliche Verhaltensalternative aufzeigen konnte.[66] War dies nicht der Fall, so besteht die Funktion des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs darin, die Zurechnung des Erfolges auszuschließen, weil der Erfolg dann nicht spezifisch auf dem sorgfaltswidrigen Verhalten beruht, sondern nur gleichsam anlässlich eines solchen Verhaltens eingetreten ist.
Ganz anders verhält es sich aber bei der im Jalloh-Fall thematischen Kausalität der rechtswidrigkeitsbegründenden Umstände. Bei der Frage nach der hypothetischen Kausalität des gerechtfertigten Alternativverhaltens steht nicht die Suche nach einer Verhaltensalternative in Rede, denn mit der Bewertung eines Verhaltens als rechtswidrig hat die Rechtsordnung in puncto Vermeidung eines als rechtswidrig bewerteten Verhaltens bereits das letzte Wort gesprochen. Ein tatbestandsmäßig-normwidriges und rechtswidriges Verhalten hat der Täter unbedingt zu vermeiden, und dazu ist er bei hinreichender Tatumstands- und Verbotskenntnis auch in der Lage. Deshalb muss ihm die Rechtsordnung – anders als beim Fahrlässigkeitsdelikt – kein erfolgsvermeidungstaugliches sorgfaltsgemäßes Alternativverhalten aufzeigen; im Gegensatz zum Fahrlässigkeitstäter fehlt dem Vorsatztäter keine aktuell befolgbare Verhaltensalternative. Dieser strukturelle Unterschied zwischen Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikt ist zugleich der Grund dafür – und ein weiteres Argument gegen die Berücksichtigung hypothetisch rechtfertigender Kausalverläufe –, dass der Pflichtwidrigkeitszusammenhang beim hier in Rede stehenden Vorsatzdelikt dogmatisch funktionslos ist, keine Existenzberechtigung hat,[67] und sich seine Übertragung auf die Ebene der Verhaltensrechtfertigung im Fall Jalloh verbietet.
Diese Erwägungen zeigen, dass mit der vom BGH im Fall Jalloh praktizierten Beachtlichkeit eines "gerechtfertigten Alternativverhaltens" der (sowohl im Hinblick auf das Täterverhalten als auch auf den Erfolg) als rechtswidrig bewertete Kausalverlauf anlasslos durch einen zwar gerechtfertigten, aber lediglich gedachten irrealen Kausalverlauf ersetzt und damit unter der Hand in eine gerechtfertigte Freiheitsberaubung verwandelt wird. Zugleich tritt in besonderer Deutlichkeit eine der Schwächen der condicio-sine-qua-non-Formel zutage, nämlich dass anstelle des wahren Kausalverlaufs ein hypothetischer geprüft wird und über die Kausalität des wahren Verlaufs allenfalls mittelbar – nämlich im Wege eines Vergleichs des hypothetischen mit dem realen Verlauf – eine Aussage getroffen wird. Nur am Rande sei bemerkt, dass hier zudem die Beliebigkeit der Berücksichtigung eines rechtmäßigen Alternativverhaltens offenbar wird: Warum es insofern gerade auf die hypothetische Wahrung des Richtervorbehaltes ankommen soll, sagt der BGH nicht – durch die schiere Freilassung des Jalloh und damit die Unterlassung der Aufrechterhaltung der Freiheitsberau-
bung wäre der Erfolg (nicht als Bewertungssubstrat, sondern als Realereignis) ja ebenfalls vermieden worden. Begründen lässt sich dies entgegen der Annahme des Senats nicht damit, dass "bei der Prüfung der hypothetischen Kausalität kein `Vorrang´ von sich auf die Freiheitsentziehung als solche beziehenden Handlungen gegenüber denjenigen, die (erst) deren Rechtswidrigkeit beseitigen", besteht, wenn "alternative Handlungen in Betracht (kommen), die den Erfolgseintritt entweder durch die Beendigung der Freiheitsentziehung als solcher (…) oder aber durch das Herbeiführen ihrer Rechtmäßigkeit verhindert hätten". Im Gegenteil offenbaren die Ausführungen des Senats das oben (II. 2. b]) aufgezeigte grundlegende Fehlverständnis von der Struktur der Rechtfertigung. Denn die Herbeiführung der Rechtmäßigkeit hätte weder den Erfolg noch die Erfüllung des Tatbestandes des § 239 Abs. 1 StGB entfallen lassen. Wenn man Hypothesenbildung und -berücksichtigung betreiben möchte, so ist für eine als Kausalität zu verstehende Ursächlichkeitsbeziehung als Anknüpfungspunkt allein das normwidrige Verhalten, nicht aber ein etwa (unterbliebenes) rechtfertigendes Verhalten relevant.
Dass auf der Ebene der Rechtswidrigkeit keine Fragen der Erfolgszurechnung mehr zu erörtern sind, weil diese Prüfungsstufe sich in einer bloßen Bewertung des Täterverhaltens erschöpft, lässt sich jedenfalls für das hier interessierende Vorsatzdelikt ferner an der als Fehlen des sog. subjektiven Rechtfertigungselements bekannten Konstellation ersehen. Dort wird überwiegend davon ausgegangen, dass bei vollständiger – und nur bei vollständiger – Verwirklichung der objektiven Rechtfertigungslage der objektive Erfolgsunwert als wesentlicher Baustein strafrechtlichen Unrechts fehlt.[68] Hinter der (erst) auf Rechtswidrigkeitsebene erfolgenden Verkürzung der tatbestandsmäßig-normwidrigen Vollendung steht der Gedanke, dass objektiv rechtfertigende Umstände dem Täter nur dann vollständig ad meritum – zum Verdienst und damit zur Unrechtsaufhebung – zugerechnet werden können, wenn der Täter von ihnen Kenntnis hat[69]; eine Unrechtsaufhebung des Unrechts kann solchenfalls nur insoweit erfolgen, wie die kompensierende Wirkung des Subjektiven reicht. Bei Fehlen des subjektiven Rechtfertigungselements bleibt deshalb das Handlungsunrecht bestehen; es entfällt wegen der objektiv vorliegenden Rechtfertigungslage aber das Erfolgsunrecht, weil der Erfolgseintritt nicht rechtlich missbilligt wird und damit kein Unrecht darstellt.[70] Eine solche Kompensation des Erfolgsunrechts ist aber nur dann möglich, wenn die objektiven Unrechtsvoraussetzungen gegeben – und zwar vollständig gegeben – sind. Dieses Erfordernis vollständiger Verwirklichung der objektiven Rechtfertigungsvoraussetzungen unterläuft die vom BGH nunmehr auf Rechtfertigungsebene praktizierte Zurechnungsdogmatik, indem sie Rechtfertigungsvoraussetzungen durch ihre hypothetische Existenz austauscht,[71] weil der Erfolgsunwert der Tat auf der Rechtfertigungsebene nur (aber immer auch dann) entfällt, wenn die objektiven Rechtfertigungsvoraussetzungen vorliegen; nur dann kann eine Kompensation des Erfolges eintreten, weil nur dann die Funktion der Rechtfertigungsebene – den Erfolgssachverhalt neu zu bewerten – aktiviert wird. Hingegen kann – hier tritt wieder die Bewertungsfunktion des Rechtswidrigkeitsurteils auf den Plan – eine Frage der Erfolgszurechnung bei der Rechtfertigung keine Rolle spielen, weil – auf den Fall Jalloh bezogen – die rechtliche Konsequenz einer Einholung der richterlichen Gewahrsamsfortdaueranordnung nicht nur im Entfallen des Erfolgsunrechts bestanden hätte, sondern in der Rechtfertigung der Tat insgesamt, also in der Aufhebung der Erfolgs- und des Verhaltensunrechts.[72] Von der Problematik des Fehlens des subjektiven Rechtsfertigungselements abgesehen, gilt auf der bewertenden Ebene der Rechtswidrigkeit also: "ganz oder gar nicht".
Von einem Entfallen bzw. von einem Ausschluss der Zurechnung des Erfolgsunrechts ließe sich demgegenüber allenfalls sprechen, wenn man entweder die (hypothetische) richterliche Gewahrsamsanordnung als Erfolg ansehen wollte oder die Bewertung des Erfolges als rechtswidrig verursacht als Erfolg verstehen wollte[73]. Keiner dieser beiden Wege ist indessen gangbar: Ersterer nicht, weil das allein maßgebliche Gesetz die Freiheitsberaubung bzw. deren Aufrechterhaltung als Erfolg bestimmt und deshalb eine Veränderung der Zurechnungsbezugspunkte mit Erfolgszurechung im Sinne der zu transponierenden Lehre von der objektiven Zurechnung nichts mehr zu tun hätte, sondern freie Rechtsschöpfung contra legem wäre; und Zweiterer nicht, weil die Bewertung eines Zustandes kein in Zurechnungsbeziehung zu einem Verhalten stehender Erfolg sein kann, da die Glieder der Zurechnung unterschiedlichen sprachlogischen Ebenen angehören würden (das Verhalten zur Objekt-, der Erfolg zur Metaebene) und die Bewertung eines Zu-
standes nicht durch ein Verhalten verursacht werden kann. Näher läge es da schon, als zweites Glied der Zurechnung die gesamte Tat (das Verhalten einschließlich des Erfolges) anzusehen; aber damit wäre wiederum ein Gesamtunrechtsausschluss (oder mit Blick auf die Bewertungsfunktion besser: eine Gesamtunrechtsaufhebung) verbunden, den nicht akzeptieren kann, wem es um eine "objektive Zurechnung des Erfolges zur Handlung"[74] geht.
aa) Keine Nivellierung des Richtervorbehalts durch Alternativverlaufshypothesen im Strafprozessrecht
So traditionsreich die Berücksichtigung alternativer Verlaufshypothesen durch die Rechtsprechung im Bereich prozeduraler Rechtfertigungsgründe ist,[75] so wenig kann sie nach alledem inhaltlich überzeugen. Im Strafprozessrecht, dem die Bildung von Verlaufshypothesen entstammt ("hypothetical clean path"), ist die Problematik der Nivellierung von grundgesetzlich geschützten Verfahrensgarantien denn auch seit langem geläufig. Hier ist ungeachtet im Wesentlichen anerkannt, dass der Berücksichtigung von hypothetischen Alternativkausalverläufen dort eine Grenze zu ziehen und eine Absage zu erteilen ist, wo verfassungsmäßige Rechte des präventiven Rechtsschutzes unberücksichtigt geblieben und dadurch verletzt worden sind.[76] Um solchen präventiven Rechtsschutz, der auch durch spätere Verlaufshypothesen nicht ersetzt oder beeinflusst werden kann, ist es den strafprozessualen Richtervorbehalten zu tun: Sie sollen vornehmlich bei auf Informationsüberlegenheit beruhendem überraschendem staatlichen Handeln der generell bestehenden und nie gänzlich auszuschließenden Gefahr vorbeugen, dass Grundrechtspositionen durch reaktiven und damit verspätet eingreifenden Schutz entwertet werden. Im Rahmen seiner Anordnungskompetenz wacht der Ermittlungsrichter gleichsam als Garant[77] über die verfahrensrechtliche Stellung des Betroffenen[78] und damit zugleich darüber, dass die Strafverfolgungsbehörden keinen rechtswidrigen Informationsvorsprung erhalten.[79] Für den aus Artt. 2 Abs. 2, 104 GG folgenden Richtervorbehalt bei Freiheitsentziehung bedeutet das, dass er rechtliche Wirkung nur – aber dann auch immer – dort zeitigt, wo er beachtet worden ist.[80] Im Rechtfertigungssinne wirkt die richterliche Anordnung somit aus verfassungsrechtlichen Gründen konstitutiv, ihre Einholung daher in Gänze rechtfertigend und führt dazu, dass die tatbestandsmäßig-normwidrige Freiheitsberaubung rechtmäßig ist; demgegenüber führt das Fehlen der richterlichen Anordnung dazu, dass die Freiheitsberaubung in ihrer Gänze als rechtswidrig zu bewerten ist und insbesondere nicht lediglich den Ausschluss des Erfolgsunrechts zur Konsequenz hat, und zwar wegen ihrer rechtfertigungskonstitutiven Wirkung ganz gleichgültig, ob eine richterliche Anordnung hätte erlangt werden können oder nicht.
bb) Verfehlte Parallele zum strafprozessualen hypothetischen rechtmäßigen Ersatzeingriff
Nur am Rande sei darauf hingewiesen, dass das dem Topos vom hypothetischen rechtmäßigen Ersatzeingriff eigene Hypothesendenken, auf das in der Literatur im Kontext der Oury-Jalloh-Entscheidung vereinzelt Bezug genommen worden ist,[81] schon deshalb nicht ins materielle Strafrecht hineingetragen werden kann, weil diese prozessuale Rechtsfigur zu der hier in Rede stehenden Problematik des "prozedural gerechtfertigten Alternativverhaltens" inhaltlich nichts beizutragen vermag.[82] Beide Problemkreise sind funktional völlig unterschiedlich gelagert: Jener ursprünglich dem angloamerikanischen Strafrechtskreis entstammenden Rechtsfigur ist es um eine Auflösung des Konflikts zwischen der strafprozessualen Zielvorgabe der Findung der materiellen Wahrheit einerseits und den prozessualen Schutzrechten des Beschuldigten sowie seinem Interesse an der Wahrung der Verfahrensförmlichkeiten andererseits zu tun. Selbst wenn man den Standpunkt teilt, dass – und sei es nur unter gewissen Umständen – letztere Beschuldigteninteressen zurücktreten müssen, wenn das bemakelte Beweismittel auch ohne die verfahrensfehlerhafte Vorgehensweise der Strafverfolgungsbehörden erlangt worden wäre[83], fehlt es an jedem dogmatischen Berührungspunkt
dieses allein und erst die Beweisstation betreffenden Aspekts mit der hier in Rede stehenden rein materiellrechtlichen, der Beweisebene logisch vorgelagerten Frage nach der Beachtlichkeit eines hypothetisch gerechtfertigten Alternativverhaltens. Zudem würden sich beide Hypothesen, erklärte man sie denn für beachtlich, in unterschiedliche Richtungen auswirken. Im ersteren Fall des hypothetical clean path geht es um die Berücksichtigung einer täterbelastenden Verfahrenshypothese in Bezug auf einen in der rechtlichen Bewertung eindeutigen Sachverhalt, bei dem schon klar ist, welche Tatsachen bewiesen werden müssen und nur die Frage nach der Beweisverwertbarkeit im Streit ist, bei Letzterem dagegen um die Rechtsfrage nach einer täterentlastenden Berücksichtigung einer Alternativverlaufshypothese auf der rechtlichen Bewertungsebene.
Fassen wir den Ertrag der bisherigen Untersuchung zusammen: Nur im Ergebnis, nicht aber in der Begründung kann dem BGH in der Annahme gefolgt werden, dass sich das Verhalten des Angeklagten als freiheitsberaubendes Unterlassen darstellt. Indem der Angeklagte den Jalloh nicht freiließ, hat er dessen fortdauernde Freiheitsberaubung und damit den (Dauer-)Erfolg des § 239 Abs. 2 StGB verursacht. Entgegen der Annahme des Senats ist es ohne jede rechtliche Bedeutung, dass der Angeklagte bei Einholung einer richterlichen Anordnung über die Gewahrsamsfortdauer die Freiheitsberaubung gerechtfertigt durchgeführt hätte; insoweit stellt sich die Entscheidung des BGH als rechtsfehlerhaft dar. Richtigerweise hätte der BGH zu dem Ergebnis gelangen müssen, dass der Angeklagte das Grunddelikt (§ 239 Abs. 1 StGB) der Freiheitsberaubung mit Todesfolge (§ 239 Abs. 4 StGB) verwirklicht hat.
Nicht nur gegen die Zulassung einer hypothetisch rechtfertigenden Verlaufsalternative sind Einwände zu erheben, sondern auch gegen ihre Prüfung durch den Senat. Selbst wenn man entgegen den obigen Darlegungen auf der Ebene der Rechtswidrigkeit im Allgemeinen und im Zusammenhang mit der Missachtung des mit Verfassungsrang versehenen Richtervorbehalts im Besonderen die Berücksichtigung alternativer Verlaufshypothesen für methodisch akzeptabel hält, kann die unklare Art und Weise, wie der BGH den hypothetisch rechtfertigenden und damit die Zurechnung des Unrechtserfolgs (vermeintlich) hindernden Alternativsachverhalt bestimmt hat, nicht überzeugen.
Der Senat hat als rechtfertigendes Alternativverhalten auf die Information des für die Entscheidung über die Gewahrsamsfortdauer zuständigen Richters abgestellt, die hypothetische Entscheidung des zuständigen Richters überprüft und dabei den Zweifelssatz für anwendbar befunden: Es entfalle die
"Kausalität, wenn diese Handlung vorgenommen worden wäre und der Richter den Gewahrsam jedenfalls bis einschließlich zum Zeitpunkt des Todes von J mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit angeordnet hätte".
Sieht man einmal mehr davon ab, dass es für den Ausschluss des Zurechnungszusammenhangs ("Kausalität" mit den Worten des Senats) zwischen Rechtswidrigkeit und Erfolg ("Rechtfertigungszusammenhang") nach den selbstgesetzten Prämissen des Senats nicht auf eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit ankommen kann, sondern schon die bloße, nicht nur gedankliche Möglichkeit zurechnungsausschließend wirken müsste (vgl. schon oben III. 2.), so lässt sich den Ausführungen des Senats an dieser Stelle entnehmen, dass einen Zurechnungsausschluss offenbar eine kontrafaktische Entscheidung eines mit der Sache nie befassten Amtsrichters (vgl. § 38 Abs. 2 S. 1 LSA-SOG) herbeiführen soll. Damit käme es nicht auf die im Grundsatz strikt normative (und damit gerade nicht irreal-kontrafaktische) Frage an, wie der zuständige Richter rechtmäßiger Weise hätten entscheiden müssen. Wesentlich unklarer ist demgegenüber die Formulierung des Senats, es bestünden keine
"tragfähige(n) Anhaltspunkte dafür, dass nach einer solchen richterlichen Entscheidung (zumindest) die Fixierung hätte beendet werden müssen oder beendet worden wäre".
Ginge es dem Senat um die Unterstellung und Prüfung eines irreal-hypothetischen Alternativverlaufs nach Befassung des zuständigen Richters, so hätte er allein darauf abstellen dürfen, ob die Fixierung beendet worden wäre; ob sie hätte beendet werden müssen, hätte als rein normatives Kriterium bei der Prüfung einer alternativen Verlaufshypothese, die von vornherein auf die Untersuchung eines irrealen Sachverhalts angelegt ist, außer Betracht zu bleiben. Warum der Senat nun aber zwei unterschiedliche Szenarien nebeneinander nennt ("beendet werden müssen oder beendet worden wäre), die auf miteinander nicht zu vereinbarende Methoden der Alternativverlaufsbildung beruhen (strikt normativ bzw. irreal-kontrafaktisch), bleibt sein Geheimnis.
a) Vorzugswürdigkeit der Berücksichtigung einer normativ rechtmäßigen Gewahrsamsentscheidung
Der irreal-kontrafaktische Ausgangspunkt des BGH im Fall Jalloh entspricht der in der Rechtsprechung des BGH des Öfteren[84] angewandten Methode der Feststellung, wann ein Unterlassen für ein Ereignis kausal ist, wenn Inhalt der gebotenen und realiter unterlassenen Tätigkeit die Einschaltung eines Dritten (in casu des zuständigen Richters) gewesen wäre; an ihr hat der BGH ungeachtet der an ihr geübten Kritik bis dato und auch im Fall Jalloh jedenfalls dem äußeren Anschein und dem Lippenbekenntnis nach festgehalten. Dabei sind die Schwachpunk-
te dieser Methode bekannt: Auf ein hypothetisches Verhalten eines Dritten abzustellen bedeutet dem Täter den Einwand einzuräumen, ein anderer hätte sich (möglicherweise) fehlerhaft verhalten, was mit dem Grundsatz nicht zu vereinbaren ist, dass man sich auf eine – zumal hypothetische – fremde Pflichtverletzung nicht berufen kann.[85] Noch grundsätzlicher ist gegen die Prüfung der Frage, welche (Ermessens-)Entscheidung der mit der Sache befasste Amtsrichter getroffen hätte, einzuwenden, dass diesbezüglich stricto sensu von einem Kausalverlauf nicht die Rede sein kann, weil für die Fassung menschlicher Entschlüsse keine subsumtionsfähigen Kausalgesetze im "Wenn-dann-Schema" zur Verfügung stehen und sich menschliches Verhalten in einer die Willens- und Entscheidungsfreiheit postulierenden Rechtsordnung nicht verursachen lässt.[86] Wollte man es – gestützt etwa auf eine allein maßgebliche ex-ante-Perspektive[87] oder alltägliches Erfahren und Empfinden des betroffenen Dritten[88] – anders sehen und deshalb eine Verursachung der (hypothetischen) Entscheidung des Amtsrichters durch eine (hypothetische) Befassung seitens der Polizei prüfen, so müsste man davon ausgehen, dass die Entscheidung des Amtsrichters als kausierte die einzig mögliche war und mit Notwendigkeit erfolgte.[89] Dies ist ein inakzeptabler Standpunkt, da sich die Annahme einer definitionsgemäß bindenden Kausierung mit dem Postulat der menschlichen Entscheidungsfreiheit und auf den Fall bezogen mit der richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 GG) der Entscheidungsfindung zumal bei einer Ermessensentscheidung – nicht vereinbaren lässt.
Für die Fälle der sog. psychischen Motivationskausalität verdient deshalb zu Recht der Vorschlag den Vorzug, als Alternativverlaufshypothese das dem Dritten normativ gebotene Verhalten zugrundezulegen, um dem Täter den entlastenden und realiter kaum je völlig auszuschließenden Verweis auf ein nicht einmal stattgefundenes Fehlverhalten des Dritten zu nehmen.[90] Letztlich ist auf diese Weise – freilich ohne es zu sagen – der Sache nach auch der BGH im Urteil zum Fall Jalloh vorgegangen, indem der Senat es für sich in Anspruch genommen hat, in der Alternativverlaufshypothese
"eine Recht und Gesetz entsprechende Entscheidung des Richters zugrundezulegen" und nur dem Richter gegebene Beurteilungsspielräume in dubio pro reo "zugunsten des Angeklagten auszuschöpfen."[91]
Für diese Vorgehensweise spricht – neben den genannten durchgreifenden Mängeln der Gegenposition und der den vorliegenden Fall kennzeichnenden Besonderheit, dass explizite rechtliche Regeln für die Bestimmung des dem Dritten (Amtsrichter) rechtlich gebotenen Verhaltens vorliegen – insbesondere die erkenntnistheoretisch-forensische Einsicht, dass eine irreale Hypothese schon aus Gründen der beschränkten menschlichen Erkenntnisfähigkeit nicht feststellungsfähig und damit weder verifizierbar noch falsifizierbar ist. Wie sich der für die Entscheidung zuständige Amtsrichter bei entsprechender korrekter Information durch den Angeklagten verhalten und ob er die Gewahrsamsfortdauer angeordnet hätte, kann im Nachhinein nicht einmal der Amtsrichter selbst beantworten, sondern allenfalls mutmaßen; es handelt sich um eine prinzipiell unbeantwortbare und damit forensisch unentscheidbare Frage, die mangels einer Tatsachenbasis auch nicht dem Beweise zugänglich ist. Da es zu ihr keine feststellungsfähigen Tatsachen gibt, kann es zu ihr auch weder Zweifel noch Überzeugung, sondern allenfalls Spekulation geben; die beiden vor dem Hintergrund des § 261 StPO allein bedeutsamen Begriffe des Zweifels und der Überzeugung setzen voraus, dass es für sie eine in einem realen Sachverhalt liegende Tatsachenbasis gibt, auf die sie sich beziehen können. Die auf einen irreal-kontrafaktischen Sachverhalt abzielende Frage, welche Entscheidung der Amtsrichter zur Gewahrsamsfortdauer getroffen hätte, ist im Nachhinein unentscheidbar und deshalb forensisch unbrauchbar.
b) Methodische Unzulänglichkeiten in der Prüfung der Alternativverkaufshypothese durch den BGH
Von der Prüfung eines irrealen Alternativkausalverlaufs unterscheidet sich die Unterstellung einer einem Dritten normativ gebotene Handlung in kategorialer Hinsicht grundlegend. Welche Handlung dem zuständigen Richter geboten gewesen wäre, ist nicht Gegenstand der "Feststellung" von (irrealen) Tatsachen, sondern stellt einen Subsumtionsvorgang dar, der als Antwort auf eine Rechtsfrage nicht zweifelsbefangen sein kann, sondern vom Richter zu beantworten ist. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass auch der BGH gespürt hat, über welch dünnes Eis er mit seinem argumentativen Ausgangspunkt geschlittert ist, ein bloße irreale Hypothese gebliebener Kausalverlauf sei feststellungsfähig und könne zurechnungsausschließend wirken. Im weiteren Verlauf hat der Senat nämlich als Alternativverlaufshypothese zunächst das dem Dritten normativ gebotene Verhalten zugrundegelegt und geprüft, wie der zuständige Amtsrichter hätte entscheiden müssen (und nicht, wie er entschieden hätte). Mit der Äußerung, es sei
"davon auszugehen, dass der zuständige Richter den Schutzgewahrsam des J gem. § 37 I Nr. 1 LSASOG auch über 12 Uhr hinaus angeordnet hätte",
hat der Senat zwar einleitend scheinbar auf einen irrealen Sachverhalt abgestellt, wenige Randnummern später jedoch überraschenderweise – und wenig glücklich formulierend – die Aussage nachgeschoben, er sei "– jedenfalls auf Grund der Besonderheiten des Falls – befugt, die Prüfung der `Quasi-Kausalität´ selbst vorzunehmen." Die "normative Beurteilung der Kausalität des Unterlassens" beziehe sich "nicht darauf, ob die Gefahr tatsächlich vorlag und der Gewahrsam zu ihrer Abwendung unerlässlich war", sondern beschränke sich "im Wesentlichen auf die Prüfung, welche Entscheidung ein rechtmäßig handelnder Richter hierzu getroffen hätte." Dass es nun entgegen der naturalistisch geprägten Ausgangsthese des Senats, es gebe einen feststellungsfähigen hypothetischen Alternativsachverhalt, plötzlich nicht mehr darauf ankommen soll, wie der zuständige Richter – ggf. auch fehlerhaft – tatsächlich entschieden hätte, sondern darauf, wie dessen Entscheidung rechtmäßigerweise lauten musste, ist zwar richtig, aber auch mit der Begründung des Senats nicht plausibel zu erklären. In dieser heißt es, ihm – dem Senat – wie auch dem Schwurgericht habe "angesichts der (…) im (…) angefochtenen Urteil auch umfassend mitgeteilten Feststellungen eine ausreichende und tragfähige Grundlage zur Verfügung" gestanden. Die revisionsrechtlich relevante Belastbarkeit der Feststellungen für eine eigene Sachentscheidung hat aber mit der Substituierbarkeit eines hypothetisch-irrealen Alternativverlaufs durch eine rein normativ geprägte Verlaufshypothese (rechtmäßige Entscheidung des zuständigen Richters) wenig zu tun; genau genommen setzt eine eigene Sachentscheidungsmöglichkeit auf der Basis zureichender Feststellungen voraus, dass die Strafgerichte befugt sind, die Entscheidung des zuständigen Richters durch eine normative Erwägung im Nachhinein zu ersetzen bzw. nachzuvollziehen (was, um es nochmals zu bemerken, die Methode des BGH und des Schwurgerichts in verdächtige Nähe einer im Bereich der Artt. 2 Abs. 2, 104 GG, §§ 37, 38 LSA-SOG nicht statthaften nachträglichen Gewahrsamsgenehmigung rückt). Dass der Senat eine eigene Sachentscheidung treffen kann, setzt aber nach der Revisionskonzeption der StPO (zumindest und von weiteren Bedenken gegen das Bestehen einer hinreichenden Erkenntnisgrundlage abgesehen) voraus, dass dies dem Landgericht ebenfalls möglich war. Gerade ob und ggf. warum dem Landgericht diese Möglichkeit offenstand, bedarf jedoch der Klärung, weshalb die Begründung des BGH in zirkulärer Weise das thema probandum voraussetzt.
Mit diesem Befund soll – wenn man argumendi causa die Einbeziehbarkeit rechtfertigender Umstände in die Prüfung des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs einmal akzeptiert (dagegen oben III. 3.) – nicht die Vorgehensweise des Senats als solche kritisiert werden, sondern allein die methodische Verwirrung, mit der die Prüfung des hypothetischen Kausalverlaufs durch den Senat behaftet ist. Wäre der BGH im Urteil zum Fall Oury Jalloh dagegen bei seiner Ausgangsthese von der Feststellungsfähigkeit eines hypothetisch-irrealen Alternativkausalverlaufs geblieben, so hätte er gemäß § 354 Abs. 2 StPO das Urteil des Landgerichts aufheben und die Sache zurückverweisen müssen; denn die Tatfrage, wie der Amtsrichter entschieden hätte, lässt sich der Begründung des BGH nicht entnehmen, sondern nur Aussagen zu der Rechtsfrage, wie er hätte entscheiden müssen. Einen Grund dafür, dass der Senat – unter Abweichung von den meisten Vorläuferentscheidungen zur über Drittentscheidungen verlaufenden Alternativhypothesen – mit der dem Amtsrichter (vermeintlich) gebotenen Anordnung der Gewahrsamsfortdauer eine rein normativ geprägte alternative Verlaufshypothese unterstellt hat, ist nicht zu ersehen; sachlich bietet es sich aber bei Alternativkausalverläufen, die – wie vorliegend die amtsrichterliche Entscheidung durch die Anforderungen des § 37 LSA-SOG – durch rechtliche Regeln vorgeben sind, an, auf diese rechtlichen Regeln zu rekurrieren. Wie der Amtsrichter entschieden hätte, wäre er mit der Gewahrsamsfortdauer befasst worden, ist nicht nur prinzipiell unbeantwortbar, sondern völlig offen und im Nachhinein rein spekulativ. Dass es demgegenüber allein auf die dem Amtsrichter gebotene Entscheidung ankommen kann, erhellt schließlich auch daraus, dass der Anlass für die Hypothesenerwägungen des BGH gerade darin bestand, dass der Senat die Gewahrsamsvoraussetzungen im vorliegenden Fall für gleichsam "materiell" erfüllt erachtete. Wollte man hingegen unter völliger Lösung von den "materiellen" Gewahrsamsvoraussetzungen des § 37 LSA-SOG allein darauf abstellen, wie der mit der Gewahrsamsentscheidung befasste Richter – ggf. auch rechtsfehlerhaft – entschieden hätte, so würde von vornherein der Anknüpfungspunkt für die vom Senat vorgenommenen hypothetischen Erwägungen fehlen.
c) Die Bedeutung des richterlichen Ermessens
Obwohl die Methode der konkrete Hypothesenbildung für sich genommen insoweit zu begrüßen ist, als der BGH sich zur Prüfung einer normativ gebildeten Alternativverlaufshypothese verstanden hat, so ist doch die rechtliche Besonderheit zu bedenken, dass die als tragfähige Ermächtigungsgrundlage angesehene Vorschrift des § 38 LSA-SOG, in der die richterliche Entscheidung über die Gewahrsamsfortdauer geregelt ist, den Amtsrichter auf Rechtsfolgenseite nicht lediglich auf eine bloße Kontrolle der Ermessensausübung durch die Polizei beschränkt, sondern ihn wegen der grundgesetzlichen Absicherung durch die Artt. 2 Abs. 2, 104 GG zu einer eigenen originären Entscheidung mit eigener Ermessensausübungskompetenz verpflichtet.[92] Damit steht dem Richter bei der Entscheidung über die Gewahrsamsfortdauer gleichsam dasjenige Ermessen zu, das die Polizei bei der Begründung des Gewahrsams auszuüben hat. Da es in der Natur des Ermessens liegt, dass seine Ausübung gerade nicht strikt normativ durch die Anwendung rechtlicher Regeln determiniert ist, kam der Senat nicht umhin, bei der Bestimmung der hypothetischen Verlaufsalternative entgegen normativen Ansatz nun doch die auf Feststellung eines irreal-fiktiven Sachverhalts abzielende Frage einzubeziehen, wie der zuständige Amtsrichter sein Ermessen ausgeübt hätte. Auf die Feststellung dieses kontrafaktischen Sachverhalts soll dann der Zweifelssatz
Anwendung finden: Nur dem Richter gegebene Beurteilungsspielräume seien in dubio pro reo "zugunsten des Angeklagten auszuschöpfen."[93] Aber da für die Ermessensausübung der Amtsrichter gesetzlich ausschließlich zuständig war (Art. 2 Abs. 2, 104, 101 Abs. 1 S. 2 GG, § 38 Abs. 2 S. 1 LSA-SOG) und nicht der BGH, stellt die Annahme des Senats, der Amtsrichter hätte die Gewahrsamsfortdauer angeordnet, in doppelter Hinsicht eine revisionsrichterliche Anmaßung dar: Indem der BGH nun – das liegt in der Natur seiner auf das gerechtfertigte Alternativverhalten abstellenden Methode – die Entscheidung des Amtsrichters sozusagen nachholt, setzt er – erstens – notwendig seine eigene Ermessensausübung an die Stelle desjenigen Amtsrichters, der ursprünglich dazu berufen war. Zweitens geht es bei der Etablierung der Rechtsregel, es seien "Beurteilungsspielräume (…) in dubio pro reo zugunsten des Angeklagten auszuschöpfen", jedenfalls dann nicht mehr um die Feststellung eines kontrafaktischen Sachverhalts, sondern um Rechtsanwendung, wenn sie von einem Revisionsgericht vorgenommen wird. Auch anhand dieser Übergehung des den Geschädigten schützenden amtsrichterlichen Ermessens kann man sehen, dass die Berücksichtigung eines rechtfertigenden Alternativverhalten aus der land- und revisionsgerichtlichen Retrospektive in die Nähe einer sub specie Artt. 2 Abs. 2, 104 II GG gerade nicht statthaften nachträglichen Genehmigung gerät.
Zu diesen grundsätzlichen, die Bestimmung des hypothetisch rechtfertigenden Alternativkausalverlaufs betreffenden Erwägungen kommt im Fall Jalloh hinzu, dass die Begründung des Senats sich nur zu der Möglichkeit der Einholung einer amtsrichterlichen Gewahrsamsanordnung verhält, jedoch den Umstand nicht berücksichtigt hat, dass der Geschädigte im weiteren Verlauf realiter entgegen den Vorgaben der seinerzeit geltenden Polizeigewahrsamsanordnung nicht ständig optisch überwacht wurde. An anderer Stelle, nämlich bei der Begründung einer für § 222 StGB erforderlichen Sorgfaltspflichtverletzung, hat der Senat das Erfordernis einer ständigen optischen Überwachung an sich klar erkannt (jedoch bedauerlicherweise daraus für die Erfolgszurechnung nach § 239 Abs. 1 StGB nicht die Konsequenzen gezogen), indem er formuliert hat:
"Die Pflichten eines im Jahr 2005 in De. für den Gewahrsamsvollzug verantwortlichen Polizeibeamten ergeben sich insbesondere aus der Polizeigewahrsamsordnung (in der damals geltenden Fassung v. 27.3.1995, LSAMBl. Nr. 34/1995, 1211; im Folgenden LSAPGO). Diese forderte schon in Nr. 3.1 S. 2, dass der Gewahrsamsvollzug so auszugestalten ist, dass "die Gefahr gesundheitlicher Schäden" für die verwahrte Person vermieden wird. Hierzu regelte Nr. 5.2 S. 5 und 6 LSAPGO, dass für die Unterbringungszeit ausreichend Personal – insbesondere für den Gewahrsamsdienst (dazu Nr. 7 LSAPGO) – zur Verfügung stehen muss oder – soweit diese Voraussetzung nicht erfüllt ist – die Unterbringung im Wege der Amtshilfe in einer Justizvollzugsanstalt zu erfolgen hat. Zudem bestimmte Nr. 31.3 LSAPGO, dass betrunkene Personen im Abstand von höchstens 30 Minuten zu kontrollieren sind, soweit seitens des untersuchenden Arztes keine besonderen Hinweise ergangen sind. Daran gemessen begegnet es keinen Bedenken, dass das SchwurGer. bei der gebotenen objektiven Betrachtung ex ante einen Sorgfaltsverstoß des Angekl. bejaht hat, weil er nicht für eine ständige auch optische Überwachung des J gesorgt hat. Denn der Angekl. war – wie er wusste – trotz der Einschaltung eines Arztes zur Prüfung der Gewahrsamsfähigkeit des J gem. Nr. 2.1 S. 4 LSAPGO selbst für den ordnungsgemäßen Vollzug der Polizeigewahrsamsordnung verantwortlich. Ihm oblag es daher auch, durch geeignete Maßnahmen der Gefahr eines gesundheitlichen Schadens für J entgegenzuwirken. Eine solche – erforderliche und geeignete – Maßnahme hat das SchwurGer. rechtsfehlerfrei in der ständigen optischen Überwachung des J gesehen. Denn dieser war nicht nur stark alkoholisiert, so dass schon nach Nr. 31.3 LSAPGO eine Kontrolle in "höchstens" halbstündlichem Abstand zu erfolgen hatte. Vielmehr war er – wie der Angekl. wusste – an allen Gliedmaßen fixiert und daher allenfalls eingeschränkt in der Lage, den auf Grund seines (alkoholisierten) Zustands bestehenden Gesundheitsgefahren zu begegnen. Hinzu kam, dass dem Angekl. auch das zuvor von J gezeigte aggressive, insbesondere sein selbstverletzendes Verhalten bekannt war (unter anderem mit Stößen des Kopfes in Richtung Wand und Tisch, wobei er erst durch das Eingreifen eines Polizeibeamten von "erheblichen Selbstverletzungen" abgehalten werden konnte). Vor diesem Hintergrund ist es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass das SchwurGer. – auch angesichts der Erfahrungen des Angekl. im "Fall Bi" – das Unterlassen der Anordnung einer ständigen optischen Überwachung des J durch den Angekl. als eine den Fahrlässigkeitsvorwurf gegen diesen begründende Pflichtverletzung gewertet hat."
Dass der Geschädigte Jalloh nicht, wie es die Polizeigewahrsamsordnung verlangte, optisch überwacht wurde, begründet nicht nur, wie der Senat zutreffend erkannt hat, als sorgfaltswidriges Verhalten den Vorwurf der fahrlässigen Tötung (§ 222 StGB), sondern stellt – neben der Nichteinholung der gemäß § 38 LSA-SOG erforderlichen richterlichen Gewahrsamsentscheidung, aus der sich das Fehlen der Rechtfertigung ergibt – auch einen zusätzlichen Fehler bei der Durchführung des Gewahrsams dar.[94] Diesen letzteren Verstoß hat der Senat nicht "hinweghypothetisiert", weil er ihn in den von ihm präsentierten hypothetischen, vermeintlich rechtfertigenden Alternativkausalverlauf nicht einbezogen hat. Damit hat der BGH seiner Alternativverlaufshypothese ein mangels ständiger optischer Überwachung nicht fehlerfrei Alternativverhalten zugrundegelegt. Selbst wenn man dem Senat in seiner höchst zweifelhaften Ausgangsthese folgen möchte, dass ein hypothetisches gerechtfertigtes Alternativverhalten die Zurechnung des Erfolgs hindern kann (dagegen oben III. 3.), sind somit die Voraussetzungen dieser Methode mit der konkret als Hypothese unterstellten und geprüften bloßen Verständigung des Amtsrichters und der Aufrechterhaltung des Gewahrsams nach dessen bejahender Entscheidung nicht erfüllt und ist der Ausschluss der Erfolgszurechnung (als nicht rechtswidrig verursacht) nicht tragfähig begründet.
Gegen diesen Befund lässt sich nicht mit Zimmermann und Linder einwenden, dass nicht jeder Gesetzesverstoß bei der Durchführung die Rechtfertigung des Gewahrsams entfallen lässt,[95] sondern es darauf ankommt, ob
der Verstoß für Beurteilung der Maßnahme prägend ist.[96] Auch wenn man dafür hält, dass der Überwachungsverstoß die Gewahrsamsaufrechterhaltung nicht prägt, weil er dem Schutz nicht der von § 239 Abs. 1 StGB allein erfassten Fortbewegungsfreiheit dient, sondern mit Leben und körperlicher Unversehrtheit anderen Rechtsgütern,[97] so bedeutet das nicht, dass in der nach Ansicht des BGH zu bildenden Alternativverlaufshypothese eine Maßnahme (optische Überwachung) unberücksichtigt bleiben kann, die bei ordnungsgemäßer Gewahrsamsdurchführung hätte vorgenommen werden müssen und für die Ordnungsgemäßheit des Gewahrsams von Bedeutung sind, mögen sie auch – nach welchen Maßstäben auch immer – keinen prägenden Charakter haben. Insbesondere verfängt nicht der Verweis auf den andersgearteten Rechtsgüterschutzzweck der Pflicht zu ständiger optischer Überwachung, der – so Zimmermann und Linder – bei Verletzung der Pflicht zu einer Strafbarkeit aus § 222 StGB, nicht aber zum Entfallen der Rechtfertigung nach § 239 Abs. 1 StGB führe.[98] Mit dieser Argumentation wird übersehen, dass es nicht um die Rechtfertigung der real stattgefundenen Gewahrsamsfortdauer geht – diese war voraussetzungsgemäß nicht gerechtfertigt und damit rechtswidrig, andernfalls sich die Frage nach dem Rechtfertigungszusammenhang gar nicht stellen würde –, sondern vielmehr darum, wie eine nach Ansicht des BGH die Erfolgszurechnung ausschließende Alternativverlaufshypothese beschaffen sein muss. Zu der Parallelfigur zum hier in Rede stehenden "Rechtfertigungszusammenhang", nämlich dem Pflichtwidrigkeitszusammenhang bei fahrlässigen Erfolgsdelikten, ist demgemäß auch im Wesentlichen anerkannt – mag es auch von der Rechtsprechung nicht immer konsequent durchgehalten werden –, dass nur ein einwandfrei sorgfaltsgemäßes und rechtmäßiges Alternativverhalten als Prüfungsmaßstab herangezogen werden darf und rechtswidrige und sorgfaltswidrige Alternativverhaltensweisen außer Betracht zu bleiben haben, gleichgültig, aus welchen Gesichtspunkt sich ihre Sorgfalts- bzw. Rechtswidrigkeit ergibt.[99] Um ein solches einwandfrei sorgfaltsgemäßes Alternativverhalten handelt es sich im Fall Jalloh, wie die Ausführungen des Senats zu § 222 StGB zeigen, aber gerade nicht.
Hatte der Angeklagte nach alledem neben § 222 StGB auch das Grunddelikt nach § 239 Abs. 1 StGB verwirklicht, so spricht alles dafür, dass er des Verbrechens der Freiheitsberaubung mit Todesfolge (§ 239 Abs. 4 StGB) schuldig zu sprechen gewesen wäre. Insbesondere fehlt es nicht an der Verwirklichung des tatbestandsspezifischen Gefahrenzusammenhangs zwischen der dem Grunddelikt der Freiheitsberaubung anhaftenden spezifischen Gefahr und der Todesfolge. Es ist keine untypische Erscheinung einer Freiheitsentziehung, dass ein der Freiheit beraubtes Opfer – mitunter auch auf höchst unvernünftige Weise – Selbstbefreiungsversuche unternimmt,[100] oder gar Suizid begeht,[101] weil der Täter das Opfer durch die Freiheitsberaubung in eine notstandsähnliche Lage bringt, in der es sein natürlicher Freiheitsdrang oder die emotionale Ausnahmesituation zur Eingehung (auch unvernünftig) hoher Lebensrisiken genötigt sieht, um sich zu befreien. Die Erwägungen des Senats, mit dem dieser zu § 222 StGB einen Zurechnungsausschluss qua eigenverantwortlicher Selbstgefährdung verneint hat, beanspruchen auch für § 239 Abs. 4 StGB Gültigkeit.[102] Daher stellt das Entzünden der Matratze durch den Geschädigten Jalloh eine spezifisch durch die Freiheitsberaubung veranlasste Handlung dar.
Bedenken gegen die Realisierung der tatbestandsspezifischen Freiheitsberaubungsgefährlichkeit im Tod des Geschädigten Jalloh hat allerdings Jäger geäußert: Zwar hätte – insoweit besteht Übereinstimmung mit dem hier vertretenen Standpunkt – das Hypothese gebliebene Tun des Polizeibeamten (Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung) den – wenn man die Rechtswidrigkeit der Freiheitsberaubung so attribuieren will – "Erfolg" (rechtswidrige Freiheitsberaubung zum Zeitpunkt des Todes) verhindert, indes sei der rechtmäßige Freiheitsentzug im Verhältnis zum rechtwidrigen Freiheitsentzug ein aliud und begründet daher unter dem Aspekt des § 239 Abs. 1 StGB gerade keinen identischen Erfolgsunwert. Da aber der Sinn der Einholung einer richterlichen Entscheidung nur in der Rechtfertigung des Freiheitsent-
zugs bestehe und nicht in der Verhinderung von Todesfolgen, vor denen die formale richterliche Bestätigung als solche ohnehin nicht schützen könnte, fehle der spezifische Zurechnungszusammenhang zwischen Freiheitsberaubung (durch Unterlassen) und Todesfolge nach § 239 Abs. 4 StGB.[103]
Diesem Standpunkt Jägers ist darin zu folgen, dass der Sinn der Erwirkung einer richterlichen Gewahrsamsanordnung als (hypothetisch gebliebene) Erfüllung einer zur Aufrechterhaltung des Gewahrsams akzessorische "Hilfspflicht" allein in der Rechtfertigung der tatbestandsmäßig-normwidrigen Freiheitsberaubung besteht; gerade deshalb kommt es für die Kausalität der Freiheitsberaubung und für die Einordnung als aktives Tun ja nur auf die Gewahrsamsaufrechterhaltung und gerade nicht auf die unterbliebene Einhaltung des Richtervorbehalts an (dazu oben II. 2.). Jägers Argument trägt aber das von ihm angenommene Ergebnis – den Zurechnungsausschluss hinsichtlich der schweren Folge – nicht. Für den spezifischen Zurechnungszusammenhang zwischen Grunddelikt und schwerer Folge kommt es nur auf darauf an, dass die schwere Folge sich als Realisierung der besonderen Gefährlichkeit (des Verhaltens oder des Erfolges) des Grunddelikts darstellt. Ein Sinnzusammenhang muss folglich nur zwischen dem tatbestandsmäßigen Verhalten und dem Erfolg bestehen. Die von Jäger in Bezug genommene Einholung der richterlichen Entscheidung ist als bloße Voraussetzung eines prozeduralen Rechtfertigungsgrundes insoweit ohne Funktion, weil ihr nur im Falle des Vorliegens der Rechtfertigungsvoraussetzungen unrechtsaufhebende Wirkung zukommen kann. Dass Jäger trotz seiner zutreffenden Ausgangserwägungen dennoch auf einen – wie er selbst erkannt hat[104] – aus prinzipiellen Gründen inexistenten Sinnzusammenhang zwischen der "Pflicht" zur Einholung einer richterlichen Gewahrsamsanordnung und dem Erfolg abstellt, mag seinen Grund darin haben, dass Jäger das dem Angeklagten zur Last liegende Verhalten als Unterlassen bewertet und – wie stillschweigend auch der BGH – die Schlussfolgerung gezogen haben könnte, die Erwirkung einer richterlichen Gewahrsamsanordnung lasse die Erfolgszurechnung entfallen, so dass es an der Zurechenbarkeit des fortdauernden Gewahrsams als des Erfolgsunrechts und damit auch an der Zurechenbarkeit der darauf beruhenden Todesfolg fehle. Solchen Erwägungen ist indessen schon mit der – von Jäger zum Grunddelikt ja selbst vollzogenen – Einsicht der Boden entzogen, dass sich der Sinne des akzessorischen Gebots zur Einholung einer richterlichen Anordnung in der Rechtfertigung von Erfolg und Verhalten erschöpft und deshalb aus übergeordneten Gründen insoweit gar keine Verfehlung des tatbestandsspezifischen Gefahrenzusammenhangs bestehen kann; gefahrträchtig sind nur Freiheitsberaubungen, nicht aber Verstöße gegen den Richtervorbehalt. Wenn das akzessorische Gebot zur Einholung einer richterlichen Gewahrsamsanordnung allein den Sinn hat, die Rechtfertigung eines Handelns zu bewirken, nicht aber schwere (Todes-)Folgen zu verhindern, so ist für den Zurechnungszusammenhang zwischen Verhalten und schwerer Folge die unterbliebene Erfüllung des akzessorischen Gebots irrelevant. Solche Gebote sind in jeder Hinsicht erfolgszurechnungsindifferent.
Die Entscheidung des BGH im Fall Jalloh stellt sich nach den vorstehenden Überlegungen als falsch heraus: Indem der Angeklagte den Jalloh nicht freiließ und dieser an den Folgen eines mutmaßlich selbst gelegten Brandes erstickte, hat der Angeklagte sich wegen Freiheitsberaubung mit Todesfolge durch Unterlassen strafbar gemacht (§§ 239 Abs. 4, 13 StGB). Ob der Angeklagte eine richterliche Anordnung der Gewahrsamsfortdauer hätte erlangen können, ist sowohl für das Grunddelikt der Freiheitsberaubung (§ 239 Abs. 1 StGB) als auch für den grunddeliktsspezifischen Gefahrenzusammenhang (§ 239 Abs. 4 StGB) ohne Belang. Mit Blick auf das ohnehin schon blamable Bild, das Polizei und Justiz im Fall Jalloh geboten haben, bleibt zu hoffen, dass den BGH nicht lediglich die Vermeidung des Verbrechensstrafrahmens aus § 239 Abs. 4 StGB zur Etablierung der Rechtsfigur des "Rechtfertigungszusammenhangs" (und zu seiner Verneinung in casu) bewogen hat. Was den 4. Senat sonst zu der dogmatisch allzu kühnen Hypothesenberücksichtigung veranlasst haben könnte, lässt sich dem insgesamt recht undurchdacht wirkenden Urteil nicht entnehmen.
[*] Besprechung von BGHSt 59, 292 = NJW 2015, 96 = HRRS 2014 Nr. 1026 m. Bspr. Schiemann NJW 2015, 20; Rostalski JR 2015, 306; Zimmermann/Linder ZStW 128 (2016), 713; Puppe Strafrecht Allgemeiner Teil im Spiegel der Rechtsprechung, 3. Aufl. 2016, § 11 Rn. 25 ff.; Böse ZIS 2016, 495, 499 f. u. Anm. Jäger JA 2015, 72; Jahn Jus 2015, 180; Satzger JURA (JK) 2015, 882, §§ 239, 13 StGB. – Abschluss des Manuskripts: 18.01.2017.
[1] LG Magdeburg , Urteil vom 13.12.2012 – 21 Ks 141 Js 13260/10[8/10], BeckRS 2014, 20575. Das erste tatrichterliche Urteil des LG Dessau-Roßlau vom 8.12.2008 (BeckRS 2010, 04699) hatte der BGH (NStZ 2010, 407 = HRRS 2010 Nr. 171) aufgehoben.
[2] BGHSt 13, 13; 37, 106; 48, 77 m. Anm. Knauer NJW 2003, 3101 u. Bspr. Dreher JuS 2004, 17; BGH NStZ 1986, 217; NJW 2000, 2754 m. Anm. Altenhain NStZ 2001, 189; BGH NStZ 2004, 151 m. Anm. Schatz NStZ 2003, 581 u. Bspr. Puppe NStZ 2004, 554; BGHSt 52, 159 = NJW 2008, 1897 = HRRS 2008 Nr. 429 m. Anm. Kühl NJW 2008, 1899; Lindemann ZJS 2008, 404; Satzger JURA (JK) 11/2008, StGB § 13 I/2; BGH NJW 2010, 1087 = HRRS 2010 Nr. 200 m. Anm. Kühl NJW 2010, 1092; Puppe JR 2010, 355 u. Bspr. Ast ZStW 124 (2012), 612; Stübinger ZIS 2011, 602.
[3] Rostalski JR 2015, 306, 309 ff. wendet sich gegen die Verneinung der Unterlassungskausalität durch den BGH, weil die Prüfung eines rechtlich erforderlichen Zusammenhangs ganz grundsätzlich ohne hypothetische Kausalerwägungen auszukommen habe; so auch - ohne Bezug zum Fall Jalloh - Schales Spezifische Fehlverhaltensfolgen und hypothetische Kausalverläufe, 2014, S. 39, 55 u.ö.
[4] BGHSt 6, 46, 59; 40, 257, 265; BGH MDR 1982, 624; BGH NStZ 1999, 607; NStZ 2003, 657.
[5] BGHSt 6, 46, 59; BGH NStZ 1999, 607; NStZ 2003, 657.
[6] BGH HRRS 2014 Nr. 1026 Rn. 59.
[7] RGSt 24, 339, 340.
[8] Mitsch NZV 2013, 417, 418.
[9] BGH HRRS 2014 Nr. 1026 Rn. 62 (kursive Hervorhebung vom Verf.); auf diesen Gesichtspunkt weist nunmehr auch Satzger JURA (JK) 2015, 882, §§ 239, 13 StGB hin.
[10] So – freilich erst im Kontext der Prüfung der Unterlassungskausalität – auch Satzger JURA (JK) 2015, 882, §§ 239, 13 StGB.
[11] BGH HRRS 2014 Nr. 1026 Rn. 81. Zur inhaltlichen Unrichtigkeit dieser Aussage vgl. sogleich b) sowie unten im Text III. 3. d).
[12] Zum von § 239 StGB geschützten Rechtsgut Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl. 2014, § 239 Rn. 1 m.w.N.
[13] Vgl. zur hier zugrundegelegten normtheoretischen Einordnung, insb. zur Bedeutung des Begriffs eines "verbotsakzessorischen Gebots" näher Ast Normentheorie und Strafrechtsdogmatik, 2010, S. 16 f., 23 f., 194.
[14] Dazu, dass es sich nicht um einen formal-logischen, sondern um einen teleologischen Ableitungszusammenhang handelt, sowie zum Begriff der komplementären Norm näher Ast Normentheorie und Strafrechtsdogmatik, 2010, S. 23 f. m. Fn. 40 (u.w.N.) u. S. 33 f.
[15] In Frage steht allein, ob das Täterverhalten bei gegebener Rechtfertigung noch als normwidrig zu bezeichnen ist; näher dazu und mit Recht abl. Renzikowski Notstand und Notwehr, 1994, S. 144 ff. m.w.N.
[16] Vgl. etwa BGH NStZ 2003, 657 f.; Puppe JR 2010, 356; Kühl Strafrecht Allgemeiner Teil, 8. Aufl. 2017, § 18 Rn. 24; Hruschka Strafrecht nach logisch-analytischer Methode, 2. Aufl. 1988, S. 418.
[17] Gegen die Gleichrangigkeit der Freilassungspflicht und der (bedingten) Pflicht zu Einholung einer richterlichen Gewahrsamsfortdaueranordnung wegen der normativen Nachrangigkeit der Letzteren nunmehr auch Zimmermann/Linder ZStW 128 (2016), 713, 719 ff.
[18] BGH HRRS 2014 Nr. 1026 Rn. 81. – Die Bezugnahme des Senats auf Träger/Schluckebier in LK-StGB, 11. Aufl. 2005, § 239 Rn. 17 trägt das erwünschte Ergebnis nicht, weil es a.a.O., Rn. 20 heißt, eine rechtswidrige Freiheitsberaubung könne trotz Vorliegens der sachlichen Anordnungsvoraussetzungen gegeben sein, wenn das dafür vorgesehene Verfahren gar nicht erst betrieben, sondern umgangen wird.
[19] BGH HRRS 2014 Nr. 1026 Rn. 56.
[20] OLG Schleswig NStZ 1985, 74; OLG Hamm, Beschluss vom 20.9.2007 - 3 Ws 230, 231/07[juris].
[21] Zum Streitstand vgl. den Überblick bei Kühl Strafrecht Allgemeiner Teil, 8. Aufl. 2017, § 7 Rn. 70 ff.
[22] BGHSt 60, 253, 258 = HRRS 2015 Nr. 764 Rn. 24 ff., 27 ff. m. Anm. Engländer NStZ 2015, 577; Erb JR 2016, 29 u. Bespr. Rönnau/Hohn StV 2016, 313.
[23] Otto NStZ 1985, 75.
[24] Vgl. BGHSt 31, 304, 306; BGH NStZ 1989, 375, 376; BGHR StPO § 105 Durchsuchung 4; BGH NStZ 2004, 449 = HRRS 2007 Nr. 612 Rn. 3; BGHSt 51, 285 = NStZ 2007, 601 = HRRS 2007 Nr. 463 Rn. 42; BGH NStZ 2012, 104 = HRRS 2011 Nr. 1221 Rn. 12; grundlegend Beulke ZStW 103 (1991), 657.
[25] Vgl. die parallele Erwägung bei Haas GA 2015, 147, 150 zur Wirkung der Rechtsfigur der "hypothetischen Einwilligung" im Arztstrafrecht; ferner Swoboda ZIS 2013, 18, 26.
[26] Zur Struktur der Rechtfertigung und den normtheoretischen Implikationen vgl. grdl. Renzikowski Notstand und Notwehr, 1994, S. 124 ff.
[27] Eingehend zum Verhältnis von Rechten und Pflichten Renzikowski Notstand und Notwehr, 1994, S. 162 ff.
[28] Vgl. Renzikowski FS Gerfried Fischer, 2010, 365, 369; Swoboda ZIS 2013, 18, 26 (beide zur "hypothetischen Einwilligung").
[29] Vgl. den knappen Verweis auf die mit der Rechtfertigung korrespondierende Duldungspflicht bei Böse ZIS 2016, 495, 499 f.
[30] Vgl. VGH Mannheim NVwZ-RR 2012, 346: "Die Mitwirkung des Richters geht nach der Funktion des Richtervorbehalts in Art. 104 Abs. 2 GG über die bloße Kontrolle einer Verwaltungsentscheidung hinaus; der Richter soll nicht allein die Rechtmäßigkeit der Entscheidung der Exekutive über die Freiheitsentziehung prüfen, sondern selbst diese Entscheidung treffen;" vgl. dazu Heidelbach Grundrechtsschutz durch Verfahren bei gerichtlicher Freiheitsentziehung, 2014, S. 121.
[31] Vgl. den Hinweis bei Heidelbach Grundrechtsschutz durch Verfahren bei gerichtlicher Freiheitsentziehung, 2014, S. 121, dass das Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 GG allein, scil. ohne flankierende gerichtliche Kontrolle (Art. 104 Abs. 2 GG) keinen effektiven Schutz gegen willkürliche Freiheitsentziehungen vermitteln kann.
[32] VGH Mannheim NVwZ-RR 2012, 346, 347: "Ein Verstoß gegen das Gebot der unverzüglichen Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung hat die Rechtswidrigkeit der Ingewahrsamnahme zur Folge." Vgl. auch BVerfGE 10, 302, 323; BVerfGE 58, 208, 220 f.
[33] Vgl. Rostalski JR 2015, 306, 310 f., die die Gewahrsamsaufrechterhaltung mit Recht als "auch materiell rechtswidrig und das entsprechende Verhalten des zuständigen Polizisten (für) verboten" erachtet; im Grunde handelt es sich aber schon bei der Annahme einer nur "materiell" rechtmäßigen Gewahrsamsaufrechterhaltung um ein kategoriales Unding. Zur insofern relevanten "dienenden" Funktion des Richtervorbehalts auch Zimmermann/Linder ZStW 128 (2016), 713, 720 f.
[34] Zur durchgreifenden Kritik an der condicio sine qua non-Formel vgl. statt vieler Puppe in NK-StGB, 4. Aufl. 2013, Vorbemerkungen zu §§ 13ff. Rn. 210 ff.; dies. JR 1992, 30, 34.
[35] Zur Kausalität nach der allein zutreffenden Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung im Fall Jalloh vgl. Rostalski JR 2015, 306, 310 f. – Zur Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung allgemein grdl. Engisch Die Kausalität als Merkmal der strafrechtlichen Tatbestände, 1931, S. 13 ff., 21 ff.; ferner Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl. 2014, Vor §§ 13ff. Rn. 75 ff.; Freund in MüKo-StGB, 2. Aufl. 2012, Vor §§ 13 ff. Rn. 334; Jakobs Strafrecht Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1991, 7/12; Jescheck/Weigend Strafrecht Allgemeiner Teil, 5. Aufl. 1996, § 28 II 4; Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, 4. Aufl. 2006, § 11 Rn. 15; Schales Spezifische Fehlverhaltensfolgen und hypothetische Kausalverläufe, 2014, S. 39.
[36] Sachlich übereinstimmend nun auch Puppe Strafrecht Allgemeiner Teil im Spiegel der Rechtsprechung, 3. Aufl. 2016, § 11 Rn. 29: "Die Unterlassung der Einholung der richterlichen Anordnung verursacht den Zwangseingriff nicht, sie bewirkt, dass er nicht gerechtfertigt ist;" ferner auch Haas GA 2015, 147, 153 (am Beispiel der hypothetischen Einwilligung).
[37] Böse ZIS 2016, 495, 499; Zimmermann/Linder ZStW 128 (2016), 713, 718; Jäger JA 2015, 72, 74.
[38] Vgl. dazu, dass die zur Bewertung als rechtswidrig führenden Umstände den Erfolg nicht im herkömmlichen Sinne verursachen, sondern eben nur die entsprechende Bewertung tragen, Puppe GA 2003, 764, 770 (Rechtfertigungsgründe verursachen das Unrecht nicht, sondern heben es auf); Zöller/Mavany ZJS 2009, 694, 701; verfehlt daher BGH HRRS 2014 Nr. 1026 Rn. 81, wonach der Erfolg durch Herbeiführung der Rechtmäßigkeit der Handlung verhindert werden können soll.
[39] Vgl. Böse ZIS 2016, 495, 499 unter Verweis auf Brauer Die strafrechtliche Behandlung genehmigungsfähigen, aber nicht genehmigten Verhaltens, 1988, S. 155.
[40] Die Rechtsprechung verortet – ohne dass sich schon daraus sonderliche sachliche Unterschiede im Detail ergäben – Fragen der objektiven Zuordnung unter dem Prüfungspunkt "Kausalität im rechtlichen Sinne", vgl. BGHSt 11, 1 ff.; 21, 59; 33, 41, 66.
[41] Vgl. aber Dreher Objektive Erfolgszurechnung bei Rechtfertigungsgründen, 2003, S. 56 ff., 129 ff.; Rönnau in LK-StGB, 12. Aufl. 2006, Vor § 32 Rn 180; ferner Mitsch FS Achenbach, 2011, S. 299 ff., 312 zur hypothetischen behördlichen Genehmigung; Kuhlen Müller-Dietz-FS, 2001, S. 431, 433; Haas GA 2015, 147, 158 f. zur Notwehr; Rönnau StV 2011, 753, 755 f.; Edlbauer/Irrgang JA 2010, 786, 788 ff. zum hypothetischen Einverständnis bei § 266 StGB; weitere prozedurale Rechtfertigungsgründe einbeziehend nunmehr Zimmermann/Linder, ZStW 128 (2016), 713, 730 ff.
[42] Vgl. etwa BGH NStZ-RR 2004, 16, 17; NStZ-RR 2007, 340, 341 = HRRS 2007 Nr. 727 Rn. 22; NStZ 2012, 205, 206 = HRRS 2011 Nr. 1135 m. Anm. Jäger JA 2012, 70 u. Bspr. Hüttenrauch NJ 2013, 39; der Rekurs auf "Ursächlichkeit" findet sich aber bereits in BGHR StGB § 223 Abs. 1 Heileingriff 2; so nunmehr auch BGH NJW 2013, 1688, 1689 = HRRS 2013 Nr. 500 Rn. 30 (Fehlen des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs).
[43] Vgl. Jäger JA 2012, 70, 72; Swoboda ZIS 2013, 18, 20; Conrad/Koranyi JuS 2013, 979, 982; Beckemper NZWiSt 2013, 232, 233; Hüttenrauch NJ 2013, 39, 40; eingehend Gaede Limitiert akzessorisches Medizinstrafrecht statt hypothetischer Einwilligung, 2014, S. 16 ff., 20 ff. m. zahlr. w.N.
[44] Kuhlen FS Roxin, 2001, S. 331, 334, 337 ff.; ders. FS Müller-Dietz, 2001, S. 431 f., 439; ders. JR 2004, 227 f.; vgl. auch Dreher Objektive Erfolgszurechnung bei Rechtfertigungsgründen, 2003, passim.
[45] Keine prinzipiellen Bedenken gegen diese Vorgehensweise hegen demgegenüber anscheinend Jahn JuS 2015, 180, 182; Schiemann NJW 2015, 20, 22 f.
[46] BGH HRRS 2014 Nr. 1026 Rn. 70 f.
[47] So auch Böse ZIS 2016, 495, 500, der zudem - entgegen Wieck-Noodt in Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, Bd. 4, 2. Aufl. 2012, 239 Rn. 37 - klarstellt, dass die richterliche Anordnung als Kriterium der formellen Rechtmäßigkeit des Gewahrsams nicht etwa wegen der Gesetzesgebundenheit der richterlichen Entscheidung bedeutungslos ist.
[48] Ähnliche Bedenken klingen an bei Puppe Strafrecht Allgemeiner Teil im Spiegel der Rechtsprechung, 3. Aufl. 2016, § 11 Rn. 28; vgl. ferner aus prozessualer Sicht Jahn/Dallmeyer NStZ 2005, 297, 304.
[49] In Anlehnung an Saliger JuS 1999, 17, 21.
[50] Vgl. zu diesem allgemeinen Prozeduralisierungsaspekt Saliger JuS 1999, 17, 21. Gegen die Möglichkeit von Hypothesenbildung und -berücksichtigung im Bereich der Prozeduralisierung (in anderem Zusammenhang) auch Vogel bei Rönnau StV 2011, 753, 758 m. Fn. 48.
[51] Vgl. zur Rechtfertigung bei trotz vorsätzlicher falscher Anschuldigung rechtmäßig ergangener Anordung der Untersuchungshaft BGHSt 3, 4; BGHSt 10, 306, 307.
[52] Vgl. Schluckebier in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StGB, 2. Aufl. 2014, § 239 Rn. 8.
[53] Dazu näher Renzikowski, in: Alexy (Hrsg.), Juristische Grundlagenforschung, ARSP-Beiheft 104 (2005), S. 115, 123 ff.
[54] Eingehend Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff und fahrlässige Beteiligung, 1997, S. 234 ff.; Hruschka/Joerden ARSP 73 (1987), 93, 97 f. m. Fn. 10, die – mit der hier vorgenommenen Trennung von Bestimmungs- und Bewertungsfunktion sachlich übereinstimmend – zwischen Gestaltungs- und Maßstabsfunktion unterscheiden; ferner Dehne-Niemann, ZStW 123 (2011), 495, 508.
[55] Vgl. Jäger JA 2015, 72, 74: "Darüber kann keine auch noch so ausgeklügelte und sichere Hypothese hinweghelfen: Der rechtmäßige Freiheitsentzug ist ein aliud im Verhältnis zum rechtwidrigen Freiheitsentzug und begründet daher gerade nicht den gleichen (Unrechts-)Erfolg."
[56] BGHSt 30, 228, 231 f.; dazu Puppe JuS 1982, 660; Kühl JR 1983, 22; ferner Jakobs in Küper/Puppe/Tenckhoff (Hrsg.), Festschrift für Karl Lackner zum 70. Geburtstag, 1987, 53, 58 m. Fn. 8; Ranft NJW 1984, 1425, 1427; Duttge in Joecks/Miebach, Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, Band 1, 2. Aufl. 2011, § 15 Rn. 165; Otto Grundkurs Strafrecht Allgemeine Strafrechtslehre, 7. Aufl. 2004, § 10 Rn. 26; Lenckner/Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl. 2014, Vor §§ 13 ff. Rn. 98; Maurach/Gössel/Zipf Strafrecht Allgemeiner Teil Teilband 2, 8. Aufl. 2014, § 43 Rn. 125.
[57] v.Feuerbach Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gültigen peinlichen Rechts, 1. Aufl. 1801, S. 32; vgl. dazu Arthur Kaufmann FS Eb. Schmidt, 1961, 200, 226 m. Fn. 84; Sancinetti ZStW 120 (2008), 661 f.
[58] Engisch Die Kausalität als Merkmal der strafrechtlichen Tatbestände, 1931, S. 15 f., 21 ff.
[59] Samson Hypothetische Kausalverläufe im Strafrecht, 1972, 141 ff.
[60] Kahrs Das Vermeidbarkeitsprinzip und die conditio sine qua non-Formel im Strafrecht, 1968, S. 8, 79 f.; s. aber auch insoweit Samson Hypothetische Kausalverläufe im Strafrecht, 1972, 143.
[61] Vgl. Rudolphi in SK-StGB, Stand 1997, vor § 1 Rn. 61, der - wie Wolter Objektive und personale Zurechnung von Verhalten, Gefahr und Verletzung in einem funktionalen Straftatsystem, 1981, S. 92 m. Fn. 105 - für personenbezogene - Amtsträgern vorbehaltenen - Rechtfertigungsgründen keinen Zurechnungsausschluss qua Hypothesenbildung zulassen, anders jedoch für personenbezogene Rechtfertigungsgründe – etwa die Notwehr – entscheiden möchte; so nun auch Rudolphi/Jäger in SK-StGB, 8. Aufl., 144. Lfg. August 2014, Vor § 1 Rn. 107; generell gegen die Berücksichtigungsfähigkeit hypothetischen Drittverhaltens Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl. 2014, vor § 13 Rn. 98.
[62] Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil Band I, 4. Aufl. 2006, § 11 Rn. 60: "(W)enn der Gesetzgeber eine tatbestandsmäßige Handlung allein bestimmten Personen oder Funktionsträgern gestattet, lässt sich diese Beschränkung nur durchsetzen, wenn das Verbot gegenüber anderen ungeschmälert aufrechterhalten wird"; dazu auch Schales Spezifische Fehlverhaltensfolgen und hypothetische Kausalverläufe, 2014, S. 92, 97 f.
[63] Jakobs Strafrecht Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1991, 7/94 (Rechtschreibung angepasst) sowie 21/86 m. Fn. 152.
[64] Zur objektiven Rechtfertigungslage (im Sinne des Erfolgsunrechts) als Voraussetzung einer Notwehrlage vgl. Kühl Strafrecht Allgemeiner Teil, 8. Aufl. 2017, § 7 Rn. 64; Frisch in Küper/Puppe/Tenckhoff (Hrsg.), Festschrift für Karl Lackner zum 70. Geburtstag, 1987, S. 113, 145; Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil Band I, 4. Aufl. 2006, § 15 Rn. 1, 9.
[65] Uneinigkeit besteht (fast) nur über die Lösung des non liquet; vgl. zum Streitstand zwischen der "Risikoerhöhungstheorie" und der "Vermeidbarkeitstheorie" die Darstellung des Streitstandes bei Hillenkamp 32 Probleme aus dem Strafrecht Allgemeiner Teil, 14. Aufl. 2012, 31. Problem, S. 231 ff.
[66] Renzikowski FS Gerfried Fischer, 2010, S. 365, 373.
[67] Vgl. jüngst Haas GA 2015, 86, 92 ff., 98 ff.; eingehend Hengstenberg Die hypothetische Einwilligung im Strafrecht, 2010, S. 306 ff.; Kindhäuser GA 1994, 197, 221 f.; Albrecht Die "hypothetische Einwilligung" im Strafrecht, 2010, S. 299 ff., 302; Toepel Kausalität und Pflichtwidrigkeitszusammenhang beim fahrlässigen Erfolgsdelikt, 1992, S. 213 ff.; anders, nämlich für eine Übertragung der "Pflichtwidrigkeitszusammenhangs" auf das vorsätzliche Erfolgsdelikt etwa Roxin Strafrecht AT Band 1, 4. Aufl. 2006, § 11 Rn. 99; Erb Rechtmäßiges Alternativverhalten und seine Auswirkungen auf die Erfolgszurechnung im Strafrecht, 1990, S. 262 ff.; offen Gaede Limitiert akzessorisches Strafrecht statt hypothetischer Einwilligung, 2014, S. 23 m. Fn. 104 (entgegen dessen Ansicht es auf Risikoerhöhungserwägungen schon aus den Gründen des Textes mangels Fungibilität des "Pflichtwidrigkeitszusammenhangs" nicht ankommen kann).
[68] Zur ganz überwiegend vertretenen Konsequenz, dass in direkter oder analoger Anwendung der §§ 22, 23 StGB wegen Versuchs zu bestrafen sein soll, vgl. BGHSt. 38, 144, 155; Günther in SK-StGB Vor § 32 Rn. 91; Jescheck/Weigend Strafrecht Allgemeiner Teil, 5. Aufl. 1996, § 31 IV. 2.; Schünemann GA 1985, 341, 373 f.; Frisch in Küper/Puppe/Tenckhoff (Hrsg.), Festschrift für Karl Lackner zum 70. Geburtstag, 1987, S. 113, 138 f.; Nachw. z. Streitstand bei Kühl Strafrecht Allgemeiner Teil, 8. Aufl. 2017, § 6 Rn. 14 ff. m. Fn. 1 ff.
[69] Nur insoweit es also um die Erfüllung der Merkmale von Erlaubnissätzen geht sind also auf der Bewertungsebene der Rechtswidrigkeit noch Fragen der (subjektiven) Zurechnung zu erörtern, weil es insofern noch um die Feststellung von Tatsachen geht; vgl. klärend Renzikowski Notstand und Notwehr, 1992, S. 150 f., 156 f.
[70] Vgl. näher Puppe FS Stree/Wessels, 1993, S. 183; Kühl Strafrecht Allgemeiner Teil, 8. Aufl. 2017, § 6 Rn. 11 f.
[71] Vgl. – durchweg zur Rechtsfigur der "hypothetischen Einwilligung" – Gaede Limitiert akzessorisches Medizinstrafrecht statt hypothetischer Einwilligung, 2014, S. 27 f.; Freund Strafrecht Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 2009, § 3 Rn. 44c; Schlehofer FS Puppe, 2011, S. 953, 962 f.; verfehlt daher Mitsch JZ 2005, 279, 284.
[72] So auch – zur vergleichbaren Problematik bei der hypothetischen Einwilligung – Mitsch FS Achenbach, 2011, S. 299, 309 f.; Schlehofer FS Puppe, 2011, S. 953, 970; Albrecht Die "hypothetische" Einwilligung im Strafrecht, 2010, S. 296.
[73] Für letzteren Ansatz am Beispiel der hypothetischen Einwilligung Rönnau JZ 2004, 801, 802 Rosenau Maiwald-FS, 2010, S. 683, 694; mit Recht abl. Haas GA 2015, 147, 153 ff. (nicht Ausschluss der objektiven Zurechnung "des Erfolgs in seiner Tatsächlichkeit", sondern des "Erfolgsunwert(s) der Tat".
[74] So Kuhlen FS Müller-Dietz, S. 431, 441.
[75] Vgl. RGSt 13, 426, 430 f.; LG Hamburg Beschluss vom 20. April 1988 – (38) Qs 3/88 – Leitsatz 4 (juris) = RsDE Nr. 5, 87-91 (1989); vgl. auch BGHSt 13, 197, 199, 202 (wo die Freiheitsberaubung nicht durch einen Hoheitsträger begangen wurde, aber durch eine vormundschaftsrichterliche Anordnung möglicherweise hätte gerechtfertigt sein können; der BGH hingegen verneinte unter Berufung auf fehlende Grundrechtsdrittwirkung zu Unrecht die Widerrechtlichkeit der Freiheitsberaubung, weil diese nicht durch einen Hoheitsträger erfolgte, sondern innerfamiliär); ferner BGH bei Holtz, MDR 1978, 624 (wo allerdings die Widerrechtlichkeit in Abrede gestellt wurde und es auf Zurechnungserwägungen nicht ankam).
[76] BGHSt 31, 304, 306, 309; Rogall in SK-StPO, 4. Aufl. 2010, § 136a Rn 98, 121; ders. NStZ 1988, 385, 391; Rudolphi in SK-StPO Vor § 94 Rn. 74 ff.; Jäger Beweisverwertung und Beweisverwertungsverbote im Strafprozess, 2003, 233 ff.
[77] Vgl. auch Richter II StV 1985, 382, 387; Sandermann Waffengleichheit im Strafprozess, 1975, S. 142, nach denen es um eine Einschränkung der staatsanwaltlichen Eingriffsbefugnisse durch Beteiligung des Ermittlungsrichters als einer neutralen Person geht.
[78] Ganz ähnlich Brüning Der Richtervorbehalt im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, 2005, S. 126 ff.; Müssig GA 1999, 119, 134.
[79] Amelung/Mittag NStZ 2005, 614, 616; Brüning HRRS 2007, 250, 253.
[80] Gegen die Anwendung des hypothetical-clean-path-Gedankens bei Verletzung des Richtervorbehalts etwa BGHSt. 51, 285, 296 = HRRS 2007 Nr. 463 Rn. 42; BGH NStZ 1983, 466; OLG Stuttgart NStZ 2008, 238, 239; OLG Dresden NJW 2009, 2149, 2151; OLG Bamberg NJW 2009, 2146, 2148; AG Braunschweig StV 2001, 393 f.; AG Berlin-Tiergarten StraFo 2007, 73 f.; AG Bremen NStZ 2012, 287, 288; Rogall NStZ 1988, 385, 391; Fezer StV 1989, 290, 294; Beulke ZStW 103 (1991), 657, 672 ff.; Krekeler NStZ 1993, 263, 264; Müssig GA 1999, 119, 134; Ransiek StV 2002, 565, 566; ders. JR 2007, 436, 437; Hüls ZIS 2009, 160, 163, 165; Brüning HRRS 2007, 250, 252 f.; Roxin NStZ 1989, 376, 379; ders. NStZ 2007, 616, 617.
[81] Vgl. – mit freilich krit. Tendenz – Jäger JA 2015, 72, 74.
[82] Unklar insoweit Jäger JA 2015, 72, 74 der zwar die Parallellität im Hypothesendenken benennt, sich aber mit den unterschiedlichen Funktionen nicht auseinandersetzt.
[83] Etwa BGH NStZ 1989, 375, 376 m. abl. Anm. Roxin (a.a.O., 378).
[84] BGHSt 52, 159 = HRRS 2008 Nr. 429 Rn. 13 f.; BGH NStZ 2011, 31 =HRRS 2010 Nr. 200 Rn. 68 ff. ; anders (normative Bestimmung des hypothetischen Drittverhaltens) BGHSt 48, 77.
[85] Zu diesem Standardargument etwa Puppe Strafrecht Allgemeiner Teil im Spiegel der Rechtsprechung, 3. Aufl. 2016, § 2 Rn. 33 f.; Jakobs Strafrecht Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1991, 7/24; implizit hat auch der BGH in der Politbüroentscheidung BGHSt 48, 77 das in die alternative Verlaufshypothese einzubeziehende Verhalten normativ bestimmt.
[86] Vgl. gegen die Verursachungsfähigkeit menschlichen Verhaltens – in unterschiedlichen Zusammenhängen – etwa Renzikowski FS Puppe, 2011, S. 201 ff.; Kahrs Das Vermeidbarkeitsprinzip und die conditio sine qua non-Formel im Strafrecht, 1968, S. 23 f.; Jäger FS Maiwald, 2010, S. 345, 351 f.; Puppe ZStW 95 (1983), 287, 294. S. zum Problem auch Koriath Grundlagen strafrechtlicher Zurechnung, 1994, 508 ff.
[87] Vgl. dazu etwa Schales Spezifische Fehlverhaltensfolgen und hypothetische Kausalverläufe, 2014, 46 ff. m.w.N.
[88] S. etwa Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil Band I, 4. Aufl. 2006, § 11 Rn. 30; Bosch Puppe-FS, 2011, S. 373, 382; Schulz FS Lackner, 1987, 39, 45; Verursachungsfähigkeit menschlicher Entschlüsse bejahend auch Engisch Die Kausalität als Merkmal der strafrechtlichen Tatbestände, 1931, S. 28; ders. FS v. Weber, 1963, S. 247, 269.
[89] Zur Zwangsläufigkeit des Aufeinanderfolgens von Kausalfaktoren vgl. Puppe ZStW 92 (1980), 863, 866; dies. ZStW 95 (1983), 287, 293 ff.
[90] Vgl. etwa Puppe JR 1992, 31; so auch noch Bosch JA 2008, 739.
[91] BGH HRRS 2014 Nr. 1026 Rn. 82.
[92] VGH Mannheim NVwZ-RR 2012, 346; die Bindungsfreiheit gegenüber der polizeilichen Anfrage betonen Zimmermann/Linder ZStW 128 (2016), 713, 726 unter Verweis auf Radtke in BeckOK-GG, 28. Aufl. 2015, Art. 104 Rn. 12.
[93] BGH HRRS 2014 Nr. 1026 Rn. 82.
[94] Rostalski JR 2015, 306, 311 f.
[95] So aber Zimmermann/Linder ZStW 128 (2016), 713, 723 f.
[96] Vgl. Schluckebier in LK-StGB, 12. Aufl. 2014, § 239 Rn. 25.
[97] Zimmermann /Linder ZStW 128 (2016), 713, 723 f.
[98] Zimmermann /Linder ZStW 128 (2016), 713, 724.
[99] Paradebeispiel ist die an den Grad der Trunkenheit geschwindigkeitsangepasste Trunkenheitsfahrt im Straßenverkehr, die entgegen der Rechtsprechung (BGHSt 24, 31, 34 f. = NJW 1971, 388 m. abl. Anm. Möhl JR 1971, 249; Knauber NJW 1971, 627; Lehmann NJW 1971, 1142; BGH NStZ 2013, 231 = HRRS 2013 Nr. 217 Rn. 9; OLG Celle VRS 36, 276; OLG Koblenz DAR 1974, 25; OLG Zweibrücken VRS 41, 113, 114; OLG Hamm BA 1978, 294; BayObLG NStZ 1997, 388 m. abl. Anm. Puppe NStZ 1997, 389; Schmid BA 31 (1994), 330, 331 f.) nicht als Alternativverhalten bei der Prüfung der §§ 222, 229 StGB herangezogen werden darf, weil es sich dabei um ein rechtswidriges Alternativverhalten handelt, auch wenn der rechtswidrigkeitsbegründende Gesichtspunkt der Trunkenheit (§ 316 StGB) mit dem Rechtsgut der §§ 222, 229 StGB definitionsgemäß nichts zu tun hat; gegen die Rechtsprechung das völlig herrschende Schrifttum vgl. Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl. 2014, § 15 Rn. 158; Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil Band I, 4. Aufl. 2006, § 11 Rn 102; Maiwald in Jescheck/Lüttger, Festschrift für Eduard Dreher zum 70. Geburtstag, 1977, 437; Schlüchter JA 1984, 673, 678 f.; Puppe JuS 1982, 660, 662; Jakobs Strafrecht Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1991, 7/86 m. Fn. 132; ders. Studien zum fahrlässigen Erfolgsdelikt, 1972, S. 95 m. Fn. 183a; Niewenhuis Gefahr und Gefahrverwirklichung im Verkehrsstrafrecht, 1984, S. 179 ff.; Hentschel Trunkenheit, Fahrerlaubnisentziehung, Fahrverbot im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht, 10. Aufl. 2006, Rn. 322 ff.; Schünemann JA 1975, 718; Schlüchter JA 1975, 718; Freund JuS 1990, 213, 214 f.; Otto JK 1995 StGB Vor § 13/6.
[100] H.M., vgl. BGHSt 19, 382, 386; Fischer StGB und Nebengesetze, 62. Aufl. 2015, § 239 Rn. 16; Lackner/Kühl StGB, 28. Aufl. 2014, § 239 Rn. 9; Puppe Strafrecht Allgemeiner Teil im Spiegel der Rechtsprechung, Band 1, 1. Aufl. 2002, § 12 Rn. 12.
[101] BGH LM § 239 Nr. 4.
[102] Vgl. Rostalski JR 2015, 306, 314; Zimmermann/Linder ZStW 128 (2016), die auf die Alkoholisierung des Jalloh und daher fehlende Freiverantwortlichkeit abstellen.
[103] Jäger JA 2015, 72, 74.
[104] Jäger JA 2015, 72, 74: "Denn der Sinn der Einholung einer richterlichen Entscheidung besteht nur in der Rechtfertigung des Freiheitsentzugs und nicht in der Verhinderung von Todesfolgen, vor denen die formale richterliche Bestätigung als solche ohnehin nicht schützen könnte" (kursive Hervorhebung durch den Verfasser).