HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Aug./Sept. 2016
17. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Strafbarkeit wegen (versuchten) Totschlags durch Manipulation von Patientendaten im Bereich der Leberallokation?

Zum Urteil des Landgerichts Göttingen vom 6. Mai 2015 (6 Ks 4/13)

Von Prof. Dr. Volker Haas, Heidelberg

I. Einleitung

Vor gut einem Jahr – nämlich am 6. Mai 2015 – hat die 6. Große Strafkammer des Landgerichts Göttingen den Angeklagten, der als Chirurg am Transplantationszentrum des dortigen Universitätsklinikums tätig war, freigesprochen. Die strafprozessuale Aufarbeitung des sogenannten Göttinger Transplantationsskandals hat seinerzeit bundesweit mediale Aufmerksamkeit erregt. Gegenstand der Anklage der Staatsanwaltschaft waren vierzehn Manipulationsfälle, in denen dem Angeklagten vorgeworfen wurde, sich durch Falschangaben zugunsten seiner Patienten gegenüber Eurotransplant unter anderem wegen versuchten Totschlags strafbar gemacht zu haben, und drei Indikationsfälle, in denen dem Täter vorgeworfen wurde, sich aufgrund medizinisch nicht indizierter Lebertransplantationen strafbar gemacht zu haben. Ziel des nachfolgenden Beitrags ist es nicht, das Urteil revisionsrechtlich vollständig auf Rechtsfehler hin zu überprüfen (§ 337 StPO). Im Fokus des Interesses soll ausschließlich die Strafbarkeit nach § 212 StGB bei den Manipulationsfällen stehen. Diese hat die Kammer im Wesentlichen aus zwei Gründen verneint. Erstens hat die Kammer die Ansicht vertreten, dass ein Verstoß gegen die Regeln der Organzuteilung durch Übermittlung falscher Patientendaten kein Tötungsunrecht gemäß § 212 StGB begründen könne. Zweitens hat es den Freispruch darauf gestützt, dass es am dolus eventualis und damit am erforderlichen Vorsatz seitens des Angeklagten gefehlt habe. Im Folgenden sollen die Urteilsgründe in ihren relevanten Passagen dargestellt und im Anschluss daran auf ihre Tragfähigkeit untersucht werden. Der Beitrag verzichtet auf die Skizzierung der rechtlichen Regeln des Transplantationsrechts – insoweit kann auf vorangegangene Veröffentlichungen verwiesen werden – und konzentriert sich auf die rechtlich relevanten strittigen Punkte.

II. Die Begründung des Freispruchs wegen (versuchten) Totschlags

1. Die Verwirklichung von Tötungsunrecht durch die Übermittlung falscher Patientendaten an Eurotransplant

Warum soll der Angeklagte durch die Übermittlung falscher Patientendaten an Eurotransplant kein Tötungsunrecht begangen haben? Die Kammer hat ihren Rechtsstandpunkt damit erklärt, dass die Regeln über die Organzuteilung gemäß § 9 Abs. 1 S. 2 TPG i.V.m. § 12 Abs. 3 S. 1 TPG i.V.m. § 16 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 TPG einschließlich der Richtlinien der Bundesärztekammer und der Vorschriften des Eurotransplant-Manuals nicht dem Zweck dienen würden, dass ein bestimmter Patient in einem bestimmten Match-Verfahren ein bestimmtes Spenderorgan erhalte. Es entspreche nicht dem Schutzzweck der Organzuteilungsregeln, den Tod oder die Verlängerung des Leidens eines bestimmten Patienten zu verhindern. Die Regeln würden vielmehr den allgemeinen Schutz menschlichen Lebens und der Gewährleistung von Verteilungsgerechtigkeit als Ausdruck der Menschenwürde bezwecken, so dass auch die irrtümliche Zuteilung eines Organs lediglich eine gefährliche und zu missbilligende Verletzung der Verteilungsgerechtigkeit und des Vertrauens der Allgemeinheit in die Lauterkeit und Funktionsfähigkeit des Organverteilungssystems bedeute (Urteil, S. 22 f., 345, 391, 394, 474, 485 f., 500 f., 541). Der Schutz individuellen menschlichen Lebens soll sich auch nicht anderen Vorschriften des Transplantationsgesetzes entnehmen lassen. Ziel des Transplantationsgesetzes sei gemäß § 1 TPG, die Bereitschaft zur Organspende in Deutschland zu fördern. § 2 TPG thematisiere die Aufklärung der Bevölkerung über die Möglichkeiten und Voraussetzungen der Organspende. Ebenso sollen die Materialien[1] keinen Hinweis darauf enthalten, dass das Transplantationsgesetz individuelles Leben

schützen wolle (Urteil, S. 390). Ergänzend stellt die Kammer fest, dass die Verhinderung des Todes oder der Verlängerung von Leiden bestimmter Patienten nicht bezweckt werden könne, weil das Leben des verdrängten Patienten nicht schützenswerter sei als das anderer Patienten (Urteil, S. 393, 395).

Ein originäres Leistungsrecht auf Zuteilung eines bestimmten Organs zugunsten derjenigen Patienten, bei denen eine Transplantation erforderlich sei, soll deswegen ausgeschlossen sein, weil es aufgrund des Organmangels unmöglich sei, alle bedürftigen Patienten mit Spenderorganen zu versorgen. Aus diesem Grund sei kein subjektives Recht auf ein Organ im Sinne eines subjektiven Leistungsanspruchs anzuerkennen (Urteil, S. 22 f., 345, 394, 485 f.). Dem Patienten soll daher ausweislich der Urteilsbegründung, die expressis verbis die Ansicht von Bader aufgreift,[2] lediglich ein derivatives Teilhaberecht am Organverteilungssystem zustehen (Urteil, S. 22 f., 345 f., 385 f., 394). Dieses Recht folge aus dem Grundrecht auf Leben gemäß Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, dem Grundrecht auf Schutz der Menschenwürde gemäß Art. 1 Abs. 1 GG, dem allgemeinen Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG und dem ebenfalls verfassungsrechtlich verankerten Sozialstaatsprinzip (Urteil, S. 22 f., S. 345 f., 385 f., 394 f., 454, 485). Das derivative Teilhaberecht soll nicht nur einen Bezug zum Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG aufweisen, sondern auch zum Freiheitsrecht des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG. So behauptet das Landgericht unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts,[3] dass die Verbürgung des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit berührt werde, wenn staatliche Vorschriften bzw. von solchen abgeleitete Regelungen wie die Richtlinien der Bundesärztekammer dazu führen würden, dass einem kranken Menschen eine nach dem Stand der medizinischen Forschung prinzipiell zugängliche Therapie, mit der eine Verlängerung des Lebens, zumindest aber eine nicht unwesentliche Minderung des Leidens verbunden sei, versagt werde. Es weist zudem darauf hin, dass der Staat bei der Organverteilung ein gesetzlich in § 9 Abs. 1 TPG verankertes Monopol habe (Urteil, S. 345 f.; vgl. auch Urteil, S. 394).

Das Landgericht stützt seine Rechtsansicht auf weitere Erwägungen: Da über die Annahme des Organs zunächst der Transplantationsarzt und anschließend der Patient selbst zu entscheiden hätten, ergäbe sich weder nach Kenntnis vom Vorliegen einer Spenderleber noch nach der Erstellung der Match-Liste bereits die Verpflichtung der Vermittlungsstelle Eurotransplant, die Spenderleber einem ganz bestimmten Patienten zuzuteilen und den Tod dieses Patienten abzuwenden bzw. dessen Leiden zu verkürzen. Erst wenn die Spenderleber für diesen Patienten durch dessen Transplantationsarzt angenommen werde, sei Eurotransplant verpflichtet, das Organ diesem Patienten endgültig anzubieten. Der fehlende Schutzzweck werde auch dadurch belegt, dass der Transplantationschirurg nicht verpflichtet sei, in einem bestimmten Match-Verfahren die seinem Patienten angebotene Spenderleber anzunehmen. Ihm stehe vielmehr ein Beurteilungsspielraum zu. So könne er, wenn ihm eine qualitativ unterdurchschnittliche Leber angeboten werde, das Organangebot ablehnen, wenn der Patient gesundheitlich stabil sei, und auf eine qualitativ bessere Leber warten (Urteil, S. 24, 397). Die Urteilsbegründung behauptet ferner mit Verweis auf Bülte,[4] dass die Dringlichkeit nur den Status eines rein formalen Zuteilungskriteriums besitze, das seinen relevanten Bezug zum Rechtsgut deswegen verliere, weil es sich angesichts fehlender Spenderlebern um Mangelverwaltung handele. Es soll daher am Pflichtwidrigkeitszusammenhang zwischen der Übermittlung falscher Patientendaten und dem Tod fehlen (Urteil, S. 24, 403).

Die Qualifizierung der Dringlichkeit als rein formales Kriterium der Organzuteilung soll durch den Umstand bestätigt werden, dass es faktisch nicht möglich sei, in einem Match-Verfahren denjenigen Patienten zu ermitteln, der tatsächlich am dringendsten auf eine Lebertransplantation angewiesen sei. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Reihenfolge der Patienten auf der Match-Liste auch der Reihenfolge der Dringlichkeit entspreche. Bei chronischen Lebererkrankungen sei der MELD-Score das Maß für die Dringlichkeit der Transplantation. Je höher der MELD-Score sei, desto höher sei die Wahrscheinlichkeit, dass der Patient im Endstadium seiner Lebererkrankung innerhalb von drei Monaten versterbe. Ein wesentlicher Schwachpunkt des MELD-Score liege aber darin, dass eine hohe Interlaborvariabilität bei der Feststellung der INR-, Bilirubin- und Kreatinin-Werte bestehe. Bei der Messung des Kreatinin-Wertes könnten Patienten aufgrund ihrer körperlichen Konstitution oder aufgrund der Einnahme bestimmter Medikamente bevorteilt oder benachteiligt werden. Darüber hinaus sei zu beachten, dass anhand der drei Laborwerte der Gesundheitszustand des Patienten nicht verlässlich beurteilt werden könne. Die Laborwerte würden daher lediglich die Abschätzung einer statistischen Wahrscheinlichkeit, nicht jedoch der konkreten Überlebenswahrscheinlichkeit eines bestimmten Patienten erlauben. Der Umstand, dass die Organangebote durch Eurotransplant streng nach Reihenfolge der Match-Liste ungeachtet der tatsächlichen Dringlichkeit zu erfolgen habe, zeige, dass die Verteilungsregeln gerade nicht dem Zweck dienen würden, dem Leben eines Menschen Vorrang vor dem Leben eines anderen zu gewähren. Andernfalls müsste Eurotransplant die Möglichkeit eröffnet werden, nach Erstellung der Match-Liste von der vorgegebenen Reihenfolge abzuweichen. Die Zuteilungsregeln würden daher evident nicht bezwecken, den Tod oder die Verlängerung von Leiden eines bestimmten Menschen durch Zuteilung eines Spenderorgans zu verhindern, sie würden vielmehr bezwecken, die Zuteilung nach objektiven, transparenten und nachvollziehbaren Kriterien durchzuführen und zwar auch dann, wenn im Einzelfall eine Organzuteilung an einen Patienten erfolge, der die Transplantation tatsächlich weniger dringlich benötige als ihm auf der Match-Liste nachfolgende Patienten. Die Organzuteilungsregeln des Transplantationsgesetzes würden somit der Verteilungsgerechtigkeit und dem allgemeinen, nicht jedoch dem individuellen Lebensschutz dienen. Ein Verstoß gegen die Regelungen des Transplantationsgesetzes könne daher weder vollendetes

noch versuchtes Tötungsunrecht begründen (Urteil, S. 25 ff., 397 ff., 401).

In einem Teil der Fälle hat die Kammer Tötungsunrecht deswegen verneint, weil die Allokationskriterien verfassungswidrig seien. So verwirklichte der Angeklagte ausweislich der Urteilsbegründung nicht dadurch einen versuchten Totschlag, dass er Patienten, die an einer alkoholinduzierten Leberzirrhose litten, auf die Warteliste aufnahm, obwohl es bei diesen Patienten an der nach der gültigen Richtlinie der Bundesärztekammer erforderlichen sechsmonatigen Alkoholabstinenz fehlte. Das Urteil folgt der Ansicht von Dannecker und Streng-Baunemann, dass die Richtlinie insoweit wegen Verstoßes gegen Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG verfassungswidrig und daher rechtlich unverbindlich sei (Urteil, S. 30 ff., 44 ff., 279, 323, 351 ff., 364, 485).[5] Nach Feststellung der Kammer verstieß der Angeklagte auch dadurch gegen die Richtlinien, dass er einen Patienten mit einem gemischten hepatozellulären und cholangiozellulären Karzinom in die Warteliste aufnahm, obwohl bei diesem extrahepatitisches Tumorwachstum bestand. Bei Patienten im fortgeschrittenen Stadium bösartiger Erkrankungen muss vor der Aufnahme in die Warteliste durch regelmäßige Kontrollen extrahepatitisches Tumorwachstum ausgeschlossen werden. Allerdings sollen auch insoweit die Richtlinien gegen Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen (Urteil, S. 32 ff., 273 f., 454 ff.). Schließlich hält es das Landgericht für verfassungswidrig, dass in Fällen akuten Leberversagens bei Empfängern mit viraler Hepatitis die Transplantationsindikation nur gestellt werden soll, wenn bei der Prognose die sog. Clichy-Kriterien erfüllt sind (Urteil, S. 34 ff., 385 ff.).

2. Die Verwirklichung der Voraussetzungen des dolus eventualis

Die Kammer hat den Freispruch hinsichtlich § 212 StGB zudem auf den fehlenden Vorsatz des Angeklagten gestützt. Zwar habe der Angeklagte als möglich und nicht ganz fernliegend erkannt, dass der erstverdrängte Patient im Falle der Manipulation das transplantierte Organ nicht erhalten werde und deshalb versterben könne (Urteil, S. 404, 406, 425). Ihm sei bewusst gewesen, dass der verdrängte Patient hätte versterben, mit dem Spenderorgan aber hätte überleben können (Urteil, S. 408). Hinsichtlich der nachfolgend verdrängten Patienten soll jedoch der Kausalverlauf nicht mehr vorhersehbar gewesen sein und es insoweit schon am intellektuellen Moment des bedingten Vorsatzes fehlen (Urteil, S. 404, 419 ff., 425, 430, 460 f., 474, 486 f., 501, 541). Der Angeklagte sei insoweit nicht davon ausgegangen, den Tod eines dieser Patienten in objektiv zurechenbarer Weise zu verursachen (Urteil, S. 424). Prämisse dieser rechtlichen Würdigung des Landgerichts ist, dass seiner Auffassung nach bezüglich dieser Patientengruppe ein tatsächlich durch die Manipulation der Organallokation verursachter Tod objektiv nicht zurechenbar gewesen wäre (Urteil, S. 421 ff., 461, 474, 487, 501, 541).

Mit dem Wissen um die Gefährlichkeit seines Verhaltens ist aber nach Auffassung der Kammer noch nicht gesagt, dass der Angeklagte den Erfolgseintritt auch akzeptiert und sich innerlich mit ihm abgefunden habe (Urteil, S. 404, 424 ff.). Obwohl Zweck der Manipulation gewesen sei, andere Patienten zu überholen (Urteil, S. 405), habe der Angeklagte den Tod des Patienten um der Rettung des eigenen Patienten willen nicht gebilligt (Urteil, S. 406, 427). Für das voluntative Element des Vorsatzes sei maßgeblich, ob der Angeklagte darauf habe vertrauen dürfen, dass keiner der möglicherweise durch seine Manipulation verdrängten Patienten aufgrund der Manipulation versterbe (Urteil, S. 409, 429). Dies bejaht das Landgericht: Der Angeklagte habe auf das Ausbleiben des Erfolgs noch vertrauen dürfen (Urteil, S. 406, 409, 430, 460, 474, 486, 501, 541). Er habe auch tatsächlich darauf vertraut (Urteil, S. 369 f., 406, 409, 411, 430, 460, 474, 486, 501, 541). Dieses Ergebnis fußt auf der Feststellung der Kammer, dass als Motiv besondere persönliche Verhältnisse des Angeklagten zu seinen Patienten, Boni-Zahlungen und berufliche Reputation auszuschließen seien (Urteil, S. 427). Die Kammer hat bei ihrer Würdigung expressis verbis berücksichtigt, dass sich bei einer zunehmenden Anzahl von Fällen die Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts insgesamt erhöht (Urteil, S. 429).

III. Kritische Würdigung der Urteilsausführungen

1. Die Erfüllung der Voraussetzungen des tatbestandlichen Zurechnungsgegenstands

a) Die Auffälligkeit der bisherigen Stellungnahmen

Beim Urteil des Landgerichts und bei der bisherigen Diskussion fällt auf, dass die Erörterung der Frage im Zentrum steht, ob der auf der Match-Liste jeweils zurückgesetzte Patient ein subjektives Leistungsrecht auf die Spenderleber besaß, die aufgrund der Allokationsmanipulation dem bevorteilten Patienten angeboten und anschließend transplantiert wurde.[6] Dies ist insofern verwunderlich, weil im hier vorliegenden Sachverhalt die Fallgruppe der Verhinderung und des Abbruchs rettender Kausalverläufe einschlägig ist[7] und diesbezüglich bisher die Auffassung vertreten worden ist, dass bei von Dritten ins Leben gerufenen rettenden Kausalverläufen zumindest dann die tatbestandlichen Voraussetzungen des Begehungsdelikts erfüllt sind, wenn der Täter den rettenden Kausalverlauf ohne Zustimmung des Dritten unterbindet. Anderes soll unter Umständen gelten, wenn der Täter den von ihm selbst initiierten rettenden Kausalverlauf eliminiert.[8] Es ist daher alles andere als erstaunlich, dass das OLG Braunschweig in seiner Ent-

scheidung über die Beschwerde des Angeschuldigten gegen die Anordnung von Untersuchungshaft auf diesen Punkt nicht eingegangen ist.[9] Auch Kudlich greift in seiner Abhandlung völlig konsequent diese Rechtsfrage nicht auf.[10] Das Landgericht hat zwar ausdrücklich verneint, dass durch die Manipulationen ein rettender Kausalverlauf abgebrochen worden sei, weil der Angeklagte dann in eine bereits begonnene rettende Kausalkette hätte eingreifen müssen (Urteil S. 424 f.). Es ist aber kaum zu bezweifeln, dass das Unrecht der Tat nur darin liegen könnte, dass der Angeklagte das Entstehen einer derartigen Kausalkette verhindert hat. Die Begründung der Kausalität durch das Landgericht zeigt, dass es diese Analyse teilt. Hätte der eigentlich vorrangige Patient mit der entzogenen Spenderleber überlebt, soll die Kausalität darin liegen, dass es Eurotransplant aufgrund der Manipulation des Angeklagten irrtumsbedingt unterlassen hat, diesem vertragsgemäß das Spenderorgan zuzuteilen. Unter diesen Voraussetzungen hätte nach Ansicht der Kammer der Angeklagte spätestens durch die Annahme des Spenderorgans aktiv den Tod des nachfolgenden Patienten verursacht ungeachtet des Umstands, dass unmittelbare Todesursache dessen Leberversagen gewesen wäre. Aufgrund des aktiven Eingriffs in den Geschehensverlauf hat das Landgericht das Verhalten des Angeklagten als unmittelbare Begehungstäterschaft eingeordnet (Urteil, S. 326 ff.). Allerdings konnte die Kammer eigenem Bekunden zufolge in keinem Fall den Nachweis einer derartigen Kausalbeziehung erbringen, so dass es jeweils nur einen versuchten Totschlag in Erwägung gezogen hat (Urteil, S. 271, 326, 363, 382, 452, 473, 484, 500).

Ebenso wie das Landgericht behauptet die ganz herrschende Meinung in der Literatur auf der Grundlage der Äquivalenztheorie, dass der Täter im Falle der Verhinderung und des Abbruchs rettender Kausalverläufe den Tod des Opfers verursacht.[11] Dabei soll es – geht die erfolgsverhindernde Wirkung von Sachen aus – für das Vorliegen tatbestandsmäßigen Unrechts auf die Eigentumsverhältnisse nicht ankommen. Mit anderen Worten: Die Vertreter dieser Position halten es für unerheblich, wem die Sphäre rechtlich zugeordnet ist, aus der sich bzw. in der sich der potentielle rettende Kausalverlauf entwickelt hätte.[12] So fehlt insbesondere bei Schroth, der als Initiator der Diskussion in der Sache die vom Verfasser schon mehrfach dargelegte und begründete Grundposition aufgegriffen hat, dass dem Opfer grundsätzlich der rettende Kausalverlauf im Verhältnis zum Täter rechtlich zugewiesen sein muss,[13] eine vollständige Begründung dafür, warum dieses Erfordernis überhaupt besteht. Der bloße Verweis darauf, dass Eurotransplant durch die Übermittlung falscher Patientendaten als Werkzeug zu einem Unterlassen veranlasst wird, deutet die Rechtsfrage allenfalls an.[14] Die Ausführungen des Landgerichts lassen eine Auseinandersetzung völlig vermissen.

b) Das rechtliche Grundproblem des Manipulationsfalls

Die dogmatische Herausforderung, der man in der vorliegenden Fallkonstellation ausgesetzt ist, wird nur begreifbar, wenn man sich die Frage stellt, ob der Täter überhaupt im Falle der Manipulation von Krankendaten den Tod der benachteiligten Patienten im Rechtssinne wirklich verursacht – selbst wenn man unterstellt, dass bei wahrheitsgemäßer Information der benachteiligte Patient die betreffende Leber erhalten und damit sein Tod verhindert worden und die Rechtsgutsverletzung insoweit Folge des Tatverhaltens gewesen wäre. Augenfällig ist der Unterschied zum Normalfall eines Tötungsverbrechens. Während im Normalfall der Täter unmittelbar auf die Rechtssphäre des Opfers durch Schießen, Schlagen, Stechen etc. einwirkt, hat in der vorliegenden Fallkonstellation die Täuschung der Vermittlungsstelle lediglich die Folge, dass dem Opfer ein Spenderorgan vorenthalten wird. Während also im Normalfall eines Begehungs- und Erfolgsdelikts der Geschehensverlauf (zumindest bis zum Eintritt in die körperliche Sphäre des Opfers) aus einer Kette tatsächlich eingetretener Ereignisse besteht, ist in der vorliegenden Fallkonstellation der Verhinderung und des Abbruchs rettender Kausalverläufe der Zusammenhang zwischen dem Verhalten des Täters und dem Erfolg teilweise lediglich durch hypothetische Ereignisse vermittelt.[15] Nur soweit es den Eingriff in den bevorstehenden oder sich schon vollziehenden rettenden Kausalverlauf betrifft, gleicht das Geschehen dem Normalfall eines Begehungsdelikts. Das Folgegeschehen gleicht hingegen dem Unterlassungsdelikt. Konkret: Hätte der Transplantationschirurg nicht falsche Daten an die Vermittlungsstelle Eurotransplant übermittelt, dann wäre sein eigener Patient nicht aufgrund des überhöhten MELD-Score vor dem anderen benachteiligten Patienten auf die Match-Liste gesetzt worden. Insoweit besteht der Tatverlauf wie im Normalfall aus tatsächlichen Ereignissen. Für das weitere Geschehen gilt dies aber nicht: Wäre der eigene Patient des Transplantationschirurgen nicht vor dem benachteiligten Patienten auf die Match-Liste gesetzt worden, dann wäre diesem die Leber angeboten und transplantiert worden. Wäre dem benachteiligten Patienten die Leber transplantiert worden, dann wäre er nicht gestorben. Ist man nun in Übereinstimmung mit der zutreffenden Rechtsprechung der Auffassung, dass beim unechten Unterlassungsdelikt zwischen der Nichtvornahme der gebotenen Handlung und der Rechtsgutsverletzung nur hypothetische Kausalität besteht,[16] dann muss man schon aus Gründen reiner Logik die Ursächlichkeit des Verhaltens in der Fallgruppe der Verhinderung und des Abbruchs ebenfalls verneinen. Dies folgt aus der Transitivität der Kausalrelation.[17]

Normativ ist es zwingend, zwischen Ursächlichkeit als tatbestandlicher Voraussetzung von Begehungsdelikten und hypothetischer Kausalität zu unterscheiden. Beim unechten Unterlassungsdelikt wird der Täter gemäß § 13 Abs. 1 StGB nicht dafür bestraft, den tatbestandlichen Erfolg verursacht zu haben, sondern – gerade umgekehrt – dafür, keine Ursache für die Abwendung des Erfolgs gesetzt zu haben. Wäre ein Unterlassen ebenso kausal wie ein aktives Tun, dann wäre nicht verständlich, warum es überhaupt einer Garantenstellung bedürfte. Jedes Unterlassen müsste als rechtswidrig qualifiziert werden, sofern nicht ausnahmsweise ein Rechtfertigungsgrund eingreifen würde. Diese Analyse findet ihr Pendant in der Fallkonstellation der Verhinderung und des Abbruchs rettender Kausalverläufe. Nicht jede Unterbindung eines Kausalnexus, der ein Rechtsgut vor einer Beschädigung bewahrt hätte, ist rechtswidrig, wie man sich an ganz einfachen Beispielen veranschaulichen kann. Stellt ein Stromlieferant nach wirksamer Kündigung einem Kunden den Strom ab und verdirbt durch den Ausfall von Kühlaggregaten infolgedessen die ihm gehörende gelagerte Ware, ist ungeachtet der Schädigung des Kunden das Verhalten ganz offensichtlich rechtmäßig. Eines Rechtfertigungsgrundes bedarf es nicht. Dasselbe gilt in dem Fall, in dem ein Patient in seinem Eigentum stehende überlebensnotwendige Medikamente einnimmt und dadurch dem Zugriff eines anderen Patienten entzieht, der diese ebenfalls zum Überleben benötigt. Schaltet der Eigentümer eines höhergelegenen Grundstücks seine Berieselungsanlage ab und verdorren dadurch die Blumen des tiefergelegenen Grundstücks, dessen Eigentümer verreist sind,[18] handelt es sich ohne Zweifel ebenso wie in den beiden anderen Fällen von vornherein um Rechtsausübung im Sinne von § 903 BGB, die keiner Rechtfertigung bedarf. Eine rechtswidrige Tat scheidet von vornherein aus.

Unterscheidet man hingegen nicht zwischen Ursächlichkeit und hypothetischer Kausalität und behauptet man wie die ganz herrschende Meinung, der Täter verursache in der Fallkonstellation der Verhinderung und des Abbruchs rettender Kausalverläufe durch seine Intervention den Taterfolg, gäbe es vorbehaltlich einer Rechtfertigung keine Möglichkeit, die rechtswidrige Verwirklichung des Tatbestandes zu verneinen. Insbesondere wäre die von der Rechtsprechung nur sporadisch aufgegriffene Lehre von der objektiven Zurechnung, an die das Landgericht (Urteil, S. 403 f.) und die Literatur auch bei der Manipulation der Leberallokation anknüpft,[19] nicht in der Lage zu erklären, warum der Tatbestand des betreffenden Begehungsdelikts nicht erfüllt ist. Einzig denkbarer Ansatzpunkt für die Qualifizierung des Verhaltens als rechtmäßig wäre, das Vorliegen eines unerlaubten Risikos zu verneinen, so dass der Erfolg dem Täter nicht als sein Werk objektiv zurechenbar wäre. Voraussetzung dafür, bestimmte Risiken als erlaubt ausweisen zu können, wäre jedoch, dass sie sich von anderen, als unerlaubt eingestuften Risiken unterscheiden. Identisches kann nicht normativ unterschiedlich bewertet werden. Doch welche Differenzierungsmöglichkeiten bietet der Risikobegriff? Risiken kann man durch ihren Inhalt, durch ihre Prognosebasis und durch die Höhe der Wahrscheinlichkeit individuieren. Die letzten beiden Parameter kommen als allgemeiner Differenzierungsgrund nicht in Betracht. Die Gesichtspunkte, die in den aufgeführten Beispielsfällen die Rechtmäßigkeit des Verhaltens begründen, haben weder etwas mit der Prognosebasis – es werden gemeinhin die dem Täter bekannten oder erkennbaren Umstände herangezogen – noch mit der Höhe der Erfolgswahrscheinlichkeit zu tun. In den oben aufgeführten Beispielsfällen kann jeweils unterstellt werden, dass eine Änderung der Prognosebasis die Risikoeinschätzung nicht beeinflusst hätte und dass die Folgen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eingetreten wären.[20]

Es bleibt daher nur noch der Risikoinhalt als Ansatzpunkt für eine unterschiedliche rechtliche Bewertung übrig. Der Risikoinhalt aber kann ausschließlich durch den Kausalitätsbegriff der Äquivalenztheorie definiert werden, da nach Auffassung der Anhänger der Lehre von der objektiven Zurechnung individualisierenden Kausalitätstheorien, die zwischen Ursache und Bedingung unterscheiden wollen, eine Absage zu erteilen ist.[21] Der Täter schafft also das Risiko, durch sein Verhalten eine gesetzmäßige Bedingung für den Taterfolg zu setzen. Dass damit der Inhalt des Risikos zutreffend wiedergegeben wird, erschließt sich gleichermaßen durch die Einsicht, dass das Risiko nichts anderes ist als eine Antizipation des späteren Kausalverlaufs. Behauptet man nun mit der ganz herrschenden Meinung, dass auch in der Fallkonstellation der Verhinderung und des Abbruchs eines rettenden Kausalverlaufs der Täter eine gesetzmäßige Bedingung für den Taterfolg setzt, dann tut er in dieser Fallkonstellation unter Zugrundelegung der juristischen Beschreibung des Geschehens genau dasselbe wie im Normalfall eines Tötungsdelikts. Es wäre daher nach den theoretischen Vorgaben der Lehre von der objektiven Zurechnung überhaupt nicht möglich, im Normalfall das durch sein Verhalten ins Leben gesetzte Risiko als unerlaubt, in der Fallkonstellation der Verhinderung und des Abbruchs eines rettenden Kausalverlaufs aber unter Umständen als erlaubt zu qualifizieren. Mit Hilfe der Lehre von der objektiven Zurechnung kann also der Konsequenz, bei Anerkennung der Ursächlichkeit zwangsläufig die rechtswidrige Tatbestandserfüllung anerkennen zu müssen, nicht entgangen werden. Auf die logischen Brüche der objektiven Zurechnungslehre, mit einem selbstbezüglichen Risikobegriff zu operieren, kann an dieser Stelle nur noch einmal hingewiesen werden.[22]

Wie kann nun aber das tatbestandliche Unrecht in der einschlägigen Fallkonstellation der Verhinderung und des Abbruchs rettender Kausalverläufe erklärt werden? Die bloße Kausalität reicht dafür offensichtlich nicht aus. Um eine Antwort zu geben, soll im Folgenden kurz das eigene Modell skizziert werden. Nach hier vertretener Auffassung muss wieder zwischen Ursache und Bedingung unterschieden werden. Das Strafrecht schützt Rechtspositionen, die entweder Privatrechtssubjekten (Individual-

rechtsgüter) oder der Allgemeinheit zustehen (Universalrechtsgüter).[23] So schützen die §§ 242 ff., 303 StGB das Eigentum. Aber auch höchstpersönliche Rechtsgüter können als subjektive Rechte begriffen werden, über die man freilich nicht wie Vermögensrechte verfügen kann, und die daher keine Rechtsmacht logisch zweiter Stufe vermitteln. So schützen die §§ 211 ff. StGB das Recht auf Leben und die §§ 223 ff. StGB das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Die Erfüllung des Tatbestandes setzt demnach grundsätzlich (!) voraus, dass der Täter ein Verhalten vollzieht, dem gegenüber der Inhaber der strafrechtlich geschützten Rechtsposition kraft seines Rechts einen Anspruch auf Unterlassung hat. Dies setzt wiederum voraus, dass der Täter auf die Rechtssphäre des Opfers einwirkt und dadurch eine Ursache für die Rechtsgutsverletzung setzt. Denn nach § 903 BGB hat der Eigentümer (von Ausnahmen abgesehen) immerhin, aber eben auch nur die Befugnis, andere von jeder Einwirkung auf die Sache auszuschließen. Von einer derartigen Befugnis ist entsprechend auch bei anderen, höchstpersönlichen Rechten wie dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit auszugehen. Nicht ausreichend ist es also, dass der Täter irgendeine Bedingung für den späteren Erfolgseintritt setzt. Es wird Zeit, sich von dem Kausaldogma der Äquivalenztheorie zu verabschieden. Die Äquivalenztheorie der Kausalität ist mit der Einteilung unserer Welt in Rechtssphären unvereinbar.[24]

In der Fallkonstellation der Verhinderung und des Abbruchs rettender Kausalverläufe fehlt es an der erforderlichen Einwirkung auf die betroffene Rechtssphäre, so dass der geschädigte Rechtsinhaber allein kraft seines betroffenen Rechts dem Täter nicht verbieten kann, den rettenden Kausalverlauf zu unterbinden. Dies gilt auch im Fall der Manipulation der Leberallokation: Das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit der benachteiligten Patienten ist daher für sich nicht ausreichend, dem Transplantationsmediziner die Übermittlung der falschen, den MELD-Score erhöhenden Patientendaten an die Vermittlungsstelle Eurotransplant zu verbieten. Dies bedeutet nun nicht, dass damit die Tatbestandserfüllung in dieser Fallkonstellation zwingend ausgeschlossen wäre. Aber es bedarf, da der Zusammenhang von Verhalten und Erfolg in Teilen des Geschehensverlaufs nur durch hypothetische Kausalität vermittelt wird, eines weiteren Grundes, um das Unrecht der Tat zu begründen. Dieser Grund wird erkennbar, wenn man die Parallele zum unechten Unterlassungsdelikt des § 13 Abs. 1 StGB in den Blick nimmt – eine Parallele, die gerade im vorliegenden Fall besonders deutlich hervortritt, weil der Angeklagte den Urteilsausführungen zufolge durch sein Verhalten gerade das Unterlassen der Zuteilung des Spenderorgans ausgelöst hat. Beim unechten Unterlassungsdelikt steht das Unterlassen dem Begehen bekanntlich dann gleich, wenn der Unterlassende Garant dafür ist, dass das Opfer keine Rechtsgutsverletzung erleidet. Eine Garantenstellung kann aber als ein strafrechtlich geschütztes absolutes subjektives Recht des Opfers auf Erfolgsabwendung gedeutet werden, das heißt als Zuweisung der Rechtssphäre des Unterlassenden dem Berechtigten gegenüber, sofern diese zur Erfolgsabwendung erforderlich ist.[25] Ist diese Voraussetzung erfüllt, wird der Unterlassende, wenn er die Rechtsgutsverletzung durch Vornahme der gebotenen Handlung abgewendet hätte, so behandelt, als habe er durch aktives Tun die Rechtsgutsverletzung verursacht. In diesem Sinne kann man § 13 Abs. 1 StGB als außerordentliche Zurechnungsfigur deuten.[26] Entsprechend kommt es auch in der Fallkonstellation der Verhinderung und des Abbruchs rettender Kausalverläufe darauf an, dass dem Opfer der rettende Kausalverlauf in seiner integritätssichernden Wirkung im Verhältnis zum Täter rechtlich zugewiesen ist. Ist dies der Fall, wird der Täter auch hier so behandelt, als habe er die Rechtsgutsverletzung verursacht, obwohl dies genau genommen faktisch nicht zutrifft.[27] Die Richtigkeit dieser Analyse leuchtet auch intuitiv ein, wenn man den oben geschilderten Fall abwandelt, in dem der Patient ein überlebensnotwendiges Medikament einnimmt und dadurch einem anderen Patienten entzieht, der auf das Medikament ebenfalls zum Überleben angewiesen ist. Niemand würde zweifeln, dass es sich um einen Totschlag handelt, wenn der Patient das im Eigentum des anderen Patienten stehende Medikament einnehmen würde.

c) Die Notwendigkeit einer Rechtszuweisung bei der Allokation von Spenderlebern
aa) Die Existenz eines subjektiven Rechts auf Teilhabe an den Organressourcen

Besteht nun die erforderliche rechtliche Zuweisung bei der Verteilung von Spenderlebern? Und wenn ja, worin liegt die rechtliche Zuweisung und wie kann diese begründet werden? Die Ansicht der Kammer, dass dem verdrängten Patienten kein subjektives Recht auf ein Organ im Sinne eines subjektiven Leistungsanspruchs zustehe, sondern lediglich ein derivatives Teilhaberecht am Organverteilungssystem und dass daher die Zuteilungsregeln nicht individuelles Leben, sondern nur allgemein menschliches Leben und die Verteilungsgerechtigkeit schützen würden, entspricht auch der von Schroth und Bülte vertretenen Auffassung. Schroth hat daraus die Schlussfolgerung gezogen, dass durch die Übermittlung falscher Patientendaten nicht in eine gesicherte Rechtsposition auf Gewährleistung einer spezifischen Gesundheitschance eingegriffen werde.[28] Und Bülte folgert daraus, dass sich der Pflichtverstoß des Angeklagten in der unzulässigen Umverteilung von Lebenschancen erschöpfe und nicht in der Vernichtung von Leben bestehe.[29] Darüber hinaus gibt er zu bedenken, dass die Organverteilungsregeln nicht so verstanden werden könnten, als gewährten sie dem Leben eines Menschen vorrangigen Schutz im Verhältnis zum Leben eines anderen Menschen. Ein derartiges Verständnis stünde mit dem Postulat der Lebenswertindifferenz nicht in Einklang. Das Leben selbst sei nicht Gegenstand der Abwägung. Die Zuteilungskriterien wie Dringlichkeit und Erfolgsaussicht würden daher keinen Rechtsgutsbezug aufweisen und

– wie auch die oben wiedergegebene Begründung des Landgerichts ausführt – angesichts der Mangelverwaltung nur rein formaler Natur sein.[30] Das Transplantationsrecht gebe mithin keine Sorgfaltsnorm vor, die im konkreten Fall dem Schutz menschlichen Lebens diene. Es fehle folglich am Pflichtwidrigkeitszusammenhang.[31] Erst wenn das Spenderorgan tatsächlich zugeteilt worden sei und sich auf dem Weg zum Transplantationszentrum befinde, liege gegebenenfalls ein Tötungsdelikt vor.[32]

Nun könnte ohnehin die Redeweise von einem derivativen Teilhaberecht am Organverteilungssystem die Interpretation nahelegen, es werde damit ein ausschließlich verfahrensbezogener Partizipationsanspruch formuliert.[33] Allerdings präzisiert das Urteil selbst an mehreren Stellen zutreffend, dass es sich um das Recht auf chancengleiche Teilhabe an dem jeweils zur Verfügung stehenden, stets zu knappen Quantum an Spenderorganen handele (Urteil, S. 345 f., 454). Und schon Bader, der ursprüngliche Autor dieser Formulierung, hat klargestellt, gemeint sei damit, dass jeder Patient verlangen könne, bei der staatlichen organisierten Organallokation grundsätzlich gleichberechtigt berücksichtigt und nur nach Maßgabe sachlich begründeter und verhältnismäßiger Differenzierungen übergangen zu werden. Er gelangt zu dem Resultat, dass nach Maßgabe der verfassungsrechtlich zulässigen Allokationskriterien sehr wohl ein subjektives Recht auf ein Spenderorgan bestehe, sofern diese im konkreten Fall die Vermittlung an den Anspruchsinhaber gebieten würden. Nur ein originäres Leistungsrecht in dem Sinne, dass jeder bedürftige Patient vom Staat verlangen könne, ein Spenderorgan zur Verfügung zu stellen, soll angesichts der Knappheit an Spenderorganen zu verneinen sein.[34]

Im Ansatz zutreffend stützt sich die herrschende Meinung in der Literatur zur Begründung des Teilhaberechts zum einen auf die umfassende Schutzpflicht des Staates gegenüber menschlichem Leben,[35] die das Bundesverfassungsgericht einerseits aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG, andererseits aus der Qualifizierung der Grundrechte als objektive Werteordnung ableitet.[36] Dabei hat die Schutzpflicht dem Umstand Rechnung zu tragen, dass das Leben einen Höchstwert der Verfassung darstellt.[37] Im zweiten Urteil zum Schwangerschaftsabbruch hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass die Schutzpflicht auf das einzelne ungeborene Leben bezogen sei und nicht nur auf menschliches Leben allgemein.[38] Dasselbe muss für das geborene menschliche Leben gelten. Die Rechtsansicht des Landgerichts steht dazu im eklatanten Gegensatz. Seine Behauptung, dass nur allgemein das menschliche Leben geschützt werde, missachtet des Weiteren den Umstand, dass die Verteilung als solche zunächst einmal keinen Einfluss auf den Schutz des Lebens insgesamt hat. Denn wie auch die Verteilung vorgenommen wird: die Zuweisung eines Spenderorgans an einen Patienten schließt die anderen Patienten aus. Postuliert man, dass das menschliche Leben allgemein geschützt werde, könnte daher nur maßgeblich sein, wie viele Patienten bei Anwendung bestimmter Allokationskriterien gerettet werden würden. Zu präferieren wäre dann ein Zuteilungsmodus, bei dem die Anzahl der erfolgreichen Transplantationen einen maximalen Wert erreichen würde. Ein derartiges utilitaristisches Nutzenkalkül blendet aber die Verteilungsgerechtigkeit schon im Ansatz völlig aus.[39]

Die Bezogenheit der Schutzpflicht auf das einzelne individuelle Leben macht zudem kenntlich, dass der Grundrechtsberechtigte ein subjektives Recht auf Schutz innehat. Das Bundesverfassungsgericht ist jedoch ungeachtet dessen sehr zurückhaltend, wenn es darum geht, Ansprüche auf konkrete Leistungen aus der verfassungsrechtlichen Schutzpflicht abzuleiten,[40] worauf die Literatur zutreffend hingewiesen hat.[41] Auch der Nikolausbeschluss des Bundesverfassungsgerichts hilft insoweit nicht weiter. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass die Vorsorge in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung zum Kernbereich der Leistungspflicht und der von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG geforderten Mindestversorgung gehöre, wenn der Staat durch das System der gesetzlichen Krankenversicherung Verantwortung für Leben und körperliche Unversehrtheit übernehme.[42] Offen bleibt allerdings bei der Begründung, ob der Anspruch auf Mindestversorgung (primär) auf dem Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit durch die Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung oder (nur) auf der Schutzpflicht des Staates gründet.

Es ist daher unumgänglich – wie dies in der Literatur auch geschieht[43] –, sich gleichermaßen auf die verfassungsrechtlichen Teilhabeansprüche zu stützen. Diese deduziert das Bundesverfassungsgericht aus den betroffenen Grundrechten, dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip, wobei das Bundesverfassungsgericht auch in diesem Bereich wieder in fragwürdiger Weise den objektiv-rechtlichen Charakter der Grundrechte betont.[44] Das relevante Grundsatzurteil ist die Numerus-Clausus-Entscheidung, in der bekanntlich das Bundesverfassungsgericht die Auffassung vertre-

ten hat, dass aus dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. der Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip ein Anspruch auf Zutritt zu staatlichen Ausbildungseinrichtungen bzw. ein Recht, an der durch die staatliche Leistung gebotenen Lebenschance gleichberechtigt beteiligt zu werden, folgt. Dies soll insbesondere dann gelten, wenn der Staat für sich ein faktisches, nicht beliebig aufgebbares Monopol in Anspruch nimmt und die Beteiligung an staatlichen Leistungen zugleich notwendige Voraussetzung für die Verwirklichung von Grundrechten ist.[45] Der Teilhabeanspruch ist somit gleichheits- wie auch freiheitsrechtlich begründet.[46] Ein derartiges Monopol besteht aufgrund des strafbewehrten Verbots des Organhandels gemäß den §§ 9, 17, 18 TPG nicht nur aus faktischen, sondern sogar aus rechtlichen Gründen.

Führt man beide Stränge der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts zusammen, könnte man formulieren, dass der einzelne Patient ein Recht auf den Schutz seines Lebens und seiner körperlichen Integrität durch Teilhabe am Aufkommen an Spenderorganen nach lebenswertindifferenten Gleichheitskriterien hat. Indem der Staat (aus guten Gründen!) den freien Handel mit Organen verbietet, greift er – wie das Bundesverfassungsgericht selbst annimmt[47] –, in das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit ein, weil er damit zurechenbar verhindert, dass der bedürftige Patient selbst seine Integritätsinteressen durch den Erwerb eines Spenderorgans wahren kann. Dieser Eingriff ist nur dann verhältnismäßig, wenn der Staat – gewissermaßen als Kompensation – dem bedürftigen Patienten zum Schutz seines Lebens und seiner körperlichen Integrität ein Teilhaberecht am Spenderorganaufkommen zuerkennt. Mit dem Sozialstaatsprinzip hat dieser Schutzanspruch genau genommen nichts zu tun. Nur vordergründig geht es um den status activus der Grundrechte. Die Rechtsordnung müsste daher an sich Rechtsschutzmöglichkeiten potentiell Betroffener gegenüber Vergabeentscheidungen von Eurotransplant gewähren. In der Literatur wird daher der Vorwurf eines verfassungswidrigen Rechtsschutzdefizits erhoben.[48] Dieser Punkt bedarf allerdings hier keiner weiteren Vertiefung.

Der Standpunkt des Landgerichts und von Bülte, dass die Zuteilungsregeln nur der Verwirklichung formaler Verteilungsgerechtigkeit dienen würden, ist daher abzulehnen. Böse hat zu Recht die Frage aufgeworfen, ob angesichts des Postulats der Gleichwertigkeit allen Lebens überhaupt noch Raum für eine verfassungsrechtlich zulässige Ausgestaltung der Organallokation bestünde. Dass der durch die Verfassung gewährte Spielraum für die Verteilungsmodi davon abhänge, ob die entsprechenden Regeln dem Schutz individuellen Lebens oder der Verteilungsgerechtigkeit dienen würden, sei eher unplausibel.[49] In der Tat ist die Annahme – von der Bülte aber offenbar ausgeht – verfehlt, dass die Anerkennung des Zwecks, individuelles Leben zu schützen, die Ablehnung des Postulats der Lebenswertgleichheit impliziert. Sowohl das Kriterium der Dringlichkeit wie auch das Kriterium der Erfolgsaussicht sind jedoch nur insoweit verfassungsrechtlich haltbar, als sie mit dem Postulat der Gleichwertigkeit allen Lebens vereinbar sind. Gelangen die im Einklang mit dem Gleichheitsgrundsatz stehenden Allokationsregeln zu dem Ergebnis, dass einem bestimmtem Patienten ein Spenderorgan zuzuteilen ist, so hat daher dieser Patient aufgrund der verfassungsrechtlichen Schutzpflicht ein Anspruch auf dieses Spenderorgan, ohne dass das Leben der nachrangig berücksichtigten Patienten deswegen als minderwertig qualifiziert wird. Und umgekehrt: Wären die Allokationskriterien mit dem Postulat der Gleichwertigkeit allen Lebens nicht zu vereinbaren, wäre ihre Verfassungsmäßigkeit auch nicht dadurch zu retten, dass man ihren Zweck darauf zurückstutzt, unter Preisgabe des Rechtsgutsbezugs rein formale Verteilungsgerechtigkeit zu gewährleisten. Die Allokationsregeln müssen der Schutzpflicht des Staates Rechnung tragen. Diese leitet sich aber auch aus den betroffenen Grundrechten des Bürgers ab, so dass die Legitimation der Verteilungsrichtlinien die Konsequenzen für das Leben des einzelnen Rechtsgutsträgers berücksichtigen muss. Insbesondere verträgt sich die angebliche Formalität der Verteilungsregeln nicht mit der Herleitung ihrer Notwendigkeit auch aus der Menschenwürde, auf die nicht nur – wie oben dargestellt – das Bundesverfassungsgericht im Rahmen der Schutzpflichten, sondern ebenso Bülte verweist.[50]

Zudem trägt der Vergleich von Bülte mit der rechtfertigenden Pflichtenkollision in extremen Notsituationen nicht.[51] Eine rechtfertigende Pflichtenkollision greift richtigerweise nur dann ein, wenn beide Pflichten gleichwertig sind, was zum Beispiel nur dann der Fall ist, wenn der Täter bezüglich des Lebens aller betroffenen Rechtsgutsträger Garant im Sinne von § 13 Abs. 1 StGB ist. Unter dieser Voraussetzung sind jedoch alle Berechtigte schon Inhaber einer Rechtsposition, die nicht unter dem allgemeinen Vorbehalt der Vereinbarkeit mit entsprechenden Rechtspositionen Dritter steht. Dieser Umstand könnte möglicherweise dazu führen, dass das Recht auf Erfolgsabwendung eines Berechtigten auch dann Bestand hat (mit der Folge eines rechtlichen Dilemmas), wenn die Gefahr einer Rechtsgutsschädigung oder die Wahrscheinlichkeit ihrer Abwendung bei einem anderen Berechtigten in (etwas) höherem Maße vorhanden sind. Bei der Organallokation entsteht hingegen die konkrete Rechtsposition erst unter Berücksichtigung lebenswertindifferenter Gleichheitskriterien aufgrund eines Vergleichs mit der Situation und Lage anderweitig Betroffener. Im Übrigen – dies sei der Vollständigkeit halber hinzugefügt – geht es bei der kontroversen Rechtsfrage nicht um die Existenz einer entsprechenden Sorgfaltsnorm.[52] Sorgfaltsnormen haben den Zweck, den Normadressaten zu befähigen, die Verwirklichung des objektiven Unrechts, also des Zurechnungsgegenstandes, zu vermeiden. Folglich geht es auch nicht um das Vorliegen oder Nichtvorliegen des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs, der eine spezifische Beziehung von Zurechnungs-

gegenstand und Zurechnungsgrund fordert.[53] Die Debatte im hier zur Diskussion stehenden Manipulationsskandal betrifft allein den Zurechnungsgegenstand. Die richtige Zuordnung des Streitpunkts hat freilich – soweit ersichtlich – keinen Einfluss auf die Beurteilung in der Sache selbst.

Schroth hat argumentiert, dass das derivative Teilhaberecht noch kein Recht einer konkreten Person auf ein Spenderorgan begründe, weil die Möglichkeit bestehe, das betreffende Spenderorgan im Wege des beschleunigten Verfahrens einem Schwerkranken zuzuteilen.[54] Selbst in Anbetracht der Tatsache, dass offenbar eine Vielzahl von Spenderorganen auf diesem Wege vermittelt werden, schließt das beschleunigte Verfahren die Existenz einer Rechtsposition jedoch nicht aus, weil das Verfahren nur dann zur Anwendung kommt, wenn aufgrund logistischer oder organisatorischer Gründe (zum Beispiel schlechte Wetterverhältnisse, fehlendes Personal oder fehlende Sachmittel wie freie Operationssäle) oder aufgrund medizinischer Erfordernisse (zum Beispiel Kreislaufinstabilität des Organspenders) eine möglichst zeit- und ortsnahe Transplantation gefordert ist.[55] Es geht also von vornherein um Fälle, in denen im Standardverfahren eine medizinisch erfolgreiche Vermittlung von Spenderorganen konkret gefährdet wäre. Die hohe Zahl beschleunigter Verfahren erklärt sich daraus, dass angebotene Spenderorgane vielfach abgelehnt werden. Dem beschleunigten Verfahren geht aber in diesen Fällen das Standardverfahren voraus.

Ebenso wenig wird die Existenz eines Zuteilungsanspruchs dadurch ausgeschlossen, dass die Reihenfolge der Patienten auf der Match-Liste nicht ausnahmslos der tatsächlichen Dringlichkeit einer Organtransplantation entspricht. Um eine effiziente wie gleichermaßen transparente Vermittlung von Spenderorganen zu gewährleisten, ist es der rechtssetzenden Instanz unbenommen, an objektive Kriterien anzuknüpfen, die durch einen Algorithmus aufgegriffen und verarbeitet werden können. Eine umfassende klinische Diagnose mag zwar bestimmte, vom Landgericht aufgeführte Verfälschungsfaktoren ausschließen. Ihre unbestritten subjektive Komponente macht sie jedoch untauglich, in eine statistische Größe übersetzt zu werden, die sie erst mit anderen Fällen numerisch vergleichbar macht. Man wird der rechtssetzenden Instanz einen Gestaltungsspielraum bei Etablierung eines derartigen Verteilungssystems zuzugestehen haben. Die einzige Konsequenz der Anerkennung eines derartigen Gestaltungsspielraums besteht darin, dass der verfassungsrechtliche Schutzanspruch sich erst auf einfachrechtlicher Ebene zu einer hinreichend starken Rechtsposition konkretisiert, die strafrechtlich anknüpfungsfähig ist.

bb) Die Relativität oder Absolutheit des Teilhabeanspruchs

Es stellt sich das weitere Problem, dass der rettende Kausalverlauf dem Opfer im Verhältnis zum Täter rechtlich zugeordnet sein muss. Das heißt, dass der Verletzte eine Rechtsposition innehaben muss, kraft derer er dem Täter die Verhinderung und den Abbruch des rettenden Kausalverkaufs verbieten kann. Man könnte überlegen, ob nicht der Anspruch des Patienten mit dem objektiv höchsten MELD-Score auf Zuweisung des Spenderorgans lediglich ein relatives Recht ist, das nicht erga omnes, sondern ausschließlich inter partes im Innenverhältnis zu Eurotransplant als Vergabestelle besteht und daher ausschließlich nur Eurotransplant als Vergabestelle bindet. Ob die sogenannte Relativität von Schuldverhältnissen ausschließlich auf Verkehrsschutzaspekten beruht[56] oder auf dem Umstand, dass der Verpflichtungsgrund ausschließlich in der Person des Schuldners begründet und zwischen Verpflichtung und ihrer Erfüllung – zum Beispiel durch Übereignung und Übergabe einer Sache mit der Folge einer Änderung ihrer absoluten Zuordnung – schon aus logischen Gründen zu unterscheiden ist, muss hier nicht geklärt werden. Denn nichts spricht dafür, dass in der vorliegenden Fallkonstellation lediglich ein relatives Recht tangiert ist. Würde man den Zuweisungsanspruch des Patienten mit dem objektiv höchsten MELD-Score lediglich als relatives Leistungsrecht gegenüber Eurotransplant einordnen, hätte dies die Konsequenz, dass anderen die Verpflichtung von Eurotransplant als Schuldner grundsätzlich nichts angehen würde.[57] Eine deliktische Haftung wäre insoweit sowohl nach § 823 BGB wie auch § 826 BGB ausgeschlossen.[58] Nun verdankt sich jedoch gerade das Recht auf Zuweisung des Spenderorgans der Anwendung von Gleichheitskriterien, die den normativen Vorrang von Patienten mit einem höheren gegenüber Patienten mit einem niedrigeren MELD-Score begründen. Alle anderen Personen müssen die Zuweisung des Spenderorgans an den Patienten mit dem objektiv höchsten MELD-Score gegen sich gelten lassen. Die Zuweisung weist somit von vornherein einen normativen Drittbezug auf. Juristisch wird man diese Zuweisung als eine auf einer entsprechenden Widmung beruhende öffentlich-rechtlich begründete Dienstbarkeit konstruieren können.[59] Diese Widmung beruht ihrerseits auf den Rechtssätzen der Verfassung, des Transplantationsgesetzes und den Richtlinien der Bundesärztekammer. Kraft der Widmung hat der Berechtigte das absolute Recht, dass Eurotransplant das Spenderorgan an ihn vermittelt. Durch eine Täuschung von Eurotransplant über die entscheidungserheblichen Patientendaten wird in dieses Recht eingegriffen.

Aber selbst wenn man den Anspruch gegenüber Eurotransplant lediglich als relatives Leistungsrecht im Sinne einer schuldrechtlichen Beziehung inter partes deuten würde, das Spenderorgan dem Berechtigten zur Transplantation zur Verfügung zu stellen, wäre zu beachten, dass unter besonderen Umständen auch die Vereitelung fremder Ansprüche – gedacht wird in erster Linie an vertragliche Leistungsansprüche – eine deliktische Haftung nach § 826 BGB auslösen kann. Dies soll unter

anderem dann der Fall sein, wenn der Dritte den Schuldner zum Vertragsbruch verleitet, insbesondere durch Freistellung von Ersatzansprüchen des Gläubigers. In diesem Fall soll im Verhalten des Dritten ein besonderes Maß an Rücksichtslosigkeit gegenüber dem Betroffenen, ein Mangel an Loyalität im Rechtsverkehr hervortreten.[60] Die positive Kenntnis der vertraglichen Bindung wird von der ganz herrschenden Meinung nicht für ausreichend gehalten.[61] Die rechtliche Problematik ähnelt derjenigen bei der Beihilfe nach § 27 StGB. Denn auch hier gilt, dass zunächst einmal nur der Täter selbst die strafrechtlich geschützte Rechtsposition verletzt und Unrecht begeht. Aufgrund der Trennung der Freiheitssphären muss man sich grundsätzlich nicht darum kümmern, ob eine andere Person an das eigene Verhalten deliktisch anschließt. Eine unrechtmäßige Beihilfehandlung liegt daher nur dann vor, wenn das Verhalten des präsumtiven Teilnehmers in der konkreten Tatsituation aufgrund des äußeren sozialen Kontextes nur so verstanden werden kann, als habe sein Verhalten die Funktion, die Haupttat zu fördern. Es bedarf einer deliktischen Anpassung, durch die sich der präsumtive Teilnehmer mit der Begehung der Haupttat solidarisiert. Der Unrechtsbegründung liegen dabei ähnliche Erwägungen zugrunde wie bei § 226 BGB oder teilweise bei § 826 BGB. Der Geschädigte hat unter diesen Voraussetzungen einen Anspruch, dass ein derartiges Verhalten unterbleibt; seine Rechtssphäre wird entsprechend erweitert.[62] In der vorliegenden Fallkonstellation fordert schon das Rechtsgefühl, dass die Manipulation der Patientendaten im Hinblick auf die daraus resultierenden Folgen von der Rechtsordnung nicht toleriert werden kann. Zwar hat der Angeklagte Eurotransplant nicht dazu verleitet, den Anspruch des Patienten mit dem objektiv höchsten MELD-Score vorsätzlich zu missachten. Er hat aber bei Eurotransplant einen Irrtum hervorgerufen, der zu einer unwissentlichen Verletzung des Zuweisungsanspruchs geführt hat. Der Angeklagte kann dabei auch nur das Ziel verfolgt haben, die Berechtigung eines etwaig vorrangig zu berücksichtigenden Patienten zu unterlaufen. Der an sich berechtigte Patient hat daher einen Anspruch auf Unterlassen derartiger Manipulationen seitens des Angeklagten. Die Verletzung dieses Anspruchs begründet die Möglichkeit einer deliktischen Haftung des Angeklagten, aber auch einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit.

Akzeptiert man die Prämisse, dass der Staat bei der Allokation von Spenderlebern eine Schutzpflicht zugunsten des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit der einzelnen Patienten wahrnimmt, kann das Vorliegen eines Zurechnungsgegenstandes im Sinne eines Tötungsdelikts auch durch folgenden Rechtssatz begründet werden: Greift der Täter in die Rechtssphäre einer Person ein, die sich dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Willen des Opfers an der Wahrung seiner Integritätsinteressen unterordnet und sich stellvertretend dem Opfer dienstbar macht, wird der Täter so behandelt, als habe er unmittelbar in die Rechtssphäre des Opfers eingegriffen.[63] Es reicht daher wie zum Beispiel in den zivilrechtlichen Stromkabelfällen nicht aus, dass die betreffende Person dem Opfer vertraglich eine Leistung – wie die Lieferung von Strom – schuldet, die die Integrität der Rechtsgüter des Opfers faktisch sichert, ohne dass diese integritätssichernde Wirkung vertraglich geschuldet ist. Denn in diesem Fall ist die Sicherung der Integrität der betroffenen Rechtsgüter ein reiner Reflex. Grundlage dieser rechtlichen Sichtweise ist eine Verhaltenszurechnung kraft Repräsentation, die in ganz ähnlicher Art und Weise, wenn auch unter strengeren Voraussetzungen im Rahmen der strafrechtlichen Beteiligungslehre statuiert wird. Das heißt, es wird im Wege einer Rechtsfiktion unterstellt, dass es das Opfer als Vertretener gewesen ist, das versucht hat, sich selbst zu retten, obwohl es de facto die andere Person gewesen ist. Der Eingriff ist daher rechtlich als Eingriff in die Rechtssphäre des Opfers zu erfassen.[64] Von praktischer Relevanz ist dieser Rechtssatz vor allem dann, wenn der rettungswillige Dritter kein Garant ist. Die Voraussetzungen dieses Rechtssatzes wären in der vorliegenden Fallkonstellation erfüllt, weil Eurotransplant aufgrund der vertraglichen Bindungen mit dem Willen handelt, das Spenderorgan an den Patienten mit dem höchsten MELD-Score im Interesse der Wahrung von dessen körperlicher Integrität zuzuteilen und damit die staatliche Schutzpflicht zu erfüllen. Durch die Übermittlung falscher Patientendaten wird dieser Wille unterminiert.

cc) Die Verfassungswidrigkeit der Allokationsregeln des Transplantationsgesetzes und der Richtlinien der Bundesärztekammer

Ob und inwieweit die Allokationsregeln verfassungswidrig sind oder nicht, kann hier nicht näher geprüft werden. Überzeugend ist ungeachtet dessen der auch vom Landgericht vertretene Standpunkt, dass durch die Übermittlung falscher Patientendaten kein Tötungsunrecht begründet wird, wenn mit dieser Tathandlung lediglich die mit dem Gleichheitsgrundsatz unvereinbare und daher materiell verfassungswidrige Benachteiligung des eigenen Patienten verhindert wird.[65] Als verfassungsrechtlich problematisch wird im Hinblick auf den Gesetzesvorbehalt auch die Regelung des § 12 Abs. 3 TPG eingestuft.[66] Insoweit ist es maßgeblich, ob trotz der möglichen formellen Verfassungswidrigkeit die Rechtsregeln des Transplantationsgesetzes gültig sind oder nichtig.[67]

dd) Rechtszuweisungsgrund und Art. 103 II GG

Von Verrel ist die Ansicht vertreten worden, dass die Einhaltung der Richtlinien für die Zuteilung von Spenderorganen nicht durch die Tötungstatbestände strafrechtlich abgesichert seien – eine These, die im Rahmen

der objektiven Zurechnung Berücksichtigung finden soll. Verstöße gegen die Verteilungsrichtlinien, die zu einer Umverteilung des Sterberisikos unter den Wartelistenpatienten führten könnten, seien nicht vom Schutzzweck der Tötungstatbestände erfasst. Es erscheine zweifelhaft, die durch die Allokationskriterien austarierte Verteilungsgerechtigkeit bei der Vergabe von Rettungschancen schon weit im Vorfeld einer konkreten Organtransplantation durch ein so scharfes Schwert wie die Tötungsdelikte zu schützen.[68] Nun ist die Kategorie des Schutzzwecks in ihrer Anwendung auf Straftatbestände dem Verdacht der Zirkularität ausgesetzt, weil man prima facie zu behaupten geneigt ist, dass sich die Antwort, wovor der jeweilige Straftatbestand schützt, aus seinen Tatbestandsmerkmalen ergibt. Die herrschende Meinung könnte jedoch auf die Notwendigkeit verweisen, dass das vom Täter geschaffene Risiko als Voraussetzung der objektiven Zurechnung unerlaubt sein muss. Denn nach den Konstruktionsvorgaben dieser Theorie soll sich die Unerlaubtheit des Risikos unter anderem aus dem Verstoß gegen Rechtsnormen, die dem Tatbestand vorgelagert sind, ergeben – wie zum Beispiel Verkehrsvorschriften. Die Bezugnahme auf derartige vorgelagerte Rechtsnormen erfolgt von vornherein unter kriminalpolitischen Vorgaben und bestimmt die Reichweite des Tatbestands.[69] Entsprechend wäre auch in der hier zur Diskussion stehenden Fallkonstellation darüber zu entscheiden, ob der Verstoß gegen die Vergaberegeln zur Erfüllung des § 212 StGB führen soll. Durch diese Auffassung mutiert der betreffende Tatbestand freilich zu einem halboffenen Schema, das erst durch den Rechtsanwender vervollständigt wird. Dies ist im Hinblick auf den im Strafrecht geltenden strikten Gesetzesvorbehalt fragwürdig. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der Täter bei § 212 StGB ohnehin nicht wegen Verstoßes gegen sonstige Vorschriften, sondern wegen Übertretung des Tötungsverbots verurteilt wird. Auf die prinzipiellen Bedenken gegenüber der objektiven Zurechnungslehre, die von der Rechtsprechung bis heute als solche nicht adaptiert worden ist, wurde schon oben aufmerksam gemacht.

Nach hier vertretener Lehre stellt sich das Problem etwas anders dar: Wie oben dargelegt, bedarf es im Fall der Unterbindung eines rettenden Kausalverlaufs ebenso wie beim unechten Unterlassungsdelikt eines Grundes, warum die hypothetische Kausalität dem Fall eines unmittelbaren Eingriffs in die Rechtssphäre des Opfers, durch den der Täter die Rechtsgutsschädigung verursacht, gleichgestellt werden kann. Das Recht auf Leben kann für sich daher allein die strafrechtliche Verantwortlichkeit für den etwaig durch die Übermittlung falscher Patientendaten bedingten Tod des zurückgesetzten Patienten nicht erklären. In diesem Sinne ist Verrel beizupflichten, dass das Leben nur das mittelbar betroffene Rechtsgut ist.[70] Eine § 13 Abs. 1 StGB entsprechende Gleichstellungsregelung fehlt jedoch im Strafgesetzbuch. Man wird aber wohl sagen können, dass eine gesetzliche Vorschrift im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG dann entbehrlich ist, wenn die die Gleichstellung legitimierende Rechtsposition, in die der Täter unmittelbar eingegriffen hat, für sich schon strafrechtlich bewehrt wird, wie dies zum Beispiel beim Eigentum durch die §§ 242, 246, 248b, 303 StGB umfassend geschehen ist. So ist – um einen der oben aufgeführten Beispielsfälle aufzugreifen – die Annahme, dass derjenige, der dem Opfer die diesem gehörenden überlebensnotwendigen Medikamente entzieht, um sein eigenes Überleben zu sichern, den Tatbestand des § 212 StGB verwirklicht hat, bezüglich Art. 103 Abs. 2 GG offenbar unproblematisch. Denn der strafrechtliche Schutz des Eigentums durch die §§ 242, 246, 248b, 303 StGB dient gerade dem Schutz der durch das Eigentum gewährten Dispositionsfreiheit (vgl. § 903 BGB), die dahingehend ausgeübt werden kann, die Sache in den Grenzen des anerkannten Zuweisungsgehalts dem eigenen Überleben zu widmen. Sämtliche normativen Anknüpfungspunkte für die Begründung des Tötungsunrechts genügen dem Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG.

Und wie ist die vorliegende Fallkonstellation zu beurteilen? Der Gesetzgeber hat durch Artikel 5d des Gesetzes zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung (KVBeitrSchG), das am 15. Juli 2013 verabschiedet und am 1. August 2013 in Kraft getreten ist, § 19 Abs. 2a in das Transplantationsgesetz eingefügt. Demnach wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer absichtlich entgegen § 10 Abs. 3 S. 1 TPG den Gesundheitszustand eines Patienten erhebt, dokumentiert oder übermittelt. Zweck der Strafbestimmung ist es, das Vertrauen in ein gerechtes Verteilungssystem zurückzugewinnen und zu stärken.[71] Man kann daher aufgrund des geschützten Rechtsguts nicht die Schlussfolgerung ziehen, dass § 19 Abs. 2a TPG eine Sperrwirkung bezüglich § 212 StGB ausübt, die ebenso das Landgericht zu Recht verneint hat (Urteil, S. 388). Aus diesem Grund belegt auch die niedrige Strafdrohung des § 19 Abs. 2a TPG nicht, dass die Manipulation von Patientendaten kein Tötungsdelikt begründet.[72] Vielmehr handelt es sich um einen Auffangtatbestand, der weder einen Tötungserfolg noch einen Tötungsvorsatz verlangt. Umgekehrt ist jedoch aufgrund des geschützten Rechtsguts fraglich, ob der Tatbestand eine taugliche Gleichstellungsgrundlage bietet. Es wird eben nicht das individuelle Zuweisungsrecht, sondern ein Universalrechtsgut geschützt. Bezüglich des hier zur Diskussion stehenden Falles kann die Antwort allerdings dahinstehen, weil § 19 Abs. 2a TPG ohnehin nicht rückwirkend auf den Göttinger Transplantationsskandal angewendet werden kann. Eine Gleichstellungsgrundlage wäre aber gleichwohl gefunden, wenn man aufgrund der verfassungsrechtlichen Schutzpflicht Eurotransplant als Beschützergarant im Sinne von § 13 Abs. 1 StGB qualifizieren würde. Dafür sprächen die Begründung der Verantwortlichkeit des Staates, die der Garantenstellung kraft tatsächlicher Übernahme strukturell ähnelt, sowie die Parallele zur Schutzpflicht der Polizei.[73] Ebenso wenig bedürfte es wohl einer weiteren Gleichstellungsgrundlage, wenn man auf eine Verhaltenszurechnung kraft Repräsentation zurückgreifen würde, weil diese Regeln der Verhaltenszurechnung auch den §§ 25, 26 StGB zugrunde liegen, also strafrechtlich anerkannt sind. Schwieriger ist die Beurteilung der Rechtslage, wenn man den Lei-

stungsanspruch nur als relatives Recht qualifizieren würde.[74] Doch entspricht dies ohnehin nicht der hier vertretenen Auffassung.

2. Die Erfüllung der Voraussetzungen des dolus eventualis als Zurechnungsgrund

Schließlich können auch die Ausführungen der Kammer zum bedingten Vorsatz nicht überzeugen. Zunächst ist es widersprüchlich, dass das Landgericht annimmt, der Angeklagte habe als möglich und nicht ganz fernliegend erkannt, dass der erstverdrängte Patient im Falle der Manipulation das transplantierte Organ nicht erhalten werde und deshalb hätte versterben, mit dem Spenderorgan aber hätte überleben können, zugleich aber davon ausgeht, der Angeklagte habe auf das Ausbleiben des Erfolgs vertraut. Zuzugeben ist, dass die neuere Rechtsprechung, die auf das Billigen des Erfolgseintritts im Rechtssinne abstellt,[75] suggeriert, es handele sich bei dem Erkennen und dem Nicht-Vertrauen um ein zwei unterscheidbare Komponenten des dolus eventualis: das intellektuelle und das voluntative Element des Vorsatzes. Es stellt sich jedoch unweigerlich die Frage, ob man noch auf das Ausbleiben des Erfolgs vertraut, wenn man erkannt hat, dass die nicht fernliegende Möglichkeit seines Eintritts besteht. Die Antwort kann nur verneinend ausfallen. Dem betreffenden Täter bleibt nur die bloße, nach der neueren Rechtsprechung aber völlig irrelevante Hoffnung, der Erfolg möge ausbleiben. Entscheidend kann daher allein sein, ob das Gefahrbewusstsein in die Willensbildung eingeht, das heißt, ob der Täter die Möglichkeit des Erfolgseintritts bei seiner Entscheidung einkalkuliert oder ob er die Möglichkeit des Erfolgseintritts bei seiner Entscheidung ausblendet und verdrängt.[76] Dies entspricht ebenso der Ansicht der Möglichkeitstheorie.[77] Nichts anderes sagt aber genau genommen auch die Ernstnahmetheorie.[78] Reicht das Billigen im Rechtssinne, wird das voluntative Vorsatzelement beim bedingten Vorsatz also abgeschafft. Das Sich-Abfinden mit dem Erfolgseintritt liegt schon in dem Rechnen mit dem Erfolgseintritt. Das Landgericht hätte daher Feststellungen treffen müssen, ob der Angeklagte das Gefahrbewusstsein im Moment der Tathandlung irrational verdrängt hat oder nicht. Dazu fehlen jedoch Ausführungen. Die Motive des Handelns geben über diesen Umstand keinen Aufschluss.

Folgt man der hier vertretenen Auffassung, ist es genau genommen unmöglich, wie Schroth die Möglichkeit eines bedingten Gefährdungsvorsatzes zu bejahen, einen bedingten Verletzungsvorsatz jedoch zu verneinen.[79] Was die tatsächlichen Voraussetzungen des bedingten Tötungsvorsatzes anbetrifft, so hat insbesondere Verrel die Argumentation des OLG Braunschweig[80] aufgegriffen, dass die Sorge um das Wohl des eigenen Patienten den Tötungsvorsatz als dessen Kehrseite begründe.[81] Man darf aber nicht außer Acht lassen, dass der Vorteil des eigenen Patienten möglicherweise darin besteht, mehrere Ränge auf der Match-Liste emporzusteigen, während sich der Nachteil des je einzelnen zurückgesetzten Patienten darin erschöpft, einen einzigen Rang auf der Match-Liste abzurutschen. Bis auf diese Abweichung ist das Argument gleichwohl schlüssig.

Nicht mehr nachvollziehbar ist es, wenn die Kammer sogar behauptet, dass der Täter auf den guten Ausgang habe vertrauen dürfen. Dies steht nicht im Einklang damit, dass die Kammer nicht im Falle des erstverdrängten Patienten, sondern nur im Falle der nachfolgend verdrängten Patienten den Kausalverlauf für nicht mehr vorhersehbar gehalten und daher die objektive Zurechnung verneint hat. Im Grundsatz gehen die Bedenken auf Kudlich zurück, der auf die Unübersichtlichkeit bzw. Unbeherrschbarkeit dieser weitreichenden Geschehensverläufe aufmerksam gemacht hat.[82] Allerdings steht die Annahme fehlender Vorhersehbarkeit bezüglich sämtlicher nachfolgend verdrängter Patienten ohnehin auf tönernen Füßen. Es ist nämlich zu bedenken, dass sich ihre Betroffenheit allein schon aus dem nicht unwahrscheinlichen Umstand ergibt, dass der Transplantationschirurg des erstverdrängten Patienten das Spenderorgan – unterstellt, der Angeklagte hätte nicht über die Befindlichkeit des eigenen Patienten getäuscht und dieser wäre daher nicht auf der Match-Liste weiter oben platziert worden – abgelehnt hätte. Warum man mit einem derartigen Geschehensablauf nicht soll rechnen müssen, bleibt unerfindlich.[83] Lediglich bei Patienten, die weiter hinten auf der Match-Liste registriert sind, könnte man argumentieren, dass die Zuweisung im Standardverfahren so unwahrscheinlich ist, dass das derivative Teilhaberecht sich als Hülle ohne Inhalt erweist, die Vermeidung des Todes also fernliegend ist. Nimmt der Angeklagte in Kauf, dass irgendeiner der zurückgesetzten Patienten aufgrund der Manipulation verstirbt, liegt ein Fall des dolus alternativus vor. Die Individualisierung der Patienten durch ihre Eigenschaft, aufgrund ihres MELD-Score listenberechtigt zu sein, ist dabei völlig ausreichend.

Verrel thematisiert noch ein weiteres Rechtsproblem, das die Kammer nicht aufgegriffen hat: das Kongruenzerfordernis zwischen dem objektiven und dem subjektiven Tatbestand. Scheitere die Feststellung des erforderlichen Zusammenhangs zwischen Manipulation und Erfolg an dem fehlenden Nachweis der hinreichenden Rettungswahrscheinlichkeit, scheine es unangebracht zu sein, den Täter, der die tatsächlichen Umstände kenne, also eine mit den objektiven Faktoren übereinstimmende Vorstellung habe, Tötungsvorsatz zu attestieren und ihn wegen Versuchs zu bestrafen. Verrel lehnt jedoch zu Recht diesen möglichen Einwand mit dem Argument ab, dass er die Beweisschwierigkeiten mit den begrifflichen Elementen des Vorsatzes vermenge.[84] In der Tat: Der Täter muss es lediglich für möglich halten, dass bei Verzicht auf die

Manipulation der Patientendaten der Tod des verdrängten Patienten ausgeblieben wäre. Ob dieser Zusammenhang mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden kann, betrifft lediglich die prozessuale Beweisebene. Dies entspricht der Rechtslage beim unechten Unterlassungsdelikt.[85]

IV. Schlussbemerkung

Man darf gespannt sein, wie der 5. Strafsenat in der Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil der 6. Großen Strafkammer des Landgerichts Göttingen entscheiden wird. Ganz unabhängig von etwaigen (sonstigen) Mängeln des Urteils ist die zentrale Rechtsfrage, ob die Verletzung des Zuweisungsanspruchs verdrängter Patienten Tötungsunrecht begründen kann, von höchster dogmatischer Brisanz. Es wird der Aufbietung aller juristischen Fachkompetenz bedürfen, sie in zutreffender Weise zu beantworten.


[1] BT-DrS 13/4355, S. 1 ff.

[2] Bader , Organmangel und Organverteilung, 2010, S. 296 ff., 317.

[3] BVerfG NJW 1999, 3399 ff.

[4] Bülte StV 2013, 753, 757.

[5] Dannecker /Streng-Baunemann NStZ 2014, 673, 674.

[6] Vgl. Schroth NStZ 2013, 437, 443; Bülte StV 2013, 753, 755 ff.; Böse ZIS 2014, 117, 120; Rissing-van-San NStZ 2014, 233, 242 f.; Verrel MedR 2014, 464, 467.

[7] So die zutreffende Diagnose von Kudlich NJW 2013, 917, 918; ebenso Böse ZIS 2014, 117, 118; Rissing-van-San NStZ 2014, 233, 243; Verrel MedR 2014, 464, 465.

[8] Kühl , Strafrecht AT, 7. Aufl. (2012), 18/18; Rengier, Strafrecht AT, 7. Aufl. (2015), § 48 Rn. 18 f.; Duttge GA 2006, 573, 576.

[9] OLG Braunschweig NStZ 2013, 593 ff.

[10] Kudlich NJW 2013, 917, 918 f.

[11] Jakobs , Strafrecht AT, 2. Aufl. (1983), 7/22 f.; Roxin, Strafrecht AT, Bd. 1, 4. Aufl. (2006), § 11 Rn. 33; Denker, Kausalität und Gesamttat, 1996, S. 92 ff.; Puppe ZStW 92 (1980), 863, 895 ff.

[12] Roxin , Festschrift für Engisch (1969), S. 380, 389; Samson, Festschrift für Welzel (1974), S. 579, 599; C. Schneider, Tun und Unterlassen beim Abbruch lebenserhaltender medizinischer Behandlung, 1997, S. 183; Winter, Der Abbruch rettender Kausalität, 2000, S. 142.

[13] Siehe Haas, Kausalität und Rechtsverletzung, 2002, S. 171 ff., 212 ff.; ders. in: Matt/Renzikowski (Hrsg.), StGB, 2013, § 13 Rn. 25; ders. JZ 2016, 714, 720 ff.

[14] Schroth NStZ 2013, 337, 443.

[15] Haas a.a.O. (Fn. 13), S. 140 ff.

[16] BGHSt 6, 1, 20; 37, 106, 126; 48, 77, 93.

[17] Haas JZ 2016, 714, 722.

[18] So das wunderbare Beispiel von Jakobs a.a.O (Fn. 11), 7/61.

[19] Bülte StV 2013, 753 ff.; Schroth NStZ 2013, 437, 443; Böse ZIS 2014, 117, 120; Rissing-van-San NStZ 2014, 233, 239; Dannecker/Streng-Baunemann NStZ 2014, 673, 677 f.; Verrel MedR 2014, 464, 467 f.

[20] Haas JZ 2016, 714, 719 f.

[21] Vgl. nur Roxin a.a.O. (Fn. 11), § 11 Rn. 7.

[22] Haas , in: Festschrift für Kirchhof, Bd. 2 (2013), S. 1363, 1366 ff.; ders. JZ 2016, 714, 720.

[23] Haas , Die Theorie der Tatherrschaft und ihre Grundlagen, 2008, S. 65 ff.; ebenso Renzikowski GA 2007, 561 ff.

[24] Haas a.a.O. (Fn. 22), S. 1363, 1371.

[25] Luden , Abhandlungen aus dem teutschen Strafrecht, 2. Bd., 1840, S. 239 ff.; Haas a.a.O. (Fn. 13), S. 229 ff.

[26] Haas , in: Matt/Renzikowski-StGB (Fn. 13) § 13 Rn. 1.

[27] Haas a.a.O. (Fn. 13), S. 212 ff.; ders. JZ 2016, 714, 720.

[28] Schroth NStZ 2014, 437, 443.

[29] Bülte StV 2013, 753, 756.

[30] Bülte StV 2013, 753, 756 f.

[31] Bülte StV 2013, 753 ff., 757.

[32] Bülte StV 2013, 753, 758.

[33] Vgl. nur Junghans, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, 2001, S. 236; Clement, Der Rechtsschutz der potentiellen Organempfänger nach dem Transplantationsgesetz, 2006, S. 129.

[34] Bader a.a.O. (Fn. 2), S. 296 f.; Böse ZIS 2014, 117, 120; Rissing-van San NStZ 2014, 233, 242 offenbar ebenso Junghans, Verteilungsgerechtigkeit in der Transplantationsmedizin, 2001, S. 236; Clement a.a.O. (Fn. 33), S. 127 f.

[35] Gutmann /Fateh-Moghadam, in: Gutmann et alt. (Hrsg.), Grundlagen einer gerechten Organverteilung, 2002, S. 37, 65 ff.; Clement a.a.O. (Fn. 33), S. 124 ff.; Bader a.a.O. (Fn. 2), S. 295 ff.

[36] BVerfGE 39, 1, 42; 46, 160, 164; 49, 89, 142; 56, 54, 73; 77, 170, 214 f.; 88, 203, 251; 115, 25; 115, 118.

[37] BVerfGE 39, 1, 42; 46, 160, 164; 115, 118.

[38] BVerfGE 88, 203, 251.

[39] Vgl. Bülte StV 2013, 753, 755.

[40] BVerfGE 77, 170; BVerfG, NJW 1997, S. 3085; 1998, S. 1775.

[41] Gutmann /Fateh-Moghadam a.a.O. (Fn. 35), S. 37, 67; Schroth NStZ 2013, 437, 443.

[42] BVerfGE 115, 25 ff.

[43] Kübler , Verfassungsrechtliche Aspekte der Organentnahme zu Transplantationszwecken, 1976, S. 80 ff., 96 ff.; Gutmann/Fateh-Moghadam a.a.O. (Fn. 35), S. 37, 66 ff.; Clement a.a.O. (Fn. 33), S. 126 ff.; Bader a.a.O. (Fn. 2), S. 297 ff.

[44] BVerfGE 33, 303, 330 ff.; 43, 291, 313.

[45] BVerfGE 33, 303, 330 ff.

[46] Zu diesem Punkt Gutmann/Fateh-Moghadam a.a.O. (Fn. 35), S. 37, 66 ff.; Bader a.a.O. (Fn. 2), S. 297 ff.

[47] BVerfG NJW 1999, 3399 ff.

[48] Höfling , in: Höfling (Hrsg.), TPG Kommentar, 2. Aufl. (2013), § 12 Rn. 63 ff.

[49] Böse ZIS 2014, 117, 120.

[50] Bülte StV 2013, 753, 755; überzeugend demgegenüber Rissing-van Saan NStZ 2014, 233, 240.

[51] Bülte StV 2013, 753, 756 f.

[52] A.A. auch Rissing-van Saan NStZ 2014, 233, 240.

[53] Siehe dazu Haas GA 2015, 86, 92 ff.

[54] Schroth NStZ 2013, 437, 443.

[55] Vgl. Schroth NStZ 2013, 437, 439 f.

[56] So Hoffmann, Prioritätsgrundsatz und Gläubigergleichbehandlung, 2016, S. 12 ff., 48 f.

[57] Vgl. BGH NJW 1981, 2184, 2185; 1992, 2152, 2153.

[58] Wagner , in: Säcker et alt. (Hrsg.), MK-BGB, 6. Aufl. (2013), § 826 Rn. 59.

[59] Vgl. generell zur Dogmatik öffentlicher Sachen Papier, in: Ehlers/Pünder (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Aufl. (2016), § 38 Rn. 18.

[60] BGH NJW 1981, 2184, 285; ebenso BGH NJW 1992, 2153, 2153, bezüglich sonstiger schuldrechtlicher Ansprüche.

[61] Anderer Auffassung Koziol, Die Beeinträchtigung fremder Forderungsrechte, S. 74 ff., 198 ff., der die Kenntnis des Dritten vom Leistungsanspruch genügen lässt.

[62] Siehe zum Ganzen Haas a.a.O. (Fn. 23), S. 134 ff.

[63] Vgl. auch Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten und Zurechnung des Erfolgs, 1988, S. 134, der übereinstimmend meint, dass der im Interesse des Opfers angelegte Einsatz diesem zugeordnet sei.

[64] Siehe Haas a.a.O. (Fn. 13), S. 221 ff.; ders. in: Matt/Renzikowski-StGB (Fn. 13) § 13 Rn. 22.

[65] So grundlegend Dannecker/Streng-Baunemann NStZ 2014, 673 ff.

[66] Vgl. dazu Höfling, in: TPG (Fn. 48), § 12 Rn. 58 ff.

[67] Siehe Böse ZIS 2014, 117, 121; Verrel MedR 2014, 464, 467.

[68] Verrel MedR 2014, 464, 467 f.

[69] Siehe nur Roxin a.a.O. (Fn 11), § 11 Rn. 44 ff.

[70] Verrel MedR 2014, 464, 468.

[71] BT-DrS 17/13947, S. 40 f.

[72] So aber Verrel MedR 2014, 464, 469.

[73] BGHSt 38, 388 ff.

[74] Vgl. Haas a.a.O, (Fn. 13), S. 267 f.

[75] BGHSt 7, 363 ff.

[76] Vgl. schon Stratenwerth ZStW 71 (1959), 56 ff.; Freund, Strafrecht AT, 2. Aufl. (2009), § 7 Rn. 60; Frister, Strafrecht AT, 7. Aufl. (2015), 11/21 ff.

[77] Schröder , Festschrift für Sauer (1949), S. 237, 245; Schmidhäuser GA 1957, 305, 310 ff.

[78] Vgl. Roxin a.a.O. (Fn. 11), § 12 Rn. 23.

[79] Schroth NStZ 2013, 437, 442.

[80] OLG Braunschweig NStZ 2013, 593, 595.

[81] Verrel MedR 2014, 464, 466; ebenso Krüger HRRS 2016, 148, 154; vgl. auch Böse ZIS 2014, 117, 119.

[82] Kudlich NJW 2013, 917, 918.

[83] Böse ZIS 2013, 117, 119.

[84] Verrel MedR 2014, 464, 467.

[85] Haas , in: Matt/Renzikowski-StGB (Fn. 13) § 13 Rn. 45 ff.