HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Aug./Sept. 2016
17. Jahrgang
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V. Wirtschaftsstrafrecht und Nebengebiete

773. BGH 5 StR 524/15 – Urteil vom 22. Juni 2016 (LG Cottbus)

BGHSt; besondere Schwere der Schuld im Jugendstrafrecht (Vorrang des gerechten Schuldausgleichs; Erziehungsgedanke; Mord; tatrichterliche Abwägung; revisionsgerichtliche Überprüfung).

§ 105 Abs. 3 Satz 2 JGG; § 211 StGB; § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB

1. Auf das Merkmal der besonderen Schwere der Schuld in § 105 Abs. 3 Satz 2 JGG sind die von der Rechtsprechung zu § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB entwickelten Maßstäbe anzuwenden. (BGHSt)

2. § 105 Abs. 3 Satz 2 JGG eröffnet die Möglichkeit, in Fällen des Mordes einer besonders schweren Schuld Rechnung zu tragen, wenn das allgemeine Höchstmaß der Jugendstrafe für Heranwachsende von zehn Jahren dafür im Einzelfall auch unter Berücksichtigung des das Jugendstrafrecht leitenden Erziehungsgedankens nicht ausreicht. Aufgrund dieser gesetzgeberischen Entscheidung kommt insoweit dem Gebot gerechten Schuldausgleichs gegenüber dem Erziehungsgedanken Vorrang zu. (Bearbeiter)

3. Ob die besondere Schwere der Schuld zu bejahen ist, hat das Tatgericht unter Abwägung aller im Einzelfall für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände zu entscheiden. Dem Revisionsgericht ist bei der Nachprüfung der tatgerichtlichen Wertung eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle versagt. Es hat nur zu prüfen, ob das Tatgericht alle maßgeblichen Umstände bedacht und rechtsfehlerfrei abgewogen hat. Es ist aber gehindert, seine eigene Wertung an die Stelle derjenigen des Tatgerichts zu setzen. (Bearbeiter)

822. BGH 2 ARs 403/15 - Beschluss vom 31. Mai 2016

Anfrageverfahren; Verbindung zweier Umsatzgeschäfte zu einer einheitlichen Tat beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (Bezahlung einer früheren und Entgegennahme einer neuen Menge Betäubungsmittel: teilidentische Ausführungshandlung).

§ 132 Abs. 3 Satz 1 GVG; § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG; § 52 StGB

1. Der 2. Strafsenat hält an seiner Rechtsprechung fest, wonach sowohl das dem Transport des Kaufgeldes für die erste als auch der Übernahme der weiteren Betäubungsmittelmenge dienende Aufsuchen des Lieferanten als auch die Bezahlung einer zuvor auf 'Kommission' erhaltenen Betäubungsmittelmenge bei Gelegenheit der Übernahme einer weiteren Betäubungsmittelmenge die beiden Umsatzgeschäfte zu einer einheitlichen Tat im materiell-rechtlichen Sinn verbindet.

2. Nach Ansicht des Senats kommt es für die rechtliche Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses auf das Gewicht und den Unwertgehalt der jeweiligen Tathandlungen nicht an. Zwar genügt die bloße Gleichzeitigkeit von Geschehensabläufen nicht, um eine tateinheitliche Begehung an sich selbständiger Taten zu begründen (st. Rspr.), weshalb - je nach sorgfältig zu prüfender Fallgestaltung - in der Entgegennahme weiterer Betäubungsmittel bei Bezahlung zuvor gelieferter Betäubungsmittel Tateinheit, aber auch Tatmehrheit gegeben sein kann. Bei einer Teilidentität der Ausführungshandlungen steht indes bereits der insoweit eindeutige Wortlaut des § 52 Abs. 1 StGB der Annahme von Tatmehrheit entgegen.

792. BGH 1 StR 132/16 - Beschluss vom 12. Juli 2016 (LG Schwerin)

Steuerhinterziehung (Erlangen eines nicht gerechtfertigten Steuervorteils: unrichtiger Gewerbesteuermessbescheid).

§ 370 Abs. 1 AO; § 14 GewStG

Ein unrichtiger Gewerbesteuermessbescheid stellt einen nicht gerechtfertigten Steuervorteil im Sinne des § 370 Abs. 1 AO dar.

784. BGH 1 StR 1/16 - Beschluss vom 20. April 2016 (LG Würzburg)

Vorenthalten von Arbeitsentgelt (Darstellung der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge im Urteil: Darlegung der Berechnungsgrundlagen).

§ 266a Abs. 1 StGB; § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO

1. Dem Tatgericht obliegt es nach ständiger Rechtsprechung bei § 266 Abs. 1 StGB, die geschuldeten Beiträge – für die jeweiligen Fälligkeitszeitpunkte gesondert – nach Anzahl, Beschäftigungszeiten, Löhnen der Arbeitnehmer und der Höhe des Beitragssatzes der örtlich zuständigen Krankenkasse festzustellen, um eine revisionsgerichtliche Nachprüfung zu ermöglichen (vgl. BGH NStZ 1996, 543), weil die Höhe der geschuldeten Beiträge auf der Grundlage des Arbeitsentgelts nach den Beitragssätzen der jeweiligen Krankenkassen sowie den gesetzlich geregelten Beitragssätzen der Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung zu berechnen ist (vgl. BGH NStZ-RR 2010, 376).

2. Falls solche Feststellungen im Einzelfall nicht möglich sind, kann die Höhe der vorenthaltenen Beiträge auf Grundlage der tatsächlichen Umstände geschätzt werden (vgl. BGH NStZ 2010, 635). Die Grundsätze, die die Rechtsprechung bei Taten nach § 370 AO für die Darlegung der Berechnungsgrundlagen der verkürzten Steuern entwickelt hat, gelten insoweit entsprechend (vgl. BGH StV 1993, 364).

3. Dementsprechend genügt es gerade nicht, die vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge lediglich der Höhe nach anzugeben (vgl. BGHSt 47, 318). Vielmehr müssen die Urteilsgründe die Berechnungsgrundlagen und Berechnungen im Einzelnen wiedergeben.