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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Dezember 2015
16. Jahrgang
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1. Die rechtsstaatswidrige Provokation einer Straftat durch Angehörige von Strafverfolgungsbehörden oder von ihnen gelenkte Dritte hat regelmäßig ein Verfahrenshindernis zur Folge. (BGHSt)
2. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) liegt eine gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK verstoßende Tatprovokation vor, wenn sich die beteiligten Ermittlungspersonen nicht auf eine weitgehend passive Strafermittlung beschränken, sondern die betroffene Person derart beeinflussen, dass sie zur Begehung einer Straftat verleitet wird, die sie ohne die Einwirkung nicht begangen hätte, und zwar mit dem Zweck, diese Straftat nachzuweisen, also Beweise für sie zu erlangen und eine Strafverfolgung einzuleiten. (Bearbeiter)
3. Im Rahmen der Prüfung, ob die Ermittlungen „im Wesentlichen passiv“ geführt wurden, untersucht der EGMR sowohl die Gründe, auf denen die verdeckte Ermittlungsmaßnahme beruhte, als auch das Verhalten der die verdeckte Maßnahme durchführenden Ermittlungspersonen. Insoweit stellt der Gerichtshof zunächst darauf ab, ob es objektive Anhaltspunkte für den Verdacht gab, dass der Betroffene bereits an kriminellen Aktivitäten beteiligt oder der Begehung von Straftaten zugeneigt war. Dabei spielt es eine Rolle, ob der Betroffene vorbestraft ist (was aber für sich allein noch kein ausreichendes Indiz darstellt) und bereits ein Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet worden war. Darüber hinaus kann im Rahmen dieser Prüfung, je nach den Umständen des konkreten Falles, nach Ansicht des Gerichtshofs Folgendes für eine Tatgeneigtheit sprechen: die zu Tag getretene Vertrautheit des Täters mit den im illegalen Betäubungsmittelhandel üblichen Preisen, seine Fähigkeit, kurzfristig Drogen beschaffen zu können, sowie der Umstand, dass er aus dem Geschäft einen finanziellen Vorteil ziehen würde. Bei der Prüfung des Verhaltens der Ermittlungspersonen untersucht der EGMR, ob auf den Betroffenen Druck ausgeübt wurde, die Straftat zu begehen. In Betäubungsmittelfällen können nach Ansicht des Gerichtshofs folgende Verhaltensweisen dafür sprechen, dass die Ermittlungsbehörden den Bereich des passiven Vorgehens verlassen haben: das Ergreifen der Initiative beim Kontaktieren des Betroffenen, das Erneuern des Angebots trotz anfänglicher Ablehnung, hartnäckiges Auffordern zur Tat, Steigern des Preises über den Durchschnitt oder Vorspiegelung von Entzugserscheinungen, um das Mitleid des Betroffenen zu erregen. (Bearbeiter).
4. Der Senat braucht deshalb an dieser Stelle nicht zu entscheiden, ob – wie der 1. Strafsenat meint (BGH NStZ 2015, 541, 544) – die die Rechtsprechung des EGMR in der Auslegung des Art. 6 Abs. 1 EMRK prägenden Kriterien der Tatprovokation in der Judikatur des Bundesgerichtshofs abgebildet werden oder ob nicht die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in ihren Voraussetzungen zur Annahme einer rechtsstaatlichen Tatprovokation enger ist (Verbot lediglich „unvertretbarer übergewichtiger“ Einwirkungen bei verdächtigen oder tatgeneigten Personen) und deshalb an die (wohl) weitergehende Judikatur des EGMR (im Wesentlichen „passive Strafermittlung“) anzupassen wäre. (Bearbeiter)
5. Zu einem Einzelfall, in dem sowohl der Maßstab des EGMR als auch der Maßstab des BGH für eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation verletzt worden sind. (Bearbeiter)
6. Der EGMR hat in seiner Entscheidung Furcht gegen Deutschland vom 23. Oktober 2014 (54648/09, Rn. 47), mit der erstmals die Strafzumessungslösung der deutschen Rechtsprechung unmittelbar überprüft und als Mittel der Kompensation des Konventionsverstoßes verworfen wurde, erneut betont, das öffentliche Interesse an der Verbrechensbekämpfung rechtfertige nicht die Verwendung von Beweismitteln, die als Ergebnis polizeilicher Tatprovokation gewonnen wurden, denn dies würde den Beschuldigten der Gefahr aussetzen, dass ihm von Beginn an kein faires Verfahren zu Teil wird. Die gebotene Berücksichtigung der Rechtsprechung des EGRM führt dazu, dass die „Strafzumessungslösung“ jedenfalls in den Fällen der vorliegenden Art zur Kompensation der Konventionsverletzung unzureichend ist. (Bearbeiter)
7. Ein nach der Rechtsprechung des EGMR zumindest gebotenes umfassendes Beweisverwertungsverbot stünde, wie der Bundesgerichtshof bereits dargelegt hat, mit grundlegenden Wertungen des deutschen Strafrechtssystems nicht ohne Weiteres in Einklang und führte zu unlösbaren Abgrenzungsschwierigkeiten. (Bearbeiter)
8. Ein Verfahrenshindernis widerspricht auch nicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben. Das BVerfG hat die Annahme eines Verfahrenshindernisses nicht auf Ausnahme-
fälle beschränkt. Soweit das BVerfG darüber hinaus die Strafgerichte aufgefordert hat, zukünftig ein Verwertungsverbot bezüglich der unmittelbar durch die rechtsstaatswidrige Tatprovokation gewonnenen Beweise zu erwägen, stellt sich dies als ein Hinweis dar, der im Übrigen im Rahmen der Nichtannahmeentscheidung der Kammer eine Bindungswirkung nach § 31 Abs. 1 BVerfG nicht entfaltet (vgl. BVerfGE 92, 91, 107). (Bearbeiter)
9. Es kann dahinstehen, ob in allen Fällen der rechtsstaatswidrigen Tatprovokation – was angesichts der strikten Rechtsprechung des EGMR nahe liegt – die Annahme eines Verfahrenshindernisses aus menschenrechtlicher Sicht geboten ist oder ob in besonderen Ausnahmefällen eine Kompensation der Verletzung des fairen Verfahrens nach Art. 6 Abs. 1 EMRK auf andere Weise als durch die Einstellung des Verfahrens denkbar ist. (Bearbeiter)
10. Die Entscheidung des EGMR vom 23. Oktober 2014 (54648/09 [Furcht gegen Deutschland]) eröffnete die Möglichkeit und begründete zugleich die, die aus der Konvention herrührende Pflicht, die fachgerichtliche Rechtsprechung zu den Folgen einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation ohne Bindung an bisherige Rechtsprechung zu überprüfen. Dies führt im vorliegenden Fall zu einem Entfallen der Anfrage- und Vorlagepflicht. Auch aus einer Entscheidung des Gerichtshofs im Individualbeschwerdeverfahren nach Art. 34 EMRK kann sich ein zwingender Neuregelungsbedarf für die deutsche Rechtsprechung ergeben. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Bundesrepublik Deutschland Verfahrensbeteiligte ist und die bisherige Rechtsprechung eine Rechtsfigur des deutschen Richterrechts als nicht ausreichende Kompensation einer Konventionsverletzung im Sinne von Art. 41 EMRK angesehen wurde und deshalb eine erneute Verurteilung der Bundesrepublik zu besorgen ist. Diese aus der Entscheidung des EGMR resultierende Pflicht, die bisherige insoweit „überholte“ Rechtsprechung des BGH zu überprüfen und anzupassen, trifft alle Strafsenate unmittelbar und gleichermaßen. (Bearbeiter)
11. Der Senat war auch mit Blick auf die Entscheidung des 1. Strafsenats vom 19. Mai 2015 (1 StR 128/15) nicht gehindert, ohne Durchführung eines Anfrageoder Vorlageverfahrens zu entscheiden. Die dem Senat bei seiner eigenen Entscheidung notwendig nicht bekannten Erwägungen, mit denen der 1. Strafsenat die Annahme eines Verfahrenshindernisses ablehnen möchte, stellen sich als nicht tragende Überlegungen dar, von denen abzuweichen es ein Verfahren nach § 132 GVG nicht voraussetzt. (Bearbeiter)
1. Zur Zulässigkeit einer Vorlegung an den Großen Senat für Strafsachen. (BGHSt)
2. Gemäß § 132 Abs. 2 GVG ist eine Sache dem Großen Senat für Strafsachen vorzulegen, wenn ein Strafsenat in einer Rechtsfrage von einem anderen Strafsenat abweichen will und die Beantwortung dieser Rechtsfrage sowohl für die abweichende Vorentscheidung als auch für die beabsichtigte Entscheidung ergebnisrelevant und deshalb erheblich ist. (Bearbeiter)
3. Der Große Senat ist zur eigenständigen Prüfung der Zulässigkeit der Vorlegung berufen, wobei er die rechtliche Wertung des Sachverhalts durch den vorlegenden Senat zu Grunde legt, wenn diese nicht unvertretbar ist. Diese Prüfung am Maßstab der Vertretbarkeit erstreckt sich außerdem auf die Würdigung des dem Ausgangsverfahren zu Grunde liegenden Sachverhalts einschließlich der Beweiswürdigung. (Bearbeiter)
4. Es bedarf keiner abschließenden Entscheidung, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Große Senat an die Bewertung des festgestellten Sachverhalts im Vorlegungsbeschluss gebunden ist. Jedenfalls kommt eine Entscheidung über die Vorlegungsfrage dann nicht in Betracht, wenn der Vorlagebeschluss eine Auseinandersetzung mit einem sich aufdrängenden anderen Sachverhaltsverständnis nicht erkennen lässt, dessen Berücksichtigung die angenommene Divergenz beseitigt. (Bearbeiter)
1. Der Senat sieht im Zusammenhang mit Verstößen gegen die Mitteilungspflicht gem. § 243 Abs. 4 S. 1 StPO keinen Anlass, von der ständigen fachgerichtlichen Rechtsprechung zum Begriff des Beruhens i.S.v. § 337 Abs. 1 StPO abzuweichen, wonach es darauf ankommt, ob das Urteil ohne den Rechtsfehler möglicherweise anders ausgefallen wäre. Daran fehlt es, wenn ein ursächlicher Zusammenhang mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann bzw. rein theoretischer Natur ist. Insbesondere eine Ergänzung dieser kausalen Beruhensprüfung um normative Gesichtspunkte hält der Senat nicht für geboten, da hierdurch die gesetzgeberische Unterscheidung zwischen absoluten und relativen Revisionsgründen unterlaufen würde.
2. Die grundlegende Entscheidung des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts zum Verständigungsgesetz (HRRS 2013 Nr. 222) erfordert nach der Ansicht des Senats keine abweichende Bestimmung des Beruhensbegriffs. Der Zweite Senat hat – jedenfalls im Ausgangspunkt – auf die gängige Interpretation des § 337 StPO durch die Strafgerichte abgestellt und keine Neuinterpretation der Beruhensvorschrift im Sinne einer Normativierung vorgenommen.
3. Sofern die Entscheidung BVerfG HRRS 2013 Nr. 222 mit Blick auf die Beruhensprüfung anders interpretiert werden kann, wäre der Senat im Kontext von Verstößen gegen § 243 Abs. 4 S. 1 StPO bei letztlich nicht zustande gekommener Verständigung hieran nicht gebunden i.S.d. § 31 BVerfGG, dessen Bindungswirkung sich neben dem Tenor auf die tragenden Gründe der Entscheidung erstreckt, soweit sie verfassungsrechtlicher Natur sind. Der Entscheidung lagen jedoch ausschließlich Fallkonstellationen zugrunde, in denen es zu einer Verständigung im Sinne des § 257c StPO gekommen war; zudem standen Verstöße gegen § 243 Abs. 4 StPO nicht in Rede.
4. Der Senat hält es schon im gedanklichen Ansatz nicht für bedenkenfrei, wenn in BVerfG HRRS 2013 Nr. 222 ausgeführt wird, das Beruhen sei bereits regelmäßig deshalb nicht auszuschließen, weil die Verständigung ihrerseits mit einem Gesetzesfehler behaftet sei. Es erscheine in gewisser Weise zirkelschlüssig, das Beruhen damit zu begründen, dass das Urteil nach einem Verfahren gesprochen werde, welches mit einem Gesetzesverstoß behaftet sei. Es ist vielmehr gerade Sinn und Zweck des § 337 Abs. 1 StPO, die auf die Entscheidung durchgreifenden von den nicht durchgreifenden Fehlern zu trennen.
5. Soweit darüber hinaus die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts in ihrer nachfolgenden Rechtsprechung (HRRS 2015 Nr. 174 und Nr. 176) für Verstöße gegen § 243 Abs. 4 StPO ausführt, die Beruhensprüfung sei gegebenenfalls um normative Aspekte anzureichern, die über eine reine Kausalitätsprüfung hinausgehen, hält der Senat es für fraglich, ob die betreffende Kammer zu der von ihr vorgenommenen Interpretation des § 337 StPO befugt war.
6. Mit Blick auf § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG ist eine der Verfassungsbeschwerde stattgebende Kammerentscheidung nur zulässig, wenn der Senat die maßgebliche verfassungsrechtliche Frage bereits in diesem Sinne entschieden hat. Deshalb kann einer stattgebenden Kammerentscheidung eine über den Einzelfall hinausgehende Bindungswirkung jedenfalls dann nicht zukommen, wenn sie nicht auf einer vorangehenden Senatsentscheidung beruht. Fehlt eine grundlegende Senatsentscheidung, so hat die Kammer keine Entscheidungskompetenz, jedenfalls kann die gleichsam „in der Luft hängende“ Kammerentscheidung, die unter Verstoß gegen den auch für das Bundesverfassungsgericht geltenden Grundsatz des gesetzlichen Richters ergeht, keine Bindungswirkung entfalten.
7. Der Rechtsprechung der Kammer zur Beruhensprüfung bei Verstößen gegen § 243 Abs. 4 S. 1 StPO lag nach Auffassung des Senats keine entsprechende Entscheidung des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts im Sinne einer verfassungskonformen Auslegung des § 337 StPO bei Verstößen gegen § 243 Abs. 4 StPO nicht vor. Keine der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, die der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts in seiner Entscheidung aufgehoben hat, betraf einen Fall der Verletzung einer Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 StPO; bei den diesbezüglichen Ausführungen handelt es sich somit lediglich um ein obiter dictum.
8. Die Forderung der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts nach einem um normative Gesichtspunkte erweiterten Verständnis des Beruhens im Sinne des § 337 StPO hält der Senat auch in der Sache für in hohem Maße zweifelhaft, da sie weder mit der gesetzgeberischen Konzeption des Revisionsrechts noch mit der sonstigen fachgerichtlichen Rechtsprechung zur Beruhensprüfung im Einklang steht.
9. Der Senat vermag nicht der Auffassung zu folgen, wonach sondierende Gespräche allein des Vorsitzenden nur dann mitteilungspflichtig sind, wenn ihnen ein Auftrag des Gerichts zugrunde liegt (vgl. dagegen BGH HRRS 2011 Nr. 68).
10. Die Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 S. 1 StPO hängt nicht davon ab, dass sich die Besetzung des Gerichts zwischen dem Zeitpunkt der Erörterungen nach §§ 202a, 212 StPO und dem Zeitpunkt, in dem gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 oder 2 StPO über diese Erörterungen Mitteilung zu machen ist, nicht ändert.
1. Die Hinweispflicht nach § 243 Abs. 4 StPO betrifft zwar unmittelbar nur Erörterungen außerhalb der Hauptverhandlung, die auf eine Verständigung im Sinne von § 257c Abs. 3 StPO bezogen sind. Sie zielen aber auch darauf, nicht nur eine Verständigung im engeren Sinne, sondern bereits Vorgespräche, die mit Blick auf das Prozessergebnis geführt werden, in die Hauptverhandlung einzuführen, auch wenn dort eine Verständigung nicht zustande kommt. Für alle Erörterungen außerhalb der Hauptverhandlung, die das Entscheidungsergebnis im Urteilsverfahren betreffen, verlangen § 243 Abs. 4 StPO und der hierdurch konkretisierte Fairnessgrundsatz eine Mitteilung ihres wesentlichen Inhalts in der Hauptverhandlung.
2. Aus diesem Grund unterliegen auch Gespräche von Richtern mit Verfahrensbeteiligten über eine Teileinstellung des Verfahrens in der Hauptverhandlung entsprechenden Transparenz- und Dokumentationsregeln. Dies muss auch deshalb gelten, weil die Teileinstellung gemäß § 154 Abs. 2 StPO ohne Verletzung des Verbots der Verständigung über den Schuldspruch Gegenstand einer förmlichen Verständigung sein kann.
Gegen sitzungspolizeiliche Maßnahmen des Vorsitzenden am im ersten Rechtszug zuständigen OLG gibt es kein Rechtsmittel. Beschlüsse und Verfügungen der Oberlandesgerichte in Sachen, in denen sie im ersten Rechtszug zuständig sind, finden in § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 StPO keine Erwähnung. Eine analoge Anwendung der restriktiv zu interpretierenden Ausnahmevorschrift im Falle des Entzugs einer Akkreditierung gegenüber einem Presseorgan scheidet aus, da dieser Fall mit den im Katalog des § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 StPO genannten Konstellationen nicht vergleichbar ist.
1. Die tatrichterliche Beweiswürdigung kann ihrer Natur nach nicht erschöpfend in dem Sinne sein, dass alle irgendwie denkbaren Gesichtspunkte und Würdigungsvarianten in den Urteilsgründen ausdrücklich abgehandelt werden. Dies ist von Rechts wegen auch nicht zu verlangen. Aus einzelnen Lücken kann daher nicht ohne Weiteres abgeleitet werden, der Tatrichter habe nach den sonstigen Urteilsfeststellungen auf der Hand liegende Wertungsgesichtspunkte nicht bedacht (vgl. BGH NStZ-RR 2011, 50). Lückenhaft ist eine Beweiswürdigung vielmehr namentlich dann, wenn sie wesentliche Feststellungen nicht erörtert.
2. Bei der Prüfung, ob eine solche Lücke vorliegt, ist es jedoch nicht Sache des Revisionsgerichts, Mutmaßungen darüber anzustellen, ob weitere Beweismittel zur Aufklärung der Tatvorwürfe zur Verfügung gestanden hätten oder weitere Beweise erhoben und im Urteil lediglich nicht gewürdigt worden sind. Vielmehr ist es Sache der Staatsanwaltschaft, entweder durch Erhebung einer Aufklärungsrüge geltend zu machen, dass das Landgericht weitere mögliche Beweise zur Erforschung des Sachverhalts unter Verstoß gegen § 244 Abs. 2 StPO nicht erhoben hat, oder zu beanstanden, dass es hierzu erhobene Beweise nicht in seine Würdigung einbezogen und daher zu seiner Überzeugungsbildung den Inbegriff der Hauptverhandlung nicht ausgeschöpft hat (vgl. BGH NStZ-RR 2011, 88 f.).
3. Bei einem Widerspruch zwischen mehreren Erkenntnisquellen hat das Gericht ohne Rücksicht auf deren Art und Zahl darüber zu befinden, in welchen von ihnen die Wahrheit ihren Ausdruck gefunden hat. Stehen sich Bekundungen eines – insbesondere einzigen – Zeugen und des Angeklagten unvereinbar gegenüber, darf das Gericht allerdings den Bekundungen dieses Zeugen nicht etwa deshalb, weil er (gegebenenfalls) Geschädigter ist, ein schon im Ansatz ausschlaggebend höheres Gewicht beimessen als den Angaben des Angeklagten. Maßgebend ist der innere Wert einer Aussage, also deren Glaubhaftigkeit (vgl. BGH NStZ 2004, 635 f.).
4. Bei deren Prüfung darf und muss der Tatrichter gegebenenfalls aber auch berücksichtigen, ob der Zeuge schon andere zu Unrecht der Begehung von Straftaten bezichtigt hat vgl. BGH NStZ 2002, 495). Zwar ist in solchen Fällen eine sorgfältige Beweiswürdigung geboten; der Tatrichter ist aber aus Rechtsgründen nicht gehindert, auch aufgrund solcher Umstände in Teilen der Aussage des Belastungszeugen zu glauben, obwohl er ihr in anderen Teilen nicht.
1. Der Tatrichter darf seiner Entscheidung über die Schuld- und Straffrage nur die Erkenntnisse zugrunde legen, die er in der Hauptverhandlung nach den Regeln des Strengbeweises gewonnen hat. Dies schließt es grundsätzlich aus, außerhalb der Hauptverhandlung erlangtes Wissen ohne förmliche Beweiserhebung zum Nachteil des Angeklagten zu verwerten (vgl. BGHSt 19, 193, 195).
2. Eine Ausnahme kann für gerichtskundige Tatsachen gelten, wenn – was das Revisionsgericht im Zweifel freibeweislich nachprüft – in der Hauptverhandlung darauf hingewiesen wurde, dass sie der Entscheidung als offenkundig zugrunde gelegt werden könnten. Dies ist erforderlich, um den Verfahrensbeteiligten rechtliches Gehör zu gewähren (vgl. BGHSt 36, 354, 359).
3. Auf den Einzelfall bezogene Wahrnehmungen über Tatsachen, die unmittelbar für Merkmale des äußeren und inneren Tatbestandes erheblich oder mittelbar für die Überführung des Angeklagten von wesentlicher Bedeutung sind, dürfen nicht als gerichtskundig behandelt werden (vgl. BGHSt 45, 354, 358 f.).
Die zur richterlichen Überzeugung erforderliche persönliche Gewissheit des Richters setzt objektive Grundlagen voraus. Diese müssen aus rationalen Gründen den Schluss erlauben, dass das festgestellte Geschehen mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Wirklichkeit überein-
stimmt. Das ist der Nachprüfung durch das Revisionsgericht zugänglich. Deshalb müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht.
Das Urteil muss erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Dabei dürfen die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet werden, sondern müssen in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt worden sein. Werden diese Grundsätze beachtet, kann der Tatrichter die Überzeugung von der Täterschaft eines Angeklagten auch dann rechtsfehlerfrei gewinnen, wenn die Tat als solche kaum verständlich und das Motiv des Täters nicht feststellbar ist (vgl. BGH NStZ-RR 1997, 42, 43).
Die Widerlegung bewusst wahrheitswidrigen Entlastungsvorbringens liefert in der Regel kein zuverlässiges Indiz für die Täterschaft der Angeklagten. Soll eine Lüge als Belastungsindiz dienen, setzt dies vielmehr voraus, dass mit rechtsfehlerfreier Begründung dargetan wird, warum im zu entscheidenden Fall eine andere Erklärung nicht in Betracht kommt oder – wiewohl denkbar – nach den Umständen so fernliegt, dass sie ausscheidet (vgl. BGHSt 41, 153, 155 f.).
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl. EGMR NJW 2013, 3225 ff.), des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG NJW 2007, 204 ff.) sowie des Bundesgerichtshofs (vgl. etwa BGHSt 46, 93, 106) kommt ein Verstoß gegen das Gebot des fairen Verfahrens in Zusammenhang mit der Verwertung der Aussage eines Ermittlungsrichters über Angaben einer Person, der der Angeklagte im Ermittlungsverfahren oder in der Hauptverhandlung keine Fragen stellen oder stellen lassen konnte, in Betracht, wenn die Verurteilung allein oder entscheidend auf den Angaben dieser Person beruht.
Wird ein Urteil im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, so bleiben lediglich die den Schuldspruch tragenden Feststellungen bestehen. Diese binden den neuen Tatrichter, auch wenn sie als doppelrelevante Tatsachen zugleich für den Strafausspruch Bedeutung haben. Durch die Entscheidung des Revisionsgerichts sind hingegen alle Feststellungen aufgehoben, die sich ausschließlich auf den Strafausspruch beziehen. Der neu zur Entscheidung berufene Tatrichter ist gehalten, umfassend eigene Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen der Angeklagten einschließlich der Vorstrafen zu treffen und diese in den Urteilsgründen mitzuteilen (vgl. BGHSt 24, 274, 275).
Ein Angeklagter, der die definitive Zusage seines Verteidigers, ein Rechtsmittel einzulegen, noch nicht erhalten hat, kann während des Laufs der Einlegungsfrist nicht darauf vertrauen, dass dies gleichwohl geschieht (vgl. NStZ-RR 2009, 375).
Eine Rechtsmittelrücknahme ist ebenso wie der Rechtsmittelverzicht als Prozesshandlung grundsätzlich unwiderruflich und unanfechtbar. Sie ist jedoch ausnahmsweise dann unwirksam, wenn sie durch Drohung, durch Täuschung oder schwerwiegende Willensmängel veranlasst wurde (vgl. BGHSt 45, 51, 53).
Einen Zählfehler des Tatgerichtes bei der Anzahl der Fälle kann das Revisionsgericht selbst korrigieren, wenn er für alle Verfahrensbeteiligten offensichtlich ist und seine Behebung nicht den entfernten Verdacht einer inhaltlichen Änderung hervorruft (st. Rspr.).
Mit einer Einbeziehung nach § 31 Abs. 2 JGG verliert das einbezogene Urteil im Strafausspruch seine Wirkung. Der nunmehr zur Verhängung einer einheitlichen Maßnahme oder Jugendstrafe aufgerufene Richter hat diese selbständig und losgelöst von dem Strafausspruch der einzubeziehenden Entscheidung unter erkennbarer Berücksichtigung des Erziehungsgedankens zu bestimmen. Hieraus folgt, dass die Einheitsjugendstrafe nicht zwingend höher sein muss als die einbezogene Verurteilung (vgl. BGHSt 37, 34, 40).