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HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 1141

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 445/15, Beschluss v. 30.09.2015, HRRS 2015 Nr. 1141


BGH 1 StR 445/15 - Beschluss vom 30. September 2015 (LG Ansbach)

Tatrichterliche Beweiswürdigung (Indizwirkung wahrheitswidrigen Entlastungsvorbringens des Angeklagten; revisionsrechtliche Überprüfbarkeit).

§ 261 StPO

Leitsatz des Bearbeiters

Die Widerlegung bewusst wahrheitswidrigen Entlastungsvorbringens liefert in der Regel kein zuverlässiges Indiz für die Täterschaft der Angeklagten. Soll eine Lüge als Belastungsindiz dienen, setzt dies vielmehr voraus, dass mit rechtsfehlerfreier Begründung dargetan wird, warum im zu entscheidenden Fall eine andere Erklärung nicht in Betracht kommt oder - wiewohl denkbar - nach den Umständen so fernliegt, dass sie ausscheidet (vgl. BGHSt 41, 153, 155 f.).

Entscheidungstenor

Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Ansbach vom 23. April 2015 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagte der schweren Brandstiftung für schuldig erachtet und gegen sie unter Einbeziehung anderweitig rechtskräftig gewordener Freiheitsstrafen eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verhängt. Gegen dieses Urteil wendet sich die Angeklagte mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision, die in vollem Umfang Erfolg hat.

I.

1. Das Landgericht hat die folgenden Feststellungen getroffen:

Die Angeklagte war Mieterin in einem Mehrparteienwohnhaus. Nachdem im Sommer 2013 das Ehepaar T. dort einzog, kam es zwischen diesen und der Angeklagten zu Spannungen, die zu zahlreichen Polizeieinsätzen führten. Zudem kam es zu drei Kellerbränden in dem Wohnobjekt, wobei im dritten Fall gegen die Angeklagte ermittelt wurde. Im April und Mai 2014 versandte die Angeklagte anonyme Drohbriefe an die Eheleute T., aber auch an andere Mieter des Hauses. Zwei bis drei Wochen vor dem 11. Juni 2014 traf die Angeklagte auf den ihr bekannten S., ein Mitglied der örtlichen Feuerwehr. Mit ihm unterhielt sie sich über die Brände in ihrem Wohnhaus und erklärte, von den anderen Bewohnern zu Unrecht der Brandlegung bezichtigt worden zu sein. Weiter äußerte sie, dass wohl demnächst der Dachstuhl brennen werde.

Am späten Nachmittag des 11. Juni 2014 öffnete die Angeklagte mit ihrem Schlüssel die Dachbodentür des Wohnhauses. Um den Eheleuten T. zu schaden, zündete sie in deren Dachbodenabteil gelagerte Kleider und Altpapier an. Dabei nahm sie billigend in Kauf, dass der Brand sich ausbreiten und der Dachstuhl in Brand geraten könnte. Anschließend ging die Angeklagte in ihre Wohnung zurück und schloss dabei die Dachbodentür wieder hinter sich ab. Tatsächlich breitete sich der Brand aus, so dass der Dachboden, darunter der Firstbereich, selbständig brannte.

Kurz nach 19 Uhr bemerkten Zeugen, dass es aus dem Dach qualmte, und verständigten die Feuerwehr. Die Bewohner wurden alarmiert und verließen das Haus, die Angeklagte beobachtete die Löscharbeiten am Dachstuhl aus der unmittelbaren Nähe. Dort wurde sie von einem Polizeibeamten angesprochen, der gegen sie in der vorhergehenden Kellerbrandsache ermittelt hatte. Dieser wies sie darauf hin, dass der Brand wohl auf dem Dachboden ausgebrochen sei. Die Angeklagte erklärte, dass der Dachboden verschlossen sei und sie keinen Schlüssel hierfür besitze. Nach der daraufhin erfolgten Festnahme wurde die Angeklagte etwa eine Woche später befragt, ob sie mit einer Durchsuchung ihrer Wohnung einverstanden sei. Dabei äußerte sie, dass sich der Schlüssel im Bereich des Wohnzimmerschranks befinde. Tatsächlich fand sich dort der Schlüssel zum Dachboden.

2. Das Landgericht führt aus, sich von der Täterschaft der Angeklagten überzeugt zu haben, da keine anderen Täter in Betracht kämen, die Angeklagte kein Alibi, dafür ein Motiv habe und in dem Gespräch mit dem Polizeibeamten am Tatabend „Täterwissen offenbart“ habe.

II.

Die der Verurteilung der Angeklagten zu Grunde liegende Beweiswürdigung hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

1. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, namentlich wesentliche Feststellungen nicht erörtert, oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 22. Mai 2007 - 1 StR 582/06; Urteil vom 14. Dezember 2011 - 1 StR 501/11, NStZ-RR 2012, 148, 149; Beschluss vom 23. August 2012 - 4 StR 305/12, NStZ-RR 2012, 383, 384).

2. Diesen Anforderungen genügt die landgerichtliche Beweiswürdigung nicht.

a) Das Landgericht hat maßgeblich auf die Offenbarung von Täterwissen durch die Angeklagte abgestellt. Der Schluss auf das Täterwissen weist aber Widersprüche und Lücken auf.

aa) Zwar führt das Landgericht im Rahmen der Beweiswürdigung aus, die Angeklagte habe sich ohne die Erwähnung des Dachbodens zu diesem als Brandort verhalten. Das steht allerdings in einem nicht aufgelösten Widerspruch zu den Feststellungen, wonach der Polizeibeamte die Angeklagte darauf hingewiesen habe, dass der Brand auf dem Dachboden ausgebrochen sei. Würde dies zutreffen, könnte in der Benennung des Dachbodens kein Täterwissen gesehen werden. Angesichts des Umstands, dass die Angeklagte bei dieser Äußerung die am qualmenden Dachstuhl stattfindenden Löschungsarbeiten beobachtete, wäre es ohnehin auch ohne diesen Vorhalt bedenklich, die diesbezügliche Äußerung als Offenbarung von Kenntnissen über den genauen Tatablauf anzusehen.

bb) Soweit das Landgericht hingegen in der „Vorwegverteidigung“ - der Dachboden sei verschlossen und sie habe den Schlüssel verloren - Täterwissen gesehen hat, ist dies ebenfalls nicht tragfähig begründet. Hierzu fehlt die erforderliche Auseinandersetzung mit insoweit relevanten Feststellungen, die andere Erklärungsmöglichkeiten für die Äußerung der Angeklagten bieten.

Angesichts der Feststellung, dass die Tür zum Dachboden sowohl vor als auch nach dem Brand verschlossen war, und der Erörterung der von der Hausverwaltung für erforderlich erachteten Verteilung von Dachbodenschlüsseln an alle Bewohner, drängt sich der Schluss auf, dass das Verschlossen sein des Dachbodens kein ungewöhnlicher Umstand war und daher dessen Erwähnung auch nicht auf die Kenntnis des genauen Tatablaufs schließen lässt. Das Landgericht hat sich jedoch hiermit nicht auseinander gesetzt und damit offen gelassen, ob in der Äußerung der Angeklagten allein ein entlastender Hinweis auf ihre fehlende Möglichkeit, überhaupt auf den Dachboden zu gelangen, liegen könnte.

b) Sollte das Landgericht in dem Umstand der „Vorwegverteidigung“ ein die Angeklagte belastendes Indiz erblickt haben, so bleiben auch die dem zugrunde liegenden Erörterungen lückenhaft. Soweit das Landgericht die Verfänglichkeit dieser Äußerung daran festmacht, dass noch kein Tatverdacht gegen die Angeklagte geäußert worden sei, fehlt eine Auseinandersetzung mit dem Umstand, dass die Äußerung gegenüber demjenigen Polizeibeamten fiel, der bereits gegen die Angeklagte in der früheren Brandsache ermittelt hatte, auch am Tatabend nach seinen eigenen Angaben bereits einen „vagen Verdacht“ gegen die Angeklagte hegte und ihre Äußerung nicht spontan, sondern auf entsprechende Ansprache des Beamten fiel. Damit ist aber nicht ausgeschlossen, dass die als „Vorwegverteidigung“ angesehene Äußerung der Ausräumung eines zwar nicht ausgesprochenen, aber im Raum stehenden Verdachts diente.

Die Widerlegung bewusst wahrheitswidrigen Entlastungsvorbringens liefert jedoch in der Regel kein zuverlässiges Indiz für die Täterschaft der Angeklagten. Soll eine Lüge als Belastungsindiz dienen, setzt dies vielmehr voraus, dass mit rechtsfehlerfreier Begründung dargetan wird, warum im zu entscheidenden Fall eine andere Erklärung nicht in Betracht kommt oder - wiewohl denkbar - nach den Umständen so fernliegt, dass sie ausscheidet (vgl. BGH, Urteil vom 5. Juli 1995 - 2 StR 137/95, BGHSt 41, 153, 155 f.; Beschluss vom 16. Dezember 2010 - 4 StR 508/10, NStZ-RR 2011, 118; Sander in Löwe/ Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 261 Rn. 74).

c) Zudem begegnet es unter dem Gesichtspunkt der Zirkelschlüssigkeit Bedenken, wie das Landgericht den Tatzeitpunkt bestimmt und anhand dessen andere als Täter ausgeschlossen hat. So ist hierzu ausgeführt, es liege nahe, dass der Täter einer vorsätzlichen Brandstiftung mit Schädigungsabsicht nach mehreren Stunden ohne sichtbaren Erfolg den Brandausgangsort nochmals aufsuche. Da die Angeklagte weder angegeben habe noch Anhaltspunkte dafür bestünden, dass sie den Brandort nochmals aufgesucht habe, könne der Brand nicht vor dem späten Nachmittag gelegt worden sein. Dieser Schluss setzt bereits die Annahme voraus, dass die Angeklagte den Brand gelegt hat und ist daher für den Nachweis ihrer Täterschaft ungeeignet.

3. Da das Tatgericht seine Überzeugungsbildung maßgeblich auf die beanstandeten Schlussfolgerungen gestützt hat, ist trotz gewichtiger Aspekte, die für die Täterschaft der Angeklagten sprechen, ein Beruhen des Urteils auf den aufgezeigten Mängeln nicht auszuschließen.

Der Senat hebt das Urteil mit den zugrunde liegenden Feststellungen auf, um dem neuen Tatgericht eine umfassende Neubewertung der Tatumstände zu ermöglichen.

HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 1141

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede