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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
November 2015
16. Jahrgang
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1. Dem Beschuldigten steht kein Antragsrecht auf Pflichtverteidigerbestellung gemäß § 141 Abs. 3 Satz 1 bis 3 StPO zu. Eine solche setzt einen Antrag der Staatsanwaltschaft zwingend voraus. (BGHR)
2. Der gesetzlichen Systematik nach kann das Gericht einen Pflichtverteidiger unabhängig von einem Antrag der Staatsanwaltschaft erst bestellen, wenn es mit der Sache befasst ist. Dies ist dann der Fall, wenn Anklage erhoben oder das Gericht über die Vollstreckung der Untersuchungshaft bzw. einstweilige Unterbringung zu entscheiden hat. Ist das Gericht noch nicht mit dem Sachverhalt befasst, so kann es nur auf Antrag tätig werden. Diese Sichtweise entspricht der Funktion der Staatsanwaltschaft als „Herrin des Verfahrens“ im Ermittlungsverfahren. (Bearbeiter)
3. Ein Antragsrecht des Beschuldigten besteht nicht. Der Gesetzgeber hat in § 141 Abs. 3 Satz 2 StPO eine Antragspflicht der Staatsanwaltschaft statuiert, sobald die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig sein wird, und damit die Rolle der Verteidigung im Vorverfahren gestärkt. Die Staatsanwaltschaft ist nicht Partei im Strafprozess, sondern zur Objektivität verpflichtet. Dass ihre Prozesshandlungen grundsätzlich nicht der Anfechtung und Überprüfung nach § 23 EGGVG zugänglich sind, sofern nicht ein willkürliches Handeln der Ermittlungsbehörde schlüssig dargetan ist, ist unbedenklich. (Bearbeiter)
Unterbleibt jegliche Mitteilung über ein nicht öffentlich und ohne den Angeklagten geführtes Gespräch zwischen den (übrigen) Verfahrensbeteiligten, dessen Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung war, so handelt es sich regelmäßig um einen nicht leicht wiegenden Verstoß gegen § 243 Abs. 4 StPO, bei dem das Beruhen des Urteils auf dem Verstoß nicht auszuschließen ist.
1. Die Pflicht zur Mitteilung der mit dem Ziel einer Verständigung über den Verfahrensausgang geführten Gespräche nach § 243 Abs. 4 StPO erstreckt sich auch auf die Darlegung, welche Standpunkte zu den erörterten Aspekten vertreten wurden und auf welche Resonanz dies bei den anderen am Gespräch Beteiligten jeweils gestoßen ist (vgl. BVerfGE 133, 168, 215f.).
2. Verstöße gegen die Mitteilungspflichten des § 243 Abs. 4 StPO führen regelmäßig dazu, dass ein Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler nicht ausgeschlossen werden kann; lediglich in Ausnahmefällen kann Abweichendes gelten (vgl. BVerfGE 133, 168, 223).
1. Nach den Grundsätzen der Rechtsprechung sind als Grundlage der Kompensation für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung Art, Ausmaß und Ursachen der Verfahrensverzögerung zu ermitteln und im Urteil konkret festzustellen. Hierbei ist zu beachten, dass nicht die gesamte Verfahrensdauer von der Aufnahme der Ermittlungen bis zum Abschluss der Hauptverhandlung uneingeschränkt und pauschal als rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung angesehen werden kann. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass in diesem Zeitraum auch notwendige, den Fortgang des Verfahrens fördernde Tätigkeiten vorgenommen wurden, deren Erledigung jeweils eine angemessene Zeit beanspruchen und dauern durfte, ohne dass darin eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung gesehen werden könnte.
2. Wird ein nicht verlesenes Schriftstück ohne einen Hinweis auf eine bestätigende Erklärung einer in der Hauptverhandlung vernommenen Auskunftsperson im Urteil wörtlich wiedergeben, so deutet schon dies in der Regel darauf hin, dass der Wortlaut selbst zum Zwecke des Beweises verwertet worden ist und nicht nur eine gegebenenfalls auf einen Vorhalt abgegebene Bekundung (vgl. BGH NStZ-RR 2001, 18).
1. Auch wenn die Begründung der Adhäsionsentscheidung nicht unmittelbar an den zivilprozessualen Vorschriften zu messen ist, so muss gleichwohl für das Revisionsgericht nachvollziehbar dargelegt werden, weshalb der Anspruch begründet ist. Dazu gehört eine Auseinandersetzung mit Verteidigungsvorbringen, wenn und soweit dieses nicht von vornherein als völlig ungeeignet erscheint (vgl. BGHZ 39, 333, 337 ff.).
2. Bei im Adhäsionsverfahren zugesprochenen Schadensersatzansprüchen handelt es sich regelmäßig um Geldwertschulden, die grundsätzlich in inländischer Währung entstehen, soweit sie sich aus deutschem Recht ergeben. Ein in ausländischer Währung ermittelter Erstattungsbetrag bildet nur einen Berechnungsfaktor für die in Euro festzusetzende Anspruchshöhe (vgl. BGH NJW-RR 1998, 1426, 1429).
§ 267 Abs. 3 Satz 1 1. Halbsatz StPO bezweckt den Ausschluss jeden Zweifels darüber, welche gesetzlichen Bestimmungen vom Gericht angewendet wurden. Es muss eindeutig ersichtlich sein, dass das Gericht die Rechtslage des entschiedenen Falles in ihrer vollen Breite erkannt, bedacht und gewürdigt hat.
1. Eine Beschränkung der Revision ist zulässig, wenn die Beschwerdepunkte nach dem inneren Zusammenhang des Urteils losgelöst von seinem nicht angefochtenen Teil rechtlich und tatsächlich unabhängig beurteilt werden können. Gewährleistet sein muss, dass die Gesamtentscheidung frei von inneren Widersprüchen bleibt (st. Rspr.).
2. Eine neben Strafe angeordnete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist grundsätzlich selbstständig anfechtbar (vgl. BGHSt 15, 279, 285), sofern sich nicht aus besonderen Gründen Trennbarkeitshindernisse ergeben.
Die Hinweispflicht gemäß § 265 Abs. 1 StPO gilt nicht nur in Bezug auf den Straftatbestand, sondern auch für die nach dem Urteil maßgebliche Zurechnungsnorm für Täterschaft oder Teilnahme (vgl. BGHSt 56, 235, 237). Nach Erhebung und Zulassung einer Anklage wegen Mittäterschaft muss daher vor einer Verurteilung des Angeklagten wegen Beihilfe zu der von einem anderen begangenen Haupttat auf diese Änderung des rechtlichen Gesichtspunkts hingewiesen werden.
In Fällen, in denen sich die Einhaltung der Frist des § 356a Satz 2 StPO nicht schon aus dem aus der Akte ersichtlichen Verfahrensgang ergibt, gehört die Mitteilung des nach § 356a Satz 2 StPO für den Fristbeginn maßgeblichen Zeitpunkts der Kenntniserlangung von den tatsächlichen Umständen, aus denen sich die Gehörsverletzung ergeben soll, und dessen Glaubhaftmachung (§ 356a Satz 3 StPO) zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen des Rechtsbehelfs (vgl. BGH StV 2010, 297).
Nach Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs mit den zugehörigen Feststellungen durch das Revisionsgericht ist der neu zur Entscheidung berufene Tatrichter gehalten, eigene Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten zu treffen und diese im Urteil mitzuteilen (vgl. BGH NJW 2007, 1540, 1541). Hat der Angeklagte in dem neuen Verfahren dieselben Angaben gemacht, wie sie in dem früheren, jedoch insoweit aufgehobenen Urteil enthalten sind, kann zwar auf die aufgehobenen Feststellungen aus dem früheren Urteil nicht Bezug genommen werden; sie können jedoch – auch im Wortlaut – in das neue Urteil übernommen werden, sofern kein Zweifel daran verbleibt, dass es sich um neue, eigenständig getroffene Feststellungen handelt (vgl. BGH NStZ-RR 2009, 148, 149).
1. Wird die Erklärung des Angeklagten, auch Rechtsmittel zu verzichten, nicht gemäß § 273 Abs. 3 StPO vorgelesen und genehmigt, hat dies hat nur zur Folge, dass dem Protokollvermerk über den Rechtsmittelverzicht keine Beweiskraft im Sinne des § 274 StPO zukommt. Gleichwohl ist dieser Vermerk ein gewichtiges Beweisanzeichen dafür, dass der Angeklagte die in der Niederschrift festgehaltene Erklärung abgegeben hat.
2. Der Rechtsmittelverzicht kann als Prozesshandlung nicht widerrufen, wegen Irrtums angefochten oder sonst zurückgenommen werden (st. Rspr.).
Entscheidet das Gericht außerhalb der Hauptverhandlung im Beschlusswege, so kann ein Ablehnungsgesuch in entsprechender Anwendung des § 25 Abs. 2 Satz 2 StPO nur so lange statthaft vorgebracht werden, bis die Entscheidung ergangen ist (vgl. BGH NStZ 2008, 55).
1. Nach § 42 Abs. 3 Satz 1 JGG kann der Richter das Verfahren mit Zustimmung des Staatsanwalts an den Richter abgeben, in dessen Bezirk sich der Angeklagte aufhält, wenn dieser seinen Aufenthalt wechselt. Der in dieser Bestimmung zum Ausdruck kommende Grundsatz, dass Heranwachsende sich vor dem für ihren Aufenthaltsort zuständigen Gericht verantworten sollen, darf grundsätzlich nur durchbrochen werden, wenn sonst erhebliche Erschwernisse das Verfahren belasten würden.
2. Für die Zuständigkeit kommt es lediglich auf den faktischen Aufenthaltsort an, auf den Wohnsitz oder auf die Meldeanschrift des Jugendlichen oder Heranwachsenden, so dass die Zuständigkeit auch dann begründet werden kann, wenn dieser ohne festen Wohnsitz an einem bestimmten Ort lebt.