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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Oktober 2015
16. Jahrgang
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Von Rechtsanwalt Dr. Philipp Fölsing, Hamburg
Jüngst verurteilte das OLG Frankfurt a. Main einen Rechtsanwalt wegen Beteiligung an einer Erpressung zu Schadenersatz.[1] Der Berufsträger hatte für seine Mandantin mit der Gegenseite erfolgreich Vergleichsverhandlungen geführt. Er hatte eine Pächterin vertreten, deren Verpächter den Pachtvertrag gem. § 543 Abs. 2 Nr. 3 BGB fristlos wegen Zahlungsverzugs gekündigt hatte. Der Verpächter hatte die Immobilie bereits veräußert und sich seinem Käufer gegenüber verpflichtet, sie geräumt bis zu einem bestimmten Termin herauszugeben. Für einen Räumungsprozess fehlte ihm deshalb die Zeit. Die Pächterin und ihr Anwalt nutzten den Zeitdruck des Verpächters aus. Sie einigten sich darauf, dass die Pächterin die Immobilie sofort räumt und der Verpächter im Gegenzug auf noch offene, im Urteil nicht bezifferte Pachtzinsen verzichtet, die Kaution iHv 3.400 € vollständig zurückzahlt und die Maklercourtage iHv 4.650 € erstattet.
Das OLG Frankfurt sah darin eine Erpressung des Verpächters gem. § 253 Abs. 1, Abs. 2 StGB. Ohne Abstandszahlung hätte sich die Pächterin nämlich geweigert, die Immobilie ihres Verpächters zu räumen. Dadurch hätte sie ihm mit einem empfindlichen Übel gedroht. Denn für einen Räumungsrechtsstreit hätte der Verpächter keine Zeit gehabt. Vielmehr hätte er die Immobilie geräumt an seinen Käufer herausgeben müssen. Sonst hätte er sich seinerseits schadenersatzpflichtig gemacht. Das Verhalten der Pächterin sei gem. § 253 Abs. 2 StGB verwerflich gewesen. Dass ihr die geltend gemachten Gegenansprüche nicht zugestanden hätten, sei offensichtlich gewesen. Trotzdem hätte ihr Rechtsanwalt mit dem Verpächter über die angeblichen Gegenforderungen verhandelt und ihm eine entsprechende Vereinbarung vorgesetzt. Dadurch hätte er sich an der Erpressung beteiligt und sich gem. §§ 823 Abs. 2 BGB iVm 253 StGB, 826, 830 BGB schadenersatzpflichtig gemacht.
Das Urteil des OLG Frankfurt ist aus einer Vielzahl von Gründen problematisch. Bereits der Vorwurf, die Mandantin hätte ihren Verpächter gem. § 253 Abs. 1, Abs. 2 StGB erpresst, trifft aus Sicht des Verfassers nicht zu. Weder drohte die Pächterin mit einem künftigen Übel, noch verhielt sie sich besonders verwerflich. Vielmehr nutzte sie lediglich eine bereits bestehende Zwangslage aus, in die sich der Verpächter durch den Verkauf der
Immobilie freiwillig begeben hatte. Der Berufsträger selbst sprach keine eigene Drohung aus. Da er nicht zwingend Einfluss darauf hatte, ob seine Mandantin die Immobilie räumt oder nicht, konfrontierte er den Verpächter lediglich mit deren Entschluss. Eine solche Warnung fällt aber gerade nicht unter § 253 Abs. 1 StGB. Ohnehin verhielt sich auch der Anwalt nicht verwerflich gem. Abs. 2. Denn er täuschte den Pächter keineswegs über die den vermeintlichen Gegenansprüchen zugrundeliegenden Tatsachen. In der Behauptung der Gegenansprüche lag vielmehr die bloße Äußerung einer Rechtsmeinung. Im Einzelnen:
Wer jemanden durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Vermögensverfügung nötigt, um sich selbst zu Unrecht zu bereichern, begeht gem. § 253 Abs. 1 StGB eine Erpressung, wenn sich seine Tat gem. Abs. 2 als verwerflich darstellt. Drohung ist das In-Aussicht-Stellen eines künftigen Übels. Das bloße Ausnutzen einer schon bestehenden Zwangslage fällt gerade nicht darunter.[2] Hier hatte sich der Verpächter selbst aus freien Stücken in eine Zwangslage manövriert. Er hatte nämlich die Immobilie veräußert und sich verpflichtet, sie bis zu einem bestimmten Zeitpunkt geräumt an den Käufer zu übergeben, ohne dass sein Rechtsverhältnis zu der Pächterin endgültig geklärt war. Gem. §§ 581 Abs. 2, 566 Abs. 1 BGB berührte der Verkauf der Immobilie den Pachtvertrag gerade nicht. Ist die Pächterin in einer solchen Situation nicht bereit zur Räumung, stellt sie ihrem Verpächter demnach kein neues, künftiges Übel in Aussicht, sondern nutzt die für ihn bereits bestehende Zwangslage aus.
Aus Sicht des Verfassers verhielt sich die Pächterin auch nicht gem. § 253 Abs. 2 StGB verwerflich. Zwar befand sie sich mit dem Pachtzins wohl so erheblich in Rückstand, dass gem. § 543 Abs. 2 Nr. 3 BGB der wichtige Grund für die fristlose Kündigung vorlag. Jedoch stand es dem Verpächter frei, Räumungsklage zu erheben und einen Räumungstitel zu erwirken. Dass ihm hierzu die Zeit fehlte, resultierte wiederum aus der Zwangslage, in die er sich selbst durch den Verkauf der Immobilie freiwillig begeben hatte. Im Übrigen war der Verpächter keinesfalls gezwungen, sich auf die Forderungen der Pächterin einzulassen. Er hätte ohne Weiteres versuchen können, sich mit dem Käufer auf eine spätere Übergabe zu einigen. Für etwaige Schadenersatzzahlungen an den Käufer hätte er sich nach einer erfolgreichen Räumungsklage bei der Pächterin gem. § 280 Abs. 1 BGB schadlos halten können. Gegen den Vorwurf gem. § 253 Abs. 2 StGB spricht auch, dass eine einstweilige Räumungsverfügung gem. § 940a Abs. 1 ZPO regelmäßig unzulässig ist. Bis zu einem rechtskräftigen Titel nimmt der Gesetzgeber somit auf die Interessen des Mieters Rücksicht.
Eine Drohung ist nur dann verwerflich gem. § 253 Abs. 2 StGB, wenn das angedrohte Übel oder der mit der Drohung verfolgte Zweck für sich alleine oder die Mittel-Zweck-Relation verwerflich sind. Das angedrohte Übel ist verwerflich, wenn es einen Straftatbestand verwirklichen würde. Das OLG Frankfurt wirft der Pächterin vor, damit zu drohen, die Immobilie nicht zu räumen. Aus Sicht des OLG droht die Pächterin also mit einem Unterlassen. Ihre vermeintliche Drohung würde aber nur dann einen Straftatbestand erfüllen, wenn sie gem. § 13 Abs. 1 StGB dazu verpflichtet wäre, die Immobilie zu räumen und Schäden von dem Verpächter abzuwenden. Jedoch genügt eine vertragliche oder nachvertragliche Verpflichtung gerade nicht für die Begründung einer Garantenpflicht gem. § 13 Abs. 1 StGB. Für den vorliegenden Fall ergibt sich das bereits aus der gesetzlichen Wertung des § 940a Abs. 1 ZPO.
Nicht immer ist es verwerflich, eine Forderung durchzusetzen, auf die man keinen Anspruch hat. Das gilt insbesondere in Vergleichsverhandlungen, die durch gegenseitiges Geben und Nehmen charakterisiert sind. Denn die Rechtsordnung bevorzugt gem. § 278 Abs. 1 ZPO die gütliche Beilegung jedes Konflikts. Gem. § 278 Abs. 5 ZPO soll der Güterichter alle anerkannten Methoden der Konfliktbewältigung einsetzen, insbesondere die Mediation. Die Mediation zielt darauf ab, für alle Beteiligten unabhängig von der Rechtslage eine Win-Win-Situation herzustellen. Bei einem Vergleich, der den Wertungen des Gesetzgebers in §§ 278 Abs. 1, Abs. 5, 940a Abs. 1 ZPO entspricht, ist die Mittel-Zweck-Relation niemals verwerflich.
Ohnehin stellte das OLG Frankfurt für die Beurteilung der Verwerflichkeit zu Unrecht auf den zeitlichen Druck des Verpächters ab. Nach der Argumentation des Gerichts hat sich die Pächterin nur deshalb verwerflich gem. § 253 Abs. 2 StGB verhalten, weil sie den Zeitdruck des Verpächters ausgenutzt hat. Hätte der Verpächter die Immobilie nicht verkauft, hätte sich die Pächterin also trotz ihrer Weigerung, das Objekt zu räumen, nicht strafbar gemacht. Es kann aber nicht von einem Dritten abhängen, ob ein Verhalten strafbar ist oder nicht. Gegen die Bewertung des Verhaltens der Pächterin als verwerflich spricht auch, dass der Verpächter anwaltlich beraten war. Waffengleichheit war somit zwischen den Parteien gewährleistet.
Ob die Pächterin tatsächlich Anspruch auf Rückzahlung der Kaution und Erstattung der Maklercourtage hatte oder nicht, war keinesfalls von Bedeutung. Denn die Parteien schlossen einen Vergleich. Dieser beinhaltete, dass die Pächterin die Immobilie unmittelbar räumt und der Verpächter im Gegenzug die vereinbarten Zahlungen leistet und auf die noch ausstehenden Pachtzinsen verzichtet. Beide Parteien machten also Zugeständnisse. Zwar war die fristlose Kündigung des Verpächters wegen der Zahlungsrückstände der Pächterin wohl gem. § 543 Abs. 2 Nr. 3 BGB gerechtfertigt. Allerdings befand sich die Immobilie noch im Besitz der Pächterin. Durch eine einstweilige Verfügung hätte sich der Besitz der Pächterin gem. § 940a Abs. 1 ZPO nicht aufheben lassen. Diese
verzichtete damit nicht auf eine rechtliche, wohl aber auf ihre tatsächliche Position, die für den Verpächter angesichts seines Zeitdrucks von Wert war.
Keinesfalls zulässig ist es für den Verpächter, sich durch eine Anfechtung wegen vermeintlicher Drohung gem. § 123 Abs. 1 Var. 2 BGB oder die Forderung nach Schadenersatz allein von seinen Zugeständnissen in dem freiwillig eingegangenen Vergleich zu lösen. Wenn überhaupt, müssten die Zugeständnisse beider Parteien aufgehoben werden. Bis zu einem rechtskräftigen Räumungstitel müsste also auch der Verpächter der Pächterin wieder den Besitz an der Immobilie einräumen.
2. Keine Beteiligung des Anwalts an einer Erpressung
a) Berufsneutrales Handeln
Ein Rechtsanwalt, der für seinen Mandanten Vergleichsverhandlungen führt, handelt berufstypisch. Dabei darf er grundsätzlich auch Verhandlungsdruck aufbauen, eine Zwangslage der Gegenpartei ausnutzen und rechtlich zweifelhafte Gegenforderungen stellen. Denn er ist dazu verpflichtet, seinen Mandanten bestmöglich zu vertreten. Selbstverständlich darf der Berufsträger die Gegenseite nicht über Tatsachen, die in der Sphäre seines Mandanten liegen, täuschen und dadurch zu einer nachteiligen Vermögensverfügung verleiten. Dadurch würde er sich gem. § 263 Abs. 1 StGB wegen Betruges strafbar machen, sich entsprechenden Schadenersatzansprüchen gem. §§ 823 Abs. 2, 826 BGB aussetzen[3] und außerdem gegen seine berufliche Wahrheitspflicht gem. § 43a Abs. 3 S. 2 Var. 1 BRAO verstoßen.[4] Zudem darf der Anwalt keinesfalls seine Stellung als Organ der Rechtspflege und seine anwaltliche Autorität missbrauchen.[5]
Insbesondere darf der Berufsträger für seinen Mandanten keine offensichtlich unbegründeten Forderungen stellen, deren vermeintlichen Bestand er aus Gleichgültigkeit nicht überprüft hat.[6] Bei Vergleichsverhandlungen, die durch ein gegenseitiges Geben und Nehmen charakterisiert sind, dürfte jedoch auch der Einwand rechtlich zweifelhafter Gegenforderungen zulässig sein, solange der Anwalt nicht über Tatsachen täuscht, sondern lediglich Rechtsmeinungen äußert. Das gilt besonders, wenn wie im vorliegenden Fall die Gegenseite selbst anwaltlich vertreten ist und somit zwischen beiden Parteien Waffengleichheit herrscht. Dann bleibt es dabei, dass berufsneutrales Handeln[7] gerade nicht Anlass für strafrechtliche Vorwürfe sein darf.[8]
Unabhängig davon sprach auch der Anwalt im vorliegenden Fall keine Drohung gem. § 253 Abs. 1 StGB aus. Denn er hatte keinen Einfluss darauf, ob seine Mandantin die Immobilie räumt oder nicht. Nur zur gerichtlichen Geltendmachung der Gegenforderungen hätte die Pächterin gem. § 78 Abs. 1 ZPO einen Anwalt benötigt. Hier hätte sich der Anwalt verweigern und seine Mandantin so u. U. von der Geltendmachung der Forderungen abhalten können. Keinesfalls konnte er sie zu der Räumung veranlassen. Aus diesem Grund konfrontierte er den Verpächter lediglich mit dem Entschluss seiner Mandantin. Allenfalls sprach er also eine Warnung aus, die gerade nicht unter den Tatbestand des § 253 Abs. 1 StGB fällt.[9] Denn der Anwalt gab nicht vor, auf die Entscheidung seiner Mandantin Einfluss genommen zu haben und diese somit durch seinen anwaltlichen Rat von der Räumung abzuhalten.[10]
Da der Anwalt bei den Vergleichsverhandlungen im Rahmen seiner berufstypischen Aktivitäten blieb und die Gegenseite gerade nicht über Tatsachen täuschte, sondern allenfalls eine Rechtsmeinung äußerte, verhielt er sich zudem keinesfalls gem. § 253 Abs. 2 StGB verwerflich.
Das Urteil des OLG Frankfurt ist abzulehnen. Bei Vergleichsverhandlungen darf keinesfalls das Damoklesschwert strafrechtlicher Erpressungsvorwürfe über dem Anwalt hängen. Sonst wäre er nicht mehr in der Lage, seinen Mandanten bestmöglich zu vertreten. Der Erpressungsvorwurf liegt schon deshalb fern, weil jeder Vergleich durch gegenseitiges Geben und Nehmen charakterisiert ist. Wenn ein Anwalt die Gegenseite mit dem Entschluss seines Mandanten konfrontiert, spricht er zudem keine eigene Drohung gem. § 253 Abs. 1 StGB aus. Denn eine bloße Warnung fällt gerade nicht unter den Erpressungstatbestand.
[1] OLG Frankfurt a. Main, Urt. v. 10.6.2015 – 2 U 201/14.
[2] Vgl. OLG Bamberg ZInsO 2015, 1338.
[3] Vgl. BGH BRAK-Mitt. 2013, 234, 238.
[4] Vgl. AGH Hamm AnwBl. 2011, 698 = AnwBl. Online 2011, 169, 170.
[5] Vgl. BGH BRAK-Mitt. 2014, 47, 51.
[6] Vgl. Harrendorf AnwBl. 2014, 492, 493.
[7] Vgl. Gatzweiler AnwBl. 2015, 297, 300.
[8] Vgl. BGH NStZ 2000, 34.
[9] Vgl. BGH BRAK-Mitt. 2014, 47, 50.
[10] Vgl. Harrendorf AnwBl. 2014, 492, 493.