HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Januar 2015
16. Jahrgang
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Hervorzuhebende Entscheidungen des BGH


I. Materielles Strafrecht - Allgemeiner Teil


Entscheidung

22. BGH 3 ARs 13/14 – Beschluss vom 30. September 2014 (BGH)

Verfassungsmäßigkeit der ungleichartigen Wahlfeststellung (Gesetzlichkeitsprinzip; Schuldprinzip; Unschuldsvermutung); Diebstahl; Hehlerei.

Art. 103 Abs. 2 GG; Art. 1 Abs. 1 GG; Art. 2 Abs. 1 GG; Art. 20 Abs. 3 GG; Art. 6 EMRK; § 1 StGB; § 261 StPO; § 242 StGB; § 259 StGB

1. Der Senat hält an seiner bisherigen Rechtsprechung zur ungleichartigen Wahlfeststellung fest.

2. Die Rechtsfigur der ungleichartigen (echten) Wahlfeststellung verstößt nicht gegen Art. 103 Abs. 2 GG. Auch die aus dem Rechtsstaatsgebot folgenden Grundsätze des Schuldprinzips und der Unschuldsvermutung sind nicht betroffen.


Entscheidung

13. BGH 3 StR 365/14 – Beschluss vom 14. Oktober 2014 (LG Kleve)

Betrug (rechtlich selbständige Handlungen bei Zusammenarbeit mehrerer Beteiligter im Rahmen einer Tatserie; uneigentliches Organisationsdelikt).

§ 263 StGB; § 52; § 53 StGB

Bei der Zusammenarbeit mehrerer Beteiligter im Rahmen einer Betrugsserie bestimmt sich die Zahl der rechtlich selbständigen Handlungen im Sinne von § 53 Abs. 1 StGB für jeden Täter grundsätzlich nach der Anzahl seiner eigenen Handlungen zur Verwirklichung der Einzeldelikte. Wirkt ein Täter an einzelnen Taten anderer Beteiligter selbst nicht unmittelbar mit, sondern erschöpfen sich seine Tatbeiträge hierzu im Aufbau und in der Aufrechterhaltung des auf die Straftaten ausgerichteten „Geschäftsbetriebes“, sind diese Tathandlungen nach st. Rspr. als – uneigentliches – Organisationsdelikt zu einer einheitlichen Tat im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB zusammenzufassen. Von dieser Handlungseinheit sind nur die Fälle ausgenommen, in denen der Täter selbst einen individuellen Tatbeitrag erbringt.


Entscheidung

51. BGH 4 StR 371/14 – Beschluss vom 7. Oktober 2014 (LG Kaiserslautern)

Beihilfe (gesonderte Prüfung der Konkurrenzen für jeden Beteiligten).

§ 27 Abs. 1 StGB; § 52 Abs. 1 StGB; § 53 Abs. 1 StGB

Sind an einer Deliktserie mehrere Personen als Mittäter, mittelbare Täter, Anstifter oder Gehilfen beteiligt, ist die Frage, ob die einzelnen Straftaten tateinheitlich oder tatmehrheitlich zusammentreffen, nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für jeden der Beteiligten gesondert zu prüfen und zu entscheiden (vgl. BGH StV 2009, 130). Hat ein Gehilfe, der an der unmittelbaren Tatausführung nicht beteiligt war, einen mehrere Einzeldelikte fördernden einheitlichen Tatbeitrag erbracht, werden ihm insoweit die jeweiligen Taten des Haupttäters nur als tateinheitlich begangen zugerechnet,

weil sie in seiner Person durch den einheitlichen Tatbeitrag zu einer Handlung im Sinne von § 52 Abs. 1 StGB verknüpft werden. Ob der Haupttäter die ihm zurechenbaren Taten tatmehrheitlich begangen hat, ist demgegenüber ohne Belang.


Entscheidung

77. BGH 4 StR 284/14 – Beschluss vom 19. November 2014 (LG Essen)

Anwendung des Zweifelsgrundsatzes auf die Abgrenzung von Handlungseinheit und Handlungsmehrheit (Realkonkurrenz).

§ 52 StGB; § 53 StGB; § 261 StPO

Lässt sich nicht feststellen, durch wieviele Handlungen im Sinne der §§ 52, 53 StGB der Angeklagte die festgestellten Taten gefördert hat, so ist im Zweifel zu seinen Gunsten davon auszugehen, dass er nur eine Handlung begangen hat.


II. Materielles Strafrecht – Besonderer Teil


Entscheidung

52. BGH 4 StR 416/14 – Beschluss vom 6. November 2014 (LG Bielefeld)

Heimtückemord (bewusstes Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit; Arglosigkeit des Tatopfers bei Tatbeginn: Ausnahmen)

§ 211 Abs. 1 StGB

1. Heimtückisch handelt, wer in feindseliger Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Wesentlich ist, dass der Mörder sein Opfer, das keinen Angriff erwartet, also arglos ist, in einer hilflosen Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren. Maßgebend für die Beurteilung ist die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs (st. Rspr).

2. Für das bewusste Ausnutzen von Arg- und Wehrlosigkeit ist es erforderlich, dass der Täter diese in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen.

3. Grundsätzlich setzt Heimtücke Arglosigkeit des Angegriffenen bei Tatbeginn voraus. Eine Ausnahme davon liegt aber etwa vor, wenn der Täter das Opfer mit Tötungsvorsatz planmäßig in einen Hinterhalt lockt, um eine günstige Gelegenheit zur Tötung zu schaffen, und die entsprechenden Vorkehrungen und Maßnahmen bei Ausführung der Tat noch fortwirken (vgl. BGH NStZ 1989, 364).


Entscheidung

62. BGH 1 StR 503/14 – Beschluss vom 5. November 2014 (LG Nürnberg-Fürth)

Besonders schwere Vergewaltigung (Kissen als gefährliches Werkzeug; Konkurrenzen zur gefährlichen Körperverletzung: Klarstellungsfunktion der Idealkonkurrenz, Tateinheit).

§ 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB; § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB; § 52 StGB

1. Ein gefährliches Werkzeug im Sinne des § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB wird nicht nur dann benutzt, wenn der Täter ein generell gefährliches Tatmittel einsetzt, sondern auch, wenn sich die objektive Gefährlichkeit des eingesetzten Gegenstandes erst aus der konkreten Art seiner Verwendung ergibt, die geeignet ist, erhebliche Verletzungen herbeizuführen. Werkzeug ist dabei jeder bewegliche Gegenstand, mit dem gleich auf welche Weise auf den Körper des Opfers eingewirkt werden kann. Die Gefährlichkeit des Tatmittels kann sich gerade daraus ergeben, dass ein Gegenstand bestimmungswidrig gebraucht wird. Damit ist gefährliches Werkzeug im Sinne von § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB ein beliebiger Gegenstand immer schon dann, wenn er – etwa beim Einsatz eines Kissens als Erstickungswerkzeug – seine objektive Gefährlichkeit durch die konkrete Art und Weise seiner (zweckwidrigen) Verwendung erhält (st. Rspr.).

2. Der Unrechtsgehalt des potentiellen Gefährdungsdelikts in § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB geht nicht in dem Unrechtsgehalt von § 177 Abs. 4 Nr. 1, Nr. 2a StGB auf, so dass die Klarstellungsfunktion der Idealkonkurrenz für die Annahme von Tateinheit zwischen der gefährlichen Körperverletzung und der besonders schweren Vergewaltigung.


Entscheidung

7. BGH 3 StR 227/14 – Beschluss vom 30. September 2014 (LG Stade)

Abgrenzung von Diebstahl und Unterschlagung (rechtsfehlerhafte Annahme von Alleingewahrsam).

§ 242 StGB; § 246 StGB

Wer zu im fremden Eigentum stehenden, sich in einer Lagerhalle befindlichen beweglichen Sachen allein deshalb Zugang hat, weil er bei einer Firma arbeitet, die in derselben Lagerhalle ansässig ist, hat nicht ohne Weiteres (Allein-)Gewahrsam an diesen Sachen. Nimmt er diese in Zueignungsabsicht weg, kommt mithin eine Strafbarkeit wegen Diebstahls in Betracht.


Entscheidung

37. BGH 1 StR 394/14 – Urteil vom 5. November 2014 (LG München II)



Sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen (Widerstandsunfähigkeit); tatrichterliche Beweiswürdigung bei freisprechendem Urteil (Darstellung in der Urteilsbegründung; revisionsrechtliche Überprüfbarkeit).

§ 179 Abs. 1 StGB; § 261 StPO; § 267 Abs. 5 StPO

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann Opfer einer Tat nach § 179 StGB nur sein, wer aufgrund einzelner, im Tatbestand des Absatzes 1 näher beschriebener Gegebenheiten unfähig ist, einen ausreichenden Widerstandswillen gegen das sexuelle Ansinnen des Täters zu bilden, zu äußern oder durchzusetzen (vgl. BGHSt 36, 145, 147). Die Feststellung der Widerstandsunfähigkeit ist eine normative Entscheidung; sie erfordert die Überzeugung des Tatrichters, dass das Opfer zum Widerstand gänzlich unfähig war (vgl. BGH NStZ 2012, 150 f.).