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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Januar 2015
16. Jahrgang
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1. Zu den Anforderungen an die Bestimmtheit einer Verfahrenseinstellung nach § 154 Abs. 2 StPO. (BGH)
2. Wegen der weitreichenden Wirkungen einer Verfahrenseinstellung nach § 154 Abs. 2 StPO ist die Beschlussformel so zu fassen, dass kein Zweifel besteht, auf welche Taten und welche Angeklagten sie sich bezieht. Die eingestellten Taten sind genau zu bezeichnen, nach Möglichkeit mit der Nummerierung der Anklageschrift. Ist dies nicht möglich, sind die Taten so genau zu beschreiben, dass klar erkennbar ist, welche angeklagten Taten aus dem Verfahren ausgeschieden werden. Hinsichtlich der Konkretisierung im Einstellungsbeschluss gelten insoweit dieselben Anforderungen wie bei der Tatbeschreibung in der Anklageschrift zur Erfüllung ihrer Umgrenzungsfunktion. (Bearbeiter)
3. Die Anklageschrift hat die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat sowie Zeit und Ort ihrer Begehung so genau zu bezeichnen, dass die Identität des geschichtlichen Vorgangs klargestellt und erkennbar wird, welche bestimmte Tat gemeint ist; sie muss sich von anderen gleichartigen strafbaren Handlungen desselben Täters unterscheiden lassen (Umgrenzungsfunktion – st. Rspr). Dabei muss die Schilderung umso konkreter sein, je größer die allgemeine Möglichkeit ist, dass der Angeklagte verwechselbare weitere Straftaten gleicher Art verübt hat. Die Identität des geschichtlichen Vorgangs muss feststehen, es darf kein Zweifel über die verfahrensgegenständlichen Taten im prozessualen Sinn eintreten. Fehlt es an einer hinreichenden Konkretisierung, so ist die Anklage unwirksam (vgl. BGHSt 40, 44, 45). (Bearbeiter)
4. Darüber hinaus hat die Anklage auch die Aufgabe, den Angeklagten und die übrigen Verfahrensbeteiligten über weitere Einzelheiten des Vorwurfs zu unterrichten, um ihnen Gelegenheit zu geben, ihr Prozessverhalten auf den mit der Anklage erhobenen Vorwurf einzustellen. Mängel der Anklage in dieser Hinsicht führen nicht zu ihrer Unwirksamkeit (Informationsfunktion). (Bearbeiter)
5. Dementsprechend konkret ist auch der Einstellungsbeschluss zu fassen, durch den der Verfahrensstoff begrenzt wird. Dabei können auszuscheidende Taten sowohl „positiv“ beschrieben werden, indem die einzustellenden Taten konkret bezeichnet werden, als auch „negativ“, indem genau angegeben wird, welche der angeklagten Taten weiterhin Verfahrensgegenstand sind. Wie der Tatrichter den Beschluss formuliert, ist ohne Bedeutung, solange der ausgeschiedene Verfahrensstoff und der verbleibende Verfahrensstoff eindeutig erkennbar sind. (Bearbeiter)
6. Der Einstellungsbeschluss soll aus sich selbst heraus verständlich sein. Ist der Beschluss mehrdeutig und bestehen deshalb nach dem Wortlaut Unklarheiten, welche Vorwürfe der Anklageschrift aus dem Verfahren ausgeschieden werden, kann er nach allgemeinen Grundsätzen ausgelegt werden. (Bearbeiter)
7. Dabei können bei der Prüfung, ob der Einstellungsbeschluss die gebotene Umgrenzung des verbleibenden Verfahrensstoffs leistet, auch die zugelassene Anklage, der Einstellungsantrag der Staatsanwaltschaft, auf die Einstellungsentscheidung bezogene Hinweise und Anregungen des Gerichts, Hinweise des Gerichts nach § 265 StPO sowie im Rahmen einer auf die Erledigung des gesamten Verfahrens bezogenen Betrachtung jedenfalls dann, wenn der Einstellungsbeschluss zeitnah zur Urteilsverkündung gefasst wurde, auch die Schlussanträge der Verfahrensbeteiligten und das Urteil berücksichtigt werden. (Bearbeiter)
8. Liegt einem Einstellungsbeschluss nach § 154 Abs. 2 StPO die unzutreffende Annahme mehrerer selbständiger prozessualer Taten zugrunde, kann etwa bei einem sich aus den Gesamtumständen ergebenden offensichtlichen Irrtum/Versehen des Gerichts eine Umdeutung einer Verfahrenseinstellung nach § 154 Abs. 2 StPO in eine Verfahrensbeschränkung nach § 154a Abs. 2 StPO in Betracht kommen (vgl. BGH NStZ 2006, 455). (Bearbeiter)
9. Ergibt sich hingegen auch unter Würdigung der vorstehend genannten Umstände keine Klarheit über die ausgeschiedenen Verfahrensteile, ist die Verfahrensbeschränkung nach § 154 Abs. 2 StPO wirkungslos und steht einer Aburteilung nicht entgegen. (Bearbeiter)
1. § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO erfordert grundsätzlich die so genannte Negativmitteilung auch dann, wenn keine auf
eine Verständigung hinzielenden Gespräche stattgefunden haben (BVerfG NStZ 2014, 592, 593 f.; anders noch Senatsurteil vom 10. Juli 2013 – 2 StR 47/13, BGHSt 58, 315 ff.). Ein zur Aufhebung des Urteils nötigender Verfahrensfehler liegt aber nur dann vor, wenn das Urteil auf der Nichtmitteilung, ob Erörterungen im Sinne des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO stattgefunden haben, beruht. Dies ist dann auszuschließen, wenn zweifelsfrei feststeht, dass es keinerlei Gespräche über die Möglichkeit einer Verständigung gegeben hat (BVerfGE 133, 168, 223 Rn. 98; BVerfG NStZ 2014, 592, 594; BGH NStZ 2013, 541).
2. Vor diesem Hintergrund muss die Revisionsbegründung mitteilen, über welche Kenntnisse und Hinweise bezüglich etwaiger Verständigungsgespräche der Revisionsverteidiger und der Angeklagte – gegebenenfalls nach zumutbarer Einholung entsprechender Auskünfte beim Instanzverteidiger – verfügen (BVerfG NStZ 2014, 592, 594), weil nur so das Revisionsgericht die Beruhensfrage prüfen kann. Fehlt es an entsprechenden Darlegungen und fehlt es auch sonst an jeglichem Anhaltspunkt dafür, dass auf eine Verständigung gerichtete Gespräche stattgefunden haben, ist eine auf die Verletzung des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO gestützte Verfahrensrüge nicht zulässig erhoben.
1. Der Revisionsführer muss die den Mangel enthaltenden Tatsachen so vollständig und genau angeben, dass das Revisionsgericht allein aufgrund der Begründungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen werden (vgl. BGHSt 3, 213, 214).
2. Der Revisionsvortrag muss aus sich heraus so verständlich sein, dass das Revisionsgericht ohne weiteres daran anknüpfen kann. In diesem Zusammenhang kann es im Einzelfall zwar ausreichen, wenn die Revision auf bereits im Rahmen einer anderen Rüge vorgebrachtes Verfahrensgeschehen verweist (vgl. BGH StV 2010, 676). Es ist aber nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, den Revisionsvortrag aus verschiedenen Unterlagen jeweils an passender Stelle zu ergänzen und dabei den Sachzusammenhang selbst herzustellen (vgl. BGH NStZ 2005, 463).
3. Die Auslegung von Verträgen ist ein wertender Akt, weil sie unterschiedliche Aspekte in einer richterlichen Feststellung zusammenführt. Deshalb gelten die für die revisionsgerichtliche Kontrolle der tatrichterlichen Beweiswürdigung aufgestellten Regeln ebenso für die Würdigung von Erklärungen, Verträgen oder Urkunden durch den Tatrichter. Die revisionsrichterliche Kontrolle beschränkt sich auf die Prüfung, ob ein Verstoß gegen Sprach- und Denkgesetze, Erfahrungssätze oder allgemeine Auslegungsregeln vorliegt.
4. Die Erlangung einer Grundbuchberichtigung hat keinen Vermögenswert und stellt demnach auch keine Vermögensverfügung und keinen Schaden dar, wenn das Grundeigentum bereits zuvor durch die wirksame Übertragung eines Erbteils übergegangen war.
Als verfahrensgestaltende Prozesserklärung muss die Einlegung der Revision nicht nur den unbedingten Anfechtungswillen des Erklärenden erkennen lassen. Bei mehreren Anfechtungsberechtigten muss die Rechtsmitteleinlegung auch die Person des Rechtsmittelführers eindeutig bezeichnen. Zwar kann diese Prozesserklärung gegebenenfalls, ähnlich wie in dem Fall, in dem mehrere Rechtsmittel zulässig sind und unklar bleibt, welches eingelegt werden soll, unter Berücksichtigung des Gesamtinhalts der Verfahrenserklärungen und der Erklärungsumstände so ausgelegt werden, dass die umfassendste Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung ermöglicht wird. Voraussetzung dafür ist indes, dass die für die Auslegung erheblichen Umstände innerhalb der für die Einlegung des Rechtsmittels geltenden Frist erkennbar werden.
Zwar braucht eine Veränderung oder Erweiterung des Tatzeitraums die Identität zwischen Anklage und abgeurteilter Tat nicht aufzuheben, wenn die in der Anklage beschriebene Tat unabhängig von der Tatzeit nach anderen Merkmalen individualisiert und dadurch weiterhin als einmaliges, unverwechselbares Geschehen gekennzeichnet ist (st. Rspr.). Bei gleichartigen, nicht durch andere individuelle Tatmerkmale als die Tatzeit unterscheidbaren Serientaten heben dagegen Veränderungen und Erweiterungen des Tatzeitraumes die Identität zwischen angeklagten und abgeurteilten Taten auf.
Zwar ist der Tatrichter grundsätzlich nicht gehalten, im Urteil Zeugenaussagen in allen Einzelheiten wiederzuge-
ben. In Fällen, in denen die Verurteilung im Wesentlichen auf der Aussage einer Belastungszeugin beruht und diese sich entgegen früheren Vernehmungen teilweise abweichend erinnert, müssen aber jedenfalls die entscheidenden Teile ihrer bisherigen Aussagen in das Urteil aufgenommen werden, da dem Revisionsgericht ohne Kenntnis des wesentlichen Aussageinhalts ansonsten die sachlich-rechtliche Überprüfung der Beweiswürdigung verwehrt ist (vgl. BGH NStZ 2012, 110, 111).
Die zivilrechtliche Beweislastregel, wonach der Schädiger die Beweislast für seine Deliktsunfähigkeit (vgl. § 827 BGB) trägt, gilt auch im Adhäsionsverfahren. Dabei handelt es sich zwar um ein dem Strafverfahren anhängendes Verfahren, bei dem die strafprozessualen Regeln für die Ermittlung des Sachverhalts und die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten gelten. Für die sich daraus ergebenden vermögensrechtlichen Ansprüche gelten indes die Vorschriften des Zivilrechts. Ansonsten stünde der Schädiger im Adhäsionsverfahren günstiger als im Zivilprozess.
Eine Erstreckung der Aufhebung der Feststellungen nach § 111i Abs. 2 StPO auf nicht revidierende Verfallsbeteiligte gemäß § 357 Satz 1 StPO ist nicht geboten. Zwar ist diese Vorschrift grundsätzlich auch auf Verfallsentscheidungen anzuwenden. Dies gilt aber nicht, soweit der Rechtsfehler lediglich in der Nichtanwendung der Härtevorschrift des § 73c StGB besteht. Die Frage, ob wegen einer unbilligen Härte im Sinne des § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB oder – bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB – auf Grund tatrichterlichen Ermessens von einer Verfallsentscheidung abzusehen ist, beruht grundsätzlich auf individuellen Erwägungen, deren Beantwortung ganz wesentlich von den persönlichen Verhältnissen des jeweils Betroffenen abhängt (vgl. BGH NStZ 2008, 565, 567).
1. Der Grundsatz „in dubio pro reo“ ist keine Beweis-, sondern eine Entscheidungsregel, die das Gericht erst dann zu befolgen hat, wenn es nach abgeschlossener Beweiswürdigung nicht die volle Überzeugung von der Täterschaft zu gewinnen vermag. Auf einzelne Elemente der Beweiswürdigung ist er grundsätzlich nicht anzuwenden.
2. Spricht das Tatgericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft oder, wie hier, am Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen eines strafbaren Verhaltens nicht zu überwinden vermag, ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt.
3. Rechtsfehlerhaft ist es auch, wenn sich das Tatgericht bei seiner Beweiswürdigung darauf beschränkt, die einzelnen Belastungsindizien gesondert zu erörtern und auf ihren jeweiligen Beweiswert zu prüfen, ohne eine Gesamtabwägung aller für und gegen die Täterschaft sprechenden Umstände vorzunehmen. Denn einzelne Belastungsindizien, die für sich genommen zum Beweis der Täterschaft nicht ausreichen, können doch in ihrer Gesamtheit die für eine Verurteilung notwendige Überzeugung des Tatgerichts begründen. Deshalb bedarf es einer Gesamtabwägung aller für und gegen die Täterschaft sprechenden Umstände. Der revisionsgerichtlichen Überprüfung unterliegt zudem, ob überspannte Anforderungen an die für die Verurteilung erforderliche Gewissheit gestellt worden sind (st. Rspr.).
4. Nach § 46a Nr. 1 StGB kann zwar das ernsthafte Bemühen des Täters um Wiedergutmachung, das darauf gerichtet ist, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen, genügen. Die Vorschrift setzt aber nach der gesetzgeberischen Intention (BT-Drucks. 12/6853, S. 21, 22) und nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs einen kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer voraus, der auf einen umfassenden, friedensstiftenden Ausgleich der durch die Straftat verursachten Folgen angelegt sein muss. Das einseitige Wiedergutmachungsbestreben ohne den Versuch der Einbeziehung des Opfers genügt nicht (vgl. BGH NStZ 2003, 29).
Das Recht zur Gegenerklärung im Sinne des § 349 Abs. 3 StPO ermöglicht nicht, Verfahrensrügen nachträglich formgerecht zu begründen (vgl. BGH wistra 2010, 312).
1. Ob die Veränderung eines tatsächlichen Umstandes zu einer Hinweispflicht in entsprechender Anwendung des § 265 Abs. 1 StPO führt, hängt davon ab, ob sie in ihrem Gewicht der Veränderung eines rechtlichen Gesichtspunktes gleichsteht, auf die sich § 265 Abs. 1 StPO unmittelbar bezieht (vgl. BGHSt 19, 88, 89). Dabei kommt es auf den Einzelfall an. Bei einer im Tatsächlichen ungenauen Fassung der Anklageschrift ist ein Hinweis entsprechend § 265 StPO grundsätzlich nicht vorgeschrieben, wenn im Laufe der Hauptverhandlung nähere Konkretisierungen von Einzelfällen durch die genauere Beschreibung von Tatmodalitäten oder Begleitumständen ergeben. Ein Hinweis kann nur ausnahmsweise geboten sein, etwa um das Recht des Angeklagten auf rechtliches Gehör oder den Schutz vor Überraschungsentscheidungen zu gewährleisten (vgl. BGHSt 48, 221, 224 ff).
2. Wird die verletzte Hinweispflicht aus einer entsprechenden Anwendung des § 265 Abs. 1 StPO hergeleitet, weil es in der Hauptverhandlung zu einer Veränderung der tatsächlichen Urteilsgrundlage oder zu einer Konkretisierung eines allgemein gefassten Anklagesatzes gekommen ist, muss die Revision auch zum Verlauf der die veränderten Punkte betreffenden Beweisaufnahme vortragen. Andernfalls vermag das Revisionsgericht nicht zu beurteilen, ob der Angeklagte bereits aus dem Gang der Verhandlung erfahren hat, dass das Gericht die Verurteilung auf eine andere tatsächliche Grundlage stellen will und der vermisste konkrete Hinweis deshalb nicht mehr erforderlich war.