HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 52
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 416/14, Beschluss v. 06.11.2014, HRRS 2015 Nr. 52
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 22. April 2014 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten, mit der er allgemein die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung sowie zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
1. Nach den Feststellungen führte der Angeklagte am Morgen des Tattages eine Begegnung mit seiner von ihm getrennt lebenden Ehefrau, der Nebenklägerin, herbei, "zumindest um ein Gespräch mit ihr zu erzwingen." Er wusste, dass sie um 9.30 Uhr ihre Arbeit in einem Restaurant aufzunehmen hatte und mit dem in der unverschlossenen (Doppel-)Garage abgestellten Fahrrad zur Arbeitsstelle zu fahren pflegte. Er begab sich in die Garage, verschloss diese von innen und stellte das Fahrrad seiner Ehefrau nach hinten, damit sie weiter in die Garage hineingehen musste. Dann versteckte er sich hinter dem Pkw des Nachbarn auf der anderen Seite der Doppelgarage und rauchte Zigaretten. Er beabsichtigte, sich erst zu erkennen zu geben, wenn seine Ehefrau ihr Fahrrad erreicht und ergriffen hatte, um es herauszuschieben. Die Nebenklägerin öffnete das Garagentor mit einem zuvor aus ihrer Wohnung geholten Schlüssel. Als sie stärkeren Tabakgeruch wahrnahm, schaute sie sich nach dem Angeklagten um, entdeckte aber weder ihn noch sein entgegen seinen Gepflogenheiten etwas weiter entfernt geparktes Fahrzeug. In der Annahme, dass sich ihr Ehemann jedenfalls jetzt nicht mehr in der Garage aufhalten würde, ging sie zu ihrem Fahrrad und ergriff den Lenker. In diesem Moment sprang der Angeklagte hinter dem Pkw hervor; er schloss zügig das Garagentor. Sodann ging er schnell auf seine Ehefrau zu und fragte sie unter anderem: "Mit wem hast du Hündin gestern telefoniert? Mit einem R. ?"; seine Ehefrau entgegnete, dass ihn das nichts angehe. Daraufhin legte er von hinten den linken Arm um ihren Oberkörper und zog sie rückwärts so nahe an sich heran, dass sie seinen Körper spürte. Während er sie auf diese Weise festhielt, holte er mit der rechten Hand einen bislang unter seiner Kleidung verborgenen, ca. 30 cm langen Fleischspieß hervor und hielt ihn seiner Ehefrau vorne etwa mittig an ihren Hals; diese spürte "etwas Spitzes". Das Schwurgericht hat nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen können, ob der Angeklagte diesen Spieß bereits mitgebracht oder in der Garage gefunden und in seine Kleidung gesteckt hatte. Auf seine Bemerkung "Ich bringe dich jetzt um" erwiderte die Zeugin: "Dann bring mich doch um". In diesem Augenblick stieß der Angeklagte den Spieß kräftig mit der Spitze in ihren Hals, "wobei er ihre Tötung zumindest billigend in Kauf nahm und die von ihm zuvor geschaffene Überraschungssituation bewusst zur Tatausführung ausnutzte." Der Geschädigten gelang es nicht, die Hand des Angeklagten mit dem Spieß wegzuziehen. Nach ihrem Empfinden stach er sodann den Fleischspieß noch tiefer in ihren Hals. Kurze Zeit später sackte sie zusammen und der Angeklagte zog den Spieß aus der Wunde. Dabei nahm er an, dass seine Frau lebensgefährlich verletzt sei und sterben werde. Er ging noch längere Zeit in der Garage umher, ohne sich um die Nebenklägerin zu kümmern; diese stellte sich tot. Schließlich verließ er die Garage, zog das Tor von außen zu und verschloss es. Auch zu diesem Zeitpunkt ging er weiterhin davon aus, dass er seine Ehefrau so schwer verletzt hatte, dass sie sterben würde. Die Geschädigte konnte jedoch auf sich aufmerksam machen und wurde zunächst notärztlich und sodann stationär in einem Klinikum medizinisch versorgt und gerettet.
2. Das Landgericht ist von einem versuchten Heimtückemord ausgegangen. Die Geschädigte sei im Zeitpunkt des Betretens ihrer Garage arg- und wehrlos gewesen. Sie habe sich vergewissert, dass ihr Mann sich nicht in ihrer Nähe aufhalte und deshalb nicht mit einem erheblichen Angriff gegen ihre körperliche Unversehrtheit gerechnet. Das habe der Angeklagte gewusst, der sich auch darüber im Klaren gewesen sei, dass die Geschädigte infolge ihrer Arglosigkeit wehrlos gewesen sei, also insbesondere keine effektive Gegenwehr habe leisten können. Die Wehrlosigkeit sowie das Ausnutzungsbewusstsein zeigten sich "maßgeblich" in der Auswahl des Tatorts und dem planmäßigen Vorgehen des Angeklagten. Er habe das Fahrrad bewusst in den hinteren Bereich der Garage geschoben, um zu erreichen, dass sie weiter in diese habe hineingehen müssen. Er habe sie auf diese Weise überrascht, als er aus dem Versteck hervorgetreten sei und das Garagentor geschlossen habe. Anschließend habe er ihren Oberkörper von hinten umfasst und sie festgehalten, um ihr auch insoweit keine körperliche Gegenwehr zu ermöglichen.
Die Verurteilung wegen eines versuchten Heimtückemordes gemäß § 211 Abs. 2, §§ 22, 23 Abs. 1 StGB begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
1. Die Feststellungen belegen nicht, dass der Angeklagte zur heimtückischen Tötung seiner Ehefrau unmittelbar angesetzt hat.
Heimtückisch handelt, wer in feindseliger Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Wesentlich ist, dass der Mörder sein Opfer, das keinen Angriff erwartet, also arglos ist, in einer hilflosen Lage überrascht und dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren. Maßgebend für die Beurteilung ist die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs (st. Rspr.; vgl. u.a. BGH, Urteil vom 27. Juni 2006 - 1 StR 113/06, NStZ 2006, 502 mwN). Für das bewusste Ausnutzen von Arg- und Wehrlosigkeit ist es erforderlich, dass der Täter diese in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (vgl. hierzu zuletzt BGH, Urteil vom 31. Juli 2014 - 4 StR 147/14). Die Rechtsprechung hat den Grundsatz, dass Heimtücke Arglosigkeit des Angegriffenen bei Tatbeginn voraussetzt, für einzelne typische Ausnahmefälle modifiziert (vgl. BGH, Urteile vom 17. Januar 1968 - 2 StR 523/67, BGHSt 22, 77, 79 f., und vom 4. Juli 1984 - 3 StR 199/84, BGHSt 32, 382, 385 f.; Beschluss vom 4. Juni 2013 - 4 StR 180/13). Ein solcher Ausnahmefall liegt etwa vor, wenn der Täter das Opfer mit Tötungsvorsatz planmäßig in einen Hinterhalt lockt, um eine günstige Gelegenheit zur Tötung zu schaffen, und die entsprechenden Vorkehrungen und Maßnahmen bei Ausführung der Tat noch fortwirken (BGH, Urteil vom 17. Januar 1968, aaO; Beschluss vom 7. April 1989 - 3 StR 83/89, NStZ 1989, 364; Urteile vom 14. Juni 1960 - 1 StR 73/60, und vom 9. Dezember 1980 - 1 StR 620/80). Nach diesen Maßstäben ist hier nicht belegt, dass der Angeklagte heimtückisches Vorgehen in seine Vorstellung aufgenommen hatte, als er zur Tötung seiner Ehefrau unmittelbar ansetzte:
Das Landgericht ist zu Gunsten des Angeklagten davon ausgegangen, dass er seine Tatvorbereitungen "zumindest" traf, "um ein Gespräch mit (seiner Ehefrau) zu erzwingen". Tötungsvorsatz lässt sich dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe erst für den Zeitpunkt entnehmen, indem er die Geschädigte von hinten umklammerte, ihr die Spitze des Fleischspießes an den Hals hielt und ihr sagte: "Ich bringe Dich jetzt um". Mit dieser Äußerung und dem unmittelbar darauf folgenden Tatgeschehen hat das Schwurgericht seine Annahme begründet, der Angeklagte habe "zumindest mit bedingtem Tötungsvorsatz" gehandelt. Dann aber war die Geschädigte in dem Moment, in dem der Angeklagte zustach, also bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs, nicht mehr arglos. Denn der Angeklagte hatte von hinten den linken Arm um ihren Oberkörper gelegt und ihr die Spitze des Spießes spürbar an den Hals gehalten; in dieser Situation hatte er ihr angekündigt, sie zu töten. Die Annahme eines versuchten Heimtückemordes kann hier auch nicht auf die aufgezeigte Ausnahme von dem Grundsatz, dass Heimtücke Arglosigkeit des Angegriffenen bei Tatbeginn voraussetzt, gestützt werden. Denn auch in den Fällen, in denen der Täter das Opfer in eine Falle lockt, hat die Rechtsprechung stets daran festgehalten, dass der Täter bereits in diesem Moment mit Tötungsvorsatz handelt (BGH, Urteile vom 4. Juli 1984 - 3 StR 199/84, BGHSt 32, 382, 384, vom 11. März 2003 - 1 StR 507/02 [Rn. 32], und vom 10. Februar 2010 - 2 StR 503/09, NStZ 2010, 450). Daran fehlt es hier: Sämtliche Verhaltensweisen des Angeklagten, die das Landgericht auf UA 22 f. zum Beleg der Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers anführt, liegen vor dem Zeitpunkt, in dem der Angeklagte nach den bisherigen Feststellungen erstmals seinen Tötungsvorsatz gefasst hat.
2. Der aufgezeigte Mangel zwingt auch zur Aufhebung der Verurteilung wegen tateinheitlich begangener gefährlicher Körperverletzung (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Juni 2000 - 4 StR 211/00; Gericke in KK-StPO, 7. Aufl., § 353 Rn. 12 mwN), sodass es nicht darauf ankommt, ob das Landgericht rechtsfehlerfrei von einer Körperverletzung mittels eines hinterlistigen Überfalls gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB ausgegangen ist.
Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass es sich empfehlen dürfte, die Herkunft der Tatwaffe zu klären. Jedenfalls ist der Zeitpunkt zu bestimmen, zu dem der Angeklagte (spätestens) den Fleischspieß in seiner Kleidung verborgen hat. Auch erscheint es ohne nähere Erläuterung widersprüchlich, wenn der Tatrichter davon ausgeht, der Angeklagte habe zumindest ein Gespräch mit seiner Ehefrau erzwingen wollen (UA 9), in der Beweiswürdigung jedoch zur Widerlegung der einen Tötungsvorsatz bestreitenden Einlassung des Angeklagten maßgeblich darauf abhebt, der Angeklagte habe in Kenntnis des Arbeitsbeginns seiner Ehefrau gewusst, dass für ein klärendes Gespräch gar keine Zeit gewesen sei (UA 19).
HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 52
Externe Fundstellen: NStZ 2015, 31; StV 2015, 284
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel