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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
November 2014
15. Jahrgang
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1. Hat es der hierfür verantwortliche Polizeibeamte unterlassen, nach einer ohne richterliche Entscheidung erfolgten Ingewahrsamnahme oder Festnahme, an der er selbst nicht beteiligt war, die für die Fortdauer der Freiheitsentziehung erforderliche unverzügliche Vorführung beim Richter vorzunehmen bzw. die für sie gebotene richterliche Entscheidung unverzüglich herbeizuführen, ist dies geeignet, den Vorwurf der Freiheitsberaubung durch Unterlassen zu begründen. (BGHSt)
2. Jedoch entfällt die Kausalität eines solchen Unterlassens jedenfalls dann, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass der zuständige Richter bei unverzüglicher Vorführung und rechtmäßiger Entscheidung – unter Ausschöpfung ihm zustehender Beurteilungsspielräume zugunsten des Angeklagten – die Fortdauer der Freiheitsentziehung angeordnet hätte. (BGHSt)
3. Pflichtwidrig handelt, wer objektiv gegen eine Sorgfaltspflicht verstößt, die gerade dem Schutz des beeinträchtigten Rechtsguts dient. Dabei bestimmen sich Art und Maß der anzuwendenden Sorgfalt nach den Anforderungen, die bei objektiver Betrachtung der Gefahrenlage ex ante an einen besonnenen und gewissenhaften Menschen in der konkreten Lage und sozialen Rolle des Handelnden zu stellen sind. Nicht entscheidend ist dagegen, ob die Pflichtwidrigkeit durch ein aktives Tun begangen wurde oder in einem Unterlassen begründet ist. Zu den Pflichten eines für den Gewahrsamsvollzug verantwortlichen Polizeibeamten. (Bearbeiter)
4. Die Vorhersehbarkeit erfordert nicht, dass der Angeklagte die Folgen seines Nicht-Handelns in allen Einzelheiten voraussehen konnte; vielmehr genügt, dass sie in ihrem Gewicht im Wesentlichen voraussehbar waren. Tritt der Erfolg durch das Zusammenwirken mehrerer Umstände ein, müssen dem Täter alle - jedoch ebenfalls nicht in allen Einzelheiten - erkennbar sein. Eine gänzlich vernunftswidrige Handlungsweise eines Getöteten kann die Vorhersehbarkeit des Erfolgs zwar entfallen lassen. Anderes gilt jedoch dann, wenn der Angeklagte mit irrationalen Handlungen gerade rechnen musste und verpflich-
tet war, drohende Folgen abzuwenden. Zudem entfällt in solchen Fällen die Vorhersehbarkeit nur, wenn der Getötete zu einer freien Entscheidung fähig war, er mithin insbesondere nicht stark betrunken war. (Bearbeiter)
5. Unvermeidbar ist ein Verbotsirrtum nur, wenn der Täter trotz der ihm nach den Umständen des Falles, seiner Persönlichkeit sowie seines Lebens- und Berufskreises zuzumutenden Anspannung des Gewissens die Einsicht in das Unrechtmäßige seines Handelns nicht zu gewinnen vermochte (st. Rspr.). (Bearbeiter)
6. Die Rechtsprechung fasst die Abgrenzung zwischen Tun und Unterlassen als Wertungsfrage auf, die nicht nach rein äußeren oder formalen Kriterien zu entscheiden ist, sondern eine wertende (normative) Betrachtung unter Berücksichtigung des sozialen Handlungssinns verlangt. Maßgeblich ist insofern, wo der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit liegt. (Bearbeiter)
7. Die in § 163c Abs. 2 StPO und § 40 Abs. 2 SOG LSA geregelte 12-Stunden-Frist, auf die sich der Angeklagte beruft, setzt dem Festhalten einer Person zur Identitätsfeststellung lediglich eine äußerste Grenze, befreit aber nicht von der Verpflichtung, eine richterliche Entscheidung unverzüglich herbeizuführen. (Bearbeiter)
1. § 4a Abs. 2 Nr. 1 RVG begründet kraft Gesetzes eine Garantenstellung des Rechtsanwalts, der vor Abschluss einer Erfolgshonorarvereinbarung seinen Mandanten über die voraussichtliche gesetzliche Vergütung aufzuklären hat. (BGHSt)
2. Um dem Mandanten zu verdeutlichen, dass der Verzicht des Anwalts auf eine Vergütung im Misserfolgsfall mit der Verpflichtung zur Zahlung eines – gegebenenfalls hohen – Zuschlags im Erfolgsfall verbunden ist, sieht § 4a Abs. 2 Nr. 1 RVG u.a. die Angabe der voraussichtlichen gesetzlichen Vergütung vor (BT-Drucks. 16/8384 S. 11). Demnach ist es gerechtfertigt, aus dieser Aufklärungs- und Informationspflicht des Anwalts eine Garantenstellung kraft Gesetzes im Sinne des § 13 Abs. 1 StGB zu entnehmen. (Bearbeiter)
Wenn ein Unfallbeteiligter, noch bevor er die Unfallstelle verlässt, eine eigene Verletzung bemerkt (hier: massiv blutende Fingerkuppe), und die Unfallstelle zumindest auch deshalb verließ, um seine Verletzung versorgen zu lassen, kann sein Entfernen vom Unfallort gerechtfertigt sein.
Mittäterschaft eines nicht am Kerngeschehen Beteiligten setzt jedenfalls einen das unmittelbar tatbestandsmäßige Handeln anderer Mittäter fördernden Tatbeitrag voraus. Ein solcher lässt sich nicht ohne Weiteres allein aus dem Umstand ableiten, dass der Beteiligte in einen gemeinsam gefassten, auf die Begehung zwar gleichartiger, im Einzelnen aber noch unbestimmter Taten gerichteten Tatplan eingebunden war.
Täter des § 252 StGB kann nicht derjenige sein, der weder selbst im Besitz der entwendeten Sache ist, noch am Diebstahl mittäterschaftlich beteiligt war.
1. Sind an einer Deliktserie mehrere Personen als Mittäter, mittelbare Täter, Anstifter oder Gehilfen beteiligt, ist die Frage, ob die einzelnen Taten tateinheitlich oder tatmehrheitlich zusammentreffen, bei jedem Beteiligten gesondert zu prüfen und zu entscheiden.
2. Maßgeblich ist dabei der Umfang des erbrachten Tatbeitrags. Leistet ein Mittäter für alle oder einige Einzeltaten einen individuellen, nur je diese fördernden Tatbeitrag, so sind ihm diese Taten – soweit keine natürliche Handlungseinheit vorliegt – als tatmehrheitlich begangen zuzurechnen. Fehlt es an einer solchen individuellen Tatförderung, erbringt der Täter aber im Vorfeld oder während des Laufs der Deliktserie Tatbeiträge, durch die alle oder mehrere Einzeltaten seiner Tatgenossen gleichzeitig gefördert werden, sind ihm die gleichzeitig geförderten einzelnen Straftaten als tateinheitlich begangen zuzurechnen, da sie in seiner Person durch den einheitlichen Tatbeitrag zu einer Handlung im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB verknüpft werden. Ohne Bedeutung ist dabei, ob die Mittäter die einzelnen Delikte tatmehrheitlich begangen haben (st. Rspr.).
1. Nach § 261 Abs. 5 StGB muss sich die leichtfertige Verkennung des Täters auf die Herkunft des jeweiligen Vermögensgegenstandes aus einer in § 261 Abs. 1 StGB genannten Katalogtat beziehen. Dazu ist die Feststellung konkreter Umstände erforderlich, denen der Täter eine Katalogtat des Geldwäschetatbestandes als Vortat hätte entnehmen können (BGHSt 43, 158, 168).
2. Von der materiellen Beendigung einer Tat des Computerbetruges im Sinne von § 263a StGB, bei der auf Grund einer Manipulation von Datenverarbeitungsvorgängen ein Geldbetrag vom Konto des Geschädigten auf ein Empfängerkonto geleitet wird, ist erst auszugehen, wenn entweder das überwiesene Geld vom Empfängerkonto abgehoben oder auf ein zweites Konto weiterüberwiesen worden ist (vgl. BGH wistra 2012, 302, Tz. 7).
1. Voraussetzung heimtückischer Begehungsweise ist, dass der Täter die von ihm erkannte Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tatbegehung ausnutzt (vgl. BGHSt 11, 139, 144). Er muss die Lage nicht nur in einer äußerlichen Weise wahrgenommen, sondern in ihrer Bedeutung für die Tatbegehung erfasst haben und ihm muss bewusst gewesen sein, einen durch Ahnungslosigkeit gegenüber dem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (vgl. BGH NStZ 2009, 569, 570); das kann allerdings „mit einem Blick“ geschehen (vgl. BGHSt 23, 119, 121).
2. Dabei kann die Spontanität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des Täters ein Beweisanzeichen dafür sein, dass ihm das Ausnutzungsbewusstsein fehlte. Andererseits hindert nicht jede affektive Erregung oder heftige Gemütsbewegung einen Täter daran, die Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers für die Tat zu erkennen; dies ist vielmehr eine vom Tatgericht zu bewertende Tatfrage (vgl. BGH NStZ 2013, 232, 233 mwN).
3. Ob die Arglosigkeit auch dann ausgeschlossen ist, wenn die Kontrahenten ausdrücklich oder zumindest konkludent einen Faustkampf ohne Waffen verabredet haben, aber der Täter abredewidrig und überraschend mit Tötungsvorsatz eine Waffe einsetzt, bleibt offen.
4. Für das Vorliegen des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe muss zur objektiven Bewertung der Handlungsantriebe als „niedrige Beweggründe“ hinzukommen, dass sich der Täter bei der Begehung der Tat auch der Umstände bewusst ist, die seine Beweggründe für die Rechtsgemeinschaft als niedrig erscheinen lassen (vgl. BGHSt 47, 128, 133). Er muss diese Beweggründe gedanklich beherrschen und willensmäßig steuern können (vgl. BGH NStZ 2012, 691, 692). Das kann bei einer affektiven Anspannung auch aufgrund einer Persönlichkeitsstörung ausgeschlossen sein (vgl. BGH NStZ 2007, 525), erst recht, wenn weitere Faktoren, wie eine Alkoholisierung, hinzukommen.
Wird Metallschrott in einen Transporter auf dem Betriebsgelände und damit noch innerhalb der Gewahrsamssphäre des geschädigten Eigentümers verladen, hat der Angeklagte den Gewahrsam des Eigentümers lediglich gelockert und selbst noch keinen eigenen Gewahrsam an dem Diebesgut begründet. Es kommt nur eine Verurteilung wegen versuchten Diebstahls in Betracht.
Nach ständiger Rechtsprechung des Senats liegt ein vollendeter gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr im Sinne des § 315b Abs. 1 StGB erst dann vor, wenn durch eine der in § 315b Abs. 1 Nr. 1 bis 3 StGB genannten Tathandlungen eine Beeinträchtigung der Sicherheit des Straßenverkehrs herbeigeführt worden ist und sich diese abstrakte Gefahrenlage zu einer konkreten Gefährdung von Leib und Leben eines anderen Menschen oder fremder Sachen von bedeutendem Wert verdichtet hat (vgl. BGHSt 48, 119, 122).