HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

November 2014
15. Jahrgang
PDF-Download

V. Wirtschaftsstrafrecht und Nebengebiete


Entscheidung

982. BGH 1 StR 494/13 - Urteil vom 28. Januar 2014 (LG Deggendorf)

BGHSt; fahrlässige Tötung und Totschlag (objektive Zurechnung: eigenverantwortliche Selbstgefährdung: Handlungsherrschaft des Substitutionsarztes); begründete Anwendung bei der ärztlichen Verschreibung von Betäubungsmitteln im Rahmen der Substitutionstherapie opiatabhängiger Patienten (Take-Home-Verordnung: stabile Einstellung und Kontrolle des Beikonsums; BtMVV; Richtlinien zur Durchführung der substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger: Vorsatz und Bewertung nach der Richtlinie).

§ 222 StGB; § 212 StGB; § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a BtMG; § 13 Abs. 1 BtMG; § 5 BtMVV; § 15 StGB

1. Zur „begründeten Anwendung“ im Sinne von § 13 Abs. 1 BtMG bei der ärztlichen Verschreibung von Betäubungsmitteln im Rahmen der Substitutionstherapie opiatabhängiger Patienten. (BGHSt)

2. Die Stellung als behandelnder Substitutionsarzt eines opiatabhängigen Patienten als solche begründet keine Handlungsherrschaft des Arztes bei missbräuchlicher Verwendung des verschriebenen Substitutionsmedikaments durch den Patienten. Ein Arzt kann in solchen Konstellationen lediglich als Täter eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts strafbar sein, wenn die selbstschädigende oder selbstgefährdende Handlung des Patienten nicht eigenverantwortlich erfolgte. (BGHSt)

3. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a i.V.m. § 13 Abs. 1 BtMG im Hinblick auf die Anforderungen des Bestimmtheitsgrundsatzes des Art. 103 Abs. 2 GG bestehen nicht. (Bearbeiter)

4. Bei der Anwendung von § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a BtMG ist ungeachtet der Konkretisierungen der Bedingungen von Suchttherapien vor allem durch § 5 BtMVV dem Arzt eine gewisse Therapiefreiheit zu belassen. Zur Ausfüllung dessen kann auf die von der Bundesärztekammer zuletzt am 19. Februar 2010 verabschiedeten Richtlinien zur Durchführung der substitutionsgestützten Behandlung Opiatabhängiger bzw. deren Vorgängerrichtlinien abgestellt werden. (Bearbeiter)


Entscheidung

1047. BGH 3 StR 437/12 - Urteil vom 4. September 2014 (LG Lüneburg)

Inverkehrbringen verbotener Arzneimittel (synthetische Cannabinoide; Arzneimittelbegriff; Stoffe ohne gesundheitsfördernde Wirkung keine Arzneimittel, richtlinienkonforme Auslegung des Arzneimittelbegriffs; Vorlage).

§ 95 Abs. 1 Nr. 1 AMG; § 2 Abs. 1 Nr. 2 AMG; § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG; Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83/EG vom 6. November 2001 in der durch die Richtlinie 2004/27/EG geänderten Fassung

Stoffe, die nicht als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder Linderung oder zur Verhütung menschlicher oder tierischer Krankheiten oder krankhafter seelischer Beschwerden bestimmt sind – hier: synthetische Cannabinoide – unterfallen weder dem Begriff des Funktionsarzneimittels (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 AMG), noch dem des Präsentationsarzneimittels (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG). Daran ändert auch die Eignung, die physiologischen Funktionen zu beeinflussen nichts, sofern die Stoffe dem Funktionieren des menschlichen Organismus und damit der Gesundheit nicht zuträglich sind (in Übernahme von EuGH NStZ 2014, 461).


Entscheidung

996. BGH 2 StR 221/14 - Beschluss vom 24. Juli 2014 (LG Aachen)

Untreue (hier: Missbrauch eines Anwaltsanderkonto; Vermögensnachteil: fälliger Geldanspruch des Täters als Kompensation); Strafzumessung (Berücksichtigung von anwaltsrechtlichen Sanktionen); Berufsverbot (Voraussetzungen).

§ 266 Abs. 1 StGB; § 46 Abs. 1 StGB; § 114 Abs. 1 BRAO; § 70 Abs. 1 StPO

1. Ein Rechtsanwalt, der sich im Rahmen eines bestehenden Anwaltsvertrages zur Weiterleitung bestimmte Fremdgelder auf sein Geschäftskonto einzahlen lässt und weder uneingeschränkt bereit noch jederzeit fähig ist, einen entsprechenden Betrag aus eigenen flüssigen Mitteln vollständig auszukehren, begeht eine Untreue (vgl. BGH NStZ-RR 2004, 54).

2. Zwar fehlt es an einem Vermögensnachteil, wenn der Täter einen fälligen Geldanspruch gegen das von ihm treuhänderisch verwaltete Vermögen hat und hierüber in entsprechender Höhe zu eigenen Gunsten verfügt, so dass der Treugeber von einer bestehenden Verbindlichkeit befreit wird. Dies setzt aber voraus, dass die Verwendung der Mandantengelder nicht mit dem Vorsatz rechtswidriger Bereicherung erfolgt, sondern tatsächlich dem Zweck dient, bestehende Honoraransprüche zu befriedigen (vgl. BGH NStZ-RR 1997, 298, 299).

3. Anwaltsrechtliche Sanktionen nach § 114 Abs. 1 BRAO sind als Nebenwirkungen einer strafrechtlichen Verurteilung gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 StGB aber bereits bei der Bemessung der Einzelstrafen zu berücksichtigen, wenn der Rechtsanwalt durch sie seine berufliche und wirtschaftliche Basis verliert (vgl. BGH StV 2010, 479 f.).

4. Zwar kann ein Berufsverbot grundsätzlich auch neben einer Bewährungsstrafe verhängt werden, etwa dann, wenn der Gefahr weiterer Straftaten gerade durch das Berufsverbot entgegengesteuert werden kann (vgl. BGH NStZ-RR 2004, 54); dies erfordert aber eine Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls (vgl. BGH NStZ 2010, 170, 171), in deren Rahmen hier auch zu berücksichtigen gewesen wäre, dass die Verhängung eines Berufsverbots dann ausscheidet, wenn zu erwarten ist, dass der Angeklagte bereits durch die Verurteilung zu der verhängten Strafe oder jedenfalls durch deren Verbüßung von weiteren Taten abgehalten werden kann (BGH NStZ 1995, 124).