hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2014 Nr. 1023

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 259/14, Beschluss v. 27.08.2014, HRRS 2014 Nr. 1023


BGH 4 StR 259/14 - Beschluss vom 27. August 2014 (LG Magdeburg)

Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort (berechtigtes oder entschuldigtes Sich Entfernen; rechtfertigender Notstand).

§ 142 StGB; § 34 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Wenn ein Unfallbeteiligter, noch bevor er die Unfallstelle verlässt, eine eigene Verletzung bemerkt (hier: massiv blutende Fingerkuppe), und die Unfallstelle zumindest auch deshalb verließ, um seine Verletzung versorgen zu lassen, kann sein Entfernen vom Unfallort gerechtfertigt sein.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 6. Februar 2014 mit den Feststellungen aufgehoben

a) soweit der Angeklagte wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort verurteilt worden ist,

b) im Gesamtstrafenausspruch.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte sowie wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und Maßregeln nach §§ 69, 69a StGB angeordnet. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

Die Verurteilung wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die vom Landgericht insoweit getroffenen Feststellungen sind lückenhaft; sie erlauben nicht die Prüfung, ob sich der Angeklagte möglicherweise berechtigt oder entschuldigt vom Unfallort entfernt hat (vgl. § 142 Abs. 2 Nr. 2 StGB). Ausweislich der Urteilsgründe lief der Angeklagte nach dem von ihm verursachten Unfall einem Fluchtimpuls folgend zu dem Pkw seines Bekannten N. W., der an der Unfallstelle vorbeigefahren und nach rechts in die Straße abgebogen war. Beim Öffnen der Beifahrertür bemerkte er, dass die Fingerkuppe des Mittelfingers seiner rechten Hand abgeknickt war und die Wunde massiv blutete. Er bestieg das Fahrzeug und ließ sich zur Universitätsklinik nach M. fahren. Nachdem dort die Blutung gestillt worden war, rief der Angeklagte 40 Minuten nach dem Unfallgeschehen bei der Polizei an, um sich als Fahrer und Unfallverursacher zu erkennen zu geben.

Diese Feststellungen lassen nicht erkennen, ob N. W. noch im Bereich der Unfallstelle gehalten hat. Wenn der Angeklagte noch vor Verlassen der Unfallstelle seine eigene Verletzung bemerkt hatte und die Unfallstelle zumindest auch deshalb verließ, um seine massiv blutende Wunde versorgen zu lassen, könnte sein Entfernen vom Unfallort gerechtfertigt gewesen sein (vgl. OLG Köln, VRS 63, 349, 350; OLG Frankfurt, VRS 65, 30; König in Hentschel/ König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl., § 142 StGB Rn. 51; Geppert in LKStGB, 12. Aufl., § 142 Rn. 126). Hiermit hat sich das Landgericht nicht auseinandergesetzt.

Die Verurteilung wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr, die hierfür verhängte Einzelstrafe und die Maßregelanordnung werden von dem Rechtsfehler nicht berührt und können bestehen bleiben.

HRRS-Nummer: HRRS 2014 Nr. 1023

Externe Fundstellen: NStZ 2015, 265 ; StV 2016, 284

Bearbeiter: Karsten Gaede