HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

September 2013
14. Jahrgang
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III. Strafzumessungs- und Maßregelrecht


Entscheidung

716. BGH 2 StR 117/13 - Beschluss vom 19. Juni 2013 (LG Hanau)

Strafzumessung (Grenzen der Strafschärfung infolge einer besonders brutalen Tatausführung; emotionsloses Nachtatverhalten; direkter Vorsatz).

§ 46 Abs. 1, Abs. 3 StGB; § 212 StGB; § 15 StGB

1. Aus dem Umstand, dass der Angeklagte sein Opfer unter erheblichem Kraftaufwand erwürgt hat, lässt sich der Vorwurf gesteigerter Brutalität nicht ohne weiteres ableiten. Die zur Tötung erforderliche Gewalt darf mit Blick auf den § 46 Abs. 3 StGB grundsätzlich nicht straferschwerend berücksichtigt werden. Es ist damit nicht mehr beschrieben als die Erfüllung des Tatbestands mit direktem Vorsatz.

2. Der Vorwurf eines emotionslosen Nachtatverhaltens des zum Tatvorwurf schweigenden Angeklagten setzt nähere Darlegungen voraus. Ein besonders schulderschwerender Gesichtspunkt ergibt sich jedenfalls nicht daraus, dass der Angeklagte die Leiche in einen Fluss wirft, um eine Entdeckung zu verhindern.


Entscheidung

776. BGH 4 StR 213/13 - Beschluss vom 4. Juli 2013 (LG Arnsberg)

Totschlag (minder schwerer Fall); Notwehr (Erforderlichkeit); Strafzumessung (Doppelverwertungsverbot).

§ 212 Abs. 1 StGB; § 213 StGB; § 32 Abs. 2 StGB; § 46 Abs. 3 StGB

Ebenso wie der Tötungsvorsatz als solcher darf die Anwendung der zur Tötung erforderlichen Gewalt nicht straferschwerend gewertet werden (st. Rspr.).


Entscheidung

780. BGH 4 StR 275/13 - Beschluss vom 30. Juli 2013 (LG Frankenthal)

Anordnung der Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik (Beruhen der Tat auf einem Zustand der Schuldunfähigkeit; Gefährlichkeitsprognose: Gesamtbetrachtung): gefährliche Körperverletzung (Kraftfahrzeug als gefährliches Werkzeug).

§ 63 StGB; § 223 Abs. 1 StGB; § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB

1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der den Anlass für die Unterbringung bildenden rechtswidrigen Taten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht (vgl. BGH NStZ-RR 2013, 141).

2. Eine Unterbringung nach § 63 StGB kommt nur in Betracht, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Taten begehen wird, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben (vgl. BGH NStZ-RR 2011, 240, 241). Ob eine zu erwartende Straftat zu einer schweren Störung des Rechtsfriedens führt, muss anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls entschieden werden (vgl. BGH NStZ-RR 2011, 202). Die erforderliche Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln. An die Darlegungen und die vorzunehmende Abwägung sind umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes um einen Grenzfall handelt.

3. Eine gefährliche Körperverletzung im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB begeht, wer seinem Opfer durch ein von außen unmittelbar auf den Körper einwirkendes gefährliches Tatmittel eine Körperverletzung im Sinne von § 223 Abs. 1 StGB beibringt (st. Rspr.). Wird eine Person durch ein gezieltes Anfahren mit einem Kraftfahrzeug zu Fall gebracht, setzt die Annahme einer gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB voraus, dass bereits durch den Anstoß eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens und damit eine körperliche Misshandlung gemäß § 223 Abs. 1 StGB ausgelöst worden ist. Erst infolge des anschließenden Sturzes erlittene Verletzungen, die nicht auf den unmittelbaren Kontakt zwischen Kraftfahrzeug und Körper zurückzuführen sind, können für sich allein die Beurteilung als gefährliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht tragen (st. Rspr.).


Entscheidung

739. BGH 4 StR 217/13 - Beschluss vom 31. Juli 2013 (LG Detmold)

Geltung des Doppelverwertungsverbots bei der Gesamtstrafenbildung (Einschleusen von Ausländern).

§ 46 Abs. 3 StGB; § 54 StGB; § 96 Abs. 1 Nr. 1 lit. a AufenthG

Die Festsetzung der Gesamtstrafe innerhalb der durch § 54 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 StGB gezogenen Grenzen ist ein eigenständiger Strafzumessungsvorgang, der den allgemeinen Grundsätzen des § 46 StGB unterliegt. Eine Schärfung der Strafe allein aus den vom Gesetzgeber bei der Festlegung des Strafrahmens angestellten Erwägungen allgemeiner Art ist auch hier aus den Gründen des § 46 Abs. 3 StGB nicht zulässig (BGHR StGB § 46 Abs. 3 Ausländergesetz 1).


Entscheidung

764. BGH 2 StR 620/12 - Urteil vom 31. Juli 2013 (LG Köln)

Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (Erfolgsaussichten der Therapie bei Therapieunwilligkeit und vorherigem erfolgslosen Therapieversuch); Aufhebung des Strafausspruchs bei Aufhebung der Maßregelanordnung.

§ 64 StGB; § 353 Abs. 1 StPO

1. Das Fehlen von Therapiewilligkeit steht einer Anordnung nach § 64 StGB grundsätzlich nicht entgegen. Es kann zwar ein gegen die Erfolgsaussicht sprechendes Indiz sein. In einem solchen Fall hat der Tatrichter aber zu prüfen, ob die konkrete Aussicht besteht, dass die Therapiebereitschaft für eine Erfolg versprechende Behandlung geweckt werden kann (vgl. BGH StraFo 2011, 323, 324). Der Umstand, dass der Angeklagte bereits einen erfolglosen Therapieversuch unternommen hat, steht der Annahme einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht grundsätzlich ebenfalls nicht entgegen (vgl. BGH NStZ-RR 1997, 131).

2. Grundsätzlich besteht wegen der „Zweispurigkeit“ von Strafe und Maßregel zwischen beiden Rechtsfolgen keine Wechselwirkung, sie sollen unabhängig voneinander bemessen bzw. verhängt werden. Ungeachtet dessen kann aber im Einzelfall eine Wechselwirkung zwischen den beiden Rechtsfolgen zu bejahen sein, weil die für die deren Anordnung jeweils wesentlichen Gesichtspunkte nicht stets streng voneinander zu trennen sind (vgl. BGH NStZ-RR 2012, 72, 74 mwN).


Entscheidung

768. BGH 4 StR 129/13 - Beschluss vom 4. Juli 2013 (LG Hannover)

Rüge der Besetzung in der Revision (Begründung); Festsetzung der Dauer des Vorwegvollzugs vor der Vollstreckung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (Berücksichtigung von anzurechnender Untersuchungshaft).

§ 338 Nr. 1 StPO; § 344 Abs. 2 StPO; § 67 Abs. 2 StGB; § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB

Erlittene Untersuchungshaft hat bei der Bestimmung des teilweisen Vorwegvollzugs der Strafe nach § 67 Abs. 2 StGB außer Betracht zu bleiben, weil die nach § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB anzurechnende Untersuchungshaft im Vollstreckungsverfahren auf den vor der Unterbringung zu vollziehenden Teil der Strafe angerechnet wird (vgl. BGH NStZ-RR 2010, 171, 172).


Entscheidung

775. BGH 4 StR 208/13 - Beschluss vom 17. Juli 2013 (LG Münster)

Feststellung über das Absehen von der Anordnung des Verfalls (gleichzeitiges Absehen von der Anordnung des Verfalls wegen unbilliger Härte).

§ 111i Abs. 2, Abs. 5 StPO; § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB; § 73c Abs. 1 StGB

1. Die Regelung des § 73c Abs. 1 StGB ist auch im Rahmen der nach § 111i Abs. 2 StPO zu treffenden Entscheidung zu beachten (vgl. BGH NJW 2011, 624 Rn. 15). Wird in Anwendung des § 73c Abs. 1 StGB ganz oder teilweise von der Anordnung des Verfalls abgesehen, hat dies zur Folge, dass der in der Urteilsformel allein zu bezeichnende Vermögensgegenstand bzw. Geldbetrag, den der Staat bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 111i Abs. 5 StPO unmittelbar oder als Zahlungsanspruch erwirbt, hinter dem Erlangten bzw. dessen Wert zurückbleibt (vgl. BGH NJW 2011, 624 Rn. 12 ff.).

2. Die Voraussetzungen des § 73c Abs. 1 StGB sind zu erörtern, wenn nahe liegende Anhaltspunkte für deren Vorliegen gegeben sind (vgl. BGH NJW 2011, 2529, 2530).