HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

September 2013
14. Jahrgang
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IV. Strafverfahrensrecht (mit Gerichtsverfassungsrecht)


Entscheidung

714. BGH 2 StR 113/13 – Urteil vom 20. Juni 2013 (LG Kassel)

BGHSt; hinreichende Verteidigung bei der Vernehmung eines Auslandszeugen (wirksame Verteidigung; Bestellung eines anderen Pflichtverteidigers bei kurzfristiger Erkrankung des bisherigen Verteidigers; Vorbereitung; Fragerecht; gebotene Aussetzung; Beruhen); Beiordnung eines neuen Verteidigers als erhebliche Einschränkung der Verteidigungsrechte des Angeklagten; Beweiswürdigung (keine Unterstellung fernliegender Möglichkeiten ohne tragfähige Gründe); Unterschlagung (Beihilfe; Drittzueignung).

Art. 6 Abs. 3 lit. b und c, lit. d EMRK; § 140 StPO; § 145 Abs. 1 StPO; § 246 StGB; § 338 Nr. 8 StPO

1. Der Angeklagte ist nicht hinreichend verteidigt, wenn bei kurzfristiger Erkrankung des Pflichtverteidigers ein anderer Verteidiger für einen Tag der Hauptverhandlung bestellt wird, um die Vernehmung eines Zeugen zu ermöglichen, ohne dass der Ersatzverteidiger sich in die Sache einarbeiten konnte. (BGHSt)

2. Dem Revisionsvorbringen des Angeklagten, „unverteidigt“ gewesen zu sein, ist in diesem Fall zugleich die Beanstandung zu entnehmen, das Landgericht habe es unterlassen, anlässlich der Erkrankung des Verteidigers die diesen Verhandlungstag vorgesehene Vernehmung des Zeugen nicht auf den nächsten Verhandlungstag verschoben zu haben. Damit zielt die Rüge ihrer Zielrichtung nach jedenfalls auch auf eine Verletzung von § 145 Abs. 1 Satz 2 StPO. (Bearbeiter)

3. Maßgeblich ist zunächst die Erwägung, wie der Strafverteidiger als Organ der Rechtspflege selbst beurteilt, ob er für die Erfüllung seiner Aufgabe hinreichend vorbereitet ist. Hält er die Vorbereitungszeit für ausreichend, ist das Gericht grundsätzlich nicht berufen, dies zu überprüfen. Doch gibt es greifbare Anhaltspunkte dafür, dass dies nicht der Fall sein könnte, gebietet die Fürsorgepflicht des Gerichts die Prüfung einer Aussetzung oder Unterbrechung des Verfahrens. Dies ist etwa der Fall, wenn der Verteidiger objektiv nicht genügend Zeit hatte, sich vorzubereiten (vgl. BGH NJW 1965, 2164, 2165) oder wenn sich die dem Prozessverhalten des Angeklagten und seines Verteidigers zu entnehmende Einschätzung der Sach- und Rechtslage als evident interessenwidrig darstellt und eine effektive Verteidigung (Art. 6 Abs. 3 c MRK) unter keinem Gesichtspunkt mehr gewährleistet gewesen wäre (vgl. BGH NStZ 2013, 212). (Bearbeiter)

4. Nur ein Verteidiger, der den Stoff ausreichend beherrscht, kann die Verteidigung mit der Sicherheit führen, die das Gesetz verlangt. Die Absicht, einem „Auslandszeugen“ die erneute Anreise zu ersparen, kann das rechtsstaatlich gebotene Recht auf eine angemessene und effektive Verteidigung (Art. 6 Abs. 3c EMRK) nicht wirksam beschränken. Dies gilt insbesondere, wenn Anhaltspunkte für eine längerfristige Erkrankung des Pflichtverteidigers offenbar nicht gegeben waren und auch nichts dafür sprach, dass der Zeuge nicht erneut an dem bereits sechs Tage später bestimmten Fortsetzungstermin erschienen wäre. (Bearbeiter)

5. Im Fall einer Drittzueignung muss das Verhalten des Täters für § 246 StGB nach der darauf gerichtet sein, dass das Sicherungsgut dem Vermögen des Dritten zugeführt wird. Die Tathandlung muss dabei zu einer Stellung des Dritten in Bezug auf die Sache führen, wie sie auch bei der Selbstzueignung für die Tatbestandserfüllung notwendig wäre (BGH NStZ-RR 2006, 377). Das bloße Schaffen einer Gelegenheit für die Selbstzueignung reicht danach zwar nicht aus. In einer mit den Dritten abgesprochenen Abstellung des LKW auf einem Parkplatz zu dessen Entladung kann aber schon die Einräumung von Verfügungsgewalt über fremde Sachen liegen, die aus der Sicht eines objektiven Dritten einen Zustand schafft, bei dem die nicht fern liegende Möglichkeit der dauernden Enteignung besteht und damit bereits zu einer eigentümerähnlichen Stellung der dritten Personen führt. (Bearbeiter)


Entscheidung

805. BGH 3 StR 435/12 - Urteil vom 27. Juni 2013 (LG Lüneburg)

BGHSt; Selbstbelastungsfreiheit; Recht zur Konsultation eines Verteidigers (Fortführung der Vernehmung nach erfolglosem Versuch der Verteidigerkonsultation; Nachfragen auf das Randgeschehen betreffende Spontanäußerungen hin; konkludentes Einverständnis des Beschuldigten); Verwertungsverbot.

§ 136 Abs. 1 S. 2 StPO; Art. 1 GG; Art. 2 Abs. 1 GG; Art. 6 EMRK

1. Der hohe Rang der Selbstbelastungsfreiheit gebietet es, dass auch Spontanäußerungen - zumal zum Randgeschehen - nicht zum Anlass für sachaufklärende Nachfragen genommen werden, wenn der Beschuldigte nach Belehrung über seine Rechte nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO die Konsultation durch einen benannten Verteidiger begehrt und erklärt, von seinem Schweigerecht Gebrauch zu machen. (BGHSt)

2. Ist der vom Beschuldigten benannte Verteidiger kurzzeitig – hier für einen Zeitraum von zwei Stunden – nicht erreichbar, so besteht in der Regel kein Anlass, die unterbrochene Vernehmung des Beschuldigten fortzusetzen. Etwas anderes kann ausnahmsweise gelten, wenn weitere Erkenntnisse erlangt wurden oder eine neue prozessuale Situation eingetreten ist, aufgrund derer zu erwarten ist, dass sich die Auffassung des Beschuldigten geändert haben könnte. (Bearbeiter)

3. Allerdings kann die Vernehmung auch ohne vorherige Konsultation fortgesetzt werden, wenn der Beschuldigte dem in freier Entscheidung zustimmt. Eine solche Zustimmung kann auch durch schlüssiges Verhalten erklärt werden (a.A. noch BGHSt 42, 15, 19: ausdrückliches Einverständnis erforderlich). Sie kann grundsätzlich etwa darin zu sehen sein, dass sich der Beschuldigte von sich aus spontan zur Sache äußert, obwohl eine Verteidigerkonsultation noch nicht möglich war. Dagegen liegt regelmäßig kein konkludentes Einverständnis vor, wenn der Beschuldigte lediglich Spontanäußerungen zum Randgeschehen des Tatvorwurfs tätigt. (Bearbeiter)

4. Verstöße gegen die Pflicht zur Belehrung über das Recht zur Verteidigerkonsultation führen – entsprechend der Rechtslage bei Verstößen gegen die Pflicht zur Belehrung über die Schweigepflicht – regelmäßig zur Unverwertbarkeit der hiernach erlangten Angaben. Daran ändert sich auch dadurch nichts, dass der Angeklagte aufgrund einer zunächst ordnungsgemäß erteilten Belehrung Kenntnis sowohl von seinem Schweige- als auch von seinem Verteidigerkonsultationsrecht erlangt. (Bearbeiter)

5. Die von § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO geschützten Beschuldigtenrechte gehören zu den wichtigsten verfahrensrechtlichen Prinzipien. Der Beschuldigte ist bei seiner ersten Vernehmung in besonderem Maße der Gefahr ausgesetzt, sich unbedacht selbst zu belasten. In dieser Situation ist er oft unvorbereitet, ohne Ratgeber und auch sonst von der vertrauten Umgebung abgeschnitten. Nicht selten ist er durch die Ereignisse verwirrt und durch die ungewohnte Umgebung bedrückt oder verängstigt. Seine ersten Angaben entfalten zudem selbst bei einer späteren Änderung des Aussageverhaltens eine faktische Wirkung, die für den weiteren Verlauf des Verfahrens von erheblicher Bedeutung ist (BGHSt 38, 214, 221 f.). Diese zum Schweigerecht des Beschuldigten entwickelten Grundsätze gelten für die Belehrung über das Verteidigerkonsultationsrecht entsprechend (BGHSt 47, 172, 174). (Bearbeiter)


Entscheidung

754. BGH 2 StR 195/12 - Urteil vom 10. Juli 2013 (LG Koblenz)

BGHSt; Protokollierung Gesprächen, die auf eine Verständigung abzielen (Umfang der Protokollierung); revisionsrechtliche Rüge der fehlenden Protokollierung (Begründungsanforderungen, Beruhen des Urteils auf fehlenden Protokollierung).

§ 257c StPO; § 243 Abs. 4 StPO; § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO; § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO; § 337 Abs. 1 StPO

1. Die Grundsätze zur Unzulässigkeit einer bloßen Protokollrüge gelten nicht, wenn ein Verfahrensfehler behauptet wird, der in seinem Kern darin besteht, dass das Hauptverhandlungsprotokoll den Inhalt außerhalb der Verhandlung geführter Verständigungsgespräche nicht wiedergibt. Insoweit hat der Gesetzgeber eine Sonderregelung getroffen. (BGHSt)

2. Eine entgegen § 273 Abs. 1a StPO fehlende oder inhaltlich unzureichende Dokumentation von außerhalb der Hauptverhandlung geführten Verständigungsgesprächen im Sinne von § 243 Abs. 4 StPO führt in der Regel dazu, dass das Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler nicht auszuschließen ist. (BGHSt)

3. Die Herstellung von Transparenz und die Dokumentation aller mit dem Ziel der Verständigung geführten Erörterungen entsprechen dem Sinn und Zweck des Gesetzes zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren. Sie sind Elemente eines einheitlichen Konzepts (vgl. BVerfG NJW 2013, 1058, 1067 f., Tz. 96 f.). Die Einheitlichkeit dieses Regelungskonzepts hat auch Auswirkungen auf die Darlegungspflichten eines Revisionsführers gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Sein Vorbringen genügt, wenn Gespräche außerhalb der Hauptverhandlung geführt wurden und eine Mitteilung des Vorsitzenden über deren wesentlichen Inhalt entweder tatsächlich nicht erfolgt ist oder jedenfalls nicht im Protokoll dokumentiert wurde, bereits dann den Anforderungen an eine hinreichend substantiierte Verfahrensrüge, wenn er nur auf das Fehlen einer Dokumentation hinweist. Denn ein Protokoll, das alleine die Tatsache einer außerhalb der Hauptverhandlung geführten Erörterung oder nur deren Ergebnis mitteilt, ist fehlerhaft, und schon dieser Verfahrensfehler kann erhebliche Auswirkungen auf das Prozessverhalten des Angeklagten entfalten. (Bearbeiter)

4. Das Gesetz will die Transparenz der Gespräche, die außerhalb der Hauptverhandlung geführt werden, durch die Mitteilung ihres wesentlichen Inhalts in der Verhandlung für die Öffentlichkeit und alle Verfahrensbeteiligten, insbesondere aber für den Angeklagten herbeiführen. Der Angeklagte als eigenverantwortliches Prozesssubjekt soll zuverlässig und in nachprüfbarer Form über den Ablauf und Inhalt derjenigen Verständigungsgespräche informiert werden, die außerhalb der Hauptverhandlung geführt wurden. (Bearbeiter)

5. Durch die Mitteilung nach § 243 Abs. 4 StPO und durch deren Protokollierung gemäß § 273 Abs. 1a StPO

wird nicht nur das Ergebnis der Absprache, sondern auch der dahin führende Entscheidungsprozess festgeschrieben und der revisionsgerichtlichen Kontrolle zugänglich gemacht. Die Mitteilung und deren Dokumentation sowie die Nachprüfbarkeit in einem einheitlichen System der Kontrolle sind jeweils Grundlage einer eigenverantwortlichen Entscheidung des Angeklagten darüber, ob er dem Vorschlag des Gerichts gemäß § 257c Abs. 3 Satz 4 StPO zustimmt. (Bearbeiter)


Entscheidung

757. BGH 2 StR 47/13 - Urteil vom 10. Juli 2013 (LG Aachen)

BGHSt; Hinweispflicht bei Verständigungsgesprächen (keine Hinweispflicht bei nicht stattgefundenen Gesprächen und vorgelagerten Gesprächen; Darlegungsanforderungen an die entsprechende Verfahrensrüge; Negativmitteilung); Rücktritt vom Versuch (fehlgeschlagener Versuch: Beweiswürdigung).

§ 243 Abs. 4 Satz 1 StPO; 344 Abs. 2 Satz 2 StPO; § 24 Abs. 1 StGB

1. Einer Mitteilung gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO bedarf es nicht, wenn überhaupt keine oder nur solche Gespräche stattgefunden haben, die dem Regelungskonzept des Verständigungsgesetzes vorgelagert und von ihm nicht betroffen sind. (BGHSt)

2. Die Verfahrensrüge, es sei rechtsfehlerhaft keine Mitteilung gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO erfolgt, setzt den Vortrag voraus, dass tatsächlich Gespräche im Sinne dieser Vorschrift stattgefunden hatten und welchen Inhalt sie hatten. (BGHSt)

3. Dazu muss ein Revisionsführer, der eine Verletzung des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO rügen will, bestimmt behaupten und konkret darlegen, in welchem Verfahrensstadium, in welcher Form und mit welchem Inhalt Gespräche stattgefunden haben, die auf eine Verständigung abzielten (vgl. BGHSt 56, 3). (Bearbeiter)


Entscheidung

755. BGH 2 StR 255/13 - Beschluss vom 17. Juli 2013 (LG Frankfurt am Main)

BGHSt; Erforderlichkeit eines Sachverständigengutachtens bei Erwägung der Maßregelanordnung durch das Gericht (Umfang des diesbezüglichen gerichtlichen Ermessens; umfassendes Informationsrecht des Gutachters).

§ 246a Satz 2 StPO; § 64 StGB; § 63 StGB

1. Wenn das Tatgericht einen Sachverständigen zur Prüfung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt hinzuzieht, erwägt es die Maßregelanordnung konkret und hat deshalb ein Gutachten einzuholen. Dem vom Gericht bestellten Sachverständigen ist in diesem Fall zu ermöglichen, von ihm für erforderlich gehaltene Erkenntnisquellen – insbesondere frühere Gutachten – zu verarbeiten; dies kann nicht mit der Begründung abgelehnt werden, auf das Ergebnis des Gutachtens komme es nicht an (Fortführung von BGH, Beschluss vom 30. März 1977 – 3 StR 78/77, BGHSt 27, 166 ff.). (BGHSt)

2. § 246a Satz 2 StPO stellt die Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht ins Belieben des Tatgerichts. Diese Pflicht entfällt nur, wenn die Maßregel in Ausübung des ihm gemäß § 64 Satz 2 StGB eingeräumten Ermessens nicht angeordnet wird. Der Ermessensspielraum ist jedoch auf Ausnahmefälle beschränkt (vgl. BGH NStZ 2009, 204, 205). Das Gebot der Gutachteneinholung aus § 246a Satz 2 StPO darf nicht durch die Behauptung eigener Sachkunde des Gerichts umgangen werden (vgl. BGHSt 27, 166, 167). (Bearbeiter)

3. Das Landgericht hatte dafür Sorge zu tragen, dass der Sachverständige umfassend über alle relevanten Tatsachen informiert wird (vgl. BGHSt 27, 166, 167). Ihm ist auch die Sichtung von Behandlungsunterlagen früherer Therapien zu ermöglichen. Dies gilt insbesondere dann, wenn er die Sichtung dieser Unterlagen für erforderlich erklärt und die Verteidigung deren Beiziehung beantragt. Durch Auswertung des Aktenmaterials sollen Defizite der Sachaufklärung durch das Gericht in der Hauptverhandlung ausgeglichen werden (vgl. BGH, NStZ 2012, 463, 464). (Bearbeiter)

4. Mit einer wegen Verstoßes gegen § 246a Abs. 1 StPO rechtsfehlerhaften Maßregelentscheidung ist nicht zwingend eine Aufhebung der Freiheitsstrafe zu verbinden. Jedoch kann diese im Einzelfall erfolgen, wenn nicht auszuschließen ist, dass eine Fehlbewertung der Maßregelvoraussetzungen auch einen Einfluss auf die Strafzumessung hat (vgl. BGH NStZ-RR 2013, 150, 151).


Entscheidung

815. BGH 5 StR 253/13 - Urteil vom 7. August 2013 (LG Berlin)

Verständigung (Verstoß gegen die Pflicht zur Belehrung hinsichtlich der eingeschränkten Bindung des Gerichts; Wiederholung nach qualifizierter Belehrung; ausnahmsweise fehlendes Beruhen des Urteils auf dem Verstoß).

§ 257c Abs. 4 StPO; § 257c Abs. 5 StPO

1. § 257c Abs. 5 StPO sieht vor, dass der Angeklagte vor der Verständigung über die Voraussetzungen und Folgen der nach § 257c Abs. 4 StPO möglichen Abweichung des Gerichts von dem in Aussicht gestellten Ergebnis zu belehren ist. Hiermit wollte der Gesetzgeber die Fairness des Verständigungsverfahrens sichern und zugleich die Autonomie des Angeklagten in weitem Umfang schützen. Unter anderem durch die Belehrung nach § 257c Abs. 5 StPO soll ferner einer Gefährdung der Selbstbelastungsfreiheit Rechnung getragen werden, die mit der Aussicht auf eine das Gericht bindende Zusage einer Strafobergrenze und der dadurch begründeten Anreiz- und Verlockungssituation einhergeht (vgl. BVerfG HRRS 2013 Nr. 222).

2. Die Heilung eines Verstoßes gegen diese Belehrungspflicht setzt eine rechtsfehlerfreie Wiederholung des von dem Verfahrensfehler betroffenen Verfahrensabschnitts voraus. Dafür bedarf es regelmäßig eines ausdrücklichen Hinweises auf den Fehler und auf die daraus folgende gänzliche Unverbindlichkeit der Zustimmung des Angeklagten sowie einer Nachholung der versäumten Belehrung nach § 257c Abs. 5 StPO und der erneuten Einholung einer nunmehr verbindlichen Zustimmungserklärung.

3. Ein Ausschluss des Beruhens des Urteils auf diesem Verfahrensfehler ist im Hinblick auf die in einer Verständigung ohne vorherige Belehrung liegende Verletzung

des Angeklagten in seinem Recht auf ein faires Verfahren und in seiner Selbstbelastungsfreiheit nur in eng begrenzten Ausnahmefällen denkbar. Bleibt die unter Verstoß gegen die Belehrungspflicht zustande gekommene Verständigung bestehen und fließt das auf der Verständigung basierende Geständnis in das Urteil ein, beruht das Urteil regelmäßig auf dem Unterlassen der Belehrung und der hiermit einhergehenden Grundrechtsverletzung.

4. Ein solcher Ausnahmefall kann gegeben sein, wenn die zunächst unterlassene Belehrung noch vor der Abgabe des Geständnisses nachgeholt wird und der Angeklagte somit in Kenntnis der eingeschränkten Bindungswirkung sein Geständnis abgibt. In diesen Konstellationen kann ein Beruhen des Urteils auf dem Verfahrensfehler auch ohne eine qualifizierte Belehrung jedenfalls dann ausnahmsweise ausgeschlossen sein, wenn die Verständigung auf Initiative des Verteidigers zustande kam und dieser den Angeklagten auch bei der Abfassung des Geständnisses erkennbar unterstützt hat.


Entscheidung

837. BGH 3 StR 149/13 - Beschluss vom 11. Juli 2013 (LG Wuppertal)

Keine Relevanz des sog. Vier-Augen-Prinzips für die Frage des gesetzlichen Richters.

§ 139 Abs. 1 GVG; Art. 101 GG.

Darüber, wie sich die Mitglieder eines kollegialen gerichtlichen Spruchkörpers die für eine Entscheidung erforderlichen tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen verschaffen, befinden sie jeweils selbst in richterlicher Unabhängigkeit. Die Frage des gesetzlichen Richters ist durch die Frage, ob der Senat nach einem „Vier-Augen-Prinzip“ arbeitet, nicht berührt.


Entscheidung

835. BGH StB 7/13 - Beschluss vom 27. Juni 2013

Deutsche Strafgerichtsbarkeit gegenüber einem Mitglied des Verwaltungspersonals eines Konsulats (konsularische Immunität; Begriff der Wahrnehmung konsularischer Aufgaben; Erstreckung auch auf rechtswidriges Handeln); Unzulässigkeit der Telekommunikationsüberwachung gegenüber konsularischen Mitarbeitern.

§ 19 GVG; Art. 5 WÜK; Art. 43 WÜK; § 99 StGB; § 100a StPO

1. Die konsularische Immunität nach Art. 43 Abs. 1 WÜK erstreckt sich ausschließlich auf Handlungen, die in Wahrnehmung konsularischer Aufgaben vorgenommen worden sind. Für die konsularische Immunität eines Mitglieds des Verwaltungspersonals eines Konsulats kommt es nicht darauf an, ob die in Wahrnehmung konsularischer Aufgaben entfaltete Tätigkeit – hier: die gezielte Beschaffung von Informationen über Angehörige des eigenen Staates – rechtmäßig war. Anderenfalls bliebe die Immunität weitgehend wirkungslos.

2. Soweit die Gerichtsbarkeit des Empfangsstaates fehlt, sind gegen den jeweiligen konsularischen Mitarbeiter bereits Untersuchungshandlungen – hier: eine Telekommunikationsüberwachung – ausgeschlossen.


Entscheidung

697. BGH 1 StR 156/13 - Beschluss vom 7. August 2013 (LG Waldshut-Tiengen)

Vortäuschen einer Straftat als Straftat von auch im Einzelfall erheblicher Bedeutung (unzulässige Verwertung einer Telekommunikationsüberwachung).

§ 145d StGB; § 100g Abs. 1 Nr. 1 StPO

1. Eine Straftat hat „erhebliche Bedeutung“, wenn sie mindestens dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzurechnen ist, den Rechtsfrieden empfindlich stört und geeignet ist, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen. Dies setzt voraus, dass der Gesetzgeber der Straftat allgemein ein besonderes Gewicht beimisst und sie im konkreten Fall erhebliche Bedeutung hat (BVerfG NJW 2003, 1787, 1791).

2. Eine Straftat gemäß § 145d StGB ist nicht mehr ohne weiteres dem Bereich der Straftaten von erheblicher Bedeutung zuzurechnen, aber im Hinblick auf die gegenüber der gesetzlich vorgesehenen Mindesthöchststrafe erhöhte Strafdrohung als Anlasstat nicht von vornherein ausgeschlossen. In Einzelfällen kann auch solchen Taten aufgrund der besonderen Bedeutung des geschützten Rechtsguts oder des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung erhebliche Bedeutung zukommen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Tat ein außergewöhnliches, deutlich über das durchschnittliche Gewicht einer Tat nach § 145d StGB herausragendes Gepräge zukommt.


Entscheidung

698. BGH 1 StR 163/13 - Beschluss vom 25. Juni 2013 (LG Regensburg)

Rüge der mangelnden Existenz einer im Urteil vorausgesetzten Verständigung (Protokollrüge; Beweiskraft des Sitzungsprotokolls).

§ 261 StPO; § 257c StPO; § 267 Abs. 3 Satz 5 StPO; § 274 StPO

1. Rügt die Revision als Verletzung von § 261 StPO, dass das Urteil nach der Urteilsurkunde auf einer Verständigung nach § 257c StPO beruhe, obwohl eine solche tatsächlich nicht stattgefunden habe, ist damit ein revisibler Rechtsfehler nicht dargelegt, selbst wenn der Inhalt des Urteils und das Protokolls nicht übereinstimmen. Dies gilt, soweit das Tatgericht bei seiner Beweiswürdigung das vollumfängliche Geständnis der Angeklagten durch zahlreiche sachliche und persönliche Beweismittel überprüft und bestätigt gefunden hat.

2. Die Überprüfung eines verständigungsbasierten Geständnisses unterliegt grundsätzlich nicht strengeren Anforderungen, als sie an eine Beweisaufnahme in der nach herkömmlicher Verfahrensweise geführten Hauptverhandlung nach Abgabe eines Geständnisses zu stellen wären (BVerfG NJW 2013, 1058, 1063).


Entscheidung

725. BGH 2 StR 242/13 - Beschluss vom 1. August 2013 (LG Mainz)

Unzulässige Revision; Auslegung.

§ 344 StPO; § 300 StPO

Begründet der Beschwerdeführer die rechtzeitig eingelegte Revision gegen ein Strafurteil nur mit der Erklärung,

er lege die Revision „vollumfänglich“ ein, ist dem auch keine Sachrüge zu entnehmen.


Entscheidung

784. BGH 3 StR 76/13 - Beschluss vom 25. Juli 2013 (LG Wuppertal)

Anforderungen an die Einlegung und Begründung der Revision (Unschädlichkeit des Fehlens eines Revisionsantrags bei der Angeklagtenrevision trotz gegenteiliger Ankündigung).

§ 344 StPO

Das Fehlen eines ausdrücklichen Antrags gemäß § 344 Abs. 1 StPO ist bei der Angeklagtenrevision unschädlich, wenn sich der Umfang der Anfechtung aus dem Inhalt der Revisionsbegründung ergibt. Insoweit ist in der Erhebung der uneingeschränkten allgemeinen Sachrüge regelmäßig die Erklärung zu sehen, dass das Urteil insgesamt angefochten wird. Das gilt auch dann, wenn der Angeklagte die Tatvorwürfe im erstinstanzlichen Verfahren nicht bestritten und wenn sein Verteidiger in der Revisionseinlegungsschrift einen Revisionsantrag angekündigt hat.


Entscheidung

735. BGH 4 StR 190/13 - Beschluss vom 30. Juli 2013 (LG Paderborn)

Besorgnis der Befangenheit.

§ 24 Abs. 2 StPO

Anlass zur Besorgnis der Befangenheit besteht jedenfalls dann, wenn der Vorsitzende seine Ansicht in Formulierungen kleidet, die den Eindruck erwecken, er habe sich bereits ein für alle Mal festgelegt und verschließe sich endgültig etwaigen Einwendungen gegen die von ihm vorgenommene, nach seiner Meinung allein mögliche Wertung (vgl. BGH, Urteil vom 16. Mai 1984 – 2 StR 525/83, bei Holtz MDR 1984, 797).


Entscheidung

746. BGH 1 StR 168/13 - Beschluss vom 5. Juni 2013 (LG Heidelberg)

Rücknahme der Revision (Ermächtigung des Verteidigers; Anforderungen an einen wirksamen Widerruf der Vollmacht).

§ 302 Abs. 2 StPO

1. Für die Rücknahme eines Rechtsmittels ist eine bei Übernahme des Mandats im Rahmen der Vollmachtserteilung eingeräumte allgemeine Ermächtigung zur Rücknahme von Rechtsmitteln als ausdrückliche Ermächtigung gemäß § 302 Abs. 2 StPO nicht genügend (vgl. BGH NStZ 2000, 665).

2. Ein Widerruf der Ermächtigung zur Rücknahme der Revision ist dem Angeklagten grundsätzlich jederzeit und unabhängig von dem Fortbestehen des Mandatsverhältnisses gestattet (BGH NStZ-RR 2007, 151). Da eine bestimmte Form für die Widerrufserklärung im Gesetz nicht vorgesehen ist, kommt ein solcher auch durch schlüssiges Verhalten in Betracht (OLG München, NStZ 1987, 342). Adressaten des Widerrufs können sowohl das Gericht als auch der Verteidiger sein (BGH aaO). Der Widerruf hebt die zuvor erteilte ausdrückliche Ermächtigung auf, wenn die entsprechende Widerrufserklärung zeitlich vor dem Eingang der Rücknahmeerklärung bei dem zuständigen Gericht den Adressaten erreicht.

3. Es kann offen bleiben, ob bereits allein der Umstand der Mandatierung eines anderen Verteidigers als Widerruf der dem früheren Verteidiger erteilten ausdrücklichen Ermächtigung zu werten ist.


Entscheidung

744. BGH 1 StR 126/13 - Beschluss vom 5. Juni 2013 (LG Ravensburg)

Recht auf faires Verfahren (Hinweispflicht bei der Einbeziehung aus der Hauptverhandlung ausgeschiedener Tatvorwürfe in die Beweiswürdigung); Anspruch auf rechtliches Gehör; Beweiswürdigung.

Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK; Art. 103 III GG; § 265 StPO; §§ 14 Abs. 2 StPO; § 261 StPO

Beabsichtigt das Gericht, im Rahmen der Beweiswürdigung Sachverhalte zu berücksichtigen, hinsichtlich derer in der Hauptverhandlung nach § 154 Abs. 2 StPO verfahren wurde, ist der Angeklagte zuvor auf diese Möglichkeit hinzuweisen (vgl. BGHSt 31, 302, 303); denn durch die Verfahrenseinstellung wird regelmäßig ein Vertrauen des Angeklagten darauf begründet, dass ihm der ausgeschiedene Prozessstoff nicht mehr angelastet werde. Deswegen gebieten es die faire Verfahrensgestaltung, aber auch der Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs, vor einer dennoch beabsichtigten nachteiligen Verwertung einen Hinweis zu erteilen, um den Vertrauenstatbestand wieder zu beseitigen (BGHSt 30, 197).


Entscheidung

743. BGH 4 StR 276/13 - Beschluss vom 31. Juli 2013 (BGH)

Unterbliebene Entscheidung über die Vereidigung der Zeugin (Beruhen).

§ 59 StPO; § 337 StPO

Zeugen werden nur noch vereidigt, wenn es das Gericht wegen der ausschlaggebenden Bedeutung der Aussage oder zur Herbeiführung einer wahren Aussage nach seinem Ermessen für notwendig hält. Unterlässt der Vorsitzende eine Entscheidung über die Vereidigung, kann das Urteil hierauf nur beruhen, wenn es bei einer Entscheidung zu einer Vereidigung des Zeugen gekommen wäre, und wenn sodann nicht auszuschließen wäre, dass der Zeuge in diesem Falle andere, wesentliche Angaben gemacht hätte (BGH NStZ 2006, 114).


Entscheidung

779. BGH 4 StR 270/13 - Beschluss vom 31. Juli 2013 (LG Siegen)

Anforderungen an die Wiedergabe des Inhalts von Sachverständigengutachten in den Urteilsgründen; ungeeignetes Beweismittel (Antrag auf ein anthropologisches Identitätsgutachten; Klärung der Eignung im Freibeweisverfahren).

§ 261 StPO; § 267 StPO; § 244 Abs. 3, Abs. 4 StPO

Das Tatgericht hat in den Fällen, in denen es dem Gutachten eines Sachverständigen folgt, die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Ausführungen des Gutachters so darzulegen, dass das Rechtsmittelgericht prüfen kann, ob die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und ob die Schlussfolgerungen nach den Gesetzen der Logik, den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens und den Erkenntnissen der Wissenschaft möglich sind (vgl. BGHSt 39, 291, 296 f.). Dabei dürfen die Anforderungen, welche das Tatgericht an das

Gutachten zu stellen hat, nicht mit den sachlich-rechtlichen Anforderungen an den Inhalt der Urteilsgründe gleichgesetzt werden. Mögliche Fehlerquellen sind nur zu erörtern, wenn der Einzelfall dazu Veranlassung gibt.


Entscheidung

766. BGH 4 StR 77/13 - Beschluss vom 5. Juni 2013 (LG Münster)

Voraussetzung der Änderung des Urteilstenors.

§ 260 Abs. 4 StPO

Die nachträgliche Berichtigung eines schriftlichen Urteils ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur ganz ausnahmsweise bei offenbaren Versehen nichtsachlicher Art möglich, wohingegen sachliche Fehler auch dann nicht berücksichtigungsfähig sind, wenn sie offensichtlich sind (vgl. BGH NJW 1953, 76). Bei der Tenorierung der Anzahl der dem Angeklagten zur Last liegenden Fälle handelt es sich um eine sachlich-rechtliche Aussage.


Entscheidung

777. BGH 4 StR 214/13 - Beschluss vom 17. Juli 2013 (LG Magdeburg)

Revision des Nebenklägers (beschränkter Umfang: Anforderung an die Revisionsbegründung).

§ 400 Abs. 1 StPO; § 344 Abs. 1 StPO

Nach § 400 Abs. 1 StPO kann ein Nebenkläger das Urteil nicht mit dem Ziel anfechten, dass eine andere Rechtsfolge der Tat verhängt wird oder dass der Angeklagte wegen einer Gesetzesverletzung verurteilt wird, die nicht zum Anschluss des Nebenklägers berechtigt. Die Revision des Nebenklägers bedarf daher eines Antrags oder einer Begründung, die deutlich macht, dass eine Änderung des Schuldspruchs hinsichtlich eines Nebenklagedelikts und damit ein zulässiges Ziel verfolgt wird (st. Rspr.).