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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
September 2013
14. Jahrgang
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Von PD Dr. Nina Nestler*
Der deutsche Staatsangehörige D reist in die Niederlande. Er begeht dort eine Straftat und wird dafür von einem niederländischen Gericht zu einer Geldstrafe verurteilt; das Urteil wird rechtskräftig. Ohne die Strafe zu bezahlen kehrt D nach Deutschland zurück. Kann hier in Deutschland gegen D nochmals ein Strafverfahren wegen eben dieser Straftat durchgeführt werden; kann er nochmals verurteilt werden?
Bei einem Blick in die EU-Grundrechtecharta würde man zunächst meinen: Nein. Denn nach Art. 50 GR-Charta darf niemand "wegen einer Straftat, derentwegen er bereits in der Union nach dem Gesetz rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren erneut verfolgt oder bestraft werden." Die Vorschrift kodifiziert mit dem Ne-bis-in-idem-Grundsatz ein Doppelverfolgungs- und Doppelbestrafungsverbot hinsichtlich strafrechtlicher und strafähnlicher Sanktionen. Dieses Grundrecht bindet gemäß der Vorgabe des Art. 51 Abs. 1 S. 1 GR-Charta neben der Union selbst auch die Mitgliedstaaten einschließlich ihrer Gerichte - allerdings nur, soweit sie Unionsrecht durchführen.
Das Verhältnis von Art. 50 GR-Charta zu - dem älteren, inhaltlich fast identischen, in den Voraussetzungen aber wesentlich strenger gefassten - Art. 54 SDÜ ist umstritten schon seit die Charta mit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon zum Primärrecht der Europäischen Union wurde. Denn das in Art. 50 GR-Charta normierte Doppelbestrafungsverbot enthält anders als Art. 54 SDÜ keine Vollstreckungsklausel, verlangt also nicht, dass die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaats nicht mehr vollstreckt werden kann.[1] Für den Straftäter D aus dem Eingangsbeispiel, der seine Geldstrafe noch nicht bezahlt hat, ist das ganz entscheidend. Es stellt sich deswegen die Frage, ob dieses restriktive Vollstreckungserfordernis weggefallen ist, weil die Charta als Unions-Primärrecht nun Vorrang vor dem Schengener Durchführungsübereinkommen hat. Denn ginge Art. 50 GR-Charta (ggf. als lex posterior[2]) vor, so käme es auf eine Vollstreckung nicht mehr an.[3]
Während die deutschsprachige Literatur und Rechtsprechung bereits ihre Positionen bezogen haben[4], steht eine ausdrückliche Entscheidung des EuGH dazu nach wie vor aus. Die nachfolgenden Ausführungen befassen sich mit dem Verhältnis des Art. 54 SDÜ zu Art. 50 GR‑Chrata und analysieren die jeweiligen Argumentationsstränge. Es soll dabei aufgezeigt werden, weshalb es in naher Zukunft möglicherweise zu einer Abkehr vom Vollstreckungserfordernis kommen könnte.
Als Argument für einen Vorrang des Art. 50 GR-Charta wird angeführt, dass das Vollstreckungselement nicht entscheidend sein kann, wenn im Übrigen Freiheits- und
Geldstrafen ebenso wie sonstige Sanktionen gegenseitig anerkannt werden.[5] Damit zusammen hängt gleich das zweite Argument: Die Vertreter dieser Ansicht berufen sich darauf, eine Flucht sei wegen des Europäischen Haftbefehls nicht mehr möglich.[6]
Dagegen lässt sich allerdings einwenden, dass grade diese Instrumente der gegenseitigen Anerkennung noch nicht wirklich hinreichend aufeinander abgestimmt sind.[7] Der Europäische Haftbefehl z.B. greift nicht bei allen Verurteilungen ein. Vielmehr hängt dies vom jeweiligen Strafrahmen ab und zum Teil kann die Übergabe dann auch an die Strafbarkeit im Vollstreckungsstaat gekoppelt werden.[8] Flieht der Täter dann in einen anderen Staat, könnte schon das Verurteilt-Sein an sich einem Strafverfahren im Fluchtstaat entgegenstehen.[9]
Ein weiteres Argument für einen Vorrang des Art. 50 GR‑Charta findet sich in Art. 52 Abs. 2 GR‑Charta. Diese Vorschrift besagt, dass die Ausübung der durch die Charta anerkannten Rechte - also auch des Rechts, nicht wegen derselben Tat doppelt bestraft zu werden - im Rahmen der in den Verträgen festgelegten Bedingungen und Grenzen erfolgt.[10] Mit "Verträge" meine diese Norm aber nur das Unions-Primärrecht, wozu allerdings das Schengener Durchführungsübereinkommen gerade nicht gehört.[11] Denn das Protokoll zur Einbeziehung des Schengen-Besitzstands in den Rechtsrahmen der EU aus dem Vertrag von Amsterdam bestimmt in seinem Art. 2 Abs. 1 Unterabs. 2 S. 2, dass der Rat gemäß den einschlägigen Bestimmungen der Verträge die Rechtsgrundlage für jede Bestimmung und jeden Beschluss festlegt, die den Schengen-Besitzstand bilden. Dies verdeutliche die hierarchische Unterordnung des Schengen-Rechts unter die Gründungsverträge.[12] Damit normiert nur das Primärrecht im engen Sinn - und eben nicht das SDÜ, welches dazu nicht gehört - die Voraussetzungen der ne-bis-in-idem-Garantie abschließend. Das Schengen-Recht wurde zwar durch einen primärrechtlichen Akt in den Rechtsrahmen der Europäischen Union einbezogen. Es wird dadurch aber noch nicht selbst zu Primärrecht.
Nach anderer Ansicht soll Art. 54 SDÜ seine volle Geltung trotz Art. 50 GR‑Charta behalten haben.[13] Art. 50 GR‑Charta stelle die grundrechtliche Verankerung der ne-bis-in-idem-Garantie dar[14] und sei deswegen ganz typisch für ein Grundrecht weit gefasst. Das entspricht der Zielorientierung, einen möglichst umfassenden Schutz zu garantieren.[15]
Dieser Linie folgt auch der BGH[16], der Art. 54 SDÜ als eine Art Schranke des Grundrechts aus Art. 50 der Grundrechtecharta begreift.[17] Art. 52 Abs. 1 GR‑Charta, der die Wesensgehaltsgarantie enthält, bilde die entsprechende Schranken-Schranke; deren Vorgaben muss das Doppelbestrafungsverbot aus Art. 54 SDÜ wahren - wovon nach Auffassung des BGH[18] wohl auch auszugehen ist. Schließlich bleibt Art. 54 SDÜ zudem - wie es
eben bei Grundrechten üblich ist - "im Lichte der Grundrechtsbestimmung"[19] auszulegen.
Dieser Argumentation wird aber der klare Wortlaut des Art. 50 GR‑Charta entgegenhalten.[20] Die Norm enthalte keinerlei Hinweise auf eine Schranke.[21] Art. 52 Abs. 2 GR‑Charta ließe Einschränkungen ohnehin nur in primärrechtlicher Gestalt zu[22]; diese Voraussetzung erfüllt das SDÜ jedoch nicht.[23] Problematisch erscheint aber noch ein weiterer Gesichtspunkt: Die Restriktionen müssten nämlich nicht nur hinsichtlich des Vollstreckungserfordernisses gelten, sondern auch hinsichtlich der anderen Merkmale des Doppelbestrafungsverbots - so auch bspw. im Bezug auf die rechtskräftige Aburteilung. Diese muss gem. Art. 54 SDÜ "durch eine andere Vertragspartei" erfolgt sein. Das Doppelbestrafungsverbot aus dem Schengener Durchführungsübereinkommen erfasst ausdrücklich nur Sachverhalte mit Grenzübertritt[24], entsprechend der ursprünglichen Zielsetzung des Schengenrechts, den Waren- und Dienstleistungsverkehr zu erleichtern und damit zusammenhängende Sicherheitslücken zu kompensieren.[25] Der EuGH selbst wendet Art. 50 GR‑Charta (ebenso wie die übrigen Grundrechte der Charta[26]) aber auch auf rein innerstaatliche Sachverhalte ohne Grenzüberquerung an.[27] Für Art. 50 GR‑Charta bei Sachverhalten mit Grenzübertritt die Vollstreckung der verhängten Sanktion zu fordern, bei Sachverhalten ohne Grenzübertritt aber mangels Eingreifen der Schranke aber darauf zu verzichten, widerspräche völlig der Idee eines einheitlichen Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ohne Binnengrenzen.[28]
Dieses Ergebnis legen auch die gem. Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 3 EUV zu Grunde zu legenden Erläuterungen zu Art. 50 GR‑Charta nahe: Dort ist im Bezug auf Art. 54 ff. SDÜ die Rede vom ne-bis-in-idem-Grundsatz einerseits und den klar eingegrenzten Ausnahmen andererseits.[29] Gemeint sein können damit nur Art. 54 SDÜ als Grundsatz - und dann die fakultativen Ausnahmen zum Beispiel in Art. 55 SDÜ, wenn etwa eine Vertragspartei den Vorbehalt erklärt hat, ausnahmsweise in bestimmten Konstellationen nicht an das Doppelbestrafungsverbot gebunden sein zu wollen.[30] Das Vollstreckungselement selbst ist jedoch keine optionale Ausnahme vom Doppelbestrafungsverbot, sondern bereits eine zwingende Tatbestandsvoraussetzung des Art. 54 SDÜ.[31] Auch Art. 54 SDÜ selbst kann (außer in Fällen des Art. 55 SDÜ) von den Mitgliedstaaten der EU nicht im Wege eines Opt-Out unangewendet bleiben. Denn nach Art. 2 Abs. 1 Unterabs. 1 des Protokolls zur Einbeziehung des Schengen-Besitzstands in den Rechtsrahmen der EU aus dem Vertrag von Amsterdam i.V.m. der jeweiligen Beitrittsakte gehört just diese Regelung zu denjenigen Normen aus dem Schengener Durchführungsübereinkommen, die für der EU neu beitretende Staaten i.d.R. bereits ab den Tag des Beitritts gelten.[32]
Eine Anwendung des innerstaatlichen ne-bis-in-idem-Grundsatzes bspw. aus Art. 103 Abs. 3 GG kann hierbei gleichfalls nicht weiterhelfen. Zwar enthält Art. 103 Abs. 3 GG kein Vollstreckungserfordernis. Die Norm bindet jedoch lediglich deutsche Gerichte untereinander.[33] Ihre fakultative Ausweitung auf Sachverhalte mit internationalen Bezügen nach dem Ermessen etwa der Strafverfolgungsbehörden bzw. Gerichte muss angesichts des im Strafprozess geltenden Legalitätsprinzips aus-
scheiden. Außerhalb von § 153c StPO[34] bleibt es somit auch in Konstellationen mit Grenzübertritten grds. beim staatlichen Verfolgungszwang.[35]
Wird schon Art. 54 SDÜ - und nicht erst Art. 55 SDÜ - als Schranke verstanden, so könnte dies die befremdlich erscheinende Konsequenz haben, dass ein EU-Staat, der den Vorbehalt nach Art. 55 SDÜ erklärt, gegenüber anderen EU-Staaten gerade nur an Art. 50 GR-Charta gebunden ist, nicht aber an Art. 54 SDÜ und das Vollstreckungselement. Denn seinem Wortlaut nach bezieht sich Art. 55 SDÜ ausdrücklich allein auf das (gesamte) Doppelbestrafungsverbot des Art. 54 SDÜ (und nicht etwa nur auf die Vollstreckungskomponente).[36]
Nach Ansicht des BVerfG sei es indes durchaus vertretbar, das Doppelbestrafungsverbot gemäß Art. 50 GR‑Charta nur nach Maßgabe der einschränkenden Vollstreckungselemente des Art. 54 SDÜ anzuwenden.[37] Dieser verfassungsgerichtlichen Entscheidung lag allerdings eine Konstellation zwischen Deutschland und den Niederlanden zu Grunde[38] - also ein Fall mit Grenzübertritt und ganz ohne Zweifel im Anwendungsbereich von Art. 54 SDÜ. Auf die Problematik der ungleichen Behandlung von Sachverhalten mit und ohne Grenzüberschreitung kam es deswegen nicht an und das BVerfG konnte sich mit diesem Kritikpunkt nicht auseinandersetzen. Praktischerweise hatte diese Sichtweise aber immerhin zur Folge, dass der BGH[39] in dem Zusammenhang jedenfalls nicht verpflichtet war, dem EuGH diese Frage vorzulegen und ihn mit der Schrankenkonstruktion zu befassen.[40]
Als weiteres Argument für die Fortgeltung der Voraussetzungen des Art. 54 SDÜ beriefen sich die Vertreter dieser Ansicht früher darauf, dass sich die EU-Grundrechtecharta gemäß ihrem Art. 51 Abs. 1 S. 1 unmittelbar eigentlich nur an die Organe, Einrichtungen und sonstige Stellen der Europäischen Union selbst richtet. Mitgliedstaatliche Gerichte sind demgegenüber gebunden "ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union". Und dabei hieß es bislang stets, die nur mittelbare Berücksichtigung von Unionsrecht im Rahmen der allgemeinen Rechtsprechung reiche dafür keinesfalls aus.[41] Ein Urteil des EuGH vom 26. Februar 2013[42] entzieht nun allerdings diesem letzten Argument (endgültig) den Boden[43]:
Dem Fall lag ein steuerstrafrechtlich relevantes Geschehen zugrunde: Wegen der Verletzung steuerlicher Erklärungspflichten war gegen den Täter zunächst von der schwedischen Finanzverwaltung eine "steuerliche Sanktion" festgesetzt worden. Anschließend wurde gegen F wegen derselben Tat ein Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung eingeleitet. Das zuständige Gericht befasste dann den EuGH mit einer Vorlage, unter anderem über die Frage, ob denn die Anklage gegen F noch zulässig sei.
Der Sachverhalt wies keinerlei Grenzübertritte auf, sondern beschränkte sich rechtlich auf den innerstaatlichen Raum Schweden. Unter anderem die schwedische Regierung selbst und auch die Europäische Kommission hielten deswegen die Vorlagefragen für unzulässig. Der Gerichtshof sei nach Art. 51 Abs. 1 GR‑Charta nämlich
nicht zu deren Beantwortung berufen. Gem. Art. 19 Abs. 3 Buchst. b 1. Alt. EU-Vertrag entscheidet der Europäische Gerichtshof im Wege der Vorabentscheidung über die Auslegung des Unionsrechts. Als auszulegendes Unionsrecht kommt vorliegend nur Art. 50 GR‑Charta in Betracht. Dieses Doppelbestrafungsverbot muss jedoch nach Art. 51 Abs. 1 GR‑Charta von mitgliedstaatlichen Gerichten nur dann beachtet werden, wenn es um die "Durchführung des Rechts der Europäischen Union" geht. Die in der Unionsrechtsordnung garantierten Grundrechte finden also in allen unionsrechtlich geregelten Fallgestaltungen Anwendung - nicht aber außerhalb davon.[44] Wird eine rechtliche Situation nicht vom Unionsrecht erfasst, so gilt auch Art. 50 GR‑Charta nicht und es ist keine Rechtsnorm einschlägig, für deren Auslegung der EuGH zuständig sein könnte. Denn die angeführte Bestimmung der EU-Grundrechtecharta als solche kann die Zuständigkeit nicht begründen.[45]
Die gegen den Täter festgesetzten steuerlichen Sanktionen und das Strafverfahren standen jedoch zumindest (aber auch lediglich) teilweise im Zusammenhang mit der Nichteinhaltung von Mitteilungspflichten auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer. Nun werden die Eigenmittel der Europäischen Union unter anderem gerade aus dieser in den Mitgliedstaaten erhobenen Mehrwertsteuer bestritten[46] und Art. 325 Abs. 1 AEUV verpflichtet die Mitgliedstaaten, Betrügereien und sonstige rechtswidrige Handlungen, die sich gegen die finanziellen Interessen der Union richten, zu bekämpfen. Daher - so der EuGH - bestehe ein "unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Erhebung der Mehrwertsteuereinnahmen […]und der Zurverfügungstellung entsprechender Mehrwertsteuermittel für den Haushalt der Union".[47] Deswegen sollen also die Erhebung der (Mehrwert‑)Steuer und die Verhängung entsprechender Sanktionen durch die Mitgliedstaaten nach rein nationalem mitgliedstaatlichem Streuer(straf)recht "Durchführung von Unionsrecht" sein.
Die Bindung der mitgliedstaatlichen Gerichte an die Grundrechtecharta setzt gemäß Art. 51 Abs. 1 S. 1 GR‑Charta[48] prinzipiell zwei Dinge voraus[49]: Das Vorhandensein von Unionsrecht und dessen Durchführung durch die Mitgliedstaaten. Unionsrecht meint neben dem Primärrecht, alle in Art. 288 AEUV genannten Handlungsformen der Union, insbesondere also Verordnungen und Richtlinien.[50] Die Mehrwertsteuerrichtlinie fällt somit grundsätzlich unter den Begriff des Unionsrechts.
Durchführen ist der Oberbegriff von Umsetzen und Vollziehen, also die legislative Umsetzung von Richtlinien und der administrative Vollzug beziehungsweise die Anwendung von Verordnungen durch die Mitgliedstaaten.[51] Der EuGH[52] fasst diesen Begriff allerdings schon immer ziemlich weit[53]: So soll zum Beispiel nationales Recht, das im Zusammenhang mit der Umsetzung von Richtlinien eine Rolle spielt, generell am Maßstab der Unionsgrundrechte gemessen werden.[54] Schließlich besteht die Möglichkeit einer judikativen Durchführung[55], wenn mitgliedstaatliche Gerichte Unionsrecht auslegen und anwenden. Derart ausgelegt wird im vorliegenden Urteil nach Auffassung des EuGH dann auch mit der Erhebung der Mehrwertsteuer "Unionsrecht durchgeführt".
Ein so pauschaler Ansatz macht die mitgliedstaatliche strafrechtliche Rechtsprechung in nahezu jedem denkbaren Bereich zu einer "Durchführung von Unionsrecht". Die EU verfügt zwar - abgesehen von den beschränkten Befugnissen im Rahmen des Art. 325 Abs. 4 AEUV - über keine selbstständigen Strafrechtsetzungskompeten-
zen.[56] Sie hat aber insbesondere in wirtschaftsbezogenen Sektoren faktisch weit reichende Möglichkeiten, mit denen nach Art. 83 AEUV entsprechende Anweisungskompetenzen im Bezug auf die nationalen Strafrechte verbunden sind. Richtlinien und Verordnungen der EU beeinflussen damit auch die Anwendung nationaler Strafnormen. Hierbei lässt sich nach dem Nähegrad des Unionsrechts zum nationalen Strafrecht differenzieren:
Auf der ersten Stufe der Beeinflussung steht bspw. der Subventionsbetrug nach § 264 StGB: Nach § 264 Abs. 1 StGB macht sich unter anderem strafbar, wer falsche Angaben macht in seinem Antrag auf Bewilligung einer Leistung aus öffentlichen Mitteln, die nach dem Recht der Europäischen Union vergeben werden. Dieser Teil der Vorschrift beruht auf der Umsetzung des Übereinkommens über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften aus dem Jahr 1995.[57] § 264 Abs. 7 S. 1 Nr. 2 StGB bezieht die aus EU-Mitteln bestrittenen Subventionen ausdrücklich in den Anwendungsbereich der Strafnorm mit ein und die Strafnorm offenbart durch ihren eigenen Normtext ihre unionsrechtliche Provenienz. Der deutsche Straftatbestand trägt dadurch wiederum Rechnung der heute in Art. 325 Abs. 1 des Arbeitsweisevertrags normierten Verpflichtung, EU-Betrügereien zu bekämpfen.
Denkbar ist auch, dass der Text der nationalen Strafnorm ausdrücklich als Blankett auf unmittelbar geltendes Unionsrecht verweist. Die unionsrechtlichen - aber unmittelbar anwendbaren - Ausfüllungsnormen werden in den mitgliedstaatlichen Straftatbestand hineingelesen. Derartiges findet man z.B. in § 326 Abs. 2 Nr. 1 StGB. Nach dieser Vorschrift macht sich strafbar, wer entgegen der Abfallverbringungsverordnung, die sodann im Wortlaut genau bezeichnet wird[58], Abfälle in oder aus Deutschland verbringt. Um zu prüfen, ob der Straftatbestand erfüllt ist, muss das nationale Strafgericht somit einen Blick in die Verordnung werfen und deren Vorschriften subsumieren.
Des Weiteren ist eine Beeinflussung nationalen Strafrechts durch Unionsrecht als eine dritte Stufe auch dadurch möglich, dass die einschlägige unionsrechtliche Norm im Text der nationalen Strafnorm zwar nicht genannt wird; es liegt also kein Blankett vor wie bei § 326 Abs. 2 Nr. 1 StGB. Die unionsrechtliche Norm ist aber immerhin als Verordnung unmittelbar anwendbar und vom Adressaten der jeweiligen Vorschrift direkt zu beachten. So verhält es sich bspw. im Kapitalmarktbereich, wenn es um den Kapitalanlagebetrug gemäß § 264a StGB geht. Nach dieser Vorschrift wird bestraft, wer beim Vertrieb von Wertpapieren in Prospekten falsche Angaben macht. Welche Angaben ein solcher Prospekt enthalten muss, normiert neben dem WpPG unter anderem die EG-Wertpapierprospekt-Umsetzungs-Verordnung.[59] Diese Verordnung schreibt in ihrem Art. 3 vor, dass jeder Prospekt die in ihren Anhängen I bis XVII und XX bis XXX genannten Informationsbestandteile beinhalten muss. Eine ausdrückliche direkte Bezugnahme auf die Verordnung fehlt zwar im Wortlaut des § 264a StGB. Dennoch ist - weil die Verordnung ja unmittelbar gilt - der Ersteller eines Wertpapierprospekts gehalten, diese Anhänge sorgfältig zu studieren und diese Informationen in den Prospekt aufzunehmen. Jede Überprüfung, ob denn der Tatbestand des § 264a Abs. 1 StGB durch die Publikation des Prospekts verwirklicht ist, schließt eine Prüfung der Verordnung und ihrer Anhänge partiell ein und es genügt insofern eine Bezugnahme "über Eck" vermittels der entsprechenden Vorschriften des WpPG. Damit wäre - legt man die Auffassung des EuGH zugrunde - mitgliedstaatliche Strafrechtsprechung zum Kapitalanlagebetrug insoweit immer "Durchführung des Unionsrechts".
Auf einer vierten Stufe der Beeinflussung des nationalen Strafrechts durch Unionsrecht befindet man sich aber, wenn es (im Gegensatz zu den drei vorgenannten Fallgruppen) keinen direkten formal begründbaren Zusammenhang zwischen dem Unionsrecht und dem nationalem Recht mehr gibt. Zwischen der Strafnorm und dem einschlägigen Unionsrecht stehen vielmehr weitere nationale Vorschriften, wobei der Straftatbestand einen etwaigen unionsrechtlichen Ursprung oder Hintergrund nicht zu erkennen gibt. So verhält es sich z.B. mit der Steuerhinterziehung. Der zum Vergleich herangezogene § 370 AO[60] beinhaltet (genau wie die entsprechende im o.g.
Fall einschlägige schwedische Vorschrift[61]) weder eine direkte Bezugnahme auf das Unionsrecht im Wortlaut, noch ist die Mehrwertsteuerrichtlinie unmittebar in den Mitgliedstaaten anwendbar. Der Zusammenhang zwischen Richtlinie und Straftatbestand wird erst über weitere, im Bezug auf ihre Provenienz ggf. aber ebenfalls völlig neutrale Normen des nationalen Steuerrechts hergestellt.[62] Dieses tatbestandliche Minus (die fehlende unmittelbare Bezugnahme) und das formale Manko (keine unmittelbare Geltung der Unionsnorm) kompensiert der EuGH in seiner Argumentation kurzerhand mit einem materiellen Plus an unionseigenem finanziellem Interesse; er beruft sich auf Art. 325 Abs. 1 AEUV.
Das "Europäische Strafrecht" galt bislang als Sammelbegriff für all diejenigen strafrechtlichen und strafverfahrensrechtlichen Normen und Praktiken, die auf das Recht und die Aktivitäten der EU und des Europarats zurückgehen und zu einer weitgehenden Harmonisierung der nationalen Straf(verfahrens)rechte führen sollen.[63] Mit der obigen Entscheidung dehnt der EuGH diesen Begriff nun ausdrücklich auf Fälle gerade ohne erkennbaren unmittelbaren formalen Zusammenhang zwischen mitgliedstaatlichem Strafrecht und Unionsrecht aus. Folge ist ein "Zuständigkeitsüberhang" des EuGH an einer Stelle, an der die EU selbst für die Strafrechtsetzung - noch - lediglich die schwächeren Anweisungskompetenzen (vgl. Art. 83 AEUV[64]) für sich in Anspruch nehmen kann, und der sich nur über die bislang umfangreichste strafrechtliche Kompetenzvorschrift des Art. 325 Abs. 4 AEUV rechtfertigen ließ.
Liegt der Fokus auf dem Doppelbestrafungsverbot, so hat die Entscheidung zugleich Konsequenzen für die Begründung des Vollstreckungserfordernisses. Denn der Weg, auf dem der EuGH seine Zuständigkeit begründet, entzieht demjenigen Ansatz den Boden, die Fortgeltung von Art. 54 SDÜ darauf zu stützen, dass die EU-Grundrechtecharta für mitgliedstaatliche Gerichte gilt: "ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union", Art. 51 Abs. 1 S. 1 SDÜ. Denn nach Ansicht des EuGH reicht nun eben doch die bloß mittelbare Berücksichtigung von Unionsrecht im Rahmen der allgemeinen Rechtsprechung als "Durchführung von Unionsrecht".
Das Vollstreckungserfordernis steht damit nur noch auf dem Fundament der Schrankenkonstruktion, für die sich der EuGH ausdrücklich entscheiden müsste, falls er das Vollstreckungselement des Art. 54 SDÜ beibehalten wollte. Der Hintergrund dieses Verständnisses liegt aber - wie aufgezeigt - in den derzeit noch bestehenden Defiziten des Systems der Instrumente gegenseitiger Anerkennung.
Für das Doppelbestrafungsverbot verweist die GR-Charta nun gerade nicht auf dessen intranationale wie gleichermaßen auch transnationale Anwendung[65], sondern sie behandelt die zwischenstaatliche Geltung des ne-bis-in-idem-Grundsatzes als selbstverständlich. Eben dieses Verständnis bzw. diese Behandlung der zwischenstaatlichen Anwendung als Selbstverständlichkeit[66] führt aber die Schrankenkonstruktion an ihre Grenzen: Wenn es so zweifellos ist, dass die ne-bis-in-idem-Garantie transnational gilt, wieso unterliegt sie dann ausgerechnet dort
der "Schranke" des Vollstreckungserfordernisses? Der enge Zusammenhang des (transnationalen) Doppelbestrafungsverbots mit dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung, Art. 82 Abs. 1 AEUV[67], zeigt hierbei besonders deutlich auf, wie weit diese Anerkennung (heute schon) reicht und wo sie endet.
Das größte Potential scheint jedenfalls mittel- und langfristig somit in demjenigen Ansatz zu liegen, der Art. 50 GR-Charta schrankenlos den Vorrang einräumen will.[68] Dagegen wird momentan zwar noch ganz zu Recht vorgebracht, es fehle an einer hinreichenden Abstimmung der einschlägigen Instrumente aufeinander und die staatliche Souveränität gebietet daher, nur unter Einschränkungen auf Strafverfolgung zu verzichten.[69] Wendet man aber mit dem EuGH das Doppelbestrafungsverbot des Art. 50 GR-Charta auf inner- und zwischenstaatliche Sachverhalte gleichermaßen an, bewirkt dies wegen der justiziellen Ausrichtung des Grundrechts eine Gleichschaltung der mitgliedstaatlichen Gerichte untereinander. So verstanden geht das Doppelbestrafungsverbot genau genommen sogar über den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung hinaus und intendiert eine Akzeptanz mitgliedstaatlicher Entscheidungen, die nach Art einer "Harmonisierung i.e.S." nicht an weitere Bedingungen (Vollstreckung) gekoppelt, sondern davon unabhängig ist.[70] Art. 54 SDÜ als Schranke zu verstehen, ist momentan Ausdruck des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung - genauer gesagt: Ausdruck der Tatsache, dass Entscheidungen mitgliedstaatlicher (Straf‑)Gerichte einer solchen gegenseitigen Anerkennung überhaupt bedürfen. Die Schrankenkonstruktion mag damit aktuell noch den Lücken im System der Anerkennungsinstrumente Rechnung tragen. Je ausgefeilter dieses System aber wird, desto weniger lässt sich eine solche Einschränkung rechtfertigen.[71]
* Der Beitrag basiert auf einem von der Verf. im Mai 2013 an der Universität Konstanz gehaltenen Vortrag. Der Vortragsstil wurde z.T. beibehalten.
[1] Vgl. Inhofer, in: Graf, BeckOK-StPO, 15. Ed. (2012), Art. 54 SDÜ Rn. 27.
[2] Walther ZJS 2013, 16, 17; siehe aber Art. 9 des Protokolls Nr. 36 zum Vertrag von Lissabon, Protokoll über die Übergangsbestimmungen vom 13.12.2007, Abl. EU 2008, Nr. C 115/322.
[3] So Böse, in: Ambos, Europäisches Strafrecht post Lissabon, 2011, S. 57 (71); Böse GA 2011, 504; Böse ZIS 2010, 607, 612; Eser, in: Meyer, GR-Charta, 3. Aufl. (2011), Art. 50 Rn. 14; Heger ZIS 2009, 406, 408; Heger HRRS 2008, 413, 415; Merkel/Scheinfeld ZIS 2012, 206, 208 ff.; ähnlich Anagnostopoulos, Neumann/Herzog, Festschrift für Winfried Hassemer , 2010, S. 1121, 1136 f.; Reichling StV 2010, 237; i.E. ebenso Zöller, in: Amelung/Günther/Kühne, Festschrift für Volker Krey zum 70. Geburtstag, 2010, S. 501, 518; ebenfalls in diese Richtung Swoboda JICJ 2011, 243, 266; krit. zum Vollstreckungselement auch Vogel, in: Hoyer/Müller/Pawlik/Wolter, Festschrift für. Friedrich-Christian Schroeder zum 70. Geburtstag, 2006, S. 877, 890.
[4] Siehe dazu eingehend sogleich Abschn. II.
[5] So krit. bspw. Fletcher/Lööf/Gilmore EU Criminal Law and Justice, 2008, 138; ähnlich Schomburg/Suominen-Picht NJW 2012, 1190, 1191.
[6] Nachw. dazu bei Satzger Internationales und europäisches Strafrecht, 5. Aufl. (2011), § 10 Rn. 68; für eine enge Auslegung auch Mansdörfer Das Prinzip des ne bis in idem im europäischen Strafrecht, 2004, S. 183 unter Verweis auf § 456a StPO.
[7] Krit. diesbzgl. auch Zeder EuR 2012, 34, 38; rechtspolitische Bedenken äußern ferner Ambos Internationales Strafrecht, Strafanwendungsrecht, Völkerstrafrecht, Europäisches Strafrecht, Rechtshilfe, 3. Aufl. (2011), § 10 Rn. 119 und Satzger (Fn. 6 ), § 10 Rn. 68.
[8] Gem. Art. 2 Abs. 1 des RbEuHB kann fakultativ ein Europäischer Haftbefehl erlassen werden bei Handlungen, die nach den Rechtsvorschriften des Ausstellungsmitgliedstaats mit einer Freiheitsstrafe von im Höchstmaß mindestens zwölf Monaten bedroht sind, bzw. falls bereits eine Verurteilung erfolgt ist, die verhängte Strafe mindestens vier Monate beträgt. Dabei kann nach Art. 2 Abs. 4 RbEuHB die Übergabe davon abhängig gemacht werden, dass die Handlungen, derentwegen der Europäische Haftbefehl ausgestellt wurde, eine Straftat nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats darstellen. Auf dieses Erfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit wird gem. Art. 2 Abs. 2 RbEuHB verzichtet bei bestimmten, dort genannten Katalogtaten, die im Ausstellungsmitgliedstaat nach der Ausgestaltung in dessen Recht mit einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung im Höchstmaß von mindestens drei Jahren bedroht sind.
[9] So Satzger (Fn. 6 ), § 10 Rn. 68; Satzger, in: Heinrich/Jäger/Achenbach u.a., Strafrecht als Scientia Universalis, Festschrift für Claus Roxin zum 80. Geburtstag, 2011, S. 1515, 1520; zu weiteren Ausnahmen Böse HRRS 2012, 19, 20.
[10] Mansdörfer (Fn. 6 ), S. 242.
[11] Vgl. die Erl. zur GR-Charta, Abl. 2007, Nr. C 303/33, wo es zu Art. 52 heißt: "Absatz 2 bezieht sich auf Rechte, die bereits ausdrücklich im Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft garantiert waren"; zum sekundärrechtlichen Charakter auch Burchard/Brodowski StraFo 2010, 179, 181 (insb. Fn. 13); dazu auch Mansdörfer (Fn. 6 ), S. 160 f.
[12] Siehe Satzger (Fn. 6 ), § 10 Rn. 68 unter Verweis auf BGH NStZ-RR 2011, 7 (= HRRS 2010 Nr. 1053), der eine Anwendbarkeit von Art. 52 Abs. 2 auf das als allgemeinen Rechtsgrundsatz entwickelte Doppelbestrafungsverbot verneint hat; für Art. 54 ff. SDÜ hat der Rat als Rechtsgrundlage Art. 34 und 31 EUV festgelegt.
[13] Ambos Internationales Strafrecht (Fn. 7 ), § 10 Rn. 119; Ambos, in: Joecks/Miebach, Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, 2. Aufl. (2012), Bd. 1, vor §§ 3-9 Rn. 68; Burchard/Brodowski StraFo 2010, 179, 184; Hecker Europäisches Strafrecht, 4. Aufl. (2012), § 13 Rn. 38; Satzger (Fn. 6 ), § 10 Rn. 68; Satzger FS-Roxin (Fn. 9 ), 1515, 1524; ferner BVerfG NJW 2012, 1202, 1203 f. =HRRS 2012 Nr. 28; i.E. so wohl auch LG Aachen, StV 2010, 237.
[14] Ambos Internationales Strafrecht (Fn. 7 ), § 10 Rn. 119.
[15] Satzger (Fn. 6 ), § 10 Rn. 68.
[16] So der 1. Strafsenat in BGHSt 56, 11 ff. (dort insb. Rn. 13 bis 16) = HRRS 2010 Nr. 1053, ebenso der 2. Strafsenat in BGH BeckRS 2010, Nr. 30899.
[17] BGHSt 56, 11 ff. (dort insb. Rn. 13); so auch die wohl überwiegende Ansicht in der Lit., vgl. Burchard/Brodowski StraFo 2010, 179, 184; Hecker (Fn. 13 ), § 13 Rn. 39; Jarass GR-Charta, 1. Aufl. (2010), Art. 50 Rn. 11; Kretschmer, ZAR 2011, 384 (387); Satzger (Fn. 6 ), § 10 Rn. 68.
[18] BGHSt 56, 11 ff. (dort Rn. 13) = HRRS 2010 Nr. 1053; ebenso LG Aachen, StV 2010, 237 mit dem knapen Hinweis, der Wesensgehalt des Art. 50 GR-Chrta werde "nicht angetastet, da der grundsätzliche Schutz vor doppelter Verfolgung und Bestrafung bestehen bleibt und nur eine sachlich gerechtfertigte Eingrenzung durch das Kriterium der Vollstreckung oder Vollstreckbarkeit erfolgt."; ferner Satzger (Fn. 6 ), § 10 Rn. 68.
[19] Satzger (Fn. 6 ), § 10 Rn. 68.
[20] Schomburg/Suominen-Picht NJW 2012, 1190.
[21] Darauf verweisen z.B. Schomburg/Suominen-Picht NJW 2012, 1190, 1191 sehr deutlich.
[22] Vgl. aber Eckstein ZIS 2013, 220, 221.
[23] Siehe bereits oben Abschn. II. 1. a).
[24] So z.B. die Schlussanträge des Generalanwalts vom 7.9.2010 in EuGH Urteil vom 16.11.2011, Rs. C‑261/09, Slg 2010, I-11477 ff.
[25] Vgl. den Prolog zum Schengener Übereinkommen: Getragen von dem Willen, "an den gemeinsamen Grenzen die Abschaffung der Kontrollen für den Verkehr der Angehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften zu erreichen und den Waren- und Dienstleistungsverkehr zu erleichtern"; siehe auch Radtke/Busch EuGRZ 2000, 421, 425.
[26] Vgl. bspw. EuGH Verb. Rs. 60 und 61/84, Slg. 1985, S. 2605 Rn. 26; EuGH Rs. 12/86, Slg. 1987, S. 3719 Rn. 28.
[27] Vgl. etwa zuletzt EuGH, BeckRS 2013, Nr. 80395 = HRRS 2013 Nr. 335; zu den Grenzen der Bindung eingehend Jarass (Fn. 17 ), Art. 51 Rn. 21 f.
[28] In diese Richtung Schomburg/Suominen-Picht NJW 2012, 1190, 1191.
[29] So die Erl. zu Art. 50 GR-Charta, Abl. 2007, Nr. C 303/33: "Nach Artikel 50 findet die Regel ‚ne bis in idem' nicht nur innerhalb der Gerichtsbarkeit eines Staates, sondern auch zwischen den Gerichtsbarkeiten mehrerer Mitgliedstaaten Anwendung. Dies entspricht[…]Artikel 54 bis 58 des Schengener Durchführungsübereinkommens[…]. Die klar eingegrenzten Ausnahmen, in denen die Mitgliedstaaten nach diesen Übereinkommen von der Regel ‚ne bis in idem' abweichen können, sind von der horizontalen Klausel des Artikels 52 Absatz 1 über die Einschränkungen abgedeckt." Demgegenüber lässt der Wortlaut des Art. 54 SDÜ kein Ermessen im Hinblick auf das Vollstreckungserfordernis zu: "Wer durch eine Vertragspartei rechtskräftig abgeurteilt worden ist, darf durch eine andere Vertragspartei wegen derselben Tat nicht verfolgt werden, vorausgesetzt, daß im Fall einer Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaats nicht mehr vollstreckt werden kann.".
[30] Art. 55 SDÜ lautet in Abs. 1: "Eine Vertragspartei kann bei der Ratifikation, der Annahme oder der Genehmigung dieses Übereinkommens erklären, daß sie in einem oder mehreren der folgenden Fälle nicht durch Artikel 54 gebunden ist, wenn[…]". Siehe allgemein zu den Einschränkungen des Art. 54 SDÜ durch Art. 55 SDÜ Zöller (Fn. 3 ) S. 501 (513 ff.); ferner Ambos Internationales Strafrecht (Fn. 7 ), § 10 Rn. 104; Mansdörfer (Fn. 6 ), S. 142; Schomburg, in: Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Aufl. (2012), Art. 55 SDÜ Rn. 1 f.; krit. Stein ZStW 2003, 983, 984 f.
[31] In diese Richtung auch Böse, GA 2011, 504 (506).
[32] Vgl. z.B. Art. 4 Abs. 1 des Protokolls über die Bedingungen und Einzelheiten der Aufnahme der Republik Bulgarien und Rumäniens in die Europäische Union (Abl. EU L 157/203 ff.) i.V.m. dessen Anhang II Nr. 2; ähnlich Art. 3 Abs. 1 des Protokolls über die Bedingungen des Beitritts der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge (Abl. EU L 236/33 ff.) i.V.m. dessen Anhang I Nr. 2 UAbs. 2.
[33] Schmid-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, 68. El. (2013), Art. 103 Rn. 303; Walther ZJS 2013, 16.
[34] Nach § 153c Abs. 1 StPO kann die Staatsanwaltschaft z.B. von der Verfolgung von Straftaten absehen, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs der StPO begangen sind (Nr. 1), oder die ein Ausländer im Inland auf einem ausländischen Schiff bzw. Luftfahrzeug begangen hat (Nr. 2). Das Doppelbestrafungsverbot führte demgegenüber zu einer Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO; vgl. Walther ZJS 2013, 16.
[35] Das folgt bereits aus der Existenz des § 51 Abs. 3 StGB, der im Fall mehrfacher Strafverfolgung eine Anrechnungsmöglichkeit für im Ausland erlittene Freiheitsentziehungen normiert; so auch der Rückschluss von Vogel (Fn. 3 ), S. 877, 879 f. Das Vollstreckungselement des Art. 54 SDÜ ist damit - anders als in Art. 3 Nr. 2 RbEuHB - gerade nicht Ausdruck der Befugnis, das Vorliegen solcher Hindernisse überhaupt prüfen, und zur Wahrung der Verfahrensrechte des Verurteilten die von einem anderen Staat erbetene Vollstreckung ablehnen zu dürfen; dazu Böse HRRS 2012, 19, 20.
[36] Gleiches würde hypothetisch für einen der EU neu beitretenden Staat gelten, dessen Beitrittsakte (anders als die in Fn. 32 genannten Beispiele) Art. 54 SDÜ eben gerade nicht dem Katalog derjenigen Normen des Schengen-Rechts zuordnet, die unmittelbar ab dem Beitritt gelten, sondern erst nach einem entsprechenden Beschluss anzuwenden sind, den der Rat nach einer Prüfung der Frage, ob die erforderlichen Voraussetzungen für die Anwendung aller Teile des betreffenden Besitzstands in dem jeweiligen Staat gegeben sind, gefasst hat. Da Art. 54 SDÜ vermutlich zu den weniger problematischen Regelungen innerhalb der Evaluierungsmechanismen gehört, stellt sich diese Frage aber wohl nicht. Art. 54 SDÜ gilt derzeit in Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Island, Italien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, Schweiz, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechische Republik, Ungarn, Vereinigtes Königreich, Zypern; siehe die Zusammenstellung bei Inhofer, in: Graf (Fn. 1 ), Art. 54 SDÜ Rn. 9; eingehend zur Schengen-Evaluierung Pascouau EPC Policy Brief vom 31.1.2012.
[37] BVerfG, NJW 2012, 1202, 1203 f. = HRRS 2012 Nr. 28.
[38] In dem Fall ging es um während der deutschen Besatzung der Niederlande in den 1940er Jahren vom Täter als Mitglied eines Sonderkommandos der Waffen-SS in den Niederlanden begangene Morde. Nach dem Zweiten Weltkrieg hielt sich der Täter in den Niederlanden verborgen, bis er 1954 nach Deutschland kam. Wegen der Morde verhängte das Sondergericht Amsterdam mit Urteil vom 18.10.1949 die Todesstrafe; das Urteil wurde aber (bisher) nicht vollstreckt. Im Zuge eines Vollstreckungsübernahmeersuchens durch die Niederlande wurde im April 2008 von der Staatsanwaltschaft vor deutschen Gerichten Anklage wegen der Morde erhoben. Zum Sachverhalt BGHSt 56, 11 f. = HRRS 2010 Nr. 1053-
[39] BGHSt 56, 11 ff. = HRRS 2010 Nr. 1053.
[40] Dazu Walther ZJS 2013, 16, 20 f.
[41] Vgl. Walther ZJS 2013, 16, 17 sowie S. 18 mit Verweis auf die einschlägige Rspr. des BVerfG.
[42] EuGH, BeckRS 2013, Nr. 80395 = HRRS 2013 Nr. 335.
[43] Im Fokus der nachfolgenden Ausführungen steht gerade nicht die Problematik um den Geltungsbereich der Charta-Grundrechte (vgl. nur Eckstein ZIS 2013, 220 ff.; Gooren NVwZ 2013, 564; Wegner HRRS 2013, 126 ff. sowie Winter NZA 2013, 473 ff. jeweils bereits zu EuGH BeckRS 2013, Nr. 80395 = HRRS 2013 Nr. 335), sondern allein die Frage der Auswirkungen auf das Verhältnis von Art. 50 GR-Charta zu Art. 54 SDÜ.
[44] Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl. (2011), Art. 51 GR-Charta Rn. 7.
[45] Jarass NVwZ 2012, 457, 458: "Zirkelschluss"; ähnlich Eckstein ZIS 2013, 220, 222.
[46] Das ergibt sich aus Nr. 8 der Gründe zu der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. Nr. L 347 S. 1, ber. ABl. Nr. L 335 S. 60) i.V.m. dem Beschluss des Rates vom 29.9.2000 über das System der Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaften (2000/597/EG, Euratom).
[47] EuGH, BeckRS 2013, Nr. 80395 = HRRS 2013 Nr. 335.
[48] Zum eigentlichen Sinn und Zweck des Art. 51 GR-Charta, die Kompetenzen des EuGH zu begrenzen, Wegner HRRS 2013, 126, 127 mit Rekurs auf die Entstehungsgeschichte der Norm.
[49] Im Übrigens soll das Handeln der Mitgliedstaaten der Europäischen Union primär zunächst an den Grundrechten der jeweiligen mitgliedstaatlichen Verfassungen zu messen sein, so Kingreen, in: Calliess/Ruffert (Fn. 44 ), Art. 51 GR-Charta Rn. 7.
[50] Jarass NVwZ 2012, 457, 458; daneben werden aber auch untypische Handlungsformen wie z.B. Fördermaßnahmen und Verträge erfasst; siehe Hatje, in: Schwarze, EU-Kommentar, 3. Aufl. (2012), Art. 51 GRCharta Rn. 14.
[51] Jarass NVwZ 2012, 457, 459; Jarass (Fn. 17 ), Art. 51 Rn. 16 f.
[52] Bspw. EuGH Rs. C-540/03, Slg. 2006-5769, Rn. 104 f. (Bindung der Mitgliedstaaten, wenn sie im Anwendungsbereich des Unionsrechts handeln und ihnen dieses Ermessensspielräume eröffnet); EuGH Verb. Rs. C-465/00, Slg. 2003, I‑4989 Rn. 73 ff. (Messung der in einem österreichischen Gesetz enthaltenen Verpflichtung, die Bezüge von Spitzenfunktionären im öffentlichen Dienst zu veröffentlichen, am Maßstab der Datenschutzrichtlinie; die Richtlinie wurde dabei als Begründung für die Eröffnung des Anwendungsbereichs des Unionsrechts herangezogen, um dann letztlich das österreichische Gesetz an den Grundrechten zu messen).
[53] Krit., aber für einen Anwendungsvorrangs der Unionsgrundrechte Kingreen, in: Calliess/Ruffert (Fn. 44 ), Art. 51 GR-Charta Rn. 12; vgl. ferner Calliess JZ 2009, 113, 115 ff.; Scheuing EuR 2005, 162, 164 ff. Krit ebenfalls Eckstein ZIS 2013, 220, 225 (allerdings auch mit Verweis auf anderenfalls bestehende Abgrenzungsschwierigkeiten auf S. 223). Zu dem Problem eingehend Nusser Die Bindung der Mitgliedstaaten an die Unionsgrundrechte, 2011, passim (insb. S. 95 ff., 123 ff., 147 ff., 206 ff.).
[54] Dem entspricht die sog. Solange-II-Rspr., mit der das BVerfG akzeptiert, dass innerstaatliche Rechtsvorschriften und Vollzugsakte, die Unionsrecht durchführen, nicht an den Grundrechten des Grundgesetzes gemessen werden, solange der EuGH einen dem Grundgesetz vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. Das BVerfG übt demgemäß seine Gerichtsbarkeit über die Anwendbarkeit von abgeleitetem Gemeinschaftsrecht, das als Rechtsgrundlage für ein Verhalten deutscher Gerichte und Behörden im Hoheitsbereich der Bundesrepublik Deutschland in Anspruch genommen wird, nicht mehr und überprüft dieses Recht nicht mehr am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes (BVerfGE 73, 339).
[55] Jarass NVwZ 2012, 457, 460.
[56] Siehe Wegner HRRS 2013, 126, 128 mit Differenzierung zwischen dem "Ob" und dem "Wie" der durch Unionsrecht beeinflussten Strafbarkeit.
[57] Übereinkommen aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften vom 26.7.1995, ABl. EG v. 27.11.1995 Nr. C 316/49 ff .
[58] Bezeichnet als "Verordnung (EG) Nr. 1013/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.6.2006 über die Verbringung von Abfällen (ABl. L 190 vom 12.7.2006, S. 1, L 318 vom 28.11.2008, S. 15), die zuletzt durch die Verordnung (EU) Nr. 135/2012 (ABl. L 46 vom 17. 2. 2012, S. 30) geändert worden ist".
[59] VO (EG) Nr. 809/2004 der Kommission vom 29.4.2004 zur Umsetzung der Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die in Prospekten enthaltenen Angaben sowie die Aufmachung, die Aufnahme von Angaben in Form eines Verweises und die Veröffentlichung solcher Prospekte sowie die Verbreitung von Werbung, ABl. EG Nr. L 186 v. 18.7.2005, S. 3-104.
[60] § 370 Abs. 1 AO lautet: "Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer 1. den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht, 2. die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt oder 3. pflichtwidrig die Verwendung von Steuerzeichen oder Steuerstemplern unterlässt und dadurch Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt.". Zum möglichen Blankettcharakter der Strafnom eingehend Niehaus wistra 2004, 206; Schmitz/Wulf, in: Joecks/Miebach (Fn. 13 ), § 370 AO Rn. 13 ff.; Schuster Das Verhältnis von Strafnormen und Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten, 2012, S. 183 ff., insb. S. 195 f. mit Differenzierung bzgl. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO; ferner Weidemann wistra 2006, 132. Jedenfalls das Merkmal der Pflichtwidrigkeit in § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO soll eine Blankettverweisung auf das materielle Steuerrecht beinhalten; Schmitz/Wulf, in: Joecks/Miebach (Fn. 13 ), § 370 AO Rn. 17; ebenso Scheuermann-Kettner, in: Koch/Scholtz, Abgabenordnung, 5. Aufl. (1996), § 370 Rn 18; siehe auch Gaede wistra 2007, 184. Maßgeblich für die vorliegende Frage ist allerdings nicht der Blankettcharakter an sich, sondern vielmehr die Frage, ob die Strafnorm ihre mögliche partielle unionsrechtliche Provenzienz bzw. eine Bezugnahme auf das Unionsrecht ihrerseits verschleiert.
[61] § 2 Skattebrottslag lautet übersetzt: "Wer in anderer Weise als mündlich vorsätzlich falsche Angaben gegenüber einer Behörde macht oder es unterlässt, eine Steuererklärung, eine Kontrollmitteilung oder eine andere vorgeschriebene Mitteilung bei einer Behörde einzureichen und dadurch die Gefahr hervorruft, dass dem Fiskus Steuereinnahmen entgehen oder dem Täter oder einem Dritten Steuern zu Unrecht gutgeschrieben oder erstattet werden, wird wegen Steuerhinterziehung mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft." Kapitel 5 § 1 Taxeringslag normiert: "Macht der Steuerpflichtige in einem Besteuerungsverfahren in anderer Weise als mündlich unrichtige Angaben im Hinblick auf seine Besteuerung, so wird eine besondere Abgabe (Steuerzuschlag) erhoben. Dies gilt auch, wenn der Steuerpflichtige derartige Angaben in einem gerichtlichen Steuerverfahren macht und diese Angaben nach Prüfung des Sachverhalts nicht akzeptiert werden. Angaben sind unrichtig, wenn klar erkennbar ist, dass die Angaben, die der Steuerpflichtige macht, falsch sind oder dass der Steuerpflichtige es unterlassen hat, im Besteuerungsverfahren Angaben zu machen, zu denen er verpflichtet ist. Angaben sind jedoch nicht unrichtig, wenn sie zusammen mit anderen gemachten Angaben ausreichen, um einen richtigen Bescheid zu erlassen. Angaben sind auch dann nicht als unrichtig anzusehen, wenn sie so ungereimt sind, dass sie einem Bescheid offensichtlich nicht zugrunde gelegt werden können." Auch die nächstliegenden Ausfüllungsnormen (Kapitel 5 §§ 4 und 14 Taxeringslag) enthalten keinerlei Hinweise auf einen etwaigen unionsrechtlichen Hintergrund.
[62] Krit. insoweit auch Kingreen, in: Calliess/Ruffert (Fn. 44 ), Art. 51 GR-Charta Rn. 12 mit Verweis auf die Schwierigkeiten bei "tripolaren Grundrechtskollisionen".
[63] Ambos, Internationales Strafrecht (Fn. 7 ), § 9 Rn. 14; Ambos, in: MüKo-StGB (Fn. 13 ), vor §§ 3-7 Rn. 7; vgl. auch Hefendehl ZIS 2006, 229; Corstens/Pradel European Criminal Law and Justice, 2002, S. 3 definieren das Europäische Strafrecht als "collection of criminal standards (substantive, procedural and penitentiary), common to various European States, with the aim of better combating criminal activity in general, and transnational organised crime in particular."; siehe ferner Satzger (Fn. 6 ), § 7 Rn. 3.
[64] Siehe aber Wegner HRRS 2013, 126, 127 f., der allein die Rechtsetzungskompetenz in einem Sachgebiet ausreichen lassen will.
[65] So aber sehr wohl bei anderen Grundrechten wie z.B. Art. 15 Abs. 2 GR-Charta ("Alle Unionsbürgerinnen und Unionsbürger haben die Freiheit, in jedem Mitgliedstaat Arbeit zu suchen, zu arbeiten, sich niederzulassen oder Dienstleistungen zu erbringen.") oder Art. 39 Abs. 1 GR-Charta ("Die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger besitzen in dem Mitgliedstaat, in dem sie ihren Wohnsitz haben, das aktive und passive Wahlrecht bei den Wahlen zum Europäischen Parlament unter denselben Bedingungen wie die Angehörigen des betreffenden Mitgliedstaats.").
[66] Es ließe sich dabei auch die Frage aufwerfen, ob nicht die transnationale Geltung mittlerweile sogar zum Wesensgehalt dieses Grundrechts gehört. Dafür spräche immerhin, dass u.U. auch das Gebrauchmachen von anderen Grundrechten wie etwa dem allgemeinen Freizügigkeitsrecht (Art. 6 GR-Charta, Art. 21 AEUV) von dieser Frage abhängen kann. Von einer völligen Missachtung grundlegender Bestandteile des Grundrechts wird man dabei - zumindest derzeit - aber nicht ausgehen können. Zur Bestimmung des Wesensgehalts der Charta-Grundrechte Jarass (Fn. 17 ), Art. 52 Rn. 45.
[67] Siehe bereits oben.
[68] Das Vollstreckungserfordernis nach Art. 54 SDÜ behielte dann seine Relevanz lediglich in Konstellationen mit Staaten, die wie z.B. die Schweiz zwar Schengen-Staaten, jedoch keine EU-Mitgliedstaaten sind. Dieses Ergebnis erschiene dann zugleich als sachgerechte Abstufung der Voraussetzungen des transnationalen ne-bis-in-idem innerhalb und außerhalb der EU.
[69] Ähnlich Eckstein ZIS 2013, 220, 221 sowie Eckstein ZStW 2012, 490, 509 ff.
[70] Vgl. Böse HRRS 2012, 19 zum europäischen ordre public im Zusammenhang mit dem Begriff derselben Tat. Der ordre public-Vorbehalt beinhaltet, dass ausländische Entscheidungen ausnahmsweise nicht anerkannt werden, wenn dies im Widerspruch mit wesentlichen Grundsätzen des inländischen Rechts stünde. Kriminalpolitische Bedenken äußert auch Vogel (Fn. 3 ), S. 877, 882 f.: "beschränktes gegenseitiges Vertrauen in die Rechtspflege".
[71] Für eine "dynamische Interpretation" der Art. 50 und 52 Abs. 1 GR-Charta auch Mansdörfer (Fn. 6 ), S. 242.