HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

September 2013
14. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Tod auf Rezept - Überlegungen zur Tatbestandszurechnung bei ärztlich ermöglichtem Konsum von Betäubungsmitteln

Von Wiss. Mit. Dr. Mustafa Temmuz Oğlakcıoğlu[*]

I. Hinführung

Die gesetzgeberische Maxime "Therapie statt Strafe" steht seit der umfangreichen Novellierung des BtMG im Jahre 1982 (zumindest idealtypisch) gleichrangig neben dem Grundsatz der Generalprävention.[1] Ihre Umsetzung setzt eine Sonderbehandlung von Ärzten, Apothekern und Mitarbeitern in Heil- und Therapieeinrichtungen voraus, welche sich im deutschen Betäubungsmittelstrafrecht in den §§ 29 I Nr. 6, 7 i.V.m. § 13 BtMG manifestiert. "Arztspezifische" Handlungen, also das Verschreiben, Verabreichen und das Überlassen zum unmittelbaren Verbrauch unterliegen nicht dem Erlaubnisvorbehalt des § 3 BtMG, sondern richten sich vielmehr nach der Sondervorschrift des § 13 BtMG.[2] Bei "arzneimittel-

nahen" Drogen der Anlage III die Entscheidungskompetenz bzgl. der Abgabe durch den Apotheker sowie dem Erwerb durch den Patienten auf den Arzt übertragen, wobei dessen Pflichten durch die Vorschriften der BtMVV konkretisiert werden.[3]

Freilich ist dieses System in hohem Grade missbrauchsanfällig, da auch im Zeitalter der (mehr oder weniger) "legal highs"[4] der (Substitutions-)Arzt als verlässliche und v.a. "sichere" Bezugsquelle eine echte Alternative für Betäubungsmittelkonsumenten darstellt. Nicht nur was die Qualität der Betäubungsmittel selbst sondern auch was das Risiko einer Strafverfolgung angeht, ist das Arzt-Patienten-Verhältnis "steriler". Das besondere Vertrauen, das der Arzt in der nicht nur rechtlichen, sondern auch medizinischen "Grauzone" der Therapie von Betäubungsmittelabhängigen genießt, äußert sich in einer statistisch eher geringen Bedeutung der einschlägigen Vorschriften des BtMG in der PKS und Erhebungen des Bundesamts, §§ 29 Abs. 1 Nr. 6, 7 BtMG sowie § 29 I Nr.14 BtMG i.V.m. §§ 1 ff., 16 BtMVV (diesbezüglich ist kein einziger Anwendungsfall in den drei untersuchten Jahren zu verzeichnen).[5]

Wegen grundsätzlich "hoher Hemmschwellen" im Hinblick auf Strafverfolgungsmaßnahmen gegen pflichtwidrig agierende Ärzte kommt es erst bei Eintritt besonders gravierender Schäden (schwere Gesundheitsschädigung, Tod des Patienten) zur Aufdeckung missbräuchlicher Verschreibungen. Die einfach strukturierten und leicht nachweisbaren Delikte des BtMG nimmt die Staatsanwaltschaft dann zur "Absicherung" in die Anklage auf. Dies muss sie auch: Denn das Phänomen restriktiver Verfolgungspraxis setzt sich im Eröffnungsbeschluss fort, wenn trotz massiver bzw. absichtlicher Verstöße gegen Verhaltenspflichten keine vorsätzliche Tötung (bzw. Mord) angeklagt wird.[6] Mit der Annahme eines dolus eventualis geht man im Medizinstrafrecht bekanntermaßen zurückhaltend um und es scheint sich bzgl. des Vorsatzmaßstabs eine genuin-arztspezifische Hemmschwellentheorie etabliert zu haben,[7] die man auch als "hippokratische Vorsatztheorie" bezeichnen könnte.[8] Ob es sich dabei um eine begrüßenswerte Entwicklung handelt, sei an dieser Stelle dahingestellt.

In der Praxis führt sie dazu, dass sich die Strafbarkeit des Arztes auf die Tatbestandszurechnung konzentriert. Denn soweit eine Fahrlässigkeit im Raum steht, bereitet die Sorgfaltspflichtverletzung als "Handlungsunwert" des Fahrlässigkeitsdelikts selten Probleme. Die Sorgfaltspflichten des Arztes sind im Falle des Umgangs mit verschreibungspflichtigen Medikamenten im AMG und BtMG konkretisiert, sodass deren Verletzung bzw. Nicht-Beachtung die Sorgfaltswidrigkeit indiziert.[9] Daher wird man bei wiederholten Verstößen gegen die Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes gravierender Art einen Sorgfaltspflichtverstoß bejahen können.[10] Bezüglich der Kausalität können sich zwar die typischen Fragestellungen ergeben, welche die Feststellung eines Ursachenzusammenhangs bei ungeklärter Wirkweise betreffen.[11] Da der BGH dieses Problem auf die Ebene des § 261 StPO verschoben hat (also eine "Überzeugung" von einer Kausalität ausreicht),[12] kommt es eben auf die entsprechenden Sachverständigengutachten und die hieraus resultierenden Feststellungen an, ob eine Kausalität bejaht wird oder nicht.

II. Abschichtung nach Verantwortungsbereichen im Arzt-Patienten-Verhältnis

Damit fokussiert sich die Frage nach einer Strafbarkeit des Arztes auf die Zurechenbarkeit des tatbestandlichen Erfolgseintritts im normativen Sinn. Sie bildet auch die im Hinblick auf die enorme Strafrahmenverschiebung bedeutsame Schnittstelle zwischen fahrlässiger Tötung gem. § 222 StGB und Körperverletzung mit Todesfolge als Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination gem. § 227 StGB. Denn dem Arzt kann keine vorsätzliche Körperverletzung als Anknüpfungstatbestand für § 227 StGB zum Vorwurf gemacht werden, wenn gerade diese Intensität an Körperverletzung von der Einwilligung des Patienten umfasst ist bzw. er sich diesbezüglich eigenverantwortlich selbst gefährdet hat. Dabei muss gesehen werden, dass die Dogmatik des BGH rund um die Abschichtung nach Verantwortungsbereichen (in der Literatur unter den Überschriften "eigenverantwortliche Selbstgefährdung/einverständliche Fremdgefährdung" diskutiert) vornehmlich anhand von Fällen fortentwickelt wurde, in denen der Gefahrinitiator unmittelbar beim Verletzungs- bzw. Gefährdungsakt anwesend war. Da dies bei einem Arzt häufig der Fall sein kann - wie etwa beim Verabreichen oder Überlassen zum unmittelbaren Verbrauch - aber im Falle der Verschreibung nicht muss, erscheint es sinnvoll, diese beiden Fallgruppen voneinander zu trennen. Dies aber nicht, weil jeweils unterschiedliche Regeln gelten würden, als vielmehr aus dem Grund, dass bestimmte Regeln und Grundsätze erst im Rahmen der jeweiligen Konstellation eine besonders exponierte Stellung einnehmen.[13]

1. Grundlagen

Schließlich gelten für alle Konstellationen auch im Verhältnis von Arzt und Patient im ersten Schritt die allgemeinen Grundsätze: Derjenige, der an einer eigenverantwortlich gewollten (oder in Kauf genommenen) Selbstgefährdung teilnimmt, macht sich nicht wegen eines vorsätzlichen oder fahrlässigen Erfolgsdelikts der Körperverletzung oder des Totschlags strafbar.[14] De lege lata existiert keine Strafbarkeit der Selbstverletzung in Form der Selbsttötung bzw. Selbstverstümmelung, sodass auch eine Teilnahme an derartigen Handlungen mangels vorsätzlich, rechtswidriger Haupttat ausscheidet. Der Schutzbereich einer Norm zugunsten eines Einzelnen endet dort, wo dessen eigener Verantwortungsbereich beginnt.[15]

Diese "Eigenverantwortlichkeit" hat sich im Bereich der Tötungs- und Körperverletzungsdelikte durch die zunehmende Verfeinerung des Abschichtungsgedankens durch Rechtsprechung und Literatur zu einem "unsichtbaren" - aus Perspektive des Täters negativen - Tatbestandsmerkmal entwickelt (und damit auch zu einem Vorsatzbezugspunkt,[16] vgl. im Folgenden). Ein Tatbestandsausschluss[17] setzt voraus, dass das "spätere Opfer" bei Beteiligung an der Tatbestandsverwirklichung: 1. dispositionsbefugt über das beeinträchtigte Rechtsgut war, 2. die geistige Reife bzw. Fähigkeit besaß, hierüber zu disponieren[18] und 3. keinen rechtsgutsbezogenen (und damit erheblichen) Willensmängeln unterlag.

Während die Dispositionsbefugnis im Rahmen von Körperverletzungsdelikten keine Probleme bereitet (und es wohl im Allgemeinen anerkannt ist, dass auch die "Lebensgefahr" im Hinblick auf die Straflosigkeit des Suizids disponibel ist, soweit das Opfer Tatherrschaft beim unmittelbar lebensgefährlichen Akt hatte[19] ), ist die Einwilligungsfähigkeit des Drogensüchtigen in jedem Einzelfall genauerer Betrachtung zu unterziehen.[20] Dabei darf die grundsätzliche Einwilligungsfähigkeit - trotz bestehender Überschneidungen - nicht mit der Frage vermengt werden, ob der Patient die Tragweite des Risikos überblickt hat. Dies ist - da eine (verminderte) Schuldunfähigkeit des Konsumenten zum Zeitpunkt der riskanten bzw. selbstgefährdenden Handlung nicht den Regelfall darstellt - jedenfalls im Verhältnis von Arzt und Patient der

wohl häufigere Grund für eine Verantwortungsverschiebung.

2. Verantwortung des Arztes bei Verabreichen und Verbrauchsüberlassung

Im Bereich der Verabreichung sowie Verbrauchsüberlassung stehen sich Gefahrinitiator und Konsument unmittelbar gegenüber, sodass es schon rein tatsächlich (körperliche Anwesenheit, "geistig-kommunikativer" Austausch) häufiger zu tatsächlichen Willensmängeln bzw. Fehlvorstellungen kommen kann (Verwechslungen, technische Fehler und versehentliche Überdosierungen), die einer freiverantwortlichen Entscheidung des Konsumenten bzw. Patienten entgegenstehen und zu einer Verantwortung des Arztes führen. Dies hat der BGH in seinen zwei kurz nacheinander folgenden Entscheidungen (Kokainverwechslung und Psycholyse-Fall) bestätigt,[21] wobei deutlich wurde, dass die Abschichtung nach Verantwortungsbereichen zumindest im ersten Schritt keine Vorsatzfrage ist, auch wenn die missverständliche Überschrift für die typische Fallgruppe solch einer Verlagerung - "überlegenes Wissen"[22] - das Gegenteil suggeriert. Bei einem rechtserheblichen Irrtum (im Folgenden aa.) geht die Verantwortung objektiv auf den Initiator über (also denjenigen, der die gefährliche Handlung ermöglicht hat[23]), die "Überlegenheit" spielt nur für die Reichweite der Haftung eine Rolle. Liegt kein Irrtum vor, kann in einem weiteren Schritt überprüft werden, ob ein institutionell angelegtes, sprich: grundsätzliches "Wissensgefälle"[24] (bb.) besteht.

a. Irrtümer über das Gefahrpotential

In erster Linie können - wie so eben erläutert v.a. im Bereich der Verabreichung und Verbrauchsüberlassung - tatsächliche Irrtümer über das Risikopotential zu einer Verantwortlichkeit des Arztes führen. Hier muss der Rechtsanwender irgendwo zwischen kalkuliertem und eben nicht mehr kalkuliertem Risiko die Grenze ziehen und anhand objektiver Kriterien im Einzelfall ermitteln, welches Gefährdungspotential für den Konsumenten bestand und ob dieser das Risiko überblicken konnte. Während der Irrtum über Art und Qualität der Droge im Rahmen der betäubungsmittelstrafrechtlichen Vorschriften als unbeachtlicher "error in objecto" zu bewerten ist (und allenfalls bezüglich der nicht geringen Menge gem. § 29a I Nr. 2 BtMG zu einem Vorsatzausschluss führen kann), hat die Fehlvorstellung des Konsumenten über die richtige Konsummethode, von der Drogenart und deren Reinheitsgrad immer einen Bezug zum Gefahrpotential und ist damit rechtsgutsbezogen.

aa. Wesentliche und unbeachtliche Motivirrtümer

Der BGH lässt in diesem Zusammenhang nicht gelten, dass Irrtümer rund um die Konsistenz und Reinheit des Stoffes gerade vom typischen Risiko umfasst seien, dem sich das Opfer freiverantwortlich aussetze.[25] Vielmehr sei nach Art und Tragweite des Irrtums zu differenzieren, wobei der Senat solch einen generell höheren Gefährlichkeitsgrad im Verhältnis Heroin zu Kokain annimmt und sich hierbei an den Grenzwerten für die nicht geringe Menge orientiert.[26] Das ist im Ergebnis sicherlich nicht zu beanstanden, führt aber de facto dazu, dass im Bereich des Umgangs mit gefährlichen Substanzen kaum mehr irrelevante Motivirrtümer vorstellbar sind[27] und damit der Gefahrinitiator regelmäßig neben den Umgangsverboten auch im Bezug auf die eingetretene Körperverletzung oder gar Tötung "verantwortlich" ist.[28]

bb. Eigenverantwortliche (und somit "irrtumsfreie") Entscheidung des Opfers als Vorsatzbezugspunkt?

Damit ist man allerdings an einem wichtigen Punkt angelangt. Die Frage rund um das Vorliegen eines Irrtums, ist vollkommen unabhängig von der Frage zu beurteilen, ob der Täter mit Wissen (oder ggf. mit Absicht), sprich mit dolus directus hinsichtlich der Tatbestandsverwirklichung agiert (also ob tatsächlich ein "Wissensgefälle" besteht). Anders gewendet: Erst das Wissen um das Defizit führt zu einem Gefälle, welches zur vorsätzlichen Begehung führen kann (wobei an dieser Stelle nochmals zwischen Körperverletzungs- und Tötungsvorsatz differenziert werden muss: während der Arzt durch Vornahme der entsprechenden Handlung unproblematisch mit Körperverletzungsvorsatz agiert, der "erhalten" bleibt, wenn er sich keine Umstände vorstellt, die zu einer etwaigen Verantwortungsverschiebung führten, muss bei einem Tötungsvorwurf - im Hinblick auf die "hohe Hemmschwelle" - der entsprechende Vorsatz nochmals explizit festgestellt werden).

Dagegen ist von einem tatsächlichen Irrtum über die Voraussetzungen der Zurechenbarkeit auszugehen, wenn der Gefahrinitiator selbst nicht um den Irrtum des Opfers bzw. um das erhöhte Risikopotential weiß. Dieser Irrtum über die Tatsachen, welche eine eigenverantwortliche Entscheidung des Opfers ausschließen, kann dann über § 16 I 2 StGB zur Fahrlässigkeitshaftung führen, muss er aber ebenso nicht.[29] Genau dieser Fehler ist der Vorinstanz im Psycholyse-Fall unterlaufen, wenn sie apodiktisch feststellt, dass "ein Fall einer dem Angeschuldigten nicht zuzurechnenden eigenverantwortlichen Selbstschädigung (…) wegen der groben Pflichtverletzungen des Angeschuldigten und seines überlegenen Sachwissens bei der Substitution nicht" vorliegt und aus diesem Grund die vorsätzliche Körperverletzung annimmt, die den Anknüpfungspunkt für die (fehlerhaft) bejahte Erfolgsqualifikation des § 227 StGB bildet.[30]

b. "Institutionelles" Wissensgefälle? Zum Arzt-Patienten-Verhältnis

Freilich ist dieser Fehler der Vorinstanz zumindest im konkreten Fall insofern nachvollziehbar, als im Arzt-Patienten-Verhältnis die Rechtsprechung von Grund auf ein "Wissensgefälle" annimmt, um das sich auch der Arzt im Regelfall bewusst ist.[31] Damit ist man beim eingangs genannten, "institutionellen" Wissensgefälle angekommen. Insofern kehrt man den Grundsatz, wonach sich zwei eigenverantwortliche Individuen gegenüberstehen zu Lasten des Arztes um und geht von seiner prinzipiellen Handlungsherrschaft aus. Der Arzt hat kraft seiner Befugnis, den Umgang mit gefährlichen Stoffen zu legalisieren bzw. Dritten die Verfügungsgewalt hierüber zu verschaffen eine besondere Verantwortung dafür, dass die rechtlichen Vorschriften eingehalten werden.[32] Soweit man diese besondere Position des Arztes als "Beliehener" des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte ausblendet und sich ausschließlich auf das Verhältnis von Arzt und Patient fokussiert, bleibt der Bezugspunkt des beschriebenen Wissensgefälles "institutioneller" Art. Schließlich ist davon auszugehen, dass der Arzt in aller Regel (wenn der Patient nicht selber Substitutionsarzt ist) über die bessere Sachkenntnis bzgl. der Wirkungen, Gefahren und Suchtpotentiale des konkreten Präparates verfügt.[33] Diese Schieflage muss der Arzt durch eine ausreichende Beratung, Anamnese und Überwachung wieder kompensieren, das "Wissensgefälle" so wieder einebnen.[34]

Damit ist zugleich gesagt: Wenn dieses "Wissensgefälle" ausschließlich auf dem besonderen Sachwissen des Arztes basieren soll, heißt dies nicht automatisch, dass diese Überlegenheit "kausal" (hier im weiteren Sinne) für das verwirklichte Risiko war: Tatsächliche Umstände im Einzelfall können somit stets die "institutionelle" Verantwortungsverschiebung kontraindizieren bzw. "überlagern". Schließlich ist der Arzt nicht vor äußeren Risikofaktoren bewahrt; er kann gemeinsam mit dem Patienten einem Irrtum unterliegen. Dies ändert freilich nichts daran, dass bei einem gemeinsamen Irrtum die Tatherrschaft bzw. die Verantwortlichkeit objektiv auf den Arzt übergeht, doch kann nun sein Vorsatz bzgl. des "institutionellen" Wissensgefälles (das im Regelfall vorliegt) nicht ausreichen, da sein daraus resultierendes "Pflichtenpaket" auf einer falschen Tatsachengrundlage basiert. Er kann in solch einem Fall das Gefälle nicht einebnen. Dies ist insb. für den Körperverletzungsvorsatz von besonderer Relevanz, da dessen Wegfall (siehe oben) einer Körperverletzung mit Todesfolge gem. § 227 StGB die Grundlage entzieht.

Das institutionelle "Wissensgefälle" kann somit nicht automatisch zu einer Haftung des Arztes führen, selbst wenn der Arzt pflichtwidrig agiert bzw. das "Ungleichgewicht" nicht kompensiert hat. Noch deutlicher wird dies, wenn es zu einem unverantwortlichen Konsum durch den Patienten kommt, der auch bei Einhaltung allerhöchster Sorgfalt niemals vermeidbar gewesen wäre. Dies ist denkbar, wenn der Arzt zum Zeitpunkt des Konsums nicht zugegen ist, also bei der (kontraindizierten) Verschreibung von Betäubungsmitteln.

3. Zum Zurechnungsabbruch durch Drittverhalten bei kontraindizierter Verschreibung von Betäubungsmitteln

Auch i.R.e. kontraindizierten Verschreibung gründet die Tatherrschaft des Arztes regelmäßig auf dem beschriebenen, "institutionellen" Wissensgefälle. Soweit er diese "Schieflage" nicht durch eine den gesetzlichen Mindestvorgaben entsprechende Untersuchung, Beratung und Überwachung kompensiert hat, kann ihm eine auf den Konsum eines verschriebenen (Substitutions-)Mittels hin eingetretene Verletzung bzw. Tötung des Patienten zugerechnet werden. Verordnet ein Arzt seinem Patienten, von dem er weiß, dass er schwer drogenabhängig ist, ohne medizinische Indikation und gegen die Regeln ärztlicher Kunst betäubungsmittelhaltige Medikamente, und manifestiert er hierdurch die Sucht, kann er somit - soweit er die suchterhaltende Wirkung und Kontraindikation in Kauf genommen hat - jeweils wegen Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung bestraft werden.[35] Gleiches gilt, wenn der Patient bestehende Gefahren sieht, das Potential aber verdrängt, indem er die Aufklärung des Arztes nicht ernst nimmt, bagatellisiert.[36] Die Beispiele machen deutlich, dass der potentielle Missbrauch bereits zum Zeitpunkt der Verschreibung für den Arzt erkennbar sein muss, da er während des eigentlichen Konsumakts gerade nicht anwesend ist.

Dabei können sich im Hinblick auf die "Abwesenheit" des Arztes während des eigentlichen Konsumvorgangs zwei Fragen stellen: Zum einen sind an der Ermöglichung des Drogenkonsum nunmehr weitere Personen beteiligt, sodass sich - wie häufig bei der mittelbaren Ermöglichung einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Tötung bzw. einem Suizid - die Frage eines "Regressverbots" stellt. Zum anderen muss gesehen werden, dass gerade das System der Verschreibbarkeit eines Betäubungsmittels zur faktischen "Verkehrsfähigkeit" der Droge führt und somit immer ein Restrisiko (der Weitergabe, des Bunkerns oder des Ansammelns zum Zwecke der kumulativen Einnahme) bestehen bleibt. Die daraus resultierenden Gefahren können dem Arzt nach den Grundsätzen der berufsbedingten Tatbestandsverwirklichung[37] nicht angelastet werden, wenn die Verschreibung wirksam und ärztlich indiziert ist.[38] Doch ist der Überlegung nachzugehen, inwiefern dies auch gilt, wenn die Verschreibung "missbräuchlich" erfolgte, sprich: gegen Formvorschriften nach der BtMVV verstoßen wurde, oder die ärztlichen Überwachungs- und Kontrollpflichten nicht eingehalten wurden.

a. Mittelbares Inverkehrbringen als fahrlässige Tötung?

Wie bereits erläutert, existieren in den Fällen der missbräuchlichen Verschreibung des Arztes - im Gegensatz zur Verbrauchsüberlassung und dem Verabreichen - über den Patienten hinaus weitere "Verantwortungsträger", deren Drittverhalten einer Zurechnung entgegenstehen kann, man denke an den herausgebenden Apotheker, an aufsichtspflichtige Angehörige (die u.U. das Rauschgift für den Süchtigen "deponieren") oder Mitarbeiter von Sucht- oder Justizvollzugsanstalten. Ob das Verhalten Dritter allerdings den Arzt hinsichtlich des Fahrlässigkeitsvorwurfs entlasten kann, erscheint zweifelhaft: Man knüpft letztlich an das Inverkehrbringen einer gefährlichen Substanz, mithin soll die Sorgfaltspflicht gerade auch vorsätzliches Drittverhalten abwenden, weswegen derartige Erwägungen auf den ersten Blick nicht weiterführen.[39] Verlockend erscheint es, die Parallele zum fahrlässigen Umgang mit einer Waffe zu ziehen, der letztlich zur Tötung eines Dritten führt.[40] Doch hinkt der Vergleich schon aufgrund des Umstands, dass dort die fahrlässige Aufbewahrung des gefährlichen Gegenstands unmittelbar zum vorsätzlichen Schädigungsverhalten führt, während beim Arzt als fahrlässig Inverkehrbringenden nochmals mindestens zwei (ggf. ebenso fahrlässig) agierende Personen dazwischen geschaltet sind. Außerdem hat der Arzt keine Verfügungsmacht über die Betäubungsmittel, beherrscht den Gefahrenherd also nicht unmittelbar, was in den Fällen des fahrlässigen Umgangs mit einer Waffe originärer Anknüpfungspunkt für die strafrechtliche Haftung ist. Schließlich verschreibt der Arzt auch keine tödliche Dosis, d.h. soweit das Mittel tatsächlich als "Gift" missbraucht wird, müsste der vorsätzlich handelnde Dritte das Gefahrpotential durch weitere Handlungen (Beimischen, Ansammeln etc.) verschärfen. Zuletzt läuft der Regress bei selbstschädigendem Verhalten Dritter Personen ohnehin leer, weil ein Suizid mittels des gefährlichen Gegenstands bzw. der Substanz kaum zurechenbar ist. Insofern kann es auch im Falle der Waffe nicht Schutzzweck der Norm sein, eine Pistole sorgfältig aufzubewahren, um (versuchte) Selbsttötungen zu verhindern.[41]

aa. Der Apotheker als Zwischeninstanz

Im typischen Fall einer Verschreibung muss sich der Patient mit seinem "gelben Rezept" in die Apotheke begeben und sich die Betäubungsmittel aushändigen lassen. Damit hat die Apotheke die tatsächliche Verfügungsmacht über die Betäubungsmittel, sodass die Überlegungen zum fahrlässigen Umgang mit gefährlichen Gegenständen und Substanzen allenfalls auf diesen Personenkreis übertragbar erscheinen. Die Aufbewahrung und Abgabe von verschreibungspflichtigen Medikamenten aus Apotheken unterliegt dem strengen Reglement des BtMG (vgl. § 15 BtMG) sowie der BtMVV, vgl. nur § 5 VIII, § 12 I Nr.4, II BtMVV. Ein Verstoß gegen die dort aufgestellten Prüfungs- und Umgangspflichten kann nicht nur eine Ordnungswidrigkeit gem. § 32 I Nr. 6 BtMG, sondern auch als unerlaubte Abgabe gem. § 29 I Nr.7 BtMG zu bewerten sein.[42] Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass der Apotheker lediglich die Wirksamkeit der Verschreibung (also die äußere Form) zu überprüfen hat, deren Begründetheit aber schon rein faktisch niemals überprüfen kann.[43] Soweit man also ein Regressverbot konstruieren will, ist zu differenzieren. Wird der Apotheker lediglich als "verlängerter Arm" des Arztes tätig, indem er auf eine formwirksame Verschreibung hin das Betäubungsmittel herausgibt, unterbricht sein Verhalten nicht die Zurechnungskette. Verstößt

dagegen der Apotheker gegen die gesetzlich statuierten Mindestkontrollpflichten, kann die Herausgabe an den Patienten nicht mehr dem Arzt angelastet werden. Insofern könnte man auch davon ausgehen, dass es schlicht "atypisch" ist, wenn der angelegte Kontrollmechanismus versagt.

Der Patient ist dann nicht unmittelbar "Opfer" der von dem Arzt begangenen Sorgfalts- und Überwachungspflichtverletzungen, die ihrerseits eine vorsätzliche Schädigung ermöglichte; vielmehr perpetuieren die Apotheker ihrerseits die Verletzung dieser Sorgfaltspflichten, wobei in dem vom BtMG konzipierten, abgestuften Kontrollsystem ein Rückgriff auf die frühere Instanz nur dann sachgerecht erscheint, wenn die zweite Kontrollinstanz ihren (wesentlich konzentrierteren, aber dafür "grundlegenderen") Pflichten nachgekommen ist.

bb. Weitere Beteiligte

Basierend auf den oben aufgestellten Grundsätzen, kann vorsätzliches oder fahrlässiges Verhalten Drittbeteiligter die Zurechnung im Hinblick auf den pflichtwidrig agierenden Arzt oder Apotheker nur dann unterbrechen, wenn deren Handlung die "Gefahr" des Missbrauchspotentials signifikant erhöht hat (etwa bei der Bildung eines Drogendepots durch die Ehefrau während einem JVA-Aufenthalt des Süchtigen).

b. Zur Verwirklichung des "Restrisikos"

Zuletzt sei angemerkt, dass auch der Arzt nicht vor jeglichem Missbrauch gewahrt ist und dementsprechend eine Haltung kritisch zu sehen ist, wonach sich ein Arzt immer dann wegen fahrlässiger Tötung verantworten soll, wenn er einem Drogenabhängigen eine größere Menge eines Substitutionsmittels verschreibt als zulässig unabhängig davon, ob der Drogenabhängige die richtige Dosierung kennt.[44] Will man dies damit begründen, dass der Arzt wegen der Unberechenbarkeit des Verhaltens von Drogenabhängigen nicht darauf vertrauen dürfe, dass sich diese an die Dosierungsempfehlung halten werden, dürfte es das System der Verschreibung gar nicht geben. Wenn im Rahmen einer Substitutionsbehandlung eine 7-Tage-Take-Home-Verschreibung zulässig sein soll,[45] dann "vertraut" bereits die Rechtsordnung dem Konsumenten, sodass es merkwürdig erscheint, dem Arzt dieses Vertrauen zu versagen. Mit anderen Worten lässt die BtMVV (freilich unter strengen Voraussetzungen) ein "Restrisiko" zu, das sich stets verwirklichen kann, unabhängig davon, wie sorgfältig der Arzt agiert oder nicht. Dann kann es aber, soweit sich genau dieses "Restrisiko" verwirklicht, keine Rolle mehr spielen, wie grob fahrlässig der Arzt agiert hat. Die bloße Ermöglichung einer Überdosierung kann noch keine Fahrlässigkeitshaftung nach sich ziehen, da diese nicht anders beurteilt werden kann, als das Reichen des Stricks zur Selbsttötung. Auch das institutionelle Wissensgefälle (und damit ist man wieder bei den anfänglichen Überlegungen angekommen) kann hier keine Rolle spielen, da es wohl zum Grundrepertoire einer jeden natürlichen, einigermaßen verständigen Person (und damit auch erst Recht des "zwischenzeitlich" krankhaft Süchtigen) zählen dürfte, dass jede Substanz (Salz, Paracetamol oder Polamidon als Substitutionsmittel) in Überdosierungen schädlich für den menschlichen Organismus sein kann. Insofern reicht bereits "das kleine Einmaleins" für die Erkenntnis, dass bei einer Aufteilung von etwaigen Rationsfläschchen in Wochentags-Rationen sieben Rationen auf einmal bereits das Siebenfache der "empfohlenen" Tagesdosis sind. Der Arzt könnte allerdings auch nicht verhindern, dass der Patient Rationen bunkert bzw. ansammeln lässt, um diese gewinnbringend weiterzuverkaufen oder auf einmal einzunehmen, um sich selbst zu töten.

III. Fazit

Im Rahmen einer Ermöglichung des Drogenkonsums durch einen (verschreibenden) Arzt ist die Frage nach dessen objektiver Verantwortlichkeit genauerer Überprüfung zu unterziehen. Das institutionell angelegte "Wissensgefälle" darf nicht dazu verleiten, per se eine "Verantwortung" (und schon gar nicht eine vorsätzliche Begehung) anzunehmen, wenn der Arzt sorgfaltspflichtwidrig bzw. sogar in strafbarer Art und Weise, vgl. § 29 I Nr. 6 BtMG Betäubungsmittel verschrieben hat. Die Verantwortung des Arztes kann institutionell angelegt sein oder durch einen Irrtum des Patienten entstehen. Ein durch sonstige Irrtümer des Opfers entstehender Wissensmangel "überlagert" das institutionelle Wissensgefälle und kann damit nicht "ausgeglichen" werden, wenn der Arzt seinerseits einem Irrtum unterliegt, insb. kann sein Vorsatz bzgl. des grundsätzlichen Wissensgefälles nicht ausreichen, da sein daraus resultierendes "Pflichtenpaket" auf einer falschen Tatsachengrundlage basiert. Vielmehr führt ein Irrtum über die Verantwortlichkeit als Tatbestandsmerkmal regelmäßig zur Fahrlässigkeit gem. § 16 I 2 StGB. In den Fällen der Verschreibung ist zu beachten, dass sich trotz einer grundsätzlichen Verantwortlichkeit des Arztes Situationen ergeben können, in denen erst das Verhalten Dritter (insb. das eines pflichtwidrig agierenden Apothekers) die schädigende Handlung ermöglicht oder das Verhalten des Patienten selbst als Verwirklichung des "Restrisikos" angesehen werden muss, dass dem Arzt nicht mehr zurechenbar ist. Im Regelfall wird dieses "Restrisiko" dadurch indiziert, dass das Gefahrpotential der Handlung des Arztes durch weitere Akte Dritter erst erhöht werden muss. Nur bei solch einer differenzierten Betrachtung lässt sich einer "Verschleifung" von Sorgfaltspflichtverletzung und Zurechenbarkeit des Körperverletzungs- bzw. Tötungserfolgs entgegenwirken, zu der man unter Zugrundelegung einer "hippokratischen Vorsatztheorie" vielleicht eher geneigt ist.


* Der Autor ist als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl von Prof. Kudlich, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen/Nürnberg tätig.

[1] BT-Drs. 8/4283 S.1 ff.

[2] Zu den Voraussetzungen detailliert Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, 7. Aufl. (2012), § 13 Rn. 1 ff. Trotzdem handelt es sich beim § 29 I Nr. 6 BtMG nicht um ein Sonderdelikt, d.h. auch ein Nichtarzt kann (insb. die Modalität der Verbrauchsüberlassung bzw. der Verabreichung) verwirklichen, MK-StGB/Kotz, 2. Aufl. (2013) § 29 Rn. 1017; Malek, Betäubungsmittelstrafrecht, 3. Aufl. (2008), Kap. 2 Rn. 299. Somit kommt insb. in dieser Vorschrift zum Ausdruck, dass der ärztlich nicht indizierte Konsum unterbunden werden soll, da diese Modalitäten (im Gegensatz zum Erwerb) schlicht nicht erlaubnisfähig sind. Die Straflosigkeit des Konsums selbst könnte bildhaft als letzte "antipaternalistische Hochburg" des Betäubungsmittelstrafrechts bezeichnet werden, die der Gesetzgeber (noch) nicht zu stürmen wagte. Umgekehrt kann auch ein Arzt die normalen Umgangsweisen des § 29 I Nr.1, wie Handeltreiben, Abgeben verwirklichen, insb. wenn er sich bspw. Substitutionsmittel für den Praxisbedarf hat verschreiben lassen und diese nun - u.U. eigennützig und mit Umsatzwillen - an den Süchtigen abgibt; mit anderen Worten entfaltet § 29 I Nr. 6 BtMG keine Sperrwirkung. Soweit die Therapievorschriften nicht in absoluten Ausnahmefällen eine "Abgabe" zulassen benötigt der Arzt - wie jeder andere auch - eine Erlaubnis gem. § 3 BtMG des Bundesinstituts, vgl. hierzu BGHSt 52, 271 = NStZ 2008, 574 = HRRS 2008 Nr. 683.

[3] Zutreffend Patzak in Körner/Patzak (Fn. 2) § 29 Teil 15 Rn. 6.

[4] Zum Ganzen Patzak/Volkmer NStZ 2011, 498 ff.; dagegen Nobis NStZ 2012, 422 ff.

[5] BT-Drucks. 11/4329, S. 13.

[6] Die im Raum stehende, aber kaum handhabbare Vorschrift des § 30 I Nr. 3 BtMG wird häufig einfach ignoriert oder ihre Voraussetzungen dogmatisch kaum vertretbar verneint. Dazu fühlt man sich gezwungen, wenn eine Haftung bzgl. Körperverletzungsdelikte (im Hinblick auf das Eigenverantwortlichkeitsprinzip) ausscheiden soll, aber § 30 I Nr. 3 BtMG jedenfalls aus diesem Grunde nicht verneint werden kann, weil die Rechtsprechung eine Anwendung der Selbstgefährdungsdogmatik auf die § 29 ff. BtMG (also § 30 BtMG einbezogen) ablehnt, vgl. hierzu BGHSt 46, 279 = NJW 2001, 1802 (Gemeindepfarrerfall). Eine Differenzierung erscheint insofern angebracht und lässt sich dogmatisch gut begründen, hierzu Oğlakcıoğlu, Der Allgemeine Teil des Betäubungsmittelstrafrechts, 2013, S. 133 ff.

[7] Zuletzt Kudlich NJW 2011, 2856 ff. ; vgl. auch Knauer/Brose in Spickhoff, Medizinrecht, 2011, §§ 211, 212 StGB Rn. 15.

[8] Bezeichnend etwa die Ausführungen des LG Augsburg Urt. v. 17.2.2006 - 3 KLs 400 Js 145306/04 im Falle einer ärztlich verursachten Levomethadon-Vergiftung: "Mit dieser Unterlassungstat befindet sich der Arzt direkt auf der Grenze zum bedingt vorsätzlichen Tötungsdelikt, zumal sich sein Vorverhalten nicht nur als Ordnungswidrigkeit nach der BtMVV, sondern als - zumindest fahrlässig begangene - Straftat nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Nr. 6b BtMG darstellt." Die Verurteilung erfolgte indessen wegen vorsätzlicher Körperverletzung und fahrlässiger Tötung (2 Jahre 9 Monate).

[9] Wobei im Ausnahmefall ein Verhalten trotz des Verstoßes gegen eine Sondernorm sorgfaltsgemäß oder umgekehrt trotz Berücksichtigung aller Vorgaben pflichtwidrig sein kann, Roxin, AT I, 4. Aufl. (2006), § 24 Rn. 16; Rengier, AT, 4. Aufl. (2012), § 52 Rn. 17; vgl. aber Kudlich in : F estschrift für Otto (2007), S. 373 ff., der diesen Hinweis als "Salvatorische Klausel" entlarvt.

[10] Somit können ärztlich begründete Verschreibungen nicht zu einer Fahrlässigkeitshaftung führen, während ärztlich nicht indizierte Rezepte nicht zwingend einen Sorgfaltspflichtverstoß bedeuten. Jedenfalls muss das Gericht - soweit es die Begründetheit der Verschreibung nicht ohnehin wegen § 29 I Nr. 6a zu prüfen hat, sich spätestens i.R.d. §§ 222, 229 StGB mit der Frage auseinandersetzen, wie der Begriff der ärztlichen Indikation i.S.d. § 13 BtMG zu verstehen ist. Zu den damit verknüpften medizinrechtlichen Grundsatzfragen BGHSt 37, 383 = NJW 1991, 2359; Moll NJW 1991, 2334; Köhler NJW 1993, 762, 765; Laufs NJW 1989, 1521; Kühne NJW 1992, 1547, 1548.

[11] Volk NStZ 1996, 110; Hoyer GA 1996, 164 ff.

[12] BGHSt 37, 106, 113 = NJW 1990, 2560 (Lederspray); Spickhoff/Knauer/Brose (Fn. 7) §§ 211, 212 Rn. 11 m.w.N.

[13] Insofern sind hier einige Erwägungen, die sich auf Konstellationen beziehen, die nicht ausschließlich im Verhältnis von Arzt und Patient vorkommen können (also im Verhältnis Dealer-Konsument) auch dementsprechend übertragbar.

[14] BGHSt 32, 262 = NJW 1984, 14 69 ; BGH NJW 2003, 2326 m Anm. Herzberg NStZ 2004, 1; BayObLGSt 1996, 96; Lackner/Kühl, 27. Aufl. (2011), Vorb 12 vor § 211; Fischer 60. Aufl. (2012), Vor § 13 Rn. 36; Satzger/Schmitt/Widmaier/Kudlich, StGB, 2010, Vor § 13 Rn. 59; Kühl, AT, 7. Aufl. (2012), § 4 Rn. 89; Roxin (Fn. 9) § 11 Rn. 107 ff.; Stree JuS 1985, 179, 181.

[15] Dabei ist die in den soeben beschriebenen Handlungsmodalitäten angelegte Differenzierung zwischen eigenverantwortlicher Selbstgefährdung (Verbrauchsüberlassung) und einverständlicher Fremdgefährdung (Verabreichung) jedenfalls in diesem Kontext nicht von Relevanz. Schließlich wirkt sie sich nur dort aus, wo beide Beteiligten eine echte Todesgefahr in Kauf nehmen und man aufgrund der Tatherrschaft des Gefahrinitiators die Sittenwidrigkeitsklausel des § 228 StGB in die Tatbestandszurechnung hineinwirken lassen will, vgl. noch Fn. 19.

[16] So ausdrücklich auch Beck-OK/Kudlich, Edition 22 (Stand 8.3.2013), § 15 Rn. 5.5.

[17] Freilich muss diese Wendung hier im untechnischen Sinne verstanden werden, m.a.W. hat eine Eigenverantwortlichkeit nichts mit einem tatbestandsausschließenden Einverständnis zu tun; man könnte insofern allenfalls von einem eigenständigen "normativen Tatbestandausschließungsgrund" sui generis sprechen, vgl. auch SSW-StGB/Kudlich (Fn. 14) Vor § 13 Rn. 59.

[18] Zur Einwilligungsfähigkeit des Drogenabhängigen Amelung NJW 1996, 2393; zu einem Fall der Intoxikation des Konsumenten vor der selbstgefährdenden Handlung BGH NStZ 1986, 266.

[19] Ein Drogenkonsument sieht selbst bei höheren Dosierungen eine potentielle Lebensgefahr, nimmt aber nicht den Tod billigend in Kauf (es sei denn er will sich einen goldenen Schuss setzen lassen), sodass jedenfalls in diesem Kontext selten von Bedeutung ist, ob eine einverständliche Fremdgefährdung im Hinblick auf die §§ 216, 228 StGB überhaupt zum Tatbestandsausschluss führen kann (zu dieser Wendung vgl. Fn. 17). Zur unterschiedlichen Behandlung von eigenverantwortlicher Selbstgefährdung und einverständlicher Fremdgefährdung vgl. auch BGHSt 53, 55 = HRRS 2009, Nr. 93 m Anm. Kudlich JA 2009, 389 sowie BGH NJW 2003, 2326.

[20] Amelung NJW 1996, 2393, 2395.

[21] BGHSt 53, 288 = HRRS 2009, Nr. 482 (Kokainverwechslung); BGH NStZ 2011, 341 = HRRS 2011, Nr. 322 (Psycholyse-Therapie) m Anm. Jahn JuS 2011, 372; Jäger JA 2011, 474.

[22] Vgl. etwa Wessels/Beulke, AT, 42. Aufl. (2012), Rn. 187.

[23] Soweit man wie Wessels/Beulke (Fn. 22) Rn. 187 danach differenziert, ob den Beteiligten weitgehend die gleiche Informationsgrundlage zur Verfügung stand (und bejahendenfalls eine Verantwortungsverschiebung abzulehnen ist), wird im Verhältnis von Dealer/Konsument, sowie Arzt/Patient im Regelfall der Gefahrinitiator zur Verantwortung gezogen werden.

[24] SSW-StGB/Kudlich (Fn. 14) Vor § 13 Rn. 59; Kühl (Fn. 14) § 4 Rn. 89.

[25] BGHSt 53, 288, 291 = HRRS 2009, Nr. 482.

[26] Vgl. bereits Fn. 21, zusf. Lange/ Wagner NStZ 2011, 67.

[27] Damit ist zugleich auch gesagt, dass die Verantwortungsverschiebung bei festgestellten rechtsgutsbezogenen Fehlvorstellungen keine Probleme bereitet. Schwieriger wird es, wenn man nicht auf die konkreten Vorstellungen der Beteiligten bzgl. des Risikopotentials zurückschließen kann (vgl. zuletzt den Trierer-GBL-Fall, BGH NStZ 2012, 319 = HRRS 2012, Nr. 333). Dann muss anhand objektiver Kriterien "zugeschrieben" werden, welches Mindestrisiko das Opfer typischerweise auf sich nimmt, wobei das Opfervorverhalten und die Umstände im konkreten Einzelfall (Verhältnis zwischen Gefahrinitiator und Gefährdungsopfer, Art und Intensität der Gefahr) wichtige Indizien hierfür bereitstellen, hierzu auch Murmann NStZ 2012, 387 ff.; Kuhli HRRS 2012, 331; Puppe ZIS 2013, 45; Brüning ZJS 2012, 691, Oğlakcıoğlu NStZ-RR 2012, 246 f.

[28] Ein unbeachtlicher Motivirrtum ließe sich etwa nur noch dann annehmen, wenn der Konsument über die Herkunft der Droge (bei gleicher Wirkstoffmenge) irrt oder der Patient über die Übernahme der Kosten durch die Krankenkasse.

[29] Die Konsequenz von solch einem - dogmatisch keinesfalls abgesegneten - Konstrukt wäre, dass bei einem umgekehrten Irrtum (der Gefahrinitiator geht davon aus, der Patient würde sich irren, obwohl sich dieser des eingegangenen Risikos gänzlich bewusst ist) ein untauglicher Versuch der Körperverletzung, bei entsprechendem Vorsatz auch der Tötung in Betracht käme.

[30] BGH NStZ 2011, 341, 342 = HRRS 2011, Nr. 322.

[31] Vgl. nur BayObLG JR 2003, 428.

[32] Weber BtMG, 4. Aufl. (2013), § 13 Rn. 88 ff.

[33] Körner/Patzak (Fn. 2) § 30 Rn. 96; vgl. hierzu auch BayObLG NJW 2003, 371.

[34] BGH NStZ 1985, 25; BGH NStZ 2001, 205.

[35] LG Augsburg Urt. v. 18.12.2007 - 8 Ks 200 Js 124164/07DRsp Nr. 2009/9813 = NStZ-RR 2008, 231 (Kotz/Rahlf).

[36] Freund/Klapp JR 2003, 431.

[37] Kudlich, Die Unterstützung fremder Straftaten durch berufsbedingtes Verhalten, 2004, S. 36 sowie S. 65 f.

[38] Dies dürfte jedenfalls für die Delikte gelten, welche die körperliche Unversehrtheit bzw. das Leben des Patienten schützen. Ob im Hinblick auf die betäubungsmittelstrafrechtlichen Vorschriften eine ärztlich indizierte Verschreibung dennoch zur Strafbarkeit führen kann (indem etwa ein fahrlässiges Inverkehrbringen angenommen wird), ist umstritten, allerdings jedenfalls im Bereich der Fahrlässigkeit kritisch zu sehen, da der Gesetzgeber die fahrlässige Verschreibung aus dem Katalog des § 29 IV BtMG genommen hat, hierzu Oğlakcıoğlu (Fn. 6), S. 215 ff. m.w.N.

[39] Hierzu auch Wessels/Beulke (Fn. 22) Rn. 192; Schünemann GA 1999, 207, 224; Otto in Festschrift für Wolff ( 1998), S. 412 ff.; Mitsch ZJS 2011, 128, 131; Zum Fahrlässigkeitsregress bei vorsätzlichem Drittverhalten Spendel JuS 1974, 749, 756; Welp JR 1972, 427, 429; sowie Heinrich, AT I, 2. Aufl. (2010), Rn. 254.

[40] Vgl. das Urteil des LG Stuttgart zum Amoklauf von "Winnenden" Mitsch ZJS 2011, 128, 131 .

[41] BGHSt 24, 342, 344 = NJW 1972, 1207. Dies hat der BGH letztlich auch im Gemeindepfarrer-Fall (vgl. Fn. 6) erkannt und verneint die vorsätzliche Überlassung mit Todesfolge. Da der BGH aber eine Anwendung der Selbstgefährdungsdogmatik i.R.d. § 30 I Nr. 3 ablehnt, gelangt er zu diesem Ergebnis mit der Annahme, dass der Arzt (trotz Vorsatz bzgl. des Todeseintritts!) nicht leichtfertig handele. Letztlich hätte man zu einem dogmatisch sauberen Ergebnis gelangen können, in dem man unabhängig vom "Eigenverantwortlichkeitsgedanken" den tatbestandsspezifischen Gefahrverwirklichungszusammenhang verneint (was i.Ü. eine eigenständige Bedeutung dieses Begriffs legitimiert), hierzu Oğlakcıoğlu (Fn. 6), S. 144 ff.

[42] Körner/Patzak (Fn. 2) § 29 Teil 16 Rn. 16 ff.

[43] Weber (Fn. 33) § 29 Rn. 1384; ggf. hat er aber Rücksprache mit dem behandelnden Arzt zu halten, vgl. B G HSt 9, 370 = NJW 1957, 29; OLGSt Bamberg StRR 2008, 353.

[44] BGH JR 1979, 429 .

[45] Vgl. § 5 VIII BtMVV: Gerade i.R.e. Substitutionsbehandlung muss zur Erreichung des Therapieziels auch bei gefährlicheren Substanzen dem Patienten ab einem bestimmten Stadium ein Mindestmaß an Vertrauen entgegengebracht werden, zu diesen Überlegungen rund um die "Take-Home-Verschreibung" vgl. Weber (Fn. 33) § 5 BtMVV Rn. 91.