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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Jul./Aug. 2013
14. Jahrgang
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1. Wird der Angeklagte nicht gemäß § 257c Abs. 5 StPO darüber belehrt, unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Folgen das Gericht von dem in Aussicht gestellten Ergebnis abweichen kann, ist er vom Gericht nicht in die Lage versetzt, eine autonome Entscheidung über seine Mitwirkung an der Verständigung zu treffen (vgl. hierzu BVerfG NJW 2013, 1058, 1067 – Rn. 99).
2. Für das Beruhen auf dieser Gesetzesverletzung sind die Voraussetzungen maßgeblich, unter denen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausnahmsweise ein Beruhen des Urteils auf der Verletzung der Belehrungspflicht aus § 257c Abs. 5 StPO ausgeschlossen werden kann (vgl. BVerfG aaO Rn. 99). Es müssen zum Beispiel Anhaltspunkte dafür bestehen, dass dem nicht vorbestraften Angeklagten auch ohne entsprechende Belehrung durch das Gericht – etwa aus anderen Strafverfahren oder Gesprächen mit seinem Verteidiger – bekannt gewesen sein könnte, wann die Bindung des Gerichts an eine Verständigung entfällt.
3. Der Umstand, dass die Bindung des Gerichts an die Verständigung im konkreten Fall nicht gemäß § 257c Abs. 4 StPO entfallen ist und das Landgericht die zugesagte Strafobergrenze eingehalten hat, schließt das Beruhen des Urteils auf dem Verfahrensverstoß nicht aus (vgl. BVerfG aaO Rn. 127).
4. Zwar reicht zur Wahrung einer Rechtsmittelfrist die Einreichung einer in fremder Sprache (hier: englischer Sprache) gehaltenen Rechtsmittelschrift an sich nicht aus. Es genügt jedoch, wenn schon der deutschen Betreffzeile zweifelsfrei zu entnehmen ist, dass der Angeklagte das betroffene Urteil mit dem dafür zulässigen Rechtsmittel (vgl. § 300 StPO) anfechten will (§ 341 Abs. 1 StPO).
1. Wird bei einer Verständigung die Annahme eines minder schweren Falles ohnehin vorausgesetzt, ist dies verfassungsrechtlich unbedenklich. Dagegen kann es nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (HRRS 2013 Nr. 222) durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken erwecken, wenn die Annahme des minder schweren Falles von der Abgabe eines Geständnisses abhängig gemacht hat. Bereits an der Vielgestaltigkeit denkbarer Verfahrensabläufe erweist sich indessen, dass die revisionsrechtliche Beurteilung von Verfahrensabsprachen die Kenntnis der Details voraussetzt. Demgemäß muss die Beanstandung bei Anfechtung des Schuldspruchs im Rahmen einer dahingehenden Verfahrensrüge erfolgen.
2. Der Senat gibt zu bedenken, ob nach dem Gesamtzusammenhang des genannten Urteils des Bundesverfassungsgerichts Verfassungsgründe gegen die Einbeziehung von Sonderstrafrahmen in eine Verständigung gemäß § 257c StPO jedenfalls dann ausgeschlossen werden
können, wenn die Zubilligung des Sonderstrafrahmens in nach herkömmlichen Strafzumessungsregeln nicht zu beanstandender Weise an den aus dem Geständnis abzuleitenden bestimmenden Strafzumessungsgrund anknüpft. Dem stehen als rechtsfehlerhaft zu erachtende Absprachen gegenüber, in denen sich aus der Verfahrensgestaltung im Zuge der Verständigung Anhaltspunkte für eine die Selbstbelastungsfreiheit des Angeklagten sachwidrig beeinträchtigende Drucksituation ableiten lassen.
1. Es kann dem Antragsteller grundsätzlich nicht verwehrt sein, auch solche Tatsachen zum Gegenstand eines Beweisantrags zu machen, deren Richtigkeit er lediglich vermutet oder für möglich hält (st. Rspr.). Einem in die Form eines Beweisantrags gekleideten Beweisbegehren muss jedoch ausnahmsweise nicht oder allenfalls nach Maßgabe der Aufklärungspflicht nachgegangen werden, wenn die Beweisbehauptung ohne jeden tatsächlichen Anhaltspunkt und ohne jede begründete Vermutung aufs Geratewohl ins Blaue hinein aufgestellt wurde, so dass es sich nur um einen nicht ernstlich gemeinten, zum Schein gestellten Beweisantrag handelt. Für die Beurteilung, ob ein aufs Geratewohl gestellter Antrag vorliegt, ist die Sichtweise eines verständigen Antragstellers entscheidend. Es kommt nicht darauf an, ob das Tatgericht eine beantragte Beweiserhebung für erforderlich hält (vgl. BGH NStZ 2003, 497).
2. Für die Rüge der fehlerhaften Ablehnung von Beweisanträgen genügen grundsätzlich schon eine Wiedergabe des Antrags und des Ablehnungsbeschlusses sowie eine Mitteilung der Tatsachen, aus denen sich die Fehlerhaftigkeit des Beschlusses ergibt (vgl. BGH NJW 1998, 3284). Zum Beruhen des Urteils auf der fehlerhaften Ablehnung muss die Revision regelmäßig nicht vortragen.
1. Die Pflicht zur Aufklärung der materiellen Wahrheit im Strafprozess bestimmt den Umfang der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung. Die Würdigung der Beweise (§ 261 StPO) bildet wiederum die Grundlage für den Schuldspruch und die Festsetzung der entsprechenden Rechtsfolgen. Die Amtsaufklärungspflicht darf – schon wegen der Gesetzesbindung des Richters (Art. 20 Abs. 3 GG) – nicht dem Interesse an einer einfachen und schnellstmöglichen Erledigung des Verfahrens geopfert und kann nicht zur freien Disposition der Verfahrensbeteiligten und des Gerichts gestellt werden.
2. Es ist daher unzulässig, dem Urteil einen Sachverhalt zu Grunde zu legen, der nicht auf einer Überzeugungsbildung unter vollständiger Ausschöpfung des Beweismaterials beruht. Dies gilt auch dann, wenn sich der Angeklagte – unter Umständen aufgrund einer Verständigung – geständig gezeigt hat. Das Tatgericht muss stets, will es die Verurteilung des Angeklagten auf dessen Einlassung stützen, von deren Richtigkeit überzeugt sein. Es ist deshalb zu untersuchen, ob das abgelegte Geständnis mit dem Ermittlungsergebnis zu vereinbaren ist, ob es in sich stimmig ist und ob es die getroffenen Feststellungen trägt. Die Beschränkung der Beweiswürdigung im Wesentlichen auf den bloßen Hinweis, der Angeklagte sei geständig gewesen, genügt insbesondere dann nicht, wenn aufgrund der Komplexität und der zahlreichen Details des festgestellten Sachverhalts Zweifel bestehen können, dass der Angeklagte an das Tatgeschehen eine auch in den Einzelheiten genügende Erinnerung hat.
1. Im Rahmen der Anhörungsrüge ist ein Verschulden seiner Verteidiger dem Verurteilten – anders als sonst im Strafverfahren – bei der Prüfung, ob die Versäumung der Wochenfrist des § 356a Satz 2 StPO unverschuldet war, zuzurechnen. Die Anhörungsrüge stellt sich als Vorstufe der Verfassungsbeschwerde gegen die Revisionsentscheidung auf fachgerichtlicher Ebene dar, so dass wie bei der Verfassungsbeschwerde die Zurechnung eines Verschuldens des (der) Verteidiger(s) entsprechend § 93 Abs. 2 Satz 6 BVerfGG zu erfolgen hat. Dagegen wäre ein Fehler einer sorgfältig ausgewählten und überwachten Kanzleikraft den Verteidigern – und damit auch dem Verurteilten – nicht anzulasten, da die Verteidiger grundsätzlich auf die Befolgung ihrer Anweisungen vertrauen dürfen.
2. Regelmäßig eröffnet eine Gegenvorstellung nicht die Möglichkeit, eine Entscheidung, die zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens geführt hat, aufzuheben, abzuändern oder zu ergänzen (st. Rspr.)
1. Sinn der § 229 Abs. 2, Abs. 4 Satz 1 StPO ist es, das Gericht an eine möglichst enge Aufeinanderfolge der Verhandlungstage zu binden, damit die zu erlassende Entscheidung unter dem lebendigen Eindruck des zusammenhängenden Bildes des gesamten Verhandlungsstoffs ergeht. Sie soll gewährleisten, dass der Urteils-
spruch aus dem „Inbegriff der Verhandlung” gewonnen werden kann und nicht dem Grundsatz der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit der Hauptverhandlung zuwider den Akten entnommen werden muss (vgl. BGH NJW 1996, 3019 mwN).
2. Von der Unterbrechungsmöglichkeit des § 229 Abs. 2 StPO kann das Gericht grundsätzlich beliebig oft Gebrauch machen; es muss jedoch seit einer früheren Unterbrechung um einen Monat seither an weiteren zehn Tagen verhandelt worden und eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung ausgeschlossen sein.
3. Das Beruhen des Urteils im Sinne des § 337 Abs. 1 StPO auf einem Verstoß gegen § 229 StPO kann regelmäßig nicht ausgeschlossen werden (BGHSt 23, 224, 225; NJW 1952, 1149 f.; NStZ 2008, 115).
Das Tatgericht hat in den Fällen, in denen es dem Gutachten eines Sachverständigen folgt, die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Ausführungen des Gutachters so darzulegen, dass das Rechtsmittelgericht prüfen kann, ob die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und ob die Schlussfolgerungen nach den Gesetzen, den Erkenntnissen der Wissenschaft und den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens möglich sind. Für die Überprüfung durch das Revisionsgericht, ob das Ergebnis einer auf einer DNA-Untersuchung beruhenden Wahrscheinlichkeitsberechnung plausibel ist, bedeutet dies, dass das Tatgericht jedenfalls mitteilen muss, wie viele Systeme untersucht wurden, ob diese unabhängig voneinander vererbbar sind (und mithin die Produktregel anwendbar ist), ob und inwieweit sich Übereinstimmungen in den untersuchten Systemen ergeben haben und mit welcher Wahrscheinlichkeit die festgestellte Merkmalkombination bei einer weiteren Person zu erwarten ist. Sofern der Angeklagte einer fremden Ethnie angehört, ist zudem darzulegen, inwieweit dies bei der Auswahl der Vergleichspopulation von Bedeutung war (vgl. bereits BGH HRRS 2013 Nr. 431).
1. Die Vernehmung von Zeugen stellt ebenso wie die Einlassung eines Mitangeklagten zur Sache einen wesentlichen Teil der Hauptverhandlung im Sinne des § 338 Nr. 5 StPO dar (vgl. BGHSt 9, 243, 244).
2. Teilen Mittäter die Beute der Tat unter sich, so hat grundsätzlich jeder nur seinen eigenen Anteil aus der Tat erlangt (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 10, 11). Die Inanspruchnahme eines Täters über das gesamte Erlangte ist nur rechtsfehlerfrei, wenn der Angeklagte den gesamten Betrag entweder selbst erlangt oder zumindest faktische (Mit-)Verfügungsgewalt über ihn erworben gehabt hätte (vgl. BGHSt 52, 227, 256).
3. Auch der Wertersatzverfall (§ 73a StGB) ist gemäß § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB ausgeschlossen, soweit dem Verletzten aus der Tat ein Ersatzanspruch erwachsen ist.
Die sitzungspolizeilich angeordnete Entfernung sämtlicher Zuhörer mit Ausnahme der Pressevertreter als Ausschluss der Öffentlichkeit stellt wegen der Berührung des Grundsatzes der Öffentlichkeit eine sachleitende Maßnahme im Sinne des § 238 Abs. 2 StPO dar (BGH NStZ 2008, 582). Die Verteidigung ist in diesem Fall gehalten, die Anordnungen des Vorsitzenden zu beanstanden und eine Entscheidung des Gerichts nach § 238 Abs. 2 StPO herbeizuführen, wenn sie die Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes rügen will.
Betrifft eine Verfahrensverbindung nicht nur die örtliche, sondern auch die sachliche Zuständigkeit, kann sie nicht durch eine Vereinbarung der beteiligten Gerichte (§ 13 Abs. 2 StPO) herbeigeführt werden (BGHSt 22, 232, 234). Erforderlich ist die Entscheidung des gemeinschaftlichen oberen Gerichts. Das Revisionsgericht kann eine nicht wirksame Verbindung zwar grundsätzlich nachholen (vgl. BGH NStZ-RR 1997, 170). Dies ist jedoch dann unmöglich, wenn das Verfahren eingestellt worden ist mit der Folge, dass dieser Komplex nicht mehr Gegenstand des Urteils und der Revision ist.
Nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO ist der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand binnen einer Woche nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Gemäß § 45 Abs. 2 StPO muss der Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Revisionseinlegungsfrist deshalb Angaben nicht nur über die versäumte Frist und den Hinderungsgrund, sondern auch über den genauen Zeitpunkt des
Wegfalls des Hindernisses enthalten (vgl. BGH NStZ 1987, 217).
Nach § 45 Abs. 1 StPO ist der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand binnen einer Woche nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Damit die Einhaltung der Wochenfrist überprüft werden kann, bedarf es zur formgerechten Anbringung eines Wiedereinsetzungsgesuchs in den Fällen, in denen dies nach Aktenlage nicht offensichtlich ist, der Mitteilung, wann das Hindernis, das der Fristwahrung entgegenstand, weggefallen ist (vgl. BGH NStZ 2012, 276, 277).
Die gesetzlich geforderten Angaben im Wiedereinsetzungsgesuch über die versäumte Frist, den Hinderungsgrund und über den Zeitpunkt des Wegfalls des Hindernisses sind Zulässigkeitsvoraussetzungen, die innerhalb der Wochenfrist des § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO vorgebracht werden müssen.
Zugunsten eines Beschuldigten ist ein Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft nur eingelegt, wenn sich dies aus der Einlegung oder Begründung ergibt. Ist ein derartiger Wille weder aus der Rechtsmittelschrift noch aus der Begründung zu entnehmen, fehlt es also an jeglicher entsprechenden Erklärung, dass das Rechtsmittel zugunsten des Beschuldigten eingelegt werde, muss regelmäßig ein von der Staatsanwaltschaft eingelegtes Rechtsmittel als zu dessen Ungunsten geltend gemacht angesehen werden
Nach Aufhebung eines freisprechenden Urteils hat der neue Tatrichter ohne Bindung an die im ersten Rechtsgang zum Nachteil von früheren Mitangeklagten getroffenen Feststellungen insgesamt neue Feststellungen zu treffen, da der freigesprochene Angeklagte das Urteil insoweit nicht hätte anfechten können (vgl. BGH NStZ 2004, 499).