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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Jul./Aug. 2013
14. Jahrgang
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1. Indem das Gesetz in § 257c Abs. 5 StPO vorsieht, dass der Angeklagte vor einer Verfahrensverständigung über die Voraussetzungen und Folgen einer Abweichung des Gerichts von dem in Aussicht gestellten Ergebnis zu belehren ist, sichert es die Einhaltung des im Rechtsstaatsprinzip verankerten Grundsatzes des fairen Verfahrens und ermöglicht dem Angeklagten überhaupt erst eine autonome Entscheidung über das für ihn mit einer Mitwirkung an einer Verständigung verbundene Risiko (Bezugnahme auf BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a. – [= HRRS 2013 Nr. 222]).
2. Eine Verständigung ist mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens regelmäßig nur dann vereinbar, wenn der Angeklagte zuvor gemäß § 257c Abs. 5 StPO belehrt worden ist. Dies gilt auch dann, wenn es nicht zu einer Abweichung von der Verständigung gekommen ist. Das verständigungsbasierte Urteil beruht regelmäßig auf dem Verstoß
gegen die Belehrungspflicht, sofern nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Angeklagte das Geständnis bei ordnungsgemäßer Belehrung nicht abgegeben hätte.
3. Will das Revisionsgericht eine Ursächlichkeit des Belehrungsfehlers für das Geständnis verneinen, so müssen konkrete Umstände festgestellt sein, die die Annahme tragen, dass der Angeklagte das Geständnis auch nach ordnungsgemäßer Belehrung abgegeben hätte. Abstrakte Ausführungen zu § 257c StPO oder pauschalisierende Vermutungen genügen nicht.
4. Die Entscheidung eines Strafgerichts, die diese Maßgaben für Verfahrensverständigungen nicht beachtet, verstößt auch dann gegen die Verfassung, wenn sie bereits vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19. März 2013 ergangen ist. Entscheidend ist insoweit allein die objektive Grundrechtsverletzung und nicht, ob diese den Fachgerichten vorwerfbar ist.
1. Die Feststellung und Speicherung eines DNA-Identifizierungsmusters greift in das durch Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein, wonach der Einzelne befugt ist, grundsätzlich selbst zu entscheiden, inwieweit ihn betreffende persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden.
2. Die Anordnung der molekulargenetischen Untersuchung von Körperzellen zur Verwendung in künftigen Strafverfahren nach § 81g StPO setzt eine Prognose voraus, wonach wegen der Art oder Ausführung der bereits abgeurteilten Straftaten, der Persönlichkeit des Verurteilten oder sonstiger Erkenntnisse Grund zu der Annahme besteht, dass gegen ihn künftig erneut Strafverfahren wegen Straftaten von erheblicher Bedeutung zu führen sein werden.
3. Der Prognoseentscheidung, die einzelfallbezogen zu begründen ist, muss eine zureichende Sachaufklärung und eine nachvollziehbare Abwägung aller relevanten Umstände zugrundeliegen. Dies gilt auch dann, wenn die Anlasstat als Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung abstrakt betrachtet die gesetzlichen Voraussetzungen nach § 81g Abs. 1 StPO erfüllt.
4. Die Anordnung einer DNA-Untersuchung aus Anlass eines jugendgerichtlichen Urteils wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern erfüllt die verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht, wenn die gerichtliche Anordnung keinerlei Ausführungen dazu enthält, dass es sich bei dem Beschuldigten um einen strafrechtlich erstmalig in Erscheinung getretenen 14-Jährigen handelt, der eine 13-jährige Klassenkameradin lediglich geküsst und bei dieser einen „Knutschfleck“ hinterlassen hat, wobei die Handlungen aus seiner Sicht auf gegenseitiger Zuneigung beruhten, so dass es sich um eine jugendtypische Verfehlung handelte, die mit Maßnahmen im untersten Schwerebereich des jugendstrafrechtlichen Sanktionsspektrums geahndet worden ist (Hauptsacheentscheidung zur einstweiligen Anordnung vom 23. Januar 2013 [= HRRS 2013 Nr. 229]).
5. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist in derartigen Fällen außerdem der Erziehungsgedanke des Jugendstrafrechts zu berücksichtigen, der auf eine möglichst weitgehende soziale (Re-)Integration gerichtet ist und dem eine dauerhafte Speicherung persönlicher Erkennungsmerkmale zuwiderlaufen kann, weil mit dieser eine Stigmatisierung des Jugendlichen verbunden sein kann.