HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Jul./Aug. 2013
14. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Was sehen wie viele Augen?

Sein und Sollen des Beschlussverfahrens in der strafrechtlichen Revision

Von Wiss. Ass. Dr. Christian Becker, Bucerius Law School, Hamburg

I.

In der jüngsten Vergangenheit wurde der Fachöffentlichkeit ein Einblick in die Verfahrensabläufe bei Revisionsentscheidungen durch Beschluss (§ 349 StPO) am höchsten deutschen Strafgericht gewährt.[1] Das ist zu begrüßen. Es handelt sich um Vorgänge, die in einem demokratisch und freiheitlich verfassten Rechtsstaat – unbeschadet der hierdurch nicht betroffenen Wahrung des Beratungsgeheimnisses – von öffentlichem Interesse sind. Das Phänomen "Recht" im Allgemeinen und letztinstanzliche gerichtliche Entscheidungen im Besonderen legen Bedingungen fest, unter denen der Staat befugt ist, gegen den Bürger Zwang auszuüben.[2] In Anbetracht einer Staatsform, in der alle Zwangsbefugnisse des Staates vom Bürger als dem Souverän abgeleitet sind,[3] geht es im Recht somit um die Voraussetzungen der Anwendung einer vom Souverän abgeleiteten Zwangsgewalt gegen diesen selbst. Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass die Struktur derjenigen Verfahren, in denen entsprechende Entscheidungen zustande kommen, in einem freiheitlichen Staat transparent sein müssen und Gegenstand öffentlicher Kritik sein können. Wo es um strafrechtlichen Zwang geht, anerkanntermaßen das "schärfste Schwert", das der Staat im Namen des Souveräns gegen diesen selbst richten kann, gilt das in besonderem Maße.

Dieser Beitrag ist nicht etwa die elitäre und wirklichkeitsfremde Polemik eines Akademikers. Es ist fraglos das Alleinstellungsmerkmal der Gerichte innerhalb des Rechtssystems, dass sie unter Entscheidungszwang operieren.[4] 650 Revisionen pro Jahr und Strafsenat müssen entschieden werden. Das gilt auch dort, wo schwierige, rational kaum definitiv zu entscheidende Rechtsfragen im Raum stehen.[5] Eine normative Kritik, die diese Bedingungen ignoriert, verfehlt ihren Gegenstand. Hieraus ergibt sich indes kein Freibrief für die Praxis, den normativen Rahmen ihrer Tätigkeit selbst nach Gutdünken zu definieren. Sinnvolle wissenschaftliche Kritik an juristischer Praxis muss daher permanent zwischen Sein und Sollen oszillieren, sie muss immer wieder das Sollen vor dem Hintergrund des Seins und das Sein vor dem Hintergrund des Sollens reflektieren. Der nachstehende Beitrag dient freilich nicht der vertiefenden Analyse, sondern eher einem kurzen Problemaufriss.

II.

Bei der Beantwortung der Frage, ob die bislang gängige Revisionspraxis der Strafsenate des BGH den normativen Anforderungen an die Legitimation staatlicher Zwangsausübung gerecht wird, rückt ein Umstand in den Fokus des Interesses:[6] Innerhalb einer mit fünf Richtern besetzten Spruchgruppe (vgl. § 139 Abs. 1 GVG) nehmen (im Beschlussverfahren) regelmäßig lediglich zwei Richter – und zwar der Vorsitzende sowie der Berichterstatter[7] – unmittelbar Kenntnis vom Inhalt des sog. Senatsheftes, also der Revisionsakte (sog. Vieraugenprinzip). Die Mehrheit der Richter bezieht ihr Wissen über den Akteninhalt demgegenüber ausschließlich aus dem Vortrag des Berichterstatters am Beratungstag und entscheidet somit ohne eigene unmittelbare Aktenkenntnis.[8] Das war vor den jüngsten Veröffentlichungen gewiss keine "Verschlusssache".[9] Bei mir hat der Einblick in die nunmehr

in aller Deutlichkeit benannten Verfahrensabläufe gleichwohl (vorsichtig formuliert) ein erhebliches Befremden ausgelöst. Wie u.a. ein Appell des DAV aus dem März 2013[10] zeigt, stehe ich hiermit wohl nicht ganz allein. § 139 Abs. 1 GVG, wonach die Senate des Bundesgerichtshofs "in der Besetzung von fünf Mitgliedern" entscheiden, legt intuitiv das Verständnis nahe, dass alle fünf Mitglieder aufgrund von eigener unmittelbarer Kenntnis der Revisionsakte entscheiden, zumal dort, wo es um die letzte (und einzige!) Kontrolle der Anwendung von oftmals freiheitsentziehenden Sanktionen geht.[11] Im Folgenden soll zumindest kursorisch untersucht werden, ob sich diese Intuition materiell unterfüttern lässt.

Der BGH hat offenbar ein anderes Verständnis. So heißt es in einer Entscheidung aus dem Jahr 1994 lapidar: "Der Vortrag eines Berichterstatters ist[demnach]ein geeigneter und verfassungsrechtlich unbedenklicher Weg, die übrigen Mitglieder eines Spruchkörpers mit den maßgeblichen Problemen eines Falles vertraut zu machen."[12] Das "demnach" bezieht sich auf den vorausgehenden Satz der Entscheidungsgründe, in dem es heißt: "Das Grundrecht auf rechtliches Gehör legt dem Gericht lediglich die Pflicht auf, die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und zu erwägen; es regelt nicht, wie dies im einzelnen zu geschehen hat." Aus dem Fehlen einer durch Art. 103 Abs. 1 GG[13] konkret vorgegebenen Art der Kenntnisnahme folgt indes keineswegs, dass insoweit jedes Verfahren zulässig wäre. Für die Zulässigkeit müssen vielmehr materielle Kriterien formuliert werden. Diese gebotene normative Absicherung des Berichterstatterverfahrens würdigt der BGH in der genannten Entscheidung jedoch mit keinem Wort. Er hält sie offenbar nicht für erforderlich. Das wird dem hohen Legitimationsdruck bei Entscheidungen über strafrechtliche Zwangsausübung nicht gerecht. Es ist daher zu begrüßen, wenn das Berichterstatterverfahren (fach-)öffentlich zur Diskussion gestellt wird.[14]

Normative Anforderungen an die praktische Ausgestaltung der richterlichen Tätigkeit ergeben sich aus der Verfassung. Das "Richterbild" des Grundgesetzes wird dabei vor allem geprägt durch die Art. 101, 97, 92, 20 Abs. 3, 19 Abs. 4 GG. Demnach ist der "gesetzliche Richter" (i.w.S.) nicht allein durch das ordnungsgemäße Zustandekommen seiner Zuständigkeit definiert, sondern er wirkt als unabhängiges Organ bei der Gewährleistung einer rechtsstaatlichen und effektiven Justiz mit. "Der Grundsatz des gesetzlichen Richters sichert die Rechtsstaatlichkeit auf dem Gebiete der Gerichtsbarkeit schlechthin".[15] Aus diesem – fraglos konkretisierungsbedürftigen – Maßstab folgt nun zunächst das Gebot effektiver Justizgewähr (siehe bereits oben I), also einer Entscheidung innerhalb angemessener Zeit.[16] Die tatsächliche Leistbarkeit des anfallenden Arbeitsaufwandes wird so zu einem normativen Argument, das sich für die Legitimation des Berichterstatterverfahrens ins Feld führen lässt, da dieses offensichtlich die Bewältigung der anfallenden Verfahrenszahlen ermöglicht.

Allerdings begründet der Justizgewähranspruch – insoweit gegenläufig – auch eine Pflicht zur umfassenden tatsächlichen und rechtlichen Prüfung des Streitgegenstandes.[17] Der Rang der im Strafverfahren betroffenen Grundrechte und die Intensität ihrer drohenden Beeinträchtigung erfordert dabei eine hohe Prüfungs- und Kontrolldichte, um Rechtsstaatlichkeit und Fairness des Verfahrens sicherzustellen.[18] Je gravierender der drohende Eingriff, desto genauer und gewissenhafter muss der gesetzliche Richter des Grundgesetzes prüfen, bevor er eine Entscheidung fällt.[19] Die gebotene Kontrolldichte steht auch nicht im Rahmen der richterlichen Unabhängigkeit zur Disposition, da diese weder Privileg noch Selbstzweck ist, sondern dem Richter lediglich eine gerechte und von sachfremden Einflüssen freie Entscheidung ermöglichen soll.[20] Sie kann daher nicht herangezogen werden, um eine Verfahrensweise zu legitimieren, die strukturell zu defizitärer Sachkenntnis der beteiligten Richter führt.[21]

Freilich könnte man der Auffassung sein, dass das Berichterstatterverfahren die Vermittlung einer die notwendige Prüfungs- und Kontrolldichte ermöglichenden Sachkenntnis der übrigen Richter gewährleistet. Ein qualifizierter und erfahrener Richter wäre demnach in der Lage, den Inhalt einer ihm zur Entscheidungsvorbereitung übertragenen Revisionsakte richtig zu erfassen und so die für die Entscheidung wesentlichen Punkte am Beratungstag zutreffend vorzutragen. Diese Sichtweise begegnet jedoch durchgreifenden Bedenken. Sie suggeriert, dass es einen objektiven Inhalt der Senatshefte gibt,

der vom Berichterstatter lediglich erkannt und anschließend referiert werden muss. Die Vorstellung eines vom Leser unabhängigen objektiven Inhalts von Texten wird jedoch durch die Erkenntnisse aller Wissenschaften widerlegt, die sich mit Sprache befassen.[22] Den Inhalt eines Textes gibt es nicht; vielmehr ist der Text immer bereits das Produkt einer Auslegung, eines Verständnisses des Lesers.[23] Die Berichterstattung ist also niemals die Darstellung eines vorhandenen Inhalts, sondern eine Interpretation des Berichterstatters, eine Konstruktion. Damit wird den beteiligten Personen keineswegs Böswilligkeit oder mangelnde Qualifikation unterstellt. Texte sind eben nicht, was sie sind, sondern sie werden, was der Leser aus ihnen macht.[24]

Hierbei handelt es sich mitnichten um für die richterliche Praxis belanglosen akademischen Dünkel. Wie fragwürdig die Vorstellung eines objektiven Inhalts der Revisionsakte ist, zeigt sich in aller Deutlichkeit, wenn der Gegenstand des vermeintlichen "Berichts" in den Blick genommen wird. Nach der Auffassung des BGH sollen die übrigen Richter durch den Berichterstatter über die "maßgeblichen Problemen eines Falles" informiert werden.[25] Vor dem Hintergrund einer aufgeklärten juristischen Methodenlehre ist es aber eine höchst zweifelhafte Vorstellung, dass die für die Entscheidung eines Rechtsfalles relevanten Aspekte gleichsam wie eine objektive Tatsache verfügbar sind. Das wertende Element der (insoweit sprachlich irreführend) als "Berichterstattung" bezeichneten Methode ist nicht von der Hand zu weisen. Es handelt sich eben nicht um ein objektives Verfahren, durch das der Akteninhalt lediglich wert- und ergebnisneutral referiert wird. Was die "maßgeblichen Probleme eines Falles" sind, ist eine (womöglich sogar die) entscheidende normative Vorfrage, auf die es häufig keine allein "richtige" Antwort gibt. Die verfassungsrechtlich gebotene Prüfungs- und Kontrolldichte ist nicht gewährleistet, wo sich von fünf gesetzlich zur Entscheidung berufenen Richtern lediglich zwei mit dieser Frage befassen. Die dem Richter vom Grundgesetz vorgeschriebene umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung erscheint vor diesem Hintergrund ohne zumindest punktuelle eigene Aktenkenntnis undenkbar. Es ist demnach nicht nur so, dass zehn Augen mehr sehen, als vier; sie sehen – zumal im Bereich hoch normativer Fragestellungen – regelmäßig auch unterschiedliche Dinge. Diese Einschätzung wird durch die Tatsache bestätigt, dass sich die Quote der Verwerfungen nach § 349 Abs. 2 StPO offenbar je nach Berichterstatter signifikant unterscheidet.[26] Wo das Gesetz dem Betroffenen aber eine Entscheidung durch fünf Richter garantiert, ist eine derart große Abhängigkeit von der Person des Berichterstatters inakzeptabel, zumal diese jedenfalls nicht in allen Fällen durch abstrakte Regelungen vorgegeben ist.[27]

Bei alldem ist zuzugeben, dass in einer nicht geringen Anzahl von Fällen "der wesentliche Inhalt" der Revisionsakte von allen damit befassten (sachkundigen) Personen weitgehend identisch eingeschätzt würde.[28] Bei solchen "einfachen" Verfahren, in denen die für die Revisionsentscheidung relevanten Eckpunkte vor dem Hintergrund des geltenden Rechts/der anerkannten Dogmatik klar erkennbar sind, ist es unschädlich, wenn die Akte lediglich vom Berichterstatter aufbereitet wird.[29] Aber die Existenz unkomplizierter Fälle vermag das Berichterstatterverfahren angesichts der vorstehend skizzierten Bedenken nicht zu legitimieren. Denn es kann sich immer erst im Nachhinein herausstellen, ob tatsächlich ein "einfacher" Fall im vorstehenden Sinne vorlag.[30] Auch hierüber kann es schließlich Streit geben, denn was der eine für offensichtlich hält, mag dem anderen diskussionswürdig erscheinen. Außerdem sind auch bei scheinbar einfachen Fällen immer wieder Besonderheiten möglich, die u.U. eine Abweichung von einer bislang geübten Praxis rechtfertigen. Schließlich kommen bestimmte Fallgruppen bereits strukturell für eine Behandlung im Wege des Berichterstatterverfahrens nicht in Frage. Das gilt z.B. dort, wo es um mögliche Beweiswürdigungsfehler des Landgerichts geht. Die Kontrolle einer tatrichter-

lichen Würdigung setzt stets eine individuelle Würdigung des Kontrollierenden voraus.[31] Das wiederum ist ohne eine eigene Lektüre der maßgeblichen Urteilspassagen undenkbar.[32] Selbst in (ex post) einfachen Fällen erfordert eine den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechende Entscheidung in diesem Bereich daher die Lektüre des erstinstanzlichen Urteils durch alle beteiligten Richter.

III.

Die vorstehenden Überlegungen bestätigen die zu Beginn intuitiv getroffene Einschätzung. Ein gesetzlich zur Entscheidung berufener Richter darf diese Entscheidung regelmäßig nicht ohne eigene unmittelbare Aktenkenntnis treffen. Das folgt aus dem verfassungsrechtlichen Gebot einer umfassenden rechtlichen und tatsächlichen Prüfung des Verfahrensgegenstands sowie aus dem rechtsstaatlichen Erfordernis eigener methodengeleiteter Rechtserkenntnis[33] des gesetzlichen Richters . Das Berichterstatterverfahren, wie es bislang bei den Strafsenaten des BGH praktiziert wurde, wird diesen Anforderungen nicht zuletzt angesichts des Ranges der betroffenen Grundrechte und der drohenden Intensität ihrer Beeinträchtigung nicht gerecht und ist somit aus verfassungsrechtlichen Gründen zu verwerfen.

Das Nachdenken über eine Alternative muss insoweit natürlich den bereits erwähnten Entscheidungszwang berücksichtigen, dem der Bundesgerichtshof unterliegt. Ließe sich etwa empirisch zeigen, dass eine vollständige Lektüre aller Senatshafte durch alle an der Entscheidung beteiligten Richter[34] zeitlich nicht zu leisten ist,[35] wäre eine dies gleichwohl einfordernde normative Prämisse sinnlos (und zwar normativ sinnlos – ultra posse nemo obligatur).[36] Jenseits solcher Erwägungen lassen sich aber keine Gründe dafür finden, dass durch eine Beschränkung auf "vier von zehn Augen" bei der letztinstanzlichen Entscheidung über die Anwendung von Strafgewalt weniger gesehen wird, als bei Beachtung der gesetzlichen Vorgaben gesehen werden könnte.[37] Die bisherige Praxis kann sich nicht am eigenen Schopf aus dem normativen Sumpf ziehen, indem sie ihre Legitimation durch Verweis auf sich selbst begründet.[38] Das bei den Zivilsenaten praktizierte Verfahren mit entscheidungsvorbereitenden schriftlichen Voten – als ein Beispiel –, das dort die Bewältigung einer vergleichbaren Menge von Verfahren gewährleistet,[39] ist gegenüber dem Berichterstatterverfahren der Strafsenate normativ vorzugswürdig. Die Entscheidung hierüber unterliegt daher nicht der Disposition der beteiligten Richter, auch wenn der Praxis generell durchaus ein Rahmen zur Selbstregulierung ihrer Verfahrensabläufe zuzugestehen ist.[40] Dabei darf jedoch das normativ gebotene Minimum an Kontroll- und Prüfungsdichte nicht unterschritten werden, was bei einer Entscheidung durch fünf Richter regelmäßig jedenfalls punktuelle eigene Aktenkenntnis jedes Richters – sei es in der Auseinandersetzung mit dem schriftlichen Votum eines Kollegen – erfordert. Das gewährleistet weder "richtige" Entscheidungen noch letztgültige "Wahrheit". Diese Begriffe sind in einer pluralistisch verfassten Gesellschaft ohnehin allenfalls spärlich zu gebrauchen. Aber es schafft prozedurale Voraussetzungen dafür, dass der vom Grundgesetz vorgesehene gesetzliche Richter "nach bestem Wissen und Gewissen" (§ 38 Abs. 1 DRiG) entscheiden kann. Der Rest an schlechtem Gewissen, der nach Gustav Radbruch die Tätigkeit des Strafrichters stets begleiten sollte, kann und muss dann von allen Beteiligten und Betroffenen ausgehalten werden.


[1] Fischer/Krehl StV 2012, 550 ff.; Fischer/Eschelbach/Krehl StV 2013, 395 ff.; Brause JR 2013, 134 ff.; vertiefend zur Rolle des Berichterstatters sowie zu den Unterschieden zwischen Beschluss- und Urteilsverfahren mit weitergehenden Statistiken Fischer NStZ 2013, 425 ff.; zuletzt aus der nichtjuristischen Presse Der SPIEGEL, Heft 31/2013, S. 44 f. und Süddeutsche Zeitung vom 29.7.2013, S. 1.

[2] Dieser Aspekt wird bei der allgemeinen Charakterisierung von Recht in den Vordergrund gerückt von Dworkin, Law’s Empire (1988), S. 93 f.; allgemein zum Begriff des Rechts etwa Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 6. Aufl. (2011), § 2.

[3] Eine eindringliche Darstellung dieses staatstheoretischen Konzepts mit umf. Nachw. findet sich bei H. Dreier RW 2011, 11, 14 ff.

[4] Vertiefend Luhmann, Das Recht der Gesellschaft (1993), S. 297 ff.

[5] Nochmals Luhmann a.a.O. (Fn. 4), S. 317.

[6] Das Verfahren ist näher geschildert bei Fischer/Krehl StV 2012, 550 ff. Es dürfte sich um eine empirisch zutreffende Darstellung handeln, da sie auch von einem Verteidiger der gängigen Praxis nicht in Frage gestellt wird, vgl. Brause JR 2013, 134, 136 ff.

[7] Die in einem der fünf überbesetzten Strafsenate jeweils entscheidende Spruch- oder Sitzgruppe ist durch abstrakte Regelungen vorgegeben, § 21g GVG, während der jeweilige Berichterstatter je nach Senat entweder ebenfalls durch einen internen Geschäftsverteilungsplan oder durch den Vorsitzenden bestimmt wird, Fischer NStZ 2013, 425, 426 ff.

[8] Deutlich Fischer/Krehl StV 2012, 550, 553.

[9] Vgl. etwa BGH NStZ 1994, 353 f.; BVerfG NJW 1987, 2219, 2220. Gleichwohl waren die in Rede stehenden Abläufe in der Wissenschaft wohl weitgehend unbekannt, so Fischer NStZ 2013, 425, 429 f.

[10] Stellungnahme Nr.: 16/2013, abrufbar unter http://anwaltverein.de/downloads/Stellungnahmen-11/DAV-SN16-13.pdf (zuletzt abgerufen am 30.7.2013).

[11] In der Stellungnahme des DAV wird wie selbstverständlich von dem "im Gesetz vorgeschriebenen ‚10-Augenprinzip‘" gesprochen, a.a.O. (Fn. 10), S. 4.

[12] BGH NStZ 1994, 353, 354.

[13] Der alleinige Rückgriff auf Art. 103 Abs. 1 GG erfasst den relevanten verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab – wie gleich deutlich werden wird – in höchstem Maße unvollständig.

[14] Dagegen ist es fragwürdig, wenn dies als "Vermischung von Selbstverständlichem mit aufgebauschten, eher abstrakt gehaltenen Umständen" bezeichnet wird, so Brause JR 2013, 134, 146; demgegenüber betont der DAV, a.a.O. (Fn. 10), S. 4, die "erfreuliche Offenheit", mit der die entsprechenden Verfahren bekannt gemacht wurden.

[15] Siehe (mit Hinweis auf die Rechtsprechung des BVerfG) Maunz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, 67. Ergänzungslieferung (2013), Art. 101 Rn. 1; vgl. ferner a.a.O. Rn. 12 f. m.w.N. (auch zu Kritik an diesem weiten Verständnis des gesetzlichen Richters).

[16] Pars pro toto BVerfG NJW 2001, 214, 215 m.w.N.; zum europarechtlichen Beschleunigungsgebot (Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK) etwa Maier, in: Münchener Kommentar zum StGB, Bd. 2, 2. Aufl. (2012), Anhang zu § 46 Rn. 20 ff.

[17] Grzeszick, in: Maunz/Dürig, a.a.O. (Fn. 15), Art. 20 VII. Rn. 133 m.w.N. aus der Rspr. des BVerfG.

[18] Allgemein zu den aus dem Rechtsstaatsprinzip bzw. dem Gebot effektiven Rechtsschutzes folgenden Anforderungen an die Kontrolldichte bei gerichtlichen Entscheidungen (dort in erster Linie bezogen auf das Verhältnis zur Exekutive) Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, a.a.O. (Fn. 15), Art. 19 Abs. 4 Rn. 180 ff.

[19] Dieser Gedanke findet sich – bezogen auf die Kontrolle der Fachgerichte durch das BVerfG – in BVerfGE 42, 143, 147 ff.

[20] Papier NJW 2001, 1089, 1090.

[21] Wie hier Fischer/Krehl StV 2012, 550, 557.

[22] Vgl. dazu mit zahlreichen Nachw. aus der Linguistik Christensen/Kudlich, Theorie richterlichen Begründens (2001), S. 41 ff.; aus der Literaturwissenschaft – mit im Einzelnen differierenden Konzepten – etwa den Sammelband von Stanley Fish, Is there a text in this class (1980) sowie Paul de Man, Allegories of Reading (1979), jew. passim. In der Sprachphilosophie ist die Vorstellung einer "objektiven" Bedeutung sprachlicher Texte spätestens seit der sog. "Spätphilosophie" von Ludwig Wittgenstein kaum mehr aufrecht zu erhalten, vgl. für eine besonders konsequente Variante dieses Ansatzes Rorty, Contingency, irony, and solidarity (1989), S. 3 ff.

[23] Im Grundsatz zutr. daher Fischer/Krehl StV 2012, 550, 555.

[24] Eine gestochen scharfe Darstellung dieses Ansatzes findet sich bei Fish, in: ders., a.a.O. (Fn. 22), S. 303 ff. Dort wird auch in aller Klarheit gezeigt, dass dieses Verständnis keineswegs zu völligem Skeptizismus oder Relativismus führt. Auch hier soll natürlich nicht bestritten werden, dass es Fälle gibt, in denen unter fachkundigen Betrachtern (gewissermaßen pragmatisch) kein Dissens darüber besteht, was "der maßgebliche Inhalt" einer Revisionsakte ist. Das ändert aber nichts daran, dass die Annahme des Textinhalts als einer objektiven, vom Leser vorgefundenen Entität nur schwer stimmig begründet werden kann.

[25] NStZ 1994, 353, 354.

[26] Es zeigen sich über einen mehrjährigen Zeitraum Unterschiede von rund 30%, siehe (für den 2. Strafsenat) Fischer NStZ 2013, 425, 431 f.

[27] Siehe oben (Fn. 7).

[28] Deutlich zu weit geht es m.E. indes, wenn der Umgang mit Strafurteilen als eine Art schematisches Verfahren dargestellt wird, bei dem "immer gleiche Programmpunkte belegt, abgehakt oder problematisiert werden" könnten, so Brause JR 2013, 134, 136. Bei aller Notwendigkeit von Mechanismen zur Reduktion von Komplexität scheint mir diese Beschreibung in Anbetracht des hohen staatstheoretischen Legitimationsbedarfs inakzeptabel. Im Übrigen gilt – wie auch im Haupttext ausgeführt –, dass es auch Streit darüber geben kann, ob es sich um einen "Routinefall" handelt, welche Routinen für einen bestimmten Fall adäquat sind oder ob trotz eines Routinefalles aufgrund besonderer Umstände eine Abweichung (distinguishing) geboten ist. All diese Diskussionen können nur diejenigen Richter führen, die das Senatsheft selbst unmittelbar kennen.

[29] Selbst wenn dies "die Hälfte aller Fälle" sein sollten (so Brause JR 2013, 134, 137), was zumindest eine angreifbare Schätzung sein dürfte, so werden doch mehr als 90% aller Fälle im Beschlussverfahren entschieden (Fischer/Krehl StV 2012, 550; nähere Zahlen jetzt bei Fischer NStZ 2013, 425, 427. Demnach würden mindestens 40% der Fälle ohne eigene Kenntnisnahme der Richtermehrheit vom Verfahrensinhalt entschieden, obwohl es sich nicht um einen einfachen Fall handelt.

[30] Fischer/Krehl StV 2012, 550, 559.

[31] Velten, in: SK-StPO, Bd. V, 4. Aufl. (2012), Vor § 261 Rn. 9

[32] Siehe auch Fischer, NStZ 2013, 425, 429 m. Fn. 28: Die Referierung von Beweiswürdigungen[und Strafzumessungserwägungen] ist besonders fehleranfällig. "Wenn man diese Teile nicht liest, kann man es eigentlich gleich ganz lassen".

[33] Dazu allgemein Schmidt-Aßmann, a.a.O. (Fn. 15), Rn. 181

[34] Das ist in den (wenigen) durch Urteil beschiedenen Fällen offenbar gängige Praxis, siehe Fischer NStZ 2013, 425, 427 f.

[35] Zu Rechenbeispielen vgl. Fischer/Eschelbach/Krehl StV 2013, 395, 396 und 401.

[36] Ein solcher Befund könnte allerdings ein begründeter Anlass für die Forderung nach einer besseren Ausstattung der Justiz sein, um normativ adäquate Entscheidungsverfahren und Justizgewähr in angemessener Zeit zu ermöglichen.

[37] Zutr. daher Fischer/Krehl StV 2012, 550, 554 f. sowie S. 558; Fischer/Eschelbach/Krehl StV 2013, 395, 400 f.; im Ergebnis übereinstimmend die Stellungnahme des DAV, a.a.O. (Fn. 10), S. 5; im Kern auch BVerfG NStZ 2012, 458, 460.

[38] So der Sache nach aber BGH NStZ 1994, 353 f.

[39] Fischer/Eschelbach/Krehl StV 2013, 395, 399.

[40] Ein Vorschlag, der im hier skizzierten Sinne ein erhöhtes Maß an Legitimation gewährleisten könnte, wird angedeutet bei Fischer/Eschelbach/Krehl StV 2013, 395, 401 f.