HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 587
Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 106/13, Beschluss v. 22.05.2013, HRRS 2013 Nr. 587
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 19. Juli 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "sexueller Nötigung - Vergewaltigung -" in Tateinheit mit Körperverletzung und Freiheitsberaubung zu der Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Seine hiergegen gerichtete, auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
1. Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
Die Hauptverhandlung begann am 17. Juni 2010. Nach dem 26. Hauptverhandlungstag am 17. August 2011 wurde die Hauptverhandlung "für 30 Tage unterbrochen" und am 19. September 2011 fortgesetzt. Der 32. Hauptverhandlungstag fand am 15. Dezember 2011 statt; danach wurde die Hauptverhandlung erneut "für 30 Tage unterbrochen" und am 13. Januar 2012 fortgesetzt.
2. Dieses Verfahren beanstandet die Revision mit Recht. Der Generalbundesanwalt hat hierzu Folgendes ausgeführt:
"Die zulässig erhobene Rüge der Verletzung des § 229 Abs. 2 StPO greift durch. Die Revision beanstandet zu Recht, dass die Hauptverhandlung, die in der Zeit vom 17. Juni 2010 bis zum 17. August 2011 an 26 Verhandlungstagen durchgeführt und dann bis zum 19. September 2011 einen Monat unterbrochen worden war, nach weiteren sechs Verhandlungstagen mit Beschluss vom 15. Dezember 2011 erneut 28 Tage unterbrochen wurde (RB S. 216).
Nach § 229 Abs. 2 StPO darf eine Hauptverhandlung bis zu einem Monat unterbrochen werden, wenn sie davor jeweils an mindestens zehn Tagen stattgefunden hat. Wird sie nicht spätestens am Tage nach Ablauf der Frist fortgesetzt, so ist mit ihr von neuem zu beginnen (§ 229 Abs. 4 Satz 1 StPO). Sinn dieser Bestimmung ist es, das Gericht an eine möglichst enge Aufeinanderfolge der Verhandlungstage zu binden, damit die zu erlassende Entscheidung unter dem lebendigen Eindruck des zusammenhängenden Bildes des gesamten Verhandlungsstoffs ergeht (vgl. bereits RGSt 53, 332, 334; 57, 266, 267; 62, 263, 264; BGHSt 33, 217, 218; BGH, Urteil vom 25. Juli 1996 - 4 StR 172/96, NJW 1996, 3019; Urteil vom 3. August 2006 - 3 StR 199/06, NJW 2006, 3077; Beschluss vom 16. Oktober 2007 - 3 StR 254/07, NStZ 2008, 115). Sie soll gewährleisten, dass der Urteilsspruch aus dem "Inbegriff der Verhandlung" gewonnen werden kann und nicht dem Grundsatz der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit der Hauptverhandlung zuwider den Akten entnommen werden muss (vgl. BGH, Urteil vom 25. Juli 1996 - 4 StR 172/96, NJW 1996, 3019 mwN). Von der Unterbrechungsmöglichkeit des § 229 Abs. 2 StPO kann das Gericht grundsätzlich beliebig oft Gebrauch machen; es muss jedoch seit einer früheren Unterbrechung um einen Monat seither an weiteren zehn Tagen verhandelt worden und eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung ausgeschlossen sein.
Ungeachtet der Frage, ob das Verfahren in den Fortsetzungsterminen vom 21. Oktober 2011 und vom 2. Dezember 2011 in der Sache gefördert wurde (RB S. 219 f.), hat das Landgericht seit der vorangegangenen Unterbrechung nach § 229 Abs. 2 StPO bis zum 15. Dezember 2011 an allenfalls sechs Tagen verhandelt. Es hat damit die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Unterbrechung bis zu 21 Tagen (§ 229 Abs. 1 StPO) geschaffen, eine längere Unterbrechung zu diesem Zeitpunkt schied demgegenüber aus.
Das Beruhen des Urteils im Sinne des § 337 Abs. 1 StPO auf einem Verstoß gegen § 229 StPO kann regelmäßig - wie auch hier - nicht ausgeschlossen werden (BGHSt 23, 224, 225; NJW 1952, 1149 f.; BGH, Urteil vom 25. Juli 1996 - 4 StR 172/96, NJW 1996, 3019; Beschluss vom 16. Oktober 2007 - 3 StR 254/07, NStZ 2008, 115; Becker in LR StPO 26. Aufl. § 229 Rn. 42). Ein besonders gelagerter Ausnahmefall, in dem die Fristüberschreitung ersichtlich weder den Eindruck von der Hauptverhandlung abgeschwächt noch die Zuverlässigkeit der Erinnerung beeinträchtigt hat, liegt hier nicht vor ..."
Dem tritt der Senat bei.
3. Der Senat weist darauf hin, dass die Sache nunmehr besonderer Beschleunigung bedarf und die bisherigen Feststellungen die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe nicht ausschließbar im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit gehandelt (§ 21 StGB; vgl. UA 37 f.), nicht tragen.
HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 587
Externe Fundstellen: StV 2014, 2
Bearbeiter: Karsten Gaede