Alle Ausgaben der HRRS, Aufsätze und Anmerkungen ab dem Jahr 2000.
HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
April 2013
14. Jahrgang
PDF-Download
1. Bei zu erwartenden Taten des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern nach § 176a Abs. 2 StGB handelt es sich um schwere Sexualstraftaten im Sinne der Maßgabe des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG NJW 2011, 1931). Dies gilt auch für nur versuchte Deliktsformen, denn auch damit ist typischerweise die Gefahr schwerwiegender psychischer Schäden verbunden (vgl. BGH NStZ-RR 2010, 239).
2. Dass der Täter keine Gewalt gegen seine Opfer angewandt hat und dies auch zukünftig nicht hinreichend konkret zu erwarten steht, ist für die Einordnung der Delikte als schwere Sexualstraftaten unerheblich (vgl. BGH NStZ-RR 2010, 239). Denn schon ohne Gewaltanwendung ist die durch die Vorschrift geschützte sexuelle Entwicklung verletzt (vgl. BGHSt 53, 283, 285). Hinzu tritt, dass es häufig für Eingriffe in die sexuelle Selbstbestimmung von kindlichen Opfern aufgrund deren unzureichender Verstandes- und Widerstandskräfte des Einsatzes von Gewalt nicht bedarf.
3. Die Regelungen des § 66 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 StGB aF haben Ausnahmecharakter, weil sie eine frühere Verurteilung und Strafverbüßung nicht voraussetzen. Deshalb soll das Tatgericht die Möglichkeit haben, sich ungeachtet der festgestellten Gefährlichkeit des Täters zum Zeitpunkt der Urteilsfällung auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe zu beschränken, sofern erwartet werden kann, dass sich dieser die Strafe hinreichend zur Warnung dienen lässt. Hierfür sind die Wirkungen eines langjährigen Strafvollzuges sowie die mit dem Fortschreiten des Lebensalters erfahrungsgemäß eintretenden Haltungsänderungen wichtige Kriterien, die deshalb im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigen sind (vgl. BGH NStZ-RR 2011, 172).
§ 46b StGB; § 100a Abs. 2 StPO; § 116 SGB X; § 86 VVG; § 403 StPO
Die Voraussetzungen des § 46b Abs. 1 Nr. 1 StGB können zwar auch bei Offenbarung von Wissen vorliegen, das lediglich auf Hinweisen vom Hörensagen beruht, sofern hierdurch ein wesentlicher Beitrag zur Aufklärung einer Tat nach § 100a Abs. 2 StPO geleistet wird. Auch verlangt § 46b StGB weder ein umfassendes Geständnis noch eine Offenlegung des gesamten Wissens des Täters. Jedoch trägt der Aufklärungsgehilfe das Risiko, dass ein Aufklärungserfolg nicht eintritt.
Grundsätzlich ist es einem Angeklagten nicht verwehrt, sich gegen den Vorwurf der Körperverletzung mit der Behauptung zu verteidigen, er habe in Notwehr gehandelt. Soweit damit Anschuldigungen gegen Dritte verbunden sind, werden die Grenzen eines zulässigen Verteidigungsverhaltens dadurch nicht überschritten (vgl. BGH NStZ 2010, 692). Eine wahrheitswidrige Notwehrbehauptung kann erst dann straferschwerend gewertet werden, wenn Umstände hinzukommen, nach denen sich dieses Verteidigungsverhalten als Ausdruck einer zu missbilligenden Einstellung darstellt (vgl. BGH NStZ 2007, 463).
Sieht das Gesetz einen minder schweren Fall vor und ist auch ein gesetzlich vertypter Milderungsgrund gegeben, muss bei der Strafrahmenwahl zunächst vorrangig geprüft werden, ob ein minder schwerer Fall vorliegt. Dabei ist im Rahmen einer Gesamtwürdigung zuerst auf die allgemeinen Milderungsgründe abzustellen. Vermögen sie die Annahme eines minder schweren Falls allein zu tragen, stehen die den gesetzlich vertypten Milderungsgrund verwirklichenden Umstände noch für eine (weitere) Strafrahmenmilderung nach § 49 StGB zur Verfügung. Ist nach einer Abwägung aller allgemeinen Strafzumessungsumstände das Vorliegen eines minder schweren Falls abzulehnen, sind auch die den gesetzlich vertypten Strafmilderungsgrund verwirklichenden Umstände in die Bewertung einzubeziehen. Erst wenn der Tatrichter danach weiterhin keinen minder schweren Fall für gerechtfertigt hält, darf er seiner konkreten Strafzumessung den (allein) wegen des gegebenen gesetzlich vertypten Milderungsgrundes gemilderten Regelstrafrahmen zugrunde legen (vgl. BGH NStZ-RR 2013, 7, 8).
1. Ein Hang des Täters zu erheblichen Straftaten ist Voraussetzung auch des Ausspruchs eines Vorbehalts der Sicherungsverwahrung nach § 66a StGB aF. Dessen Voraussetzungen sind vom Tatgericht angesichts der strengen Bedingungen, die an die Anwendung der Vorschrift derzeit zu stellen sind, grundsätzlich ausdrücklich zu prüfen. Insoweit möglicherweise relevante Ausführungen im Rahmen der Schuldfähigkeitsprüfung schaffen keinen Ersatz. (Bearbeiter)
2. Für den Vorbehalt der Sicherungsverwahrung bedarf es einer erheblichen, naheliegenden Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer schwerer Straftaten (hier: Sexualstraftaten), die aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Angeklagten ableitbar sein muss. Die bloße Feststellung, dass der Täter für die Allgemeinheit gefährlich sei, genügt dem regelmäßig nicht. (Bearbeiter)