Alle Ausgaben der HRRS, Aufsätze und Anmerkungen ab dem Jahr 2000.
HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
April 2013
14. Jahrgang
PDF-Download
1. Zur Bezifferung aufgrund unrichtiger Feststellungsbescheide nach § 182 Abs. 1 Satz 1 AO erlangter nicht gerechtfertigter Steuervorteile im Sinne von § 370 Abs. 1 AO. (BGHSt)
2. Ein mittels tatbestandsmäßiger Verhaltensweisen gemäß § 370 Abs. 1 AO erwirkter unrichtiger Feststellungsbescheid stellt im Hinblick auf dessen aus § 182 Abs. 1 Satz 1 AO resultierender Bindungswirkung einen „nicht gerechtfertigten Steuervorteil“ und damit eine vollendete Tat dar (BGHSt 53, 99, 104 ff). Die Bindungswirkung erfasst sowohl die zu niedrige Feststellung von Gewinnen als auch unberechtigte Verlustvorträge und unberechtigt nicht verbrauchte Verlustvorträge. (Bearbeiter)
3. Die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die strafrechtliche Untreue (§ 266 StGB) und den Betrug (§ 263 StGB), insbesondere hinsichtlich der Merkmale „Vermögensnachteil“ bzw. „Vermögensschaden“ (BVerfGE 126, 170, 194 ff.; BVerfG NJW 2012, 907, 915 f.; BVerfG StraFo 2012, 496, 497 f.), gibt keinen Anlass, von dem bisherigen Verständnis des „nicht gerechtfertigten Steuervorteils“ nach § 370 Abs. 1 AO sowie den zu dessen Vorliegen erforderlichen Feststellungen abzugehen. (Bearbeiter)
4. Art. 103 Abs. 2 GG erfordert auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei der Auslegung von § 370 Abs. 1 AO in der Variante des in einem „nicht gerechtfertigten Steuervorteil“ liegenden tatbestandsmäßigen Erfolgs nicht, die Vollendung der Tat davon abhängig zu machen, auf der Grundlage des bezifferten Steuervorteils die (zukünftigen) Auswirkungen auf den Steueranspruch des Staates zu berechnen. Die auf die Rechtsgutsverletzungsdelikte § 263 StGB und § 266 StGB bezogenen Vorgaben sind auf den „nicht gerechtfertigten Steuervorteil“ als tatbestandsmäßiger Erfolg nach § 370 Abs. 1 AO nicht übertragbar. Der Straftatbestand der Steuerhinterziehung ist weder in seinen tatbestandlichen Strukturen noch in dem von ihm geschützten Rechtsgut und seinem Deliktscharakter dem Betrugs- und dem Untreuestraftatbestand so ähnlich, dass eine Änderung der Voraussetzungen der Vollendung in der genannten Tatbestandsvariante veranlasst oder gar geboten wäre. (Bearbeiter)
5. Das Gesetz geht von einer inhaltlichen Unterscheidung zwischen der Steuerverkürzung und dem ungerechtfertigt erlangten Steuervorteil aus, auch wenn die Differenzierung zwischen den Taterfolgen nicht in allen Einzelheiten geklärt ist. Die Steuerverkürzung einerseits und der „nicht gerechtfertigte Steuervorteil“ andererseits beschreiben nicht lediglich einen identischen Taterfolg des § 370 Abs. 1 AO, die Gefährdung des staatlichen Steueranspruchs, aus zwei unterschiedlichen Blickwinkeln. (Bearbeiter)
6. § 370 AO stellt sich nicht notwendig als Rechtsgutsverletzungsdelikt dar. Dementsprechend ist es für den Eintritt der Vollendung des Delikts auch nicht von Bedeutung, ob der Steuerschuldner über ausreichende finanzielle Mittel zur Begleichung der Steuerschuld verfügt. (Bearbeiter)
7. Auch das Verfassungsgebot schuldangemessenen Strafens und § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO gebieten die Bezifferung nicht. (Bearbeiter)
8. Ab welcher Wertgrenze ein „großes Ausmaß“ gemäß § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO bei erlangten Steuervorteilen anzunehmen ist, hat die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bisher nicht zu entscheiden gehabt. Dies bedarf auch vorliegend keiner Entscheidung. Da die erlangten Steuervorteile aber ohnehin für die Beurteilung des Vollendungseintritts nach Art und Höhe festzustellen sind, kommt eine Anwendung des Regelbeispiels anhand von Wertgrenzen, wie sie der Senat bislang nach Fallkonstellationen differenzierend angenommen hat (siehe BGHSt 53, 71, 85 Rn. 38 f.), grundsätzlich in Betracht. (Bearbeiter)
1. Bei einem auf spätere Veräußerung zielenden Anbau von Cannabispflanzen ist für die Abgrenzung des Han-
deltreibens mit Betäubungsmitteln (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG) vom Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) die Menge maßgeblich, die mit der bereits begonnenen Aufzucht der Pflanzen letztlich erzielt und gewinnbringend veräußert werden soll. (BGHSt)
2. Für ein Handeltreiben i.S.d. Betäubungsmittelstrafrechts kommt es generell nicht auf ein tatsächlich erfolgreiches Umsatzgeschäft an, sondern auf ein Verhalten, das auf ein solches gerichtet ist. (Bearbeiter)
3. Durch die begonnene Aufzucht besteht bereits eine spezifische Gefährdungslage für das durch die §§ 29 ff. BtMG geschützte Rechtsgut. Hinge in entsprechenden Fällen die Strafbarkeit wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge davon ab, dass der Wirkstoffgehalt in den Pflanzen tatsächlich den Grenzwert bereits übersteigt, würde die besondere Gefährdung, die sich schon durch den auf die Weiterveräußerung nicht geringer Mengen gerichteten Anbau ergibt, nicht in ihrem ganzen Umfang erfasst. (Bearbeiter)
4. Allein aus der Stellung als Wohnungsinhaber oder Vermieter folgt eine Pflicht zum Einschreiten gegen die Nutzung einer Wohnung zum Anbau von Cannabis-Pflanzen im Allgemeinen nicht (st. Rspr.). (Bearbeiter)
5. Die Besetzungsrüge ist i.d.R. unbegründet, wenn die Entscheidung weder auf sachfremden Erwägungen beruht noch dabei der eingeräumte Beurteilungsspielraum in unvertretbarer Weise überschritten wird. Dass gegebenenfalls auch eine andere Beurteilung möglich gewesen wäre oder sogar näher gelegen haben könnte, lässt es nicht zu, die ursprüngliche Besetzungsentscheidung als objektiv willkürlich zu bewerten. (Bearbeiter)
6. Nach gefestigter Rechtsprechung muss der Revisionsführer, der eine Verletzung des Verfahrensrechts geltend machen will (hier: Anordnung der Durchsuchung durch einen Staatsanwalt), die den Mangel enthaltenden Tatsachen so vollständig und so genau angeben, dass das Revisionsgericht allein auf Grund der Rechtfertigungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorläge, wenn die behaupteten Tatsachen erwiesen wären. (Bearbeiter)
1. Für die Anwendung des § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB ist der historische Sachverhalt entscheidend, aus dem sich der Ersatzanspruch ergibt, und nicht das Schutzgut des verletzten Strafgesetzes, aus dem der Angeklagte verurteilt wurde. (BGHSt)
2. Zum Ermessen nach § 111i Abs. 2 StPO und zur Erforderlichkeit einer Verfahrensrüge für die Beanstandung der Nichtanwendung dieser Vorschrift. (BGHSt)
3. Selbst wenn es bei der Verletzung von Allgemeinrechtsgütern häufig der Fall sein mag, dass ein im materiellen Sinne Geschädigter fehlt, ist dies nicht zwingend. Es können auch durch Straftaten, die sich in erster Linie gegen Allgemeinrechtsgüter richten, Ersatzansprüche von Dritten entstehen. Im Umweltstrafrecht sind solche Fallgestaltungen sogar verbreitet, weil es regelmäßig neben dem Täter als Verursacher auch Zustandsstörer geben kann, die ebenfalls – wenn auch nur nachrangig – möglicherweise zur Beseitigung des umweltrechtswidrigen Zustands verpflichtet sind und dann gegenüber dem Handlungsschädiger Ersatzansprüche haben. (Bearbeiter)
4. Der Ausschluss zugunsten des Verletzten nach § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB gilt nur für Vermögensvorteile des Täters, die „aus der Tat“, nicht aber für solche, die „für die Tat“ erlangt sind (vgl. etwa BGH HRRS 2011 Nr. 106). Letzteres trifft auf Vermögenswerte zu, die dem Täter als Gegenleistung für sein rechtswidriges Handeln gewährt werden, aber nicht auf der Tatbestandserfüllung selbst beruhen. Allerdings sind die Vorteile dann aus der Tat erlangt, wenn Vermögensnachteile und Vermögenszuwachs spiegelbildlich miteinander korrespondieren (BGH HRRS 2011 Nr. 138).
5. In einem Fall unterbliebener Anwendung des § 111i Abs. 2 StPO ist eine spezifizierte Verfahrensrüge jedenfalls erforderlich, wenn eine lediglich partiell unterbliebene Anwendung der Norm zum Revisionsgegenstand gemacht werden soll. Dies gilt namentlich für einen Übergangsfall, in dem Beschlagnahme und dinglicher Arrest ohne Rücksicht auf den Tatzeitpunkt angeordnet worden waren. (Bearbeiter)
6. Auf Anordnungen nach § 111i Abs. 2 StPO mag nur in Ausnahmefällen verzichtet werden können (BGH HRRS 2009 Nr. 768). Dies kann aber nur für Fälle gelten, in denen die Anwendung des § 111i Abs. 2 StPO wegen zu erwartender Nichtinanspruchnahme des Täters auf Schadensersatzleistung und eines danach zu befürchtenden Verbleibens von Tatgewinnen bei ihm vordringlich erscheint. (Bearbeiter)
7. Der Senat neigt im Zusammenhang mit der Frage ausreichender Sicherung der Ersatzanspruchsberechtigten dazu, dass im Falle des Absehens von einer Verlängerung nach § 111i Abs. 3 StPO der gemäß § 111b Abs. 5, § 111d StPO zum Zweck der Rückgewinnungshilfe erlassene dingliche Arrest gleichwohl nach den Regelungen der §§ 916 ff. ZPO fortwirkt. Eine dem Rechtsinstitut des Arrestes fremde automatische Beendigung mit Rechtskraft des weder eine Verfallsanordnung noch einen Ausspruch nach § 111i Abs. 2 StPO enthaltenden Urteils, wie sie in Rechtsprechung und Literatur teilweise vertreten wird, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. (Bearbeiter)
8. Eine Pflicht des Gerichts zur Aufhebung des Arrestes allein wegen des Unterbleibens einer entsprechenden Anordnung im Urteil ist ebenfalls nicht ausdrücklich geregelt und erscheint auch systematisch nicht zwingend. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Arrest – wie hier – nach § 111b Abs. 5 StPO (auch) zugunsten der Verletzten erlassen wurde. (Bearbeiter)
1. Zur Strafbarkeit wegen Bankrotts in Fällen der sog. Firmenbestattung. (BGHR)
2. Die Veräußerung von Anteilen an einem Unternehmen an einen sog. „Firmenbestatter“ mit dem Ziel, das Unternehmen unter Entzug der vorhandenen Vermögenswerte nach der Veräußerung verdeckt liquidieren zu lassen, erfüllt für sich genommen nicht den Tatbestand des Bankrotts gem. § 283 Abs. 1 Nr. 8 Var. 2 StGB. (Bearbeiter)
3. Jedoch können die nach der Veräußerung von den „Strohmännern“ vorgenommenen Verschleierungshandlungen den Veräußerern regelmäßig zugerechnet werden, da bzw. soweit diese Mittäter i.S.d. § 25 Abs. 2 StGB sind. Die Täterqualität des als Sonderdelikt ausgestalteten Bankrotttatbestandes liegt insoweit jedenfalls dann vor, wenn die Betreffenden vor der Veräußerung faktische Geschäftsführer waren und dies im Anschluss daran weiterhin bleiben. (Bearbeiter)
4. Es kann offen bleiben, ob sowohl die Anteilsübertragung als auch sämtliche Gesellschafterbeschlüsse, mit denen der frühere Geschäftsführer abberufen und der neue bestellt, die Firma geändert oder ihr Sitz verlegt wird, wegen der damit verbundenen und intendierten Gläubigerbenachteiligung sittenwidrig im Sinne von § 138 Abs. 1 BGB und deshalb - mit Blick auf die Gesellschafterbeschlüsse in entsprechender Anwendung von § 241 Nr. 4 AktG - nichtig sind. (Bearbeiter)
1. Geschäftsführer ist auch, wer ohne förmliche Bestellung die Stellung eines Geschäftsführers tatsächlich einnimmt. Der Umstand, dass es daneben einen formell bestellten Geschäftsführer gibt, muss dem nicht entgegenstehen. Dann muss allerdings der faktische Geschäftsführer Geschäftsführerfunktionen in maßgeblichem Umfang übernommen haben.
2. Die Annahme faktischer Geschäftsführung ist Ergebnis einer rechtlichen Bewertung von Tatsachen durch das Gericht. Nur diese Tatsachen können einem Geständnis zugänglich sein, nicht das Ergebnis der richterlichen Wertung.
3. Der tatsächliche Grund einer Entscheidung des Getäuschten behält seine rechtliche Bedeutung auch dann, wenn ein anderer, tatsächlich für die Entscheidung nicht maßgeblicher Grund denkbar sein sollte, der zu dem gleichen Ergebnis geführt hätte. Die Verknüpfung von Täuschung und Vermögensverfügung wird nicht durch Gedanken aufgehoben, die der Getäuschte nicht gehabt hat, selbst wenn er sie hätte haben können.
4. Ist der Schadenseintritt beim Betrug rechtsfehlerfrei festgestellt, nicht aber der Schadensumfang, so führt dies zur Bestätigung des Schuldspruchs, aber zur Aufhebung des Strafausspruchs.
1. Einverständliche Entnahmen aus dem Vermögen einer GmbH führen nicht ohne weiteres zur Strafbarkeit wegen Untreue. Das gilt auch dann, wenn sie durch falsche Buchungen verschleiert werden. Pflichtwidriges Handeln und ein rechtswidriger Nachteil sind anzunehmen, wenn das Stammkapital beeinträchtigt oder die wirtschaftliche Existenz der Gesellschaft in anderer Weise gefährdet wird, etwa weil der Gesellschaft ihre Produktionsgrundlagen entzogen würden oder ihre Liquidität gefährdet wäre (st. Rspr.).
2. Um diese Voraussetzungen nachvollziehbar zu begründen, bedarf es regelmäßig näherer (Mindest-)Feststellungen zur Vermögenssituation der Gesellschaft im Zeitpunkt der möglichen Tathandlungen. Der Hinweis auf ein zeitnah eröffnetes Insolvenzverfahren genügt hierfür nicht. Hieraus können sich jedoch Anhaltspunkte für entsprechende (Mindest-)Feststellungen ergeben.
3. Für die Beurteilung der drohenden Zahlungsunfähigkeit (§ 283 StGB) ist die – zwar generell mögliche – Heranziehung wirtschaftskriminalistischer Beweisanzeichen ohne jegliche (Mindest-)Feststellungen zu einem Liquiditätsstatus, d. h. zu kurzfristig fällig werdenden Verbindlichkeiten des Schuldners und den zu ihrer Tilgung vorhandenen oder herbeizuschaffenden Mitteln regelmäßig unzureichend.