HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 337
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel
Zitiervorschlag: BGH, 1 StR 275/12, Urteil v. 19.02.2013, HRRS 2013 Nr. 337
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 16. August 2011
a) mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben, soweit von der Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung abgesehen worden ist,
b) im Tenor dahin klargestellt, dass die Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern und mit versuchtem schweren sexuellen Missbrauch von Kindern, sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit versuchtem schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen (Taten zu B. I., B. II. 1. a. und b., B. II. 2. a. und b., B. II. 3. a.) unter Einbeziehung der Einzelfreiheitsstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Regensburg vom 5. Dezember 2007 und die weitere Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit versuchtem schweren sexuellen Miss brauch von Kindern in sieben Fällen (Taten zu B. II. 1. c. und d., B. II. 2. c., B. II. 3. b.), verhängt ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern in Tateinheit mit versuchtem schweren sexuellen Missbrauch von Kindern, sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit versuchtem schweren sexuellen Missbrauch von Kindern in zehn Fällen, davon in drei Fällen in zwei tateinheitlichen Fällen unter Einbeziehung anderweitig rechtskräftig gewordener Einzelfreiheitsstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten und zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Daneben hat es den Angeklagten zu Schadensersatz- und Schmerzensgeldzahlungen verurteilt.
Die wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte, mit der Verletzung sachlichen Rechts begründete und vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft hat hinsichtlich der Nichtanordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung Erfolg.
1. Zu den Taten hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen:
a) Ab November 2003 lebte der Angeklagte vorübergehend im Haushalt seines Bruders in R., wo auch seine am 19. Oktober 1994 geborene Nichte St., die Geschädigte, zu Hause war. An einem Abend zwischen dem 9. Mai 2004 und dem 31. Juli 2004 betrat er unbekleidet das Zimmer der Geschädigten, die bereits im Bett lag. Der Angeklagte legte sich zu ihr, schob ihr das Nachthemd nach oben und den Schlüpfer aus oder nach unten. Sodann drückte er ihre Beine auseinander und legte sich auf sie. Die Geschädigte versuchte, die Beine wieder zusammen zu nehmen, der Angeklagte verhinderte dies, indem er sie erneut auseinander schob. Nun drang er mit seinem Glied schmerzhaft in die Scheide der Geschädigten ein (Tat zu B. I.).
b) Der Angeklagte war über gemeinsamen Alkoholkonsum mit B. bekannt. B. hatte mit seiner Frau drei Kinder, darunter die beiden am 31. März 1999 und 21. August 2000 geborenen Mädchen D. und S. Diese wuchsen körperlich und seelisch vernachlässigt in desolaten Verhältnissen auf. Zwischen dem 13. März 2007 und März 2010 verabredete der Angeklagte mit den Eltern der Mädchen in mindestens zwölf Fällen, dass eines oder beide Mädchen ihn am Wochenende besuchen und für eine Nacht bei ihm in seinen jeweiligen Wohnungen bleiben. Anlässlich dieser Besuche der Mädchen kam es zu folgenden sexuellen Übergriffen:
Zwischen dem 13. März und dem 1. Dezember 2007 forderte der Angeklagte D. in seiner Wohnung in F. auf, sich auszuziehen. Er selbst kleidete sich auch aus. Sodann führte er sein Glied an ihre Scheide und versuchte, mittels geschlechtsverkehrstypischer Bewegungen einzudringen, was ihm jedoch nicht gelang. Um die Scheide zu weiten, führte er zwei Finger in diese ein (Tat zu B. II. 1. a.).
Bei einem erneuten Besuch von D. in dieser Wohnung zwischen dem 13. März und dem 1. Dezember 2007 versuchte der Angeklagte erneut, erfolglos in die Scheide der unbekleideten Geschädigten einzudringen. Sodann führte er sein Glied an den After der Geschädigten und versuchte, hier einzudringen, was ebenso misslang (Tat zu B. II. 1. b.).
Bei zwei weiteren Besuchen von D., die nach dem Umzug des Angeklagten innerhalb von F. zwischen dem 7. Dezember 2007 und dem 9. Dezember 2008 stattfanden, legte er sich nackt auf die ebenfalls unbekleidete D. Er führte sein Glied an ihre Scheide, ein Eindringen gelang ihm aber in beiden Fällen nicht (Taten zu B. II. 1. c.).
Nach dem Umzug des Angeklagten nach R. übernachtete D. zwischen dem 13. November 2009 und März 2010 in zwei weiteren Fällen bei ihm. Auch bei diesen Gelegenheiten versuchte der Angeklagte erfolglos, mit seinem Glied in die Scheide der unbekleideten Geschädigten einzudringen (Taten zu B. II. 1. d.).
Zwischen dem 13. März und dem 1. Dezember 2007 waren beide Mädchen zusammen bei dem Angeklagten in seiner Wohnung in F. Nachdem er beide veranlasst hatte, sich auszuziehen, legte er sich nacheinander auf sie, spreizte dabei jeweils ihre Beine und versuchte, den vaginalen Geschlechtsverkehr durchzuführen, was ihm nicht gelang. Nachdem die ältere D. ein solches Ansinnen abgelehnt hatte, wies er die jüngere S. an, sein Glied in den Mund zu nehmen und ihn durch Bewegungen zu stimulieren. D. musste derweil mit der Hand an seinem Penis manipulieren (Tat zu B. II. 2. a.).
Bei einem weiteren Aufenthalt beider Mädchen in diesem Zeitraum legte der Angeklagte sich nacheinander auf die unbekleideten Geschädigten und versuchte sodann erfolglos, mit seinem Glied in deren Scheide einzudringen (Tat zu B. II. 2. b.).
Dieses Geschehen wiederholte sich zwischen dem 7. Dezember 2007 und dem 4. Februar 2008 noch zweimal, ohne dass es dem Angeklagten gelang, mit seinem Glied in die Scheide der Geschädigten einzudringen (Taten zu B. II. 2. c.).
Zwischen dem 13. März und dem 1. Dezember 2007 versuchte der Angeklagte bei S., die ohne ihre Schwester bei ihm in F. war, den vaginalen Geschlechtsverkehr auszuführen, was ihm nicht gelang (Tat zu B. II. 3. a.).
S. war nochmals zwischen dem 13. November 2009 und März 2010 bei dem Angeklagten, der zwischenzeitlich nach R. umgezogen war. Auch hier legte sich der Angeklagte auf das unbekleidete Mädchen und versuchte erfolglos, mit seinem Glied in ihre Scheide einzudringen (Tat zu B. II. 3. b.).
Das Eindringen scheiterte jeweils daran, dass der Angeklagte jedenfalls aufgrund der anatomischen Besonderheiten bei den noch jungen Mädchen nicht die hierfür erforderliche Erektion aufwies. In der Hauptverhandlung ist das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2, § 154a Abs. 2 StPO auf die ausgeurteilten Delikte und Taten beschränkt worden.
2. Das Landgericht hat die Taten zu B. I. und B. II. 1. a. jeweils als schweren sexuellen Missbrauch von Kindern, die Tat zu B. II. 2. a. als schweren sexuellen Missbrauch von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern und versuchtem schweren sexuellen Missbrauch von Kindern, die übrigen zehn Taten (B. II. 1. b. bis d., B. II. 2. b. und c., B. II. 3. a. und b.) als sexuellen Missbrauch von Kindern in Tateinheit mit versuchtem schweren sexuellen Missbrauch von Kindern gewertet, davon in drei Fällen in zwei tateinheitlichen Fällen (B. II. 2. a. bis c.). Es hat auf Einzelfreiheitsstrafen zwischen zwei Jahren und drei Jahren neun Monaten erkannt.
Von der Anordnung des § 64 StGB hat es wegen Fehlens eines symptomatischen Zusammenhangs zwischen der festgestellten Alkoholabhängigkeit des Angeklagten und den Taten abgesehen.
Das Landgericht hat die formellen Voraussetzungen zur Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 2 und § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB aF als erfüllt angesehen und einen Hang des Angeklagten im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF angenommen. Ob der Angeklagte im Sinne dieser Vorschrift gefährlich ist, hat es nicht abschließend beurteilt. Es hat trotz der als erheblich eingeordneten Anlasstaten die Anordnung der Maßregel nicht für geboten erachtet, da sich die Gefährlichkeit des Angeklagten durch verschiedene Umstände relativiere.
Während der Strafausspruch und das Absehen von der Maßregel nach § 64 StGB sachlich-rechtlicher Prüfung standhalten, erweist sich die Nichtanordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung als rechtsfehlerhaft.
1. Angesichts der Höhe der verhängten Einzelstrafen, die sich nicht am unteren Rand des von der Strafkammer in einigen Fällen nach § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmens des § 176a Abs. 2 StGB bewegen, ist nicht zu besorgen, dass das Landgericht die Vollendungsnähe unberücksichtigt gelassen haben könnte. Auch im Übrigen zeigen die Strafzumessungserwägungen keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf.
2. Die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung ist jedoch mit rechtsfehlerhaften Erwägungen abgelehnt worden und kann daher keinen Bestand haben.
a) Zutreffend hat das Landgericht die formellen Voraussetzungen der Maßregel nach § 66 Abs. 2 StGB aF sowie § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB aF unter Anwendung des zur Tatzeit geltenden Rechts (vgl. Art. 316e Abs. 2 EGStGB) festgestellt.
b) Rechtsfehlerfrei belegt ist auch ein Hang des Angeklagten zur Begehung erheblicher Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF. Sachverständig beraten hat das Landgericht hierzu festgestellt, dass bei dem Angeklagten eine auf Mädchen bezogene Pädophilie vorliege. Diese pädophile Devianz sei aber nicht ausschließlich, vielmehr könne der Angeklagte auch im sexuellen Kontakt mit erwachsenen Frauen Befriedigung finden. Zudem weise er ausgeprägte dissoziale Verhaltensmuster auf, die die Kriterien einer dissozialen Persönlichkeitsstörung erfüllen, jedoch nicht den Schweregrad einer schweren deren seelischen Abartigkeit erreichen. Die begangenen Missbrauchstaten, wobei es sich um solche erheblicher Art handele, seien auf die pädophilen Neigungen in Verbindung mit den dissozialen Verhaltenszügen zurückzuführen. Denn bei sich bietenden Gelegenheiten und Verfügbarkeit entsprechender Opfer versuche der Angeklagte, seine devianten sexuellen Bedürfnisse auszuleben. Angesichts des Tatzeitraums sei auch von einem dauerhaft stabilen Verhaltensmuster auszugehen.
c) Jedoch halten die Beurteilung der Gefährlichkeit und die Ausübung des nach § 66 Abs. 2 StGB aF sowie § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB aF eingeräumten Ermessens auch eingedenk des nur eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfungsmaßstabs (vgl. BGH, Beschluss vom 4. August 2009 - 1 StR 300/09, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensausübung 1) sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand.
aa) Zunächst sind die Befunde des Sachverständigen hierzu dargestellt, der eine deutlich erhöhte Rückfallwahrscheinlichkeit für mit den Anlasstaten vergleichbare Taten des Angeklagten diagnostiziert und als besonders ungünstig und risikoerhöhend die dissoziale Persönlichkeitsstruktur gewertet hat. Auf dieser Grundlage stellt das Landgericht seinen Ausführungen den zutreffenden Obersatz voran, dass es zur Beurteilung der Gefährlichkeit einer rechtlichen Gesamtbewertung unter Berücksichtigung der individuell bedeutsamen Bedingungsfaktoren für die Delinquenz bedürfe.
Im Folgenden führt es nun mehrere Aspekte an, die die Gefährlichkeit des Angeklagten relativierten. So gelte dies für den Umstand, dass der Angeklagte nicht ausschließlich auf sexuelle Kontakte mit Kindern festgelegt sei, weswegen er nicht zwangsweise gehalten sei, seine sexuellen Bedürfnisse durch den Missbrauch von Kindern auszuleben. Zudem sei zu berücksichtigen, dass die Begehung der Taten zu Lasten der Geschädigten B. durch deren desolate häusliche Verhältnisse mitbegünstigt worden seien. Wären die Eltern nach Andeutungen der Kinder zu sexuellen Übergriffen ihrer Fürsorgepflicht nachgekommen, hätte dies "einen Beitrag zumindest zur Verhinderung weiterer Taten leisten können". Der Angeklagte suche sich seine Opfer aus dem bestehenden persönlichen Umfeld; Neigungen, sich gezielt unbekannte Mädchen zu suchen, seien nicht feststellbar.
Ohne ein abschließendes Ergebnis der Gefährlichkeitsprüfung mitzuteilen, wechselt das Landgericht zu der Ermessensausübung, indem es darlegt, dass "jedenfalls" an diesem Prüfungspunkt die voraussichtlichen Wirkungen des langjährigen Freiheitsentzuges und des Fortschreitens des Lebensalters zu beachten seien. Beim Angeklagten sei eine gefahrvermindernde Haltungsänderung nicht von vornherein auszuschließen, ob eine solche eintreten werde, sei offen und hänge von seinem weiteren Verhalten im Vollzug ab. Schließlich könne der Gefährlichkeit auch durch eine risikoangepasst straffe Kontrolle im Rahmen der Führungsaufsicht begegnet werden.
bb) Die Ausführungen zur Gefährlichkeitsprognose begegnen schon für sich genommen Bedenken, da sie lückenhaft sind und einen unzutreffenden Maßstab zugrunde legen.
Soweit das Landgericht die nicht auf pädophile Handlungen beschränkte Sexualität des Angeklagten gefahrreduzierend wertet, lässt es eine Auseinandersetzung damit vermissen, wieso dieser Umstand in Zukunft - anders als noch in der Vergangenheit - dazu führen sollte, dass der Angeklagte keine erheblichen Straftaten mehr begehen werde. Dies ist aber von Bedeutung, denn bei der Gefährlichkeitsprognose ist die Wahrscheinlichkeit dafür einzuschätzen, ob sich der Täter in Zukunft trotz seines Hangs erheblicher Straftaten enthalten kann oder nicht. Der aufgrund einer umfassenden Vergangenheitsbetrachtung festgestellte gegenwärtige Hang ist hierbei wesentliches Kriterium (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Mai 2011, NStZ-RR 2011, 272; Urteil vom 8. Juli 2005 - 2 StR 120/05, BGHSt 50, 188, 196). Wenn aber die Nichtbeschränkung auf pädophile Sexualität der Annahme eines Hangs nicht entgegengestanden hat, wäre zu erörtern gewesen, inwieweit dieser Umstand zukünftig protektive Wirkung entfalten kann. Dies gilt zumal, da der Sachverständige trotz Berücksichtigung der nicht ausschließlichen Pädophilie ein deutlich erhöhtes Rückfallrisiko ermittelt hat, das Landgericht dies zugrunde legt und wie der Sachverständige die Dissozialität als gefahrsteigernden Faktor wertet.
Die Erwägungen zum Mitverschulden der Eltern der Geschädigten B. und zur Opferauswahl lassen erkennen, dass das Landgericht einen unzutreffenden Maßstab zugrunde gelegt hat. Dass es dem Angeklagten zukünftig deutlich erschwert werden könnte, vergleichbare - gerade im Hinblick auf das Fehlen schutzbereiter Fürsorgeverpflichteter besonders schutzbedürftige - Opfer zu finden, ist weder ausgeführt noch sind Anhaltspunkte hierfür ersichtlich. Der Annahme der Gefährlichkeit steht auch nicht entgegen, dass sich die Taten gegen aus dem persönlichen Umfeld des Täters stammende Opfer richteten (vgl. BGH, Beschluss vom 28. März 2012 - 2 StR 592/11, 272; Urteil vom 4. November 2009 - 2 StR 347/09, NStZ-RR 2010, 77).
Eine positive Gefährlichkeitsprognose scheidet auch nicht bereits unter Berücksichtigung der noch wenige Monate Wirksamkeit beanspruchenden Weitergeltungsanordnung für das Recht der Sicherungsverwahrung durch das Bundesverfassungsgericht und die danach gebotene strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung (BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2365/09, NJW 2011, 1931; vgl. hierzu nur BGH, Beschluss vom 24. Juli 2012 - 1 StR 57/12) aus. Bei den vom Angeklagten zu erwartenden Taten des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern nach § 176a Abs. 2 StGB handelt es sich um schwere Sexualstraftaten im Sinne der Maßgabe des Bundesverfassungsgerichts (BGH, Beschlüsse vom 28. März 2012 - 2 StR 592/11, 272; vom 26. Oktober 2011 - 2 StR 328/11; vom 11. August 2011 - 3 StR 221/11; vom 2. August 2011 - 3 StR 208/11; auf Umstände des Einzelfalls abstellend, BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2011 - 5 StR 267/11, NStZ-RR 2012, 9), was das Landgericht auch nicht verkannt hat. Dies gilt auch für nur versuchte Deliktsformen nach dem hier vorliegenden Muster, denn auch damit ist typischerweise die Gefahr schwerwiegender psychischer Schäden verbunden (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 10. Januar 2013 - 1 StR 93/11; BGH, Urteil vom 24. März 2010 - 2 StR 10/10, NStZ-RR 2010, 239; Renzikowski in Münchener Kommentar, StGB, 2012, § 176 Rn. 3 und 10 mwN). Dass der Angeklagte darüber hinaus - außer dem Auseinanderdrücken der Beine bei St. - keine Gewalt gegen seine Opfer angewandt hat und dies mithin auch zukünftig nicht hinreichend konkret zu erwarten steht, ist für die Einordnung der Delikte als schwere Sexualstraftaten unerheblich (BGH, Urteil vom 24. März 2010 - 2 StR 10/10, NStZ-RR 2010, 239; zum Aspekt der Gewalt, vgl. aber auch Urteil vom 8. Februar 2012 - 2 StR 346/11). Denn schon ohne Gewaltanwendung ist die durch die Vorschrift geschützte sexuelle Entwicklung verletzt (vgl. BT-Drucks. 6/3521, S. 35; BGH, Beschluss vom 21. April 2009 - 1 StR 105/09, BGHSt 53, 283, 285). Hinzu tritt, dass es häufig für Eingriffe in die sexuelle Selbstbestimmung von kindlichen Opfern aufgrund deren unzureichender Verstandes- und Widerstandskräfte des Einsatzes von Gewalt nicht bedarf (BGH, Beschluss vom 10. Januar 2013 - 1 StR 93/11).
cc) Das Landgericht hätte zudem das Ergebnis der Gefährlichkeitsprognose nicht offen lassen dürfen. Dies lässt besorgen, dass es das Ermessen auf unzureichender Grundlage ausgeübt hat. Denn die Gefährlichkeit ist maßgebliches Kriterium bei der gebotenen Abwägung der Schutzinteressen der Allgemeinheit gegenüber dem Freiheitsrecht des Angeklagten. Bleibt das Maß der Gefährlichkeit ungeklärt, fehlt es an der erforderlichen Tatsachengrundlage für die Ermessensentscheidung. Es ist nicht auszuschließen, dass unter Anwendung zutreffender Maßstäbe die Schutzinteressen der Allgemeinheit stärker gewichtet und das Ermessen abweichend ausgeübt worden wäre.
dd) Darüber hinaus begegnen auch die Ausführungen zur Ermessensausübung durchgreifenden Bedenken.
Die Regelungen des § 66 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 StGB aF haben Ausnahmecharakter, weil sie - anders als die Vorschrift des § 66 Abs. 1 StGB - eine frühere Verurteilung und Strafverbüßung nicht voraussetzen. Deshalb soll das Tatgericht die Möglichkeit haben, sich ungeachtet der festgestellten Gefährlichkeit des Täters zum Zeitpunkt der Urteilsfällung auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe zu beschränken, sofern erwartet werden kann, dass sich dieser die Strafe hinreichend zur Warnung dienen lässt. Hierfür sind die Wirkungen eines langjährigen Strafvollzuges sowie die mit dem Fortschreiten des Lebensalters erfahrungsgemäß eintretenden Haltungsänderungen wichtige Kriterien, die deshalb im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigen sind (vgl. nur BGH, Urteil vom 3. Februar 2011 - 3 StR 466/10, NStZ-RR 2011, 172; Beschluss vom 4. August 2009 - 1 StR 300/09, NStZ 2010, 270, 272).
Das Landgericht ist zwar von diesen Obersätzen ausgegangen, hat dann aber einen unzutreffenden Maßstab zugrunde gelegt, indem es nur auf die nicht ausschließbare Möglichkeit einer Haltungsänderung abstellt. Konkrete Anhaltspunkte oder tragfähige Gründe für die erforderliche Erwartung einer solchen Haltungsänderung - die das Landgericht ausweislich der Urteilsgründe auch selbst nicht hegt - sind nicht belegt. Allein die Dauer des Strafvollzugs von zum Zeitpunkt des Urteilserlasses noch acht Jahren und sechs Monaten und das vom Angeklagten dann erreichte Lebensalter von 57 Jahren genügen hierzu nicht (vgl. BGH, Urteile vom 3. Februar 2011 - 3 StR 466/10, NStZ-RR 2011, 172; vom 4. September 2008 - 5 StR 101/08, NStZ 2010, 387, 389). Vielmehr hätte für die Erwartung einer zukünftig günstigen Prognose auch erörtert werden müssen, wie sich die Persönlichkeitsstörung zu den Erfolgsaussichten einer denkbaren Therapie verhält.
Der Senat schließt aus, dass die verhängten Gesamtfreiheitsstrafen niedriger ausgefallen wären, wenn das Tatgericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet hätte (vgl. hierzu BGH, Urteile vom 24. November 2011 - 4 StR 331/11, NStZ-RR 2012, 156; vom 24. März 2010 - 2 StR 10/10, NStZ-RR 2010, 239; vom 23. Februar 1994 - 3 StR 679/93, NStZ 1994, 280, 281).
Da sich nur aus den Gründen, nicht aber aus dem Tenor des landgerichtlichen Urteils ergibt, für welche Taten der Angeklagte zu der Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten und für welche er zu der weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt worden ist, hat der Senat den Urteilsausspruch entsprechend klar gestellt.
HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 337
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2014, 43
Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel