HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

November 2012
13. Jahrgang
PDF-Download

III. Strafzumessungs- und Maßregelrecht


Entscheidung

1010. BGH 1 StR 160/12 - Urteil vom 25. September 2012 (LG München I)

Rechtsfehlerhaft begründetes Absehen von der Anordnung der Sicherungsverwahrung bei (zur Tatzeit) Jugendlichen (Erörterungsmangel; Maßstäbe der Prognose schwerer Gewalt- und Sexualdelikte; strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung; Anforderungen an die Begutachtung: Einbeziehung der psychischen Störung).

§ 7 Abs. 2 JGG; Art. 5 EMRK; Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG; Art. 104 GG

1. Die vom Bundesverfassungsgericht für die Sicherungsverwahrung geforderte „strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung“ ist dahin zu verstehen, dass bei beiden Elementen der Gefährlichkeit – mithin der Erheblichkeit weiterer Straftaten und der Wahrscheinlichkeit ihrer Begehung – ein gegenüber der bisherigen Rechtsanwendung strengerer Maßstab anzulegen ist.

2. Auch bei den hier zu treffenden Prognoseentscheidungen kann aber nicht verlangt werden, dass zukünftige Ereignisse oder Zustände zur vollen richterlichen Überzeugung feststehen. Ansonsten könnte die Gefahrprognose immer mit dem Argument verneint werden, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass gefahrbegründende Faktoren nicht eintreten. Ein solcher Maßstab ist wegen zu hoher Anforderungen rechtsfehlerhaft. Es genügt eine hochgradige Wahrscheinlichkeit der gefahrbegründenden Faktoren.

3. Kann ein Sachverständiger zum Vorliegen einer psychischen Störung eine gutachterliche Äußerung „aufgrund seiner Fachgebietsfremdheit nicht abgeben“, darf sich die Kammer bei ihrer Gefährlichkeitsprognose auf dessen Ausführungen nicht stützen. Eine Prognose, die ohne Berücksichtigung der psychischen Störung des Probanden abgegeben wird, hat keinen forensisch relevanten Wert. Der Zustand und die Befindlichkeit des zu Beurteilenden sind unerlässliche Faktoren für die Prognoseentscheidung.


Entscheidung

963. BGH 5 StR 295/12 - Urteil vom 28. August 2012 (LG Saarbrücken)

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Gefährlichkeitsprognose; Berücksichtigung länger währender Straffreiheit als Indiz gegen die Wahr-

scheinlichkeit künftiger Straftaten; Pflicht zur Erörterung straffreier Zeiträume im Urteil).

§ 63 StGB

1. Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt und daher nur unter sorgfältiger Beachtung der gesetzlichen Voraussetzungen angeordnet werden darf. Deshalb ist es grundsätzlich erforderlich, dass bei der Prüfung der tatsächlichen Voraussetzungen der Gefährlichkeitsprognose länger währende Straffreiheit als gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger gefährlicher Straftaten zu berücksichtigen ist (vgl. bereits BGH HRRS 2012 Nr. 118).

2. Das Gericht darf – gerade bei einem nicht vorbestraften Angeklagten, der nur wenige (hier: zwei) Anlasstaten aus dem Bereich der mittleren Kriminalität begangen hat – Zeiträume, in denen der Angeklagte straffrei geblieben ist, im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose nicht unerörtert lassen. Dies gilt insbesondere für den Zeitraum zwischen der Begehung der Anlasstat und der Hauptverhandlung, dem für die Gefährlichkeitsprognose naturgemäß ein erhebliches Gewicht zukommt.


Entscheidung

989. BGH 2 StR 526/11 - Urteil vom 8. August 2012 (LG Koblenz)

Verabredung zu einem Verbrechen (Konkretisierung der geplanten Straftat; Tatmehrheit); Täter-Opfer-Ausgleich.

§ 30 Abs. 2 StGB; § 53 Abs. 1 StGB; § 46a Nr. 1 StGB

1. Die Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses zwischen verschiedenen Straftaten richtet sich - auch bei der Mitwirkung mehrerer Tatbeteiligter - für jeden Beteiligten allein danach, welche Tathandlungen er im Hinblick auf die jeweilige Tat vorgenommen hat, unabhängig davon, ob die einzelne Tat nur verabredet, versucht oder vollendet worden ist (BGHSt 56, 170, 172).

2. Die Vorschrift des § 46a Nr. 1 StGB dient - anders als die in erster Linie für materiellen Schadensersatz bei Vermögensdelikten vorgesehene Vorschrift des § 46a Nr. 2 StGB - über den Ausgleich immaterieller Folgen zwischen Täter und Opfer der Lösung von Konflikten, die zu der Straftat geführt haben oder durch sie veranlasst worden sind. Solche immateriellen Folgen sind grundsätzlich auch bei Vermögensdelikten denkbar (BGH NStZ 1995, 492).


Entscheidung

945. BGH 3 StR 320/12 - Beschluss vom 2. Oktober 2012 (LG Mönchengladbach)

Unerlaubte Einfuhr von Betäubungsmitteln; Verfall; (erlangtes Etwas; kein Verfall bei Zahlungen für illegale Tätigkeiten, die mit zivilrechtlich unwirksamen Ansprüchen verrechnet werden).

§ 73 Abs. 1 S. 1 StGB

Der Begriff des „etwas“ i.S.d. § 73 Abs. 1 S. 1 StGB umfasst die Gesamtheit der materiellen Vermögenszuflüsse (sog. Bruttoprinzip), die der Tatbeteiligte unmittelbar aus der Verwirklichung des Tatbestandes erzielt. Wird dem Angeklagten für ein gesetzeswidriges Verhalten (hier: eine Drogenkurierfahrt) ein Lohn in Aussicht gestellt, wobei ein Teil anschließend mit vermeintlichen „Schulden“ aus vorangegangenen gesetzeswidrigen Geschäften (hier: Betäubungsmittelgeschäften) „verrechnet“ wird, unterliegt der aufgrund dieser „Verrechnung“ nicht zur Auszahlung gelangte Teil nicht dem Verfall. Insoweit fehlt es an einer zivilrechtlich wirksamen (§ 134 BGB) Verbindlichkeit, von der der Angeklagte durch die „Verrechnung“ hätte frei werden können und damit an einem erlangten „etwas“ i.S.d. § 73 Abs. 1 S. 1 StGB (vgl. bereits BGH HRRS 2011 Nr. 129).


Entscheidung

1021. BGH 2 StR 248/12 - Beschluss vom 4. September 2012 (LG Koblenz)

Minder schwerer Fall des Wohnungseinbruchsdiebstahls (Erörterungsmangel; Meistbegünstigungsgrundsatz).

§ 244 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 StGB; § 2 Abs. 3 StGB

Einer Erörterung, ob ein minder schwerer Fall in Betracht kam, bedarf es nur dann nicht, wenn alle Umstände, die für die Wertung der Tat und des Täters bedeutsam sein können, von vornherein die Annahme eines minder schweren Falles als so fernliegend erscheinen lassen, dass die Ablehnung des Ausnahmestrafrahmens auf der Hand liegt.