HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 963
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 295/12, Urteil v. 28.08.2012, HRRS 2012 Nr. 963
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 30. November 2011 mit den Feststellungen im Maßregelausspruch aufgehoben. Aufrechterhalten bleiben jedoch die Feststellungen zu den Anlasstaten; insoweit wird seine Revision als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der Körperverletzung, der gefährlichen Körperverletzung sowie der Beleidigung freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision wendet sich der Angeklagte gegen die Anordnung der Maßregel gemäß § 63 StGB. Das Rechtsmittel hat im Wesentlichen Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der Angeklagte seit langen Jahren an einer paranoiden Schizophrenie mit schweren inhaltlichen und formalen Denkstörungen, Beeinträchtigung der Realitätswahrnehmung und hirnorganischen Leistungsminderungen. Bereits im Jahre 2003 diagnostizierte ein aus Anlass eines Ermittlungsverfahrens erstelltes forensisch-psychiatrisches Gutachten bei ihm eine "chronifiziert paranoide Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis". Seit jenem Jahr steht der Angeklagte aufgrund seiner Erkrankung unter Betreuung, die "zwischenzeitlich für alle Lebensbereiche bestimmt und zudem mit einem generellen Einwilligungsvorbehalt versehen" ist (UA S. 4).
2. Im Zustand der krankheitsbedingten Schuldunfähigkeit beging der Angeklagte folgende Taten:
Am 26. Mai 2009 kam es an einem bekannten Randständigentreff in St. Ingbert zu einer Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen H. Als der Zeuge die Auseinandersetzung mit schlichtenden Worten beenden wollte, nahm der Angeklagte zwei volle Bierflaschen und schlug damit in Richtung des Kopfes des Zeugen. Eine der Flaschen traf den Zeugen am Hinterkopf und zerbrach. Der Zeuge erlitt eine blutende Kopfverletzung (Tat 1). Die im Anschluss an diesen Vorfall erschienenen Polizeibeamten beschimpfte der Angeklagte mit beleidigenden Worten (Tat 2).
Am 7. Dezember 2009 geriet der Angeklagte an einem anderen Randständigentreff in St. Ingbert mit dem Zeugen W. in Streit. Der Angeklagte schubste den stark alkoholisierten W. zunächst gegen ein Geländer, so dass dieser zu Boden fiel. Danach trat er den am Boden Liegenden noch mindestens einmal in den Bauch und zweimal ins Gesicht. Der Geschädigte erlitt einen Nasenbeinbruch und eine Gehirnerschütterung (Tat 3).
3. Die Anordnung der Unterbringung nach § 63 StGB hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt und daher nur unter sorgfältiger Beachtung der gesetzlichen Voraussetzungen angeordnet werden darf. Dies gilt auch für die Feststellung der tatsächlichen Voraussetzungen der Gefährlichkeitsprognose (BGH, Beschluss vom 8. November 2006 - 2 StR 465/06, NStZ-RR 2007, 73). Deshalb ist es grundsätzlich erforderlich, dass in die Prüfung länger währende Straffreiheit als gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger gefährlicher Straftaten in die Prognoseentscheidung einzubeziehen ist (BGH, Beschluss vom 13. Dezember 2011 - 5 StR 422/11, NStZ-RR 2012, 107).
Das Landgericht stellt hier nur die Anlasstaten dar, verhält sich im Übrigen aber nicht zum delinquenten Vorleben des Angeklagten. Weder werden die gegen ihn eingeleiteten Ermittlungsverfahren näher benannt noch deren Ausgang mitgeteilt. Es wird lediglich ausgeführt, dass gegen den Angeklagten im Jahre 2004 ein Verfahren wegen Schuldunfähigkeit gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt wurde, ohne aber auch hier die Umstände der Tat zu schildern. Ebenso wird nicht dargelegt, wie sich der Angeklagte, der bis zu seiner Aburteilung nicht nach § 126a StPO vorläufig untergebracht war, im Nachgang zu den Anlasstaten verhalten und ob er gegebenenfalls strafrechtlich relevante und gefährliche Handlungen begangen hat.
Im Hinblick darauf, dass der nicht vorbestrafte 53-jährige Angeklagte hier nur wegen zweier im Bereich der mittleren Kriminalität angesiedelter Taten in Erscheinung getreten ist, ist die Begründung der Strafkammer für die Prognoseentscheidung zu seiner Gefährlichkeit unzulänglich. Sie hätte die Zeiträume nicht unerörtert lassen dürfen, in denen der Angeklagte unauffällig geblieben ist (BGH, Urteil vom 2. März 2011 - 2 StR 550/10 Rn. 11, NStZ-RR 2011, 240, 241). Dies liegt aber für den zweijährigen Zwischenraum zwischen Tatbegehung und der Hauptverhandlung nahe, dem für die Gefährlichkeitsprognose naturgemäß ein erhebliches Gewicht zukommt (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Dezember 2011 - 5 StR 422/11, NStZ-RR 2012, 107). Allein der zeitlich nicht näher eingegrenzte Hinweis, der Angeklagte sei Mitglied der Randständigenszene in St. Ingbert und es komme dort öfters zu polizeilichen Einsätzen unter anderem wegen Körperverletzungen, an denen der Angeklagte beteiligt war, belegt in diesem Zusammenhang nicht das Gegenteil. Es bleibt nämlich offen, ob der Angeklagte überhaupt von sich aus aggressiv geworden und gegebenenfalls in welchem Umfang dies geschehen ist.
3. Die von dem Rechtsfehler unberührt gebliebenen Feststellungen zu den Anlasstaten können aufrechterhalten bleiben. Dagegen bedarf die Frage seiner Gefährlichkeit nochmals umfassender Prüfung. Soweit der neue Tatrichter erneut die Voraussetzungen des § 63 StGB bejahen sollte, wird unter Würdigung des Verhaltens des Angeklagten in der seit Ende November 2011 vollzogenen vorläufigen Unterbringung zu prüfen sein, ob die Maßregel nach § 67b StGB zur Bewährung ausgesetzt werden kann.
HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 963
Externe Fundstellen: NStZ-RR 2012, 366
Bearbeiter: Christian Becker