Alle Ausgaben der HRRS, Aufsätze und Anmerkungen ab dem Jahr 2000.
HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Aug./Sept. 2012
13. Jahrgang
PDF-Download
1. Auch der Besitz kinderpornographischer Schriften in Form von Dateien, die den schweren sexuellen Miss-
brauch von Kindern im Sinne von § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB zum Gegenstand haben, kann nach den Umständen des Einzelfalls eine Ausprägung der mittleren Kriminalität im Sinne des § 63 StGB darstellen. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Betroffene massenhaft Daten besitzt, bereits wegen der Verbreitung von Kinderpornographie vorbestraft ist und zudem Zugang zu einer Kindereinrichtung und Kontakt zu einem konkreten Kind gesucht hat.
2. Der Gesetzgeber ordnet den Unrechtsgehalt des Besitzes und Erwerbs von kinderpornographischen Schriften nicht dem Bereich der Bagatellkriminalität zu. Auch europäisches Recht gebietet, derartige Taten mit ausreichend schweren Sanktionen zu ahnden. Mit § 184b StGB soll zum Schutze von Kindern jeglicher Umgang mit kinderpornographischen Schriften unter Strafe gestellt werden. Die Vorschrift zielt damit auf die Bestrafung einer mittelbaren Förderung des sexuellen Missbrauchs, mit dem typischerweise die Gefahr schwerwiegender psychischer Schäden bei kindlichen Opfern verbunden ist. Indem der Umgang mit kinderpornographischen Schriften letztlich auch neue Nachfrage nach solchen Schriften auslöst, kommt auch dem bloßen Besitz kinderpornographischer Schriften eine Außenwirkung zu. Auch eine solche allgemeine abstrakte Gefährlichkeit von Delikten kann Grundlage von § 63 StGB sein.
3. Für die Anordnung gemäß § 63 StGB kommt dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (§ 62 StGB) sowohl bei der Bestimmung des Grades der Wahrscheinlichkeit neuer Straftaten als auch bei der Entscheidung der Frage, ob diese als erheblich einzustufen sind, eine maßstabsetzende Bedeutung zu (BVerfGE 70, 297, 312). Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist auf Grund ihrer zeitlichen Unbegrenztheit eine außerordentlich beschwerende Maßnahme. Sie kann daher nur dann angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Taten begehen wird, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben (st.Rspr.).
4. Da das Gesetz keine Beschränkung auf bestimmte Tatbestände vorgenommen hat, kann die Frage, ob eine zu erwartende Straftat zu einer schweren Störung des Rechtsfriedens führt, grundsätzlich nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls beantwortet werden (st.Rspr.). Die Annahme einer schweren Störung des Rechtsfriedens wird nur in Ausnahmefällen zu bejahen sein, wenn die zu erwartenden Delikte nicht zumindest den Bereich der mittleren Kriminalität erreichen (st. Rspr.). Wichtige Gesichtspunkte bei der Einzelfallerörterung sind die vermutliche Häufigkeit neuerlicher Delikte und die Intensität der zu erwartenden Rechtsgutsbeeinträchtigungen. Auch das Schutzgut der betroffenen Straftatbestände ist in den Blick zu nehmen.
1. § 66a Abs. 1 StGB in der Fassung des Gesetzes zur Einführung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung vom 21. August 2002 verstößt zwar gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Art. 104 Abs. 1 GG. Die Vorschrift gilt aber vorerst bis zur Neugestaltung des Maßregelvollzuges, längstens bis zum 31. Mai 2013, unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit weiter. Dies bindet den Senat nach § 31 BVerfGG, so dass auch konventionsrechtliche Bedenken, die in der Literatur gegen die Regelung einer nachträglichen Maßregelanordnung aufgrund der Vorbehaltslösung erhoben werden nicht durchgreifen können.
2. Ein Rechtsfehler im Ersturteil, ohne den die Verhängung der Sicherungsverwahrung bereits möglich gewesen wäre, führt nicht dazu, dass das Landgericht, wenn es dort trotz bestehender Möglichkeit der sofortigen Maßregelanordnung zunächst nur einen Vorbehalt ausspricht, an einer Maßregelanordnung im Nachverfahren gehindert ist. Jedoch bedarf es dann im Nachverfahren einer umfassenden neuen Prognoseentscheidung.
3. Wenn die Gefahr besteht, dass ein bereits mehrfach wegen ungeschütztem Sexualverkehr verurteilter Aidskranker künftig Sexualpartnerinnen wählt, denen er die Erkrankung nicht offenbart und die er mit dem Virus infiziert, so würde er deren Leben gefährden und – mit Blick auf die Bedeutung des geschützten Rechtsguts – schwer wiegende Straftaten im Sinne der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts zu den §§ 66, 66a StGB begehen. Bestünde aber die Gefahr der Übertragung des Virus nicht mehr oder nur noch mit geringer Wahrscheinlichkeit, weil die Ansteckungsmöglichkeiten aus medizinischen Gründen einer Verringerung der Viruslast oder aus Gründen des Schutzes der Partnerinnen durch Verwendung eines Kondoms verringert würden, dann wäre auch die Gefahr künftiger Straftaten gegen das Leben so reduziert, dass die Maßregelanordnung aufgrund der Weitergeltungsanordnung bezüglich der §§ 66 Abs. 3, 66a Abs. 1 StGB a.F. bei besonders strenger Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht mehr angemessen erscheinen könnte. Würde der Verurteilte seinen Sexualpartnerinnen die Erkrankung offenbaren und erst danach mit diesen einvernehmlich Geschlechtsverkehr mit einem Restrisiko der Ansteckung ausüben, so wäre bei eigenverantwortlicher Selbstgefährdung durch die Partnerinnen keine Strafbarkeit des Verhaltens gegeben.
Es verstößt in der Regel gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB, wenn der Umstand, dass der Angeklagte mit direktem Tötungsvorsatz gehandelt hat, als solcher straferschwerend verwertet wird, weil
damit nur der Normalfall des § 212 StGB gekennzeichnet wird (BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 1, 3, 4, 5; BGH NStZ 2008, 624). Dies gilt jedoch nicht, wenn der Täter absichtlich einen Menschen tötet, er also nicht nur um den Todeseintritt sicher weiß, sondern es ihm vielmehr darauf ankommt. Ebenso ist es nicht ausgeschlossen, eine zur Herbeiführung des tatbestandlichen Erfolges notwendige, das Mordmerkmal der Grausamkeit noch nicht erfüllende Tötungshandlung unter dem Gesichtspunkt der besonderen Handlungsintensität strafschärfend zu berücksichtigen.
1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist aufgrund ihrer zeitlichen Unbegrenztheit eine außerordentlich beschwerende Maßnahme. Sie darf deshalb nur dann angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Taten begehen wird, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben. Ob eine zu erwartende Straftat zu einer schweren Störung des Rechtsfriedens führt, ist anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu entscheiden. Dabei kann sich – wie in aller Regel bei Verbrechen oder Gewalt- und Aggressionsdelikten – eine schwere Störung des Rechtsfriedens bereits allein aus dem Gewicht des Straftatbestandes ergeben, mit dessen Verwirklichung gerechnet werden muss. Sind die zu erwartenden Delikte nicht wenigstens dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen, ist die Annahme einer schweren Störung des Rechtsfriedens dagegen nur in Ausnahmefällen begründbar (stRspr).
2. Die für die Maßregelanordnung erforderliche Gefährlichkeitsprognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln. Dabei sind an die Darlegungen umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (§ 62 StGB) um einen Grenzfall handelt.
3. Beruht die Gefährlichkeitsprognose auf der Erwägung, dass es sich bei den für die Anlasstaten ursächlichen psychotischen Impulsen um ein Symptom der bei dem Beschuldigten schon seit 1987 bestehenden Grunderkrankung handelt, das aufgrund seines regelhaften Auftretens auch in Zukunft immer wieder zu gleich gelagerten Taten führen wird, bedarf es näherer Erörterung bedurft, warum der Beschuldigte in der Vergangenheit nicht häufiger durch Aggressionsdelikte in Erscheinung getreten ist und welche prognoserelevanten Schlüsse hieraus zu ziehen sind. Dass ein Täter trotz bestehenden Defekts über Jahre hinweg keine Straftaten begangen hat, ist ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger gefährlicher Straftaten.
4. Todesdrohungen gehören nur dann zu den erheblichen Straftaten, wenn sie geeignet sind, den Bedrohten nachhaltig und massiv in seinem elementaren Sicherheitsempfinden zu beeinträchtigen; dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sie aus der Sicht des Betroffenen die nahe liegende Gefahr ihrer Verwirklichung in sich tragen.
Wird die Gefährlichkeit des an einer paranoiden Psychose leidenden Beschuldigten (sachverständig) nur unter der Bedingung verneint, dass sein Tagesablauf konsequent überwacht und die Einnahme von Medikamenten sichergestellt wird, ist dies für die Frage der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus i.d.R. unerheblich. Ein solches täterschonendes Mittel – seine Wirksamkeit vorausgesetzt – erlangt vielmehr Bedeutung erst für die Frage, ob die Vollstreckung der Unterbringung gemäß § 67b StGB zur Bewährung auszusetzen ist. Nur auf diese Weise wird der von dem Beschuldigten ausgehenden Gefahr effektiv entgegengewirkt und die Allgemeinheit ausreichend geschützt.
Durch die nachträgliche Gesamtstrafenbildung sollen die Vor- und Nachteile ausgeglichen werden, die dem Angeklagten infolge der getrennten Verurteilung entstanden sind. Dieses Ziel wird nur dann vollständig erreicht, wenn mit der nachträglichen Gesamtstrafenbildung und der Aufrechterhaltung der bereits bestehenden Unterbringungsanordnung auch die unter den gegebenen Umständen zur Sicherung des Therapieerfolgs erforderliche Änderung der Vollstreckungsreihenfolge vorgenommen wird.
Eine verminderte Einsichtsfähigkeit ist strafrechtlich erst dann von Bedeutung, wenn sie das Fehlen der Einsicht zur Folge hat (st. Rspr). Der Täter, der trotz erheblich verminderter Einsichtsfähigkeit im konkreten Fall die Einsicht in das Unrecht seiner Tat gehabt hat, ist – sofern nicht seine Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt war – voll schuldfähig. In einem solchen Fall ist auch die
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht zulässig (BGHSt 21, 27, 28; 34, 22, 26 f.).
Leistungen, die auf Bewährungsauflagen nach § 56b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 bis 4 StGB erbracht worden sind, sind nicht bei der Bemessung der Gesamtstrafe zu berücksichtigen, sondern durch eine die Vollstreckung verkürzende Anrechnung auf die neue Gesamtfreiheitsstrafe auszugleichen.