HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 728
Bearbeiter: Christian Becker
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 99/12, Urteil v. 31.05.2012, HRRS 2012 Nr. 728
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 20. Oktober 2011 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Beschuldigten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt. Hiergegen richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft mit sachlich-rechtlichen Beanstandungen.
Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der Beschuldigte seit etwa 1979 unter einer paranoiden Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie, die inzwischen einen chronisch floriden Verlauf genommen hat. Der Beschuldigte glaubte in wahnhafter Verkennung der Realität, von Feinden umgeben zu sein und von jedermann betrogen zu werden. Unter dem Eindruck der Erkrankung versuchte er 1983, auf dem Rollfeld des Flughafens Hannover startende Flugzeuge anzuhalten. Er wurde daraufhin nach dem niedersächsischen PsychKG untergebracht. Im Sommer 1984 beschädigte er mehrere hundert Fahrzeuge mit einer ätzenden Flüssigkeit. Vom Vorwurf der Sachbeschädigung wurde er wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen. Die zugleich angeordnete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus wurde im Hinblick auf das günstige Ergebnis der zwischenzeitlich erfolgten therapeutischen und medikamentösen Behandlung zur Bewährung ausgesetzt, die Führungsaufsicht nach weiterhin positivem Verlauf der Bewährungszeit im Herbst 1989 beendet. 1990, 1992, 1995 und 2003 waren erneut jeweils kurzzeitige Aufenthalte in der Psychiatrie notwendig. Von Ende Mai 2005 bis Anfang April 2006 befand sich der Beschuldigte nach einem erneuten Ausbruch der Psychose in geschlossener stationärer Unterbringung. Auch 2008 und 2009 musste der Beschuldigte wegen einer depressiven suizidalen Krise jeweils stationär untergebracht werden.
Am 10. Oktober 2010 erfuhr der Beschuldigte, das seine - ebenfalls an einer Psychose leidende - Ehefrau "ihr Wohnhaus" in Brand setzen wollte und deshalb von der Polizei aufgegriffen und in eine Nervenklinik eingewiesen worden war. Daraufhin fügte er sich in Selbsttötungsabsicht Schnitte am Hals und den Handgelenken zu und entzündete an mehreren Stellen in dem "von ihm und seiner Ehefrau bewohnten Reihenmittelhaus" Einrichtungsgegenstände. Zwei Brandherde waren beim Erscheinen der Feuerwehr bereits erloschen, der dritte konnte von der Feuerwehr gelöscht werden. Wesentliche Gebäudeteile wurden von dem Brand nicht in dem Sinne erfasst, dass sie selbständig gebrannt hätten. Der Brandschaden betrug ca. 70.000 €.
Der Beschuldigte verließ "sein Wohnhaus" und schlug mit einem Degen wahllos auf die in der Straße geparkten Fahrzeuge ein. Von alarmierten Polizeibeamten wurde der Beschuldigte aufgefordert, die Hiebwaffe fallen zu lassen. Dem kam der Beschuldigte nicht nach, sondern lief - den Degen über dem Kopf schwingend - auf die Beamten zu. Erst nach Abgabe von zwei Warnschüssen warf er die Waffe weg. Der Schaden an zumindest 20 teilweise erheblich beschädigten Kraftwagen betrug mehr als 55.000 €. Diesen wird der dem Beschuldigten bestellte Betreuer aus dem Verkauf "des Reihenhauses des Beschuldigten" finanziell ausgleichen können.
Das Landgericht hat sachverständig beraten angenommen, dass die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten aufgrund einer chronischen paranoiden Psychose aus dem Formenkreis der Schizophrenie bei den Taten jeweils aufgehoben war. Eine Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) hat es abgelehnt, weil die hierfür erforderliche Wahrscheinlichkeit höheren Grades, dass der Beschuldigte aufgrund seiner Erkrankung zukünftig weitere vergleichbare Taten begehen werde und deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sei, nicht festgestellt werden könne. Maßgebend hierfür sei zum einen, dass der Beschuldigte trotz seiner langjährigen chronischen Erkrankung seit dem Jahre 1985 über einen Zeitraum von 26 Jahren nicht mehr durch die Begehung rechtswidriger Taten auffällig geworden sei. Zum anderen sei er durch die Behandlung während der ca. zehnmonatigen vorläufigen Unterbringung nach § 126a StPO durch die regelmäßige Einnahme von Psychopharmaka gut und stabil eingestellt; "unter Beibehaltung seines aktuellen Zustandes" sei trotz seiner chronischen paranoiden Psychose eine Gefährlichkeit des Beschuldigten für die Allgemeinheit nicht belegt.
2. Das Urteil hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a) Zutreffend geht das Landgericht zwar davon aus, dass wegen der Schwere des mit einer Anordnung nach § 63 StGB verbundenen Eingriffs in die persönliche Freiheit und mit Rücksicht auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 62 StGB) nur schwere Störungen des Rechtsfriedens, die zumindest in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinreichen, eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus rechtfertigen können (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 17. August 1977 - 2 StR 300/77, BGHSt 27, 246, 248; Urteil vom 15. August 2007 - 2 StR 309/07, NStZ 2008, 210, 212). Auch muss aufgrund einer umfassenden Würdigung von Tat und Täter eine höhere oder doch bestimmte, jedenfalls über die bloße Möglichkeit hinausreichende Wahrscheinlichkeit zu bejahen sein, dass der Täter infolge seines Zustands weitere erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird (vgl. BGH, Beschluss vom 24. November 2004 - 1 StR 493/04, NStZ-RR 2005, 72, 73).
b) Das Landgericht unterlässt indes zum einen die gebotene Gesamtwürdigung der Person des Täters, seines Vorlebens und der Symptomtat. Es nimmt bei der Gefährlichkeitsbeurteilung allein die Anlasstaten, den gegenwärtigen, aufgrund der Einnahme von Psychopharmaka als stabil bezeichneten Zustand des Beschuldigten und den Umstand in den Blick, dass der Beschuldigte seit der gegen ihn im Jahr 1985 angeordneten Unterbringung nach § 63 StGB nicht mehr strafrechtlich geahndet worden war. Dabei lässt es aber außer Betracht, dass es nach 2003 zunehmend zu "Belästigungen, Beschimpfungen und Bedrohungen der Nachbarn" durch den Beschuldigten und seine Ehefrau gekommen war, und dass ab dem Jahr 2008 "Auseinandersetzungen der Eheleute S. " wiederholt den Einsatz der Polizei erforderlich machten. Die jeweils zugrundeliegenden Geschehnisse hätten im Hinblick auf die Gefährlichkeitsprognose näher beleuchtet werden müssen. Darüber hinaus hat der Generalbundesanwalt zutreffend darauf hingewiesen, dass das angefochtene Urteil eine nähere Auseinandersetzung mit der Frage vermissen lässt, ob nicht schon aus den hier zu beurteilenden Anlasstaten in hinreichendem Maße auf die Gefährlichkeit des Beschuldigten geschlossen werden kann und insbesondere die Lebensumstände, die den Anstoß für diese Taten gaben - eine akute psychische Krise der ebenfalls an einer Psychose leidenden Ehefrau des Beschuldigten und deren Einweisung in stationäre psychiatrische Behandlung - sich in ähnlicher Weise wiederholen können.
c) Zum anderen lässt das Landgericht außer Acht, dass die beiden Sachverständigen - denen es sich angeschlossen hat - übereinstimmend der Ansicht waren, dass sich das Krankheitsbild des Beschuldigten nicht ändern werde und eine daraus resultierende Gefährlichkeit nur dann verneint werden könne, wenn und solange der Beschuldigte sich in konsequenter Überwachung seines Tagesablaufs befindet und die Einnahme der notwendigen Medikamente beaufsichtigt und sichergestellt wird.
Für die Entscheidung, ob die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus anzuordnen ist, ist es indes unerheblich, ob die von dem Beschuldigten ausgehende Gefahr für die Allgemeinheit durch eine konsequente medizinische Behandlung, für die ein Betreuer bestellt ist, abgewendet werden kann. Ein solches täterschonendes Mittel - seine Wirksamkeit vorausgesetzt - erlangt vielmehr Bedeutung erst für die Frage, ob die Vollstreckung der Unterbringung gemäß § 67b StGB zur Bewährung auszusetzen ist. Nur auf diese Weise wird der von dem Beschuldigten ausgehenden Gefahr effektiv entgegengewirkt und die Allgemeinheit ausreichend geschützt. Durch die Möglichkeit, eine angeordnete, aber zur Bewährung ausgesetzte Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu widerrufen, wird Druck auf den gefährlichen Täter ausgeübt und eine wirksame Kontrolle darüber ermöglicht, ob die medizinische Behandlung zur Gefahrenbeseitigung tatsächlich ausreicht (BGH, Urteil vom 23. Februar 2000 - 3 StR 595/99, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 28; Urteil vom 20. Februar 2008 - 5 StR 575/07, R&P 2008, 225 jeweils mwN).
3. Ãœber die Unterbringung und deren Vollstreckung muss deshalb erneut entschieden werden.
Der neue Tatrichter wird dabei auch Gelegenheit haben, die rechtliche Einordnung der Brandstiftung durch den Beschuldigten näher zu prüfen. Die bisherigen Feststellungen deuten darauf hin, dass es sich bei dem Tatobjekt um ein Reihenmittelhaus gehandelt hat, das im Eigentum des Beschuldigten und/oder seiner Ehefrau stand und das er mit dieser zusammen ausschließlich bewohnte. Sollten der Beschuldigte durch die Brandlegung sowie seine Ehefrau durch ihren Plan einer Brandlegung die Wohnung entwidmet, das heißt ihre Nutzung als Wohnung aufgegeben haben (vgl. BGH, Beschluss, vom 22. Juli 1992 - 3 StR 77/92, NStZ 1992, 541; Urteil vom 15. September 1998 - 1 StR 290/98, NStZ 1999, 32, 34), wäre die Tat nicht mehr als versuchtes Verbrechen nach § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB zu beurteilen.
Sollte der Beschuldigte allein oder zusammen mit seiner Ehefrau Eigentümer des Hauses sein, dann stünde dies der Einordnung der Brandstiftung als versuchtes Verbrechen gemäß § 306 Abs. 1 Nr. 1 StGB entgegen. Gegebenenfalls wird das Brandstiftungsgeschehen aber auch im Hinblick auf die angrenzenden Reihenhäuser strafrechtlich zu würdigen sein (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Mai 2001 - 3 StR 140/01, BGHR StGB § 306a Abs. 1 Nr. 1 Wohnung 2).
4. Mit der Aufhebung des Urteils ist die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegenstandslos, mit der sich diese gegen die unterbliebene Entscheidung über Entschädigungen wegen Strafvollstreckungsmaßnahmen gewandt hat.
HRRS-Nummer: HRRS 2012 Nr. 728
Bearbeiter: Christian Becker