HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Februar 2012
13. Jahrgang
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V. Wirtschaftsstrafrecht und Nebengebiete


Entscheidung

120. BGH 5 StR 425/11 – Beschluss vom 14. Dezember 2011 (LG Berlin)

Inverkehrbringens von Arzneimitteln zu Dopingzwecken im Sport (Bewertungseinheit; Strafzumessung).

§ 95 AMG; § 52 StGB; § 52 StGB; § 53 StGB; § 46 StGB

1. Die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Bewertungseinheit im Betäubungsmittelstrafrecht gilt für die gleichgelagerte Konstellation des Inverkehrbringens von Arzneimitteln entsprechend.

2. Danach ist aufgrund Bewertungseinheit eine einheitliche Tat anzunehmen, wenn ein und derselbe Güterumsatz Gegenstand der strafrechtlichen Bewertung ist. Dies kann auch gegeben sein, wenn verschiedenartige Präparate Gegenstand der zu beurteilenden Geschäfte sind, etwa wenn diese „im Gesamtpaket“ erworben werden.

3. Die Annahme einer Bewertungseinheit setzt allerdings konkrete Anhaltspunkte dafür voraus, dass bestimmte Einzelverkäufe aus einer einheitlich erworbenen Gesamtmenge herrühren. Eine lediglich willkürliche Zusammenfassung ohne ausreichende Anhaltspunkte kommt nicht in Betracht; auch der Zweifelssatz gebietet in solchen Fällen nicht die Annahme einer einheitlichen Tat.

4. Das Inverkehrverbringen von Arzneimitteln zu Dopingzwecken im Sport nach § 95 Abs. 1 Nr. 2 lit. a AMG umfasst zwar das „Bodybuilding“ und generell den Freizeitsport. Jedenfalls vorrangiges Schutzgut dieser Bestimmungen ist die Gesundheit. Im Rahmen der konkreten Strafzumessung wäre aber zu bedenken sein, ob die Dopingmittel – über die Selbstgefährdung des Einnehmenden hinaus – auch zu Wettkampfzwecken bestimmt

waren, wodurch die Chancengleichheit und Fairness im Sport, unter Umständen auch Belange von möglichen Konkurrenten beeinträchtigt sein könnten. Zudem ist es im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen, wenn nur ein Teil der vom Angeklagten vertriebenen Arzneimittel zu Dopingzwecken im Sinne des § 6a AMG gedient haben.


Entscheidung

113. BGH 5 StR 122/11 – Beschluss vom 15. Dezember 2011 (LG Dresden)

Verletzung der Buchführungspflicht; Bankrott; Interessentheorie.

§ 283 StGB; § 283b StGB

Der Senat neigt nicht tragend dazu, die von der Rechtsprechung namentlich für Vermögensverschiebungen in der unternehmerischen Krise entwickelte Interessentheorie jedenfalls auf Buchführungs- und Bilanzdelikte (§ 283 Abs. 1 Nr. 5 bis 8, § 283b StGB) nicht anzuwenden.


Entscheidung

132. BGH 1 StR 459/11 – Beschluss vom 29. November 2011 (LG München II)

Umsatzsteuerhinterziehung (Scheinrechnungen; besonders schwerer Fall); angemessene Rechtsfolge (eigene Sachentscheidung des Revisionsgerichts).

§ 370 Abs. 1, Abs. 3 AO; § 14c Abs. 2 Satz 3 UStG; § 354 Abs. 1a StPO

1. Bei der Umsatzsteuerhinterziehung sind etwaige Rechnungsberichtigungen bei Scheinrechnungen im Fall des § 14c Abs. 2 Satz 3 UStG nicht für den Schuldumfang zu berücksichtigen, soweit eine Berichtigung des Steuerbetrages nur möglich gewesen wäre, wenn die Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt worden wäre.

2. Das Regelbeispiel des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO liegt bei Verkürzungsbeträgen unter 50.000 Euro nicht vor.


Entscheidung

171. BGH 4 StR 517/11 – Beschluss vom 7. Dezember 2011 (LG Essen)

Anforderungen an die Feststellungen bei Betäubungsmittelhandel (Einfuhr von Betäubungsmitteln; Wirkstoffmenge; bloße Vermutungen; Amphetaminzubereitung; mögliches Falsifikat); Erörterungsmangel zur Aufklärungshilfe.

§ 261 StPO; § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG; § 1 Abs. 1 BtMG; Anlage III zum BtMG; § 31 BtMG

1. Grundsätzlich ist der Tatrichter bei seiner Beweiswürdigung frei (§ 261 StPO); von ihm gezogene Schlussfolgerungen müssen nur möglich, nicht aber zwingend sein. Getroffene Feststellungen sind aber rechtsfehlerhaft, wenn sie sich von einer festen Tatsachengrundlage sehr entfernen, dass sie letztlich bloße Vermutungen sind und deshalb keine objektiv hohe Wahrscheinlichkeit mehr für ihre Richtigkeit besteht.

2. Anwendung auf einen Fall, in dem die als Amphetamin angekaufte Substanz vom Abnehmer des Rauschgifts beanstandet und dabei eine vollständige Neulieferung oder eine Rückzahlung des gesamten Kaufpreises verlangt wurde.

3. Das Unrecht einer Betäubungsmittelstraftat und die Schuld des Täters werden maßgeblich durch die Wirkstoffkonzentration und die Wirkstoffmenge bestimmt. Hierzu bedarf es deshalb konkreter Feststellungen. Dabei ist es in der Regel erforderlich, den Wirkstoffgehalt in Gewichtsprozenten anzugeben oder als Gewichtsmenge zu bezeichnen. Beschreibungen wie gute, mittlere, durchschnittliche oder schlechte Qualität sind nur dann hinreichend aussagekräftig, wenn sich den Urteilsgründen oder allgemeinem Erfahrungswissen ein Bezugsrahmen entnehmen lässt, der die Ableitung eines bestimmten Mindestwirkstoffanteils zweifelsfrei ermöglicht. Stehen die tatgegenständlichen Betäubungsmittel für eine Untersuchung nicht mehr zur Verfügung, muss das Tatgericht unter Berücksichtigung der anderen ausreichend sicher festgestellten Umstände (Herkunft, Preis, Handelsstufe, Beurteilung durch die Tatbeteiligten, Begutachtungen in Parallelverfahren etc.) die Wirkstoffkonzentration – notfalls unter Anwendung des Zweifelssatzes – durch eine Schätzung festlegen.


Entscheidung

159. BGH 2 StR 505/11 – Beschluss vom 15. Dezember 2011 (LG Erfurt)

Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Förderung).

§ 30 BtMG; § 27 StGB

Die bloße Kenntnis von der Begehung der Tat und deren Billigung ohne einen die Tat objektiv fördernden Beitrag reicht nicht aus, um die Annahme von Beihilfe zu begründen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann zwar schon ein bloßes „Dabeisein“ die Tatbegehung im Sinne aktiven Tuns fördern oder erleichtern (vgl. BGH StV 1982, 517; BGHR StGB § 27 Abs. 1 Unterlassen 3). In derartigen Fällen bedarf es aber sorgfältiger und genauer Feststellungen darüber, dass und wodurch die Tatbegehung in ihrer konkreten Gestaltung objektiv gefördert oder erleichtert wurde, und dass der Gehilfe sich dessen bewusst war (BGH NStZ 1993, 233 und 385).


Entscheidung

167. BGH 4 StR 472/11 – Beschluss vom 8. November 2011 (LG Detmold)

Strafzumessung bei Betäubungsmittelhandel (Wirkstoffmenge; Rechtsgut der Gesundheit der Allgemeinheit); Darlegungsanforderungen bei der Verfahrensrüge (unzureichende Bezugnahme auf das Hauptverhandlungsprotokoll; Verständigung).

§ 46 StGB; § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG; § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO; § 257c Abs. 3 Satz 2 StPO

Im Hinblick auf das durch die Straftatbestände des Betäubungsmittelgesetzes geschützte Rechtsgut der Gesundheit der Allgemeinheit kommt in Fällen des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) der Gesamtmenge des Wirkstoffs bezogen auf die einfache nicht geringe Menge für die Beurteilung der Schwere der Tat und für die Strafzumessung wesentliche Bedeutung zu. Das Gewicht des Angriffs auf das geschützte Rechtsgut drückt sich gerade in dem Vielfachen der nicht geringen Menge des Betäubungsmittels aus und stellt daher regelmäßig einen bestimmenden Strafzumessungsgrund im Sinne des § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO dar.