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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Februar 2012
13. Jahrgang
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1. Die Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts bildet in der Übergangszeit die Rechtsgrundlage für Eingriffsmaßnahmen in das Freiheitsrecht des Angeklagten. Sie tritt dabei vorläufig an die Stelle eines Gesetzes im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Satz 3, 104 Abs. 1 GG und enthält eine außerordentliche Eingriffsermächtigung, die eng auszulegen ist. Während der Dauer der Weitergeltung von § 66 Abs. 1 StGB muss der Tatsache Rechnung getragen werden, dass es sich bei der Sicherungsverwahrung um einen verfassungswidrigen Eingriff in das Freiheitsrecht handelt. Der hohe Wert dieses Grundrechts beschränkt das übergangsweise zulässige Eingriffsspektrum. Danach dürfen Eingriffe nur soweit reichen, wie sie unerlässlich sind, um die Ordnung des betroffenen Lebensbereichs aufrechtzuerhalten. Die Sicherungsverwahrung darf derzeit nur nach Maßgabe einer besonders strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung angewandt werden. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wird ihre Anordnung in der Regel nur verhältnismäßig sein, „wenn eine Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder in dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist“ (BVerfG aaO). Danach sind erhöhte Anforderungen sowohl an die Konkretisierung der Rückfallprognose als auch an den Wert der gefährdeten Rechtsgüter zu stellen.
2. Im Hinblick auf die Eigenschaft der Maßregel als Sicherungsmittel kommt es bei der auf den Einzelfall bezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung, anders als bei der gesetzgeberischen Vorbewertung durch den Katalog tauglicher Vor- und Anlasstaten, prinzipiell nicht auf die Bezeichnung des Straftatbestands an, dessen Verletzung für die Zukunft droht, auch nicht auf den durch gesetzliche Strafrahmen im Voraus gewichteten Schuldumfang, sondern auf die Bedeutung des vor Rückfalltaten des Angeklagten zu schützenden Rechtsguts, ferner auf den Grad der Wahrscheinlichkeit einer künftigen Rechtsgutsverletzung und gegebenenfalls auf die mögliche Verletzungsintensität.
3. Der Staat hat die Aufgabe, die Rechtsgüter potentieller Tatopfer vor Verletzungen durch Straftaten zu schützen. Je existentieller die betroffenen Güter für den Einzelnen sind, desto intensiver muss der staatliche Schutz vor Beeinträchtigungen sein. Für die Anwendung des § 66 StGB sind aufgrund der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts als zu schützende Rechtsgüter das Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG), die körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) und die sexuelle Selbstbestimmung potenzieller Tatopfer (Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG) von Bedeutung. Die Gewichtung dieser Rechtsgüter durch das Bundesverfassungsgericht ist bei der strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung einer Maßregelanordnung in der Übergangszeit zu beachten.
4. Danach reichen etwa Betäubungsmitteldelikte regelmäßig nicht als Maßregelanlass aus; andererseits genügen schwerer sexueller Missbrauch von Kindern oder Vergewaltigung (vgl. BGH, Urteil vom 4. August 2011 – 3 StR 175/11). Raubdelikte im Sinne des zwanzigsten Abschnitts des Strafgesetzbuchs (vgl. § 66 Abs. 1 Nr. 2 StGB n.F.) können schwere Gewalttaten im Sinne der Weitergeltungsanordnung sein. Das gilt aber nicht ausnahmslos. Einfacher Raub oder räuberische Erpressung unter Anwendung von physischer Gewalt gegen Personen, schwerer oder besonders schwerer Raub sowie schwere oder besonders schwere räuberische Erpressung unter Anwendung von physischer Gewalt oder Einsatz objektiv gefährlicher Tatmittel zählen unzweifelhaft zu den „schweren Gewalttaten“. Werden dagegen zur Tatbegehung ausschließlich Drohungen ausgesprochen, die der Täter tatsächlich nicht realisieren will, und ist angesichts objektiv ungefährlicher Tatmittel keinesfalls mit einer Gewalteskalation zu rechnen, die Leib oder Leben von Opfern konkret gefährdet, dann wird durch zukünftige Taten kein Rechtsgut bedroht, dessen Schutz die Anwendung der verfassungswidrigen Norm auch in der Übergangszeit rechtfertigen könnte. Verbrechen nach § 250 Abs. 1 Nr. 1 b StGB stellen, wenn aufgrund konkreter Umstände mit hoher Wahrscheinlichkeit allein der Einsatz objektiv ungefährlicher Scheinwaffen zu erwarten ist, für sich genommen in der Regel keine ausreichend schweren Prognosetaten für die Anordnung der Sicherungsverwahrung aufgrund der Weitergeltungsanordnung dar.
1. Eine an den anerkannten Strafzwecken ausgerichtete Strafzumessung ist jedenfalls bei Straftaten von einigem
Gewicht ohne Würdigung der persönlichen Verhältnisse des Täters in der Regel nicht möglich. Es bedeutet daher einen Sachmangel, wenn der Tatrichter bei der Strafzumessung die persönlichen Verhältnisse des Täters außer Acht lässt.
2. Die persönlichen Verhältnisse des Täters sind unabhängig von ihren Auswirkungen auf die Tatbegehung bei der Beurteilung der Frage heranzuziehen, welche Wirkungen die Strafe voraussichtlich haben wird.
1. Liegen die Voraussetzungen des § 213 StGB vor, muss die Strafe im Fall des § 227 StGB zwingend nach § 227 Abs. 2 StGB gemildert werden (BGHSt 25, 222; BGH NStZ-RR 2000, 80). Eine Ohrfeige stellt nicht stets einen Fall des § 213 StGB dar.
2. Die Art der Tatausführung darf einem Angeklagten auch bei § 227 Abs. 2 StGB nicht zum Vorwurf gemacht werden, wenn und soweit sie gerade Ausdruck des die erhebliche Minderung seiner Schuldfähigkeit begründenden geistig-seelischen Zustandes des Angeklagten ist (BGH NStZ 1997, 592 mN). Für eine strafschärfende Verwertung der Handlungsintensität verbleibt zwar durchaus Raum nach dem Maß der geminderten Schuld; jedoch muss das Urteil erkennen lassen, dass sich der Tatrichter dieser Problematik bewusst war und ihr Rechnung getragen hat (BGH NStZ-RR 2003, 104 mN).
1. Die außerordentlich beschwerende Maßregel der Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus setzt eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades voraus, dass von dem Betroffenen in Zukunft rechtswidrige Taten von Erheblichkeit zu erwarten sind; die bloße Möglichkeit genügt dementsprechend nicht.
2. Länger währende Straffreiheit ist als gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger gefährlicher Straftaten heranzuziehen.
Die Art der Tatausführung darf einem Angeklagten nur dann strafschärfend zur Last gelegt werden, wenn sie vorwerfbar ist, nicht aber, wenn ihre Ursache in einer von ihm nicht zu vertretenen geistig-seelischen Beeinträchtigung liegt.