HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Oktober 2010
11. Jahrgang
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V. Wirtschaftsstrafrecht und Nebengebiete


Entscheidung

839. BGH 2 StR 111/09 - Urteil vom 27. August 2010 (LG Köln)

BGHSt; Beihilfe zur Untreue durch die Führung einer schwarzen Kasse im Ausland (Legalitätspflicht; Geschäftsführer einer GmbH; Vorstand einer AG; Verletzung von Buchführungsvorschriften; tatbestandsausschließendes Einverständnis der Mehrheit der Gesellschafter einer GmbH; Minderheitsgesellschafter: Schutz der Minderheitenrechte; doppelte Milderung); Vermögensnachteil (endgültiger Vermögensschaden; schadensgleiche Vermögensgefährdung; Gefährdungsschaden); Gesetzlichkeitsprinzip (Verschleifungsverbot); Beweisantragsrecht (Bedeutungslosigkeit; Erwiesenheit).

§ 266 StGB; § 27 StGB; § 28 Abs. 1 StGB; § 43 GmbHG; § 47 GmbHG; § 93 Abs. 1 AktG; Art. 103 Abs. 2 GG; § 244 Abs. 3 StPO

1. Ein Geschäftsführer einer GmbH und ein Vorstand einer AG können sich wegen Untreue strafbar machen, wenn sie unter Verstoß gegen § 43 Abs. 1 GmbHG, § 93 Abs. 1 AktG und unter Verletzung von Buchführungsvorschriften eine schwarze Kasse im Ausland einrichten (Fortführung von BGHSt 52, 323). (BGHSt)

2. Ein den Untreuetatbestand ausschließendes Einverständnis der Mehrheit der Gesellschafter einer GmbH setzt voraus, dass auch die Minderheitsgesellschafter mit der Frage der Billigung der Pflichtwidrigkeit befasst waren. (BGHSt)

3. Die Sorgfaltsgeneralklauseln des Gesellschaftsrechts sind als Anknüpfungspunkt zur Bestimmung einer Vermögensbetreuungspflicht im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB geeignet, weil durch fallgruppenspezifische Konkretisierung die Vorhersehbarkeit der Strafbarkeit im Regelfall gesichert ist. Die Sorgfaltspflichten der § 43 Abs. 1 GmbHG, § 93 Abs. 1 S. 1 AktG umfassen nach allgemeiner Auffassung zum einen die Pflicht, für die Legalität des Handelns der Gesellschaft, insbesondere auch für die

Erfüllung der ihr aufgetragenen buchführungs- und steuerrechtlichen Pflichten Sorge zu tragen. Verstöße gegen die Legalitätspflicht können auch im Verhältnis zur Gesellschaft selbst nicht mit dem Vorbringen gerechtfertigt werden, sie lägen in deren Interesse. Die – sei es auch profitable – Pflichtverletzung liegt nicht im Handlungsspielraum des geschäftsführenden Organs; die Bindung an gesetzliche Vorschriften hat vielmehr Vorrang. Zum anderen begründet der Pflichtenmaßstab des § 43 Abs. 1 GmbHG, § 93 Abs. 1 S. 1 AktG auch die Pflicht zur Loyalität gegenüber den übrigen Gesellschaftsorganen. Dies bedeutet insbesondere, dass das Geschäftsleitungsorgan durch Information und Beratung dafür zu sorgen hat, dass die anderen Organe die ihnen zugewiesenen Aufgaben erfüllen können. (Bearbeiter)

4. Zweck der gesetzlichen Vorgaben über die Rechnungslegung bei Kapitalgesellschaften ist es zumindest auch, neben den Gläubigern ebenso die Gesellschafter als materielle Inhaber des Gesellschaftsvermögens und die mit der Wahrung ihrer Interessen betrauten Kontrollorgane der Gesellschaft über deren Vermögensstand und finanzielle Lage zu informieren. Dies gilt im Rahmen des § 266 StGB jedenfalls für gravierende Verstöße, wie sie bewusste Nicht- und Falschbuchungen zur Verschleierung der Führung „schwarzer Kassen“ durch Organe einer Kapitalgesellschaft darstellen. (Bearbeiter)

5. Die Rechtsprechung sieht in einer unordentlichen Buchführung dann eine pflichtwidrige Untreuehandlung, wenn der Treugeber keine Übersicht über seine Rechte und Pflichten, mithin über seinen Vermögensstand zu gewinnen vermag, so dass er verhindert ist, Ansprüche geltend zu machen, weil er sie nicht erkennt. (Bearbeiter)

6. Da die Pflichtwidrigkeit des Handelns Merkmal des Untreuetatbestands ist, schließt das Einverständnis des Inhabers des zu betreuenden Vermögens bereits die Tatbestandsmäßigkeit aus (BGHSt 50, 331, 342; 52, 323, 335). Bei juristischen Personen tritt an die Stelle des Vermögensinhabers dessen oberstes Willensorgan für die Regelung der inneren Angelegenheiten. Eine erklärte Einwilligung ist nur dann unwirksam, wenn sie gesetzwidrig oder erschlichen ist, auf sonstigen Willensmängeln beruht oder - wie bei der Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz einer juristischen Person - ihrerseits pflichtwidrig ist. Oberstes Willensorgan der GmbH ist die Gesamtheit ihrer Gesellschafter. Ein die Pflichtwidrigkeit im Sinne des § 266 StGB ausschließendes Einverständnis der Gesellschafter kommt auch dann in Betracht, wenn die Vermögensverfügung des Geschäftsführers unter Verstoß gegen Buchführungsvorschriften erfolgt (BGHSt 35, 333, 335 ff.). (Bearbeiter)

7. Anders als bei der GmbH ist das Verhältnis der drei Organe der Aktiengesellschaft ein solches der Gewaltenteilung und wechselseitigen Kontrolle, in dem die Führung der laufenden Geschäfte ausschließlich dem Vorstand anvertraut ist. Im Hinblick auf eben diese Kompetenzverteilung kommt eine Befugnis des Vorstands zur Einwilligung in pflichtwidriges Handeln jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn es um ein eigenes pflichtwidriges Verhalten geht, das gerade in der Verschleierung der von ihm selbst vorgenommenen Vermögensverfügungen gegenüber den zu seiner Kontrolle berufenen beiden anderen Gesellschaftsorganen sowie den für diese tätigen Abschlussprüfern besteht. Von der insbesondere durch §§ 111 Abs. 1-3, 119 Abs. 1 Nr. 4 u. 7, Abs. 2 AktG gewährleisteten Kontrolle und Aufsicht durch die übrigen Gesellschaftsorgane kann sich der Vorstand nicht durch die Erteilung des Einverständnisses in seine eigene Pflichtwidrigkeit dispensieren. (Bearbeiter)

8. Eine Pflicht, bei einer unerheblichen Beweistatsache den Antrag als bedeutungslos abzulehnen und nicht als erwiesen anzusehen, besteht nicht. (Bearbeiter)


Entscheidung

830. BGH 1 StR 217/10 - Beschluss vom 27. August 2010 (LG Stuttgart)

Hinterziehung von Dumpingzöllen; Meistbegünstigungsgrundsatz und Zeitgesetz (milderes Gesetz; Verhältnismäßigkeit; lex mitior; Blankettstrafgesetz); Vorabentscheidungsverfahren; GATT-Abkommen; Antidumping-Übereinkommen.

§ 370 AO; § 373 AO; § 2 Abs. 3, Abs. 4 StGB; Art. 49 Abs. 1 Satz 3 EU-Grundrechtecharta; Art. 2 Abs. 1 GG; Art. 2 Abs. 2 GG; Art. 20 Abs. 3 GG; Art. 267 Abs. 3 AEUV; Verordnung (EG) Nr. 1470/2001 des Rates vom 16. Juli 2001 zur Einführung eines endgültigen Antidumpingzolls und zur endgültigen Vereinnahmung des vorläufigen Antidumpingzolls auf die Einfuhren integrierter elektronischer Kompakt-Leuchtstofflampen (CFL-i) mit Ursprung in der Volksrepublik China (ABl. EG 2001 Nr. L 195)

1. Bei der im Rahmen der Strafnorm des § 373 AO anzuwendenden EG-Verordnung, auf der die Erhebung von Antidumpingzölle beruht, handelt es sich um ein Zeitgesetz i. S. v. § 2 Abs. 4 StGB, das für den Zeitraum seiner Gültigkeit auch nach seinem Außerkrafttreten weiterhin anwendbar bleibt.

2. Die EG-Verordnung Nr. 1470/2001 des Rates vom 16. Juli 2001 zur Einführung eines endgültigen Antidumpingzolls und zur endgültigen Vereinnahmung des vorläufigen Antidumpingzolls auf die Einfuhren integrierter elektronischer Kompakt-Leuchtstofflampen (CFL-i) mit Ursprung in der Volksrepublik China (ABl. EG 2001 Nr. L 195 S. 8) ist schon deshalb ein Zeitgesetz, weil ihre Geltungsdauer gemäß Art. 11 Abs. 2 der zugrunde liegenden Verordnung (EG) Nr. 384/96 des Rates vom 22. Dezember 1995 über den Schutz gegen gedumpte Einfuhren aus nicht zur Europäischen Gemeinschaft gehörenden Ländern (ABl. EG 1996 Nr. L 56 S. 1, im Folgenden: Grund-Verordnung) eine von vornherein definierte, kalendermäßig eindeutig bestimmbare Befristung erfuhr.

3. Die Strafbarkeit wegen Hinterziehung von Antidumpingzöllen vorstößt nicht gegen Unionsrecht. Der Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens bedarf es nicht.

4. Ein Verbot der Bestrafung der Hinterziehung von Antidumpingzöllen ergibt sich weder aus dem Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (GATT 1994) noch aus dem zur Durchführung des Artikels VI des GATT 1994 geschlossenen Antidumping-Übereinkommen vom 22. Dezember 1994 (ABl. EG 1994 Nr. L 336 S. 103).


Entscheidung

846. BGH 2 StR 200/10 - Beschluss vom 14. Juli 2010 (LG Koblenz)

Bestechung und Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr (Angestelltenbestechung; Unrechtsvereinbarung; Versprechen bzw. Sich Versprechenlassen eines Vorteils mit Blick auf eine künftige unlautere Bevorzugung im Wettbewerb).

§ 299 Abs. 1, Abs. 2 StGB

1. § 299 StGB setzt eine Unrechtsvereinbarung dergestalt voraus, dass der Vorteil als Gegenleistung für eine künftige unlautere Bevorzugung gefordert, angeboten, versprochen oder angenommen wird. Da oftmals noch keine genaue Vorstellung darüber besteht, wann, bei welcher Gelegenheit und in welcher Weise die Unrechtsvereinbarung eingelöst werden soll, lässt der Bundesgerichtshof es in ständiger Rechtsprechung genügen, dass die ins Auge gefasste Bevorzugung nach ihrem sachlichen Gehalt in groben Umrissen erkennbar und festgelegt ist (vgl. BGHSt 32, 290, 291).

2. Kommt es dagegen ausnahmsweise zu einer Strafbarkeit wegen (nachträglicher) Gewährung/Annahme eines Vorteils für in der Vergangenheit liegende Bevorzugungen, stellt sich das Problem der schwierigen Bestimmbarkeit einer (künftigen) Bevorzugungshandlung naturgemäß nicht. Der Tatrichter ist deshalb schon zur Bestimmung des Unrechts- und Schuldgehalts der Tat, die nicht allein durch Art und Umfang des Vorteils, sondern auch durch Art und Ausmaß der unlauteren Bevorzugung geprägt ist, grundsätzlich gehalten, die jeweiligen Bevorzugungshandlungen konkret nach Zeit, Ort und Begehungsweise festzustellen und sich nicht nur auf allgemeine Beschreibungen, etwa orientiert an der getroffenen Unrechtsvereinbarung, zu beschränken. Feststellungsschwierigkeiten bei Serienstraftaten über einen längeren Zeitraum, die auch in Fällen immer wiederkehrender Bestechungstaten auftreten können, lässt sich entsprechend der hierzu bestehenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Rechnung tragen (vgl. nur BGHSt 42, 107 ff.; st. Rspr.; zur Möglichkeit der Schätzung des Schuldumfangs bei Vermögensstraftaten im Falle nicht möglicher Zuordnung von bestimmten strafbaren Einzelakten s. BGH wistra 2007, 143 f.). Sie befreien aber grundsätzlich nicht von der notwendigen Individualisierung der einzelnen Tathandlungen und entbinden zudem nicht davon, die einzelnen Bevorzugungshandlungen möglichst genau aufzuklären.


Entscheidung

822. BGH 5 StR 199/10 - Beschluss vom 20. Juli 2010 (LG Hamburg)

Schädliche Neigungen (Abgrenzung zur Reifeverzögerung; falsch verstandene Kameradschaft; spontane Beteiligung an Straftaten Dritter); Zumessung der Jugendstrafe.

§ 17 Abs. 2 JGG

1. Für die Annahme schädlicher Neigungen sind erhebliche Anlage- und Erziehungsmängel erforderlich, die in aller Regel nur bejaht werden können, wenn erhebliche Persönlichkeitsmängel schon vor der Tat, wenn auch verborgen, angelegt waren.

2. Entschließt sich ein Jugendlicher spontan zur Mitwirkung an Straften Dritter, so liegt eine Würdigung als situationsbedingtes Versagen nahe, das der Annahme schädlicher Neigungen tendenziell entgegensteht.