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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Oktober 2010
11. Jahrgang
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1. Die planvolle GPS-Überwachung und die diesbezügliche Speicherung und Verwendung von Daten stellt einen Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens gemäß Art. 8 EMRK dar.
2. Ein solcher Eingriff kann auf der Grundlage eines Gesetzes erfolgen, das den Interessen der nationalen Ordnung und Sicherheit, der Verbrechensverhütung und des Schutz der Opferrechte im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK dient, auch wenn es keinen präventiven Richtervorbehalt aufstellt, sondern lediglich eine nachträgliche Kontrollmöglichkeit hinsichtlich der Legalität des Einsatzes und der erlangten Beweismittel besteht.
3. Die Unterwerfung eines Bürgers unter mehrere heimliche Überwachungsmaßnahmen verschiedener staatlicher Behörden stellt einen tiefer greifenden Eingriff dar, der einer höheren Rechtfertigungslast unterliegt. Die Anwendung des erst nach dem Scheitern anderer Ermittlungsmethoden angeordneten GPS-Einsatzes auf Ange-
hörige der „Antiimperialistischen Zellen“ war jedoch trotz der eingesetzten weiteren heimlichen Überwachungsmethoden zweier staatlicher Sicherheitsbehörden angesichts der hiermit verfolgten Aufklärung schwerster Straftaten noch verhältnismäßig und keine Totalüberwachung.
4. Zu den Anforderungen an die gesetzliche Grundlage im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK und Art. 7 EMRK.
1. Das Grundgesetz legt die deutsche öffentliche Gewalt programmatisch auf die internationale Zusammenarbeit (Art. 24 GG) und die europäische Integration (Art. 23 GG) fest und bindet sie darüber hinaus an das Völkervertrags- (Art. 20 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG) und Völkergewohnheitsrecht (Art. 20 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 25 GG). Es ist Ausdruck der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes, dass dieses nach Möglichkeit so auszulegen ist, dass ein Konflikt mit völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland nicht entsteht. Hieraus ergibt sich eine verfassungsunmittelbare Pflicht der deutschen Gerichte, einschlägige Judikate der für Deutschland zuständigen internationalen Gerichte zur Kenntnis zu nehmen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Dies gilt auch für die Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs auf dem Gebiet des Konsularrechts.
2. Inhaltlich bedeutet die Pflicht, die einschlägigen Entscheidungen des Internationalen Gerichtshofs zu berücksichtigen, dass sich die Fachgerichte mit seinen Ausführungen auseinandersetzen und gegebenenfalls abweichende eigene Auffassungen offenlegen müssen. In einem Abweichensfall muss dargelegt werden, warum Grundrechte Dritter oder sonstige Verfassungsbestimmungen ein Abweichen erforderlich machen (vgl. bereits BVerfGK 9, 174, 195 f.; BVerfGE 111, 307, 329).
3. Für die verfassungsrechtliche Berücksichtigungspflicht ist es von zentraler Bedeutung, dass das Fachgericht offenlegt, die einschlägige völkerrechtliche Judikatur zur Kenntnis genommen und sich mit ihr auseinandergesetzt zu haben. Geht es dann um die Frage, ob ein Fachgericht einer Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs auch den richtigen Inhalt beigemessen hat, kann ein Verstoß gegen die verfassungsrechtliche Berücksichtigungspflicht nur bei einer erkennbar fehlerhaften Rezeption angenommen werden. 4. Das faire Verfahren wird nicht nur durch die Normen der Strafprozessordnung, sondern auch durch völkervertragsrechtliche Vorschriften ausgestaltet. Innerhalb der deutschen Rechtsordnung stehen völkerrechtliche Verträge wie das Wiener Konsularrechtsübereinkommen, denen die Bundesrepublik Deutschland durch Zustimmungsgesetz beigetreten ist, nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG im Range eines Bundesgesetzes (vgl. BVerfGE 74, 358, 370; 111, 307, 317). Diese Rangzuweisung führt in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG dazu, dass deutsche Gerichte das anwendbare Völkervertragsrecht wie anderes Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden haben (vgl. nur BVerfGE 111, 307, 317).
5. Da nach der Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs im Fall Avena u.a. (= HRRS 2004 Nr. 342) im Rahmen der Überprüfung und Neubewertung von Schuldspruch und Strafausspruch in jedem Einzelfall untersucht werden muss, ob dem Betroffenen aus dem Verstoß gegen Art. 36 Abs. 1 WÜK im weiteren Verfahrensverlauf ein Nachteil entstanden ist, reicht es nicht aus, die Frage eines Beweisverwertungsverbotes allein unter dem Aspekt der Schutzrichtung der konsularrechtlichen Belehrung zu erörtern. Möglich ist jedoch eine Abwägung zwischen den Interessen des Beschuldigten und dem Strafverfolgungsinteresse entsprechend der verfassungsrechtlich unbedenklichen ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu nicht speziell geregelten Beweisverwertungsverboten (vgl. zu Verstößen gegen Belehrungspflichten BGHSt 47, 172 173 ff.; BGH NStZ-RR 2006, 181, 182; NStZ 2006, 236, 237; NStZ 2009, 281 f.).
5. An der festgestellten Grundrechtsverletzung vermag die Kompensationslösung auf der Strafvollstreckungsebene, die der Bundesgerichtshof gewählt hat, um den Völkerrechtsverstoß im innerstaatlichen Recht nicht ohne jede Konsequenz sein zu lassen, nichts zu ändern. Ob eine hinreichende Kompensation des Verstoßes gegen Art. 36 Abs. 1 Buchstabe b Satz 3 WÜK auf der völkerrechtlichen Ebene im Einzelfall in der Lage sein könnte, den Verstoß gegen das Grundrecht auf ein faires Verfahren durch die fehlende Berücksichtigung der einschlägigen Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs bei der Auslegung und Anwendung des Konsularrechtsübereinkommens auszuräumen, bleibt offen.
6. Die Auffassung, eine Verletzung des Belehrungsrechts aus dem Wiener Konsularrechtsübereinkommen betreffe nicht den Rechtskreis eines Mitbeschuldigten, für den das Belehrungsrecht selbst nicht gilt, ist aus dem Blickwinkel des Willkürverbotes (Art. 3 Abs. 1 GG) verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
7. Ob die Dauer eines Strafverfahrens noch angemessen ist, muss nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden. Dies erfordert es, dass ein Beschwerdeführer bei einer entsprechenden Rüge nicht nur
Angaben zur Verfahrensdauer, sondern auch substantiierte Ausführungen dazu macht, aus welchen Gründen diese Verfahrensdauer nach den konkreten Umständen des Verfahrens als unverhältnismäßig lang angesehen werden muss.
1. Erforderlich zur Rechtfertigung eines Eingriffs in die Unverletzlichkeit der Wohnung ist der Verdacht, dass eine Straftat begangen wurde. Das Gewicht des Eingriffs verlangt Verdachtsgründe, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen (vgl. BVerfGE 44, 353, 371 f.; 115, 166, 197 f.). Diesen Verdacht hat der für die vorherige Gestattung des Eingriffs oder dessen nachträgliche Kontrolle zuständige Richter eigenverantwortlich zu prüfen und dabei die Interessen des Betroffenen angemessen zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 103, 142, 151). Der besondere Schutz von Berufsgeheimnisträgern (§ 53 StPO) gebietet bei der Anordnung der Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei die besonders sorgfältige Prüfung der Eingriffsvoraussetzungen und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Die Strafverfolgungsbehörden haben dabei auch das Ausmaß der – mittelbaren – Beeinträchtigung der beruflichen Tätigkeit der Betroffenen zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 113, 29, 48 f.).
2. Dem erheblichen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Lebenssphäre des Betroffenen entspricht ein besonderes Rechtfertigungsbedürfnis nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Zwangsmaßnahme muss zur Ermittlung und zur Verfolgung der vorgeworfenen Tat erforderlich sein. Auch muss der jeweilige Eingriff in einem angemessenen Verhältnis zu der Schwere der Tat und der Stärke des Tatverdachts stehen (vgl. BVerfGE 59, 95, 97; 115, 166, 197). Im Einzelfall können die Geringfügigkeit der zu ermittelnden Straftat, eine geringe Beweisbedeutung der zu beschlagnahmenden Gegenstände sowie die Vagheit des Auffindeverdachts der Durchsuchung entgegenstehen (vgl. BVerfGE 115, 166, 198).
3. Auf Grund der Weite des Tatbestandes von § 84 Abs. 1 AsylVfG kann auch eine Rechtsberatung unkundiger Asylbewerber, die zulässigerweise darauf ausgerichtet ist, diese bei der Antragstellung zu unterstützen, in die Nähe einer strafbaren Handlung nach dieser Vorschrift geraten. Den besonderen Schwierigkeiten bei der Abgrenzung zwischen dem tatbestandlichen Handeln und einer zulässigen Rechtsberatung ist jedenfalls bei dem schwerwiegenden Eingriff der Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei dadurch Rechnung zu tragen, dass diese nur bei konkreten Hinweisen auf eine strafbare Handlung nach § 84 AsylVfG und nach sorgfältiger Prüfung der objektiven Umstände und des Vorsatzes vorgenommen wird.
1. Aus dem Blickwinkel des Willkürverbotes ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn von der fachgerichtlichen Rechtsprechung § 100h Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG als Rechtsgrundlage für eine anlassbezogene automatisierte Anfertigung von Bildaufnahmen von Kennzeichen und Fahrer zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr angesehen wird.
2. Anlassbezogene automatisierte Bildaufzeichnungen von Kennzeichen und Fahrern bei Unterschreitung des erforderlichen Sicherheitsabstandes als Maßnahmen der Verkehrsüberwachung stellen keine unverhältnismäßige Beschränkung grundrechtlicher Freiheiten dar.
3. Ein Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, das vor unbegrenzter Erhebung, Speicherung, Verwendung oder Weitergabe individualisierter oder individualisierbarer Daten schützt (vgl. BVerfGE 103, 21, 33 stRspr), liegt vor, soweit Kennzeichen von Kraftfahrzeugen (vgl. BVerfGE 120, 378, 400 f.) oder Fahrzeuginsassen (vgl. BVerfGK 10, 330, 336) durch die Anfertigung von Bildaufnahmen identifizierbar aufgezeichnet werden. Maßgeblich ist dabei auch, ob sich mit Blick auf den durch den jeweiligen Überwachungs- und Verwendungszweck bestimmten Zusammenhang das Interesse an den Daten bereits so verdichtet hat, dass bei einer Gesamtbetrachtung ein Betroffensein in einer den Grundrechtsschutz auslösenden Qualität zu bejahen ist (BVerfGE 120, 378, 398; m.w.N.). Begründet dagegen eine Datenerfassung keinen Gefährdungstatbestand, fehlt es an der Eingriffsqualität (vgl. BVerfGE 120, 378, 399; – vorliegend verneint für so genannte Übersichtsaufnahmen ohne Identifizierungsmöglichkeit).
1. Aus dem Blickwinkel des Willkürverbotes ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn von der fachgerichtlichen Rechtsprechung § 100h Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG als Rechtsgrundlage für eine anlassbezogene automatisierte Anfertigung von Bildaufnahmen von Kennzeichen und Fahrer zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr angesehen wird.
2. Anlassbezogene automatisierte Bildaufzeichnungen von Kennzeichen und Fahrer bei Geschwindigkeitsüberschreitungen als Maßnahmen der Verkehrsüberwachung stellen keine unverhältnismäßige Beschränkung grundrechtlicher Freiheiten dar.
1. Erforderlich zur Rechtfertigung eines Eingriffs in die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG) ist jedenfalls der Verdacht, dass eine Straftat begangen worden sei. Das Gewicht des Eingriffs verlangt Verdachtsgründe, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen. Ein Verstoß gegen diese Anforderungen liegt vor, wenn sich sachlich zureichende plausible Gründe für eine Durchsuchung nicht mehr finden lassen (vgl. BVerfGE 59, 95, 97; 117, 244, 262 f.). Eine Durchsuchung darf nicht der Ermittlung von Tatsachen dienen, die zur Begründung eines Verdachts erforderlich sind; denn sie setzt einen Verdacht bereits voraus (vgl. BVerfGK 8, 332, 336; 11, 88, 92).
2. Um der Funktion einer vorbeugenden Kontrolle der Durchsuchung durch eine unabhängige und neutrale Instanz (vgl. BVerfGE 57, 346, 355 f.; 103, 142, 155) gerecht zu werden, darf das Beschwerdegericht seine Entscheidung nicht auf Gründe stützen, die dem Ermittlungsrichter nicht bekannt waren. Prüfungsmaßstab bleibt im Beschwerdeverfahren die Sach- und Rechtslage zur Zeit des Erlasses des Durchsuchungsbeschlusses. Das Beschwerdegericht darf zur Begründung seiner Entscheidung daher keine Erkenntnisse heranziehen, die erst durch die Durchsuchung gewonnen wurden.
3. Für die Annahme eines für eine Durchsuchung ausreichenden Tatverdachts der Hehlerei (§ 259 StGB) genügt es nicht, wenn lediglich Erkenntnisse darüber vorliegen, dass jemand als Privatperson in kurzer Zeit eine große Anzahl von Mobiltelefonen (vorliegend 182), von denen einige originalverpackt gewesen sind, über die Internetplattform eBay versteigert und dabei Verkaufserlöse erzielt hat, die in der Regel unter dem Preis der billigsten Anbieter gelegen haben.