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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Januar 2010
11. Jahrgang
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1. Art. 5 Abs. 1 EMRK enthält eine abschließende Aufzählung legitimer Gründe für Freiheitsentziehungen. Eine Einschränkung der Freiheit der Person, die nicht unter einen oder mehrere dieser Gründe zu subsumieren ist, verstößt gegen Art. 5 EMRK.
2. Art. 5 Abs. 1 lit. a EMRK legitimiert nur Freiheitsentziehungen, die in einer substantiellen Verbindung mit der Verurteilung stehen. Dies ist im Fall der Aufhebung der früheren Zehnjahresfrist bei der Sicherungsverwahrung nicht gegeben, auch wenn dem Verurteilten im Urteil selbst keine Frist bestimmt wurde.
3. Art. 7 EMRK garantiert insbesondere das Prinzip nullum crimen, nulla poena sine lege. Er verbietet die rückwirkende Anwendung einer Strafnorm und ihre extensive Auslegung zum Nachteil des Angeklagten. Ein Strafgesetz, das Art. 7 EMRK genügen will, muss qualitativen Anforderungen genügen, die insbesondere seine Zugänglichkeit und die Vorhersehbarkeit umfassen. Diese Anforderungen gelten sowohl für die Definition der Tat als auch für die der Tat nachfolgenden Strafe.
4. Der Begriff der Strafe in Art. 7 EMRK ist autonom auszulegen. Um einen effektiven Schutz zu gewährleisten, ist nicht nur auf die Erscheinung (die Bezeichnung) einer Maßnahme zu blicken. Der Gerichtshof muss selbst würdigen, ob eine Maßnahme nach ihrer Substanz an Art. 7 EMRK zu messen ist. Ausgangskriterium ist dabei, ob die Maßnahme infolge der Verurteilung wegen einer Straftat auftritt.
5. Die Sicherungsverwahrung stellt eine Strafe im Sinne des Art. 7 EMRK dar. Sie ist auch nicht nur eine besondere Ausgestaltung des Vollzuges der Strafe im Sinne der Rechtsprechung des EGMR.
6. Sicherungsverwahrte nach deutschem Recht bedürfen im Vollzug dieser Strafe in besonderem Ausmaß psychologischer Fürsorge und Unterstützung.
1. Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch) ist dahin auszulegen, dass die Tatsache, dass eine unter Unterabs. 2 dieser Bestimmung fallende Person, die über eine Insider-Information verfügt, für eigene oder fremde Rechnung direkt oder indirekt Finanzinstrumente, auf die sich die Information bezieht, erwirbt oder veräußert oder dies versucht, vorbehaltlich der Wahrung der Verteidigungsrechte und insbesondere des Rechts, diese Vermutung widerlegen zu können, eine „Nutzung [dieser Information]“ im Sinne dieser Bestimmung durch die genannte Person impliziert. Die Frage, ob diese Person gegen das Verbot von Insider-Geschäften verstoßen hat, ist im Licht der Zielsetzung der Richtlinie zu prüfen, die darin besteht, die Integrität der Finanzmärkte zu schützen und das Vertrauen der Investoren zu stärken, das insbesondere auf der Gewissheit beruht, dass sie einander gleichgestellt und gegen die unrechtmäßige Verwendung einer Insider-Information geschützt sind. (EuGH)
2. Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2003/6 ist dahin auszulegen, dass der aus einem Insider-Geschäft resultierende Vermögensvorteil ein relevanter Gesichtspunkt für die Zumessung einer wirksamen, verhältnismäßigen und abschreckenden Sanktion sein kann. Die Methode für die Berechnung dieses Vermögensvorteils und insbesondere der dafür zugrunde zu legende Zeitpunkt oder Zeitraum richten sich nach dem nationalen Recht. (EuGH)
3. Art. 14 der Richtlinie 2003/6 ist dahin auszulegen, dass dann, wenn ein Mitgliedstaat neben den in dieser Bestimmung genannten im Verwaltungsverfahren zu erlassenden Sanktionen die Möglichkeit vorgesehen hat, eine Geldstrafe zu verhängen, bei der Zumessung der im Verwaltungsverfahren zu erlassenden Sanktion nicht die Möglichkeit und/oder die Höhe einer etwaigen späteren Geldstrafe zu berücksichtigen sind. (EuGH)
4. Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2003/6 verbietet Geschäfte unabhängig davon, ob sie vorsätzlich abgeschlossen werden. Dies bedeutet aber nicht, dass diese Bestimmung dahin auszulegen wäre, dass jeder über eine Insider-Information verfügende primäre Insider, der auf dem Markt ein Geschäft tätigt, automatisch unter das Verbot von Insider-Geschäften fällt. (Bearbeiter)
5. Der Grundsatz der Unschuldsvermutung steht der in Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2003/6 aufgestellten Vermutung, nach der sich der Vorsatz desjenigen, der ein Insidergeschäft tätigt, implizit aus den objektiven Tatbestandsmerkmalen dieses Verstoßes ergibt, nicht entgegen, sofern diese Vermutung widerlegbar ist und die Verteidigungsrechte gewahrt sind. (Bearbeiter)
6. Das in Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2003/6 normierte Verbot von Insider-Geschäften soll die Gleichheit der Vertragspartner bei einem Börsengeschäft gewährleisten, indem es verhindert, dass einer von ihnen, der über eine Insider-Information verfügt und deshalb einen Vorteil gegenüber den anderen Anlegern hat, daraus zum Nachteil der anderen, die diese Information nicht kennen, einen Nutzen zieht. (Bearbeiter)
7. Die Eignung zur spürbaren Kursbeeinflussung gemäß Richtlinie 2003/6 ist in erster Linie anhand des Inhalts der fraglichen Information und des Kontexts zu beurteilen, in den sie sich einfügt. Um festzustellen, ob eine Information eine Insider-Information ist, braucht nicht geprüft zu werden, ob ihr Bekanntwerden den Kurs der von ihr betroffenen Finanzinstrumente tatsächlich spürbar beeinflusst hat. (Bearbeiter)
8. Gemäß Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2003/6 haben die Mitgliedstaaten entsprechend ihrem jeweiligen innerstaatlichen Recht dafür sorgen, dass bei Verstößen gegen die gemäß dieser Richtlinie erlassenen Vorschriften gegen die verantwortlichen Personen geeignete Verwaltungsmaßnahmen ergriffen oder im Verwaltungsverfahren zu erlassende Sanktionen verhängt werden können. Dabei müssen die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass diese Maßnahmen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sind. Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2003/6 legt aber für die Beurteilung der Frage, ob eine Sanktion wirksam, verhältnismäßig und abschreckend ist, keine Kriterien fest. Die Definition dieser Kriterien ist daher Sache des nationalen Rechts. (Bearbeiter)
Auch im Fall der Feststellung eines Verstoßes gegen Art. 5 EMRK und Art. 7 EMRK durch eine menschenrechtswidrige Inhaftierung seitens des EGMR muss einem auf die Freilassung gerichteter Antrag auf eine einstweilige Anordnung nicht zwingend stattzugeben sein. Die gegen die Haft gerichtete Verfassungsbeschwerde ist nicht offensichtlich begründet.
1. Die Pflicht zur unverzüglichen Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung bei jeder nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung gemäß Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG gilt auch dann, wenn Art. 104 Abs. 3 Satz 1 GG (Vorführung spätestens am Tage nach der Festnahme wegen des Verdachts einer strafbaren Handlung vor den Richter) zur Anwendung kommt.
2. Bei der Frage, ob die richterlichen Entscheidung nach Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG „unverzüglich“ herbeigeführt wurde, kommt es nicht lediglich darauf an, dass die richterliche Entscheidung spätestens am Tag nach der Festnahme i.S.v. Art. 104 Abs. 3 Satz 1 GG erfolgt sei. Entscheidend ist vielmehr, ob eine sachlich begründete Verzögerung vorgelegen hat.
3. „Unverzüglich“ i.S.v. Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG ist dahingehend auszulegen, dass die richterliche Entscheidung ohne jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, nachgeholt werden muss (BVerfGE 105, 239, 249). Nicht vermeidbar sind zum Beispiel Verzögerungen, die durch die Länge des Weges, Schwierigkeiten beim Transport, die notwendige Registrierung und Protokollierung, ein renitentes Verhalten des Festgenommenen oder vergleichbare Umstände bedingt sind (vgl. BVerfGE 103, 142, 156; 105, 239, 249).
1. Bei der Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 StGB wird dem Vollstreckungsrichtern eine prognostische Gesamtwürdigung abverlangt, die keine Gewissheit künftiger Straffreiheit voraussetzt, sondern es mit einschließt, dass ein vertretbares Restrisiko eingegangen wird.
2. Die aus dem Freiheitsrecht nach Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG i.V.m. Art 104 Abs. 1 GG abzuleitenden Anforderungen richten sich insbesondere an die Prognoseentscheidung. Für deren tatsächlichen Grundlagen gilt von Verfassungs wegen das Gebot bestmöglicher Sachaufklärung (vgl. BVerfGE 70, 297, 309). Es verlangt, dass der Richter die Grundlagen seiner Prognose selbständig bewertet, verbietet mithin, dass er die Bewertung einer anderen Stelle überlässt. Darüber hinaus fordert es vom Richter, dass er sich um eine möglichst breite Tatsachenbasis bemüht und sich so ein möglichst umfassendes Bild über die zu beurteilende Person verschafft (vgl. BVerfGE 70, 297, 310 f.).
3. Zur Verletzung des verfassungsrechtlichen Gebots bestmöglicher Sachaufklärung bei fehlender Anhörung des Anstaltspsychologen, mit dem über einen längeren Zeitraum regelmäßig Gespräche zur Tat- und Deliktsaufarbeitung geführt worden sind.
1. Das verfassungsrechtlich in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verankerte Beschleunigungsgebot in Haftsachen (vgl. BVerfGE 46, 194, 195) verlangt, dass die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen (vgl. BVerfGE 20, 45, 50; 36, 264, 273). An den zügigen Fortgang des Verfahrens sind dabei umso strengere Anforderungen zu stellen, je länger die Untersuchungshaft schon andauert. Zur Durchführung eines geordneten Strafverfahrens und einer Sicherstellung der späteren Strafvollstreckung kann die Untersuchungshaft deshalb nicht mehr als notwendig anerkannt werden, wenn ihre Fortdauer durch vermeidbare Verfahrensverzögerungen verursacht ist (vgl. BVerfGE 20, 45, 50; 53, 152, 161 f.). Von dem Beschuldigten nicht zu vertretende, sachlich nicht gerechtfertigte und vermeidbare erhebliche Verfahrens-
verzögerungen stehen regelmäßig einer weiteren Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft entgegen.
2. Die mit Haftsachen betrauten Gerichte haben sich bei der zu treffenden Entscheidung über die Fortdauer der Untersuchungshaft mit deren Voraussetzungen eingehend auseinanderzusetzen und diese entsprechend zu begründen. In der Regel sind in jedem Beschluss über die Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft aktuelle Ausführungen zu dem weiteren Vorliegen ihrer Voraussetzungen, zur Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Beschuldigten und dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit sowie zur Frage der Verhältnismäßigkeit geboten.
3. Allein die Schwere der Tat und die sich daraus ergebende Straferwartung können bei erheblichen, vermeidbaren und dem Staat zuzurechnenden Verfahrensverzögerungen nicht zur Rechtfertigung einer ohnehin schon lang andauernden Untersuchungshaft herangezogen werden. Dabei ist nicht entscheidend, ob eine einzelne verzögert durchgeführte Verfahrenshandlung ein wesentliches Ausmaß einnimmt, sondern ob die vorliegenden Verfahrensverzögerungen in ihrer Gesamtheit eine Schwelle erreichen, die im Rahmen der Abwägung die Anordnung einer weiteren Fortdauer der Untersuchungshaft nicht mehr erlaubt.
4. Das Beschleunigungsgebot verliert seine Bedeutung auch nicht durch den Erlass des erstinstanzlichen Urteils. Es gilt für das gesamte Strafverfahren und ist auch im Rechtsmittelverfahren bei der Prüfung der Anordnung der Fortdauer von Untersuchungshaft zu beachten (vgl. BVerfGE 46, 194, 195; BVerfGK 5, 109, 117). Allerdings vergrößert sich mit der Verurteilung auch das Gewicht des staatlichen Strafanspruchs, da aufgrund der gerichtlich durchgeführten Beweisaufnahme die Begehung einer Straftat durch den Verurteilten als erwiesen angesehen worden ist.
1. Auch in dem absichtsvollen Unterlassen einer Regelung kann ein Gebrauchmachen von einer Bundeszuständigkeit liegen, das dann insoweit Sperrwirkung für die Länder erzeugt (vgl. BVerfGE 32, 319, 327 f.).
2. Der Bundesgesetzgeber kann im Bereich der im Strafgesetzbuch herkömmlich geregelten Materien Straftatbestände auch dort schaffen, wo ihm sonst durch den Zuständigkeitskatalog des Grundgesetzes Grenzen gezogen sind (vgl. BVerfGE 23, 113, 124; 98, 265, 312). Soweit diese Regelungen abschließend sind, verhindern sie ergänzendes oder abweichendes Landesrecht, das auf den Schutz desselben Rechtsguts gerichtet ist (vgl. BVerfGE 98, 265, 312).
3. Die Frage, ob und inwieweit der Bund von einer Zuständigkeit Gebrauch gemacht hat, kann im Einzelnen schwierig zu beantworten sein. Die Antwort ergibt sich dabei in erster Linie aus dem Bundesgesetz selbst, in zweiter Linie aus dem hinter dem Gesetz stehenden Regelungszweck, ferner aus der Gesetzgebungsgeschichte und den Gesetzesmaterialien.
4. Weder der Schutzzweck noch die Entstehungsgeschichte des § 304 StGB, nach dem die vorsätzliche rechtswidrige Beschädigung oder Zerstörung öffentlicher Denkmäler strafbar ist, lassen ohne Weiteres den Schluss zu, dass diese Regelung als abschliessend zu betrachten wäre, weshalb es dem Landesgesetzgeber verwehrt wäre, die – auch fahrlässige – Zerstörung eines privaten Denkmals unter Strafe zu stellen.
5. Zu den Darlegungsanforderungen in einer Richtervorlage.
Es erscheint durchaus naheliegend, dass bei einer Entscheidung im selbständigen Nebenverfahren nach § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO zum Zweck der nachträglichen Überprüfung einer bereits erledigten Ermittlungsmaßnahme (vorliegend einer ohne richterliche Anordnung erfolgten Durchsuchung), eine eigene Kostenentscheidung nach den §§ 464 ff. StPO zu treffen ist.
Einzelfall der Verletzung des Willkürverbotes durch die Anwendung eines zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung
nicht mehr gültigen Strafgesetzes (vorliegend Art. 1 § 8 Abs. 1 Nr. 1 RBerG i.V.m. Art. 1 § 1 Abs. 1 Satz 1 RBerG i.V.m. § 20 OWiG).