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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Januar 2010
11. Jahrgang
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1. Der vom 2. Strafsenat beabsichtigten Entscheidung, nach der die Aufhebung eines Urteils wegen eines Rechtsfehlers bei der Anwendung des § 67 Abs. 2 Satz 2 und 3 StGB i.d.F. des Gesetzes vom 16. Juli 2007 (BGBl. I 1327) auf einen nicht revidierenden Mitangeklagten gemäß § 357 Satz 1 StPO zu erstrecken ist, wenn sich die vom Tatrichter festgestellte voraussichtliche Dauer der Unterbringung nach § 64 StGB auch für den Mitangeklagten aus den Urteilsgründen ergibt und der Tatrichter bei dem Mitangeklagten ebenso wie beim Revisionsführer sich bei der Bemessung des vorab zu vollstreckenden Teils der Freiheitsstrafe entgegen § 67 Abs. 2 Satz 3 StGB nicht am Halbstrafenzeitpunkt orientiert hat, steht Rechtsprechung des 4. Strafsenats nicht entgegen.
2. Der 4. Strafsenat hat jedoch Bedenken gegen die vom 2. Strafsenat angestrebte Erstreckung:
a) Bei § 67 Abs. 2 StGB handelt es sich um eine dem Vollstreckungsrecht zuzuordnende Vorschrift. Schon deshalb ist zweifelhaft, ob seine fehlerhafte Anwendung eine „Gesetzesverletzung bei Anwendung des Strafgesetzes“ darstellt, wie sie § 357 Satz 1 StPO voraussetzt.
b) Da es dem (Vollstreckungs-)Gericht gemäß § 67 Abs. 3 Satz 1 StGB möglich ist, die Entscheidung nach § 67 Abs. 2 Satz 1, 2 StGB schon dann zu ändern, wenn „Umstände in der Person des Verurteilten es angezeigt erscheinen lassen“, ist der nur ausnahmsweise zulässige Eingriff in die Rechtskraft eines Urteils mit Hilfe des § 357 StPO (vgl. BGHSt 51, 34, 41) zur „Wahrung der materiellen Gerechtigkeit“ (vgl. Wohlers/Gaede NStZ 2004, 9, 10, 15 [zur Entstehungsgeschichte des § 357 StPO]) bzw. zur Durchsetzung der „Idee der materiellen Gerechtigkeit“ nicht geboten.
c) Da die Entscheidung darüber, in welcher Reihenfolge die Maßregel und die Strafe oder ein Teil derselben vollstreckt werden sollen, und die Feststellung der voraussichtlichen Therapiedauer auf individuellen, (nur) den jeweiligen Angeklagten betreffenden Erwägungen beruht, ist die Anwendbarkeit des § 357 StPO nicht zu befürworten.
1. Ein Hang im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB ist nicht nur bei dem Täter zu bejahen, der dauernd zu Straftaten entschlossen ist, sondern auch bei demjenigen, der aufgrund einer in seiner Persönlichkeit liegende Neigung immer wieder straffällig wird, wenn sich ihm die Gelegenheit bietet (vgl. BGH NStZ 2005, 265 f.; 2003, 201; BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 8). Eine Gelegenheitstat liegt nicht vor, wenn der Täter die Gelegenheit planvoll herbeiführt, indem er sich das Vertrauen seiner Opfer erschleicht.
2. Ebenso wenig ist Voraussetzung für die Annahme eines Hanges, dass die Straftaten zu Lasten einer Mehrzahl von Opfern begangen werden; ausreichend sind auch wiederholte Taten zu Lasten desselben, aus dem sozialen Umfeld des Täters stammenden Opfers (vgl. BGH NStZ 2008, 27). Schließlich steht auch eine Spätkriminalität einer Hangtäterschaft bei Sexualdelikten nicht grundsätzlich entgegen.
3. Soweit sich der Tatrichter bei der Erörterung der Gefährlichkeit des Angeklagten vom Sachverständigen herangezogene Prognoseinstrumente „Static 99", „die von Hare 1985 erarbeitete PCL (Psychopathy-Check-List) und den „SVR (Sexual-Violence-Risk) Kriterienkatalog“ zu eigen macht, genügt es nicht, lediglich anzugeben, welche Prozent- bzw. Punktwerte der Angeklagte als Testergebnis erreicht hat. Vielmehr ist in den Urteilsgründen im Einzelnen anzugeben, welche der maßgeblichen Kriterien bei dem Angeklagten erfüllt sind und welche nicht, um dem Senat eine Überprüfung der Gefährlichkeitsprognose zu ermöglichen (BGH StV 2008, 300).
4. Für die Gefährlichkeitsprognose ist zunächst grundsätzlich der Zeitpunkt der Aburteilung maßgeblich. Ob ein Angeklagter zum Entlassungszeitpunkt aus der Strafhaft noch gefährlich ist, ist regelmäßig vor Vollzugsende nach § 67 c Abs. 1 StGB zu prüfen. Zwar kann der Tatrichter auch bereits bei seiner Entscheidung nach § 66 Abs. 2 StGB den Wirkungen eines langjährigen Strafvollzugs und dem Alter des Angeklagten bei Strafentlassung Bedeutung beimessen, dies jedoch nur dann, wenn gleichzeitig eine Haltungsänderung des Angeklagten sicher zu erwarten ist (BGH NStZ 2002, 30 f.; 2005, 211; BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 3 und 6). Denkbare, aber nur erhoffte positive Änderungen im Strafvollzug bleiben einer Prüfung nach § 67 c Abs. 1 StGB vorbehalten (BGH NStZ-RR 2005, 337).
1. Nach § 246a Satz 1 StPO ist das Gericht verpflichtet, in der Hauptverhandlung einen Sachverständigen über den Zustand des Angeklagten zu vernehmen, wenn in Betracht kommt, dass dessen Unterbringung nach § 66 StGB angeordnet oder vorbehalten werden wird. Dabei genügt nach allgemeiner Auffassung bereits die Möglichkeit einer solchen Maßregelanordnung (BGH NStZ 1994, 95, 96). Das Tatgericht darf nicht einerseits die formellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung implizit bejahen und sich in den Urteilsgründen mit der Frage auseinandergesetzen, ob der Angeklagte infolge eines Hanges zur Begehung erheblicher Straftaten für die Allgemeinheit gefährlich ist, andererseits aber ohne die nach § 246a Satz 1 StPO zwingend vorgeschriebene Anhörung eines Sachverständigen entscheiden.
2. Die Beschränkung auf die Anordnung oder Ablehnung der Sicherungsverwahrung ist möglich, sofern zwischen ihr und der gleichzeitig verhängten Freiheitsstrafe kein untrennbarer Zusammenhang besteht (vgl. BGHSt 7, 101, 102 f.; 50, 188, 197; BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 6).
1. Die Orientierung an dem rechnerischen Mittel des Strafrahmens ist dem Wesen der Strafzumessung grundsätzlich fremd (vgl. BGH StV 2008, 175; BGH Beschluss vom 3. Dezember 2002 – 3 StR 406/02 – jeweils m.w.N.). Der Tatrichter muss die im Einzelfall zu beurteilende Tat in Ansehung aller strafzumessungsrelevanten Umstände ohne Bindung an weitere Fixpunkte als die Ober- und Untergrenze des Strafrahmens in den gefundenen Strafrahmen einordnen.
2. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass eine für sich gesehen nicht als schwer einzustufende Beleidigung dann als schwer bewertet werden kann, wenn sie nach einer Reihe von Kränkungen oder ehrverletzenden Situationen der „Tropfen“ war, der „das Fass zum Überlaufen“ gebracht hat (st. Rspr., vgl. BGH StV 1998, 131; NStZ-RR 1996, 259; NStZ 1983, 365; BGHR StGB § 213 1. Alt. Beleidigung 5, 8).
Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 StGB sind bei der Festsetzung der schuldangemessenen Strafe die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gehören dazu auch die berufs- und standesrechtlichen Folgen der Strafe (Senatsbeschluss vom 14. September 1982 – 4 StR 436/82 – NStZ 1982, 507; BGH, Urteil vom 3. Dezember 1996 – 5 StR 492/96 – NStZ-RR 1997, 195). Deshalb ist der Umstand, dass eine strafgerichtliche Verurteilung nach den Vorschriften des Beamtenrechts die Beendigung des Beamtenverhältnisses zur Folge hat, bei der Straffestsetzung regelmäßig als bestimmender Strafzumessungsgrund im Sinne des § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO zu erörtern (BGH, Beschluss vom 17. Oktober 1986 – 2 StR 501/86 – BGHR StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 2).