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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
November 2009
10. Jahrgang
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Von Prof. Dr. Christoph Gusy, Bielefeld *
Die Frage nach den Verwendungsregeln von Informationen, die rechtswidrig erhoben worden sind, zählt zu den Standardproblemen des Strafverfahrensrechts. Die Suche nach Antworten ist gegenwärtig möglicherweise offener denn je. Dies liegt nicht zuletzt an dem aktuellen Stand der öffentlich-rechtlichen Diskussion.[1] Sie ist kaum geeignet, zuverlässige und konsentierte Orientierungen zu vermitteln. Das Urteil bringt – aus der Perspektive eines sehr ungewöhnlichen Ausgangsfalls – einige neue Erkenntnisse, aber auch einige alte Fragen.
Das Bundesverfassungsgericht geht in einer Serie von Beschlüssen davon aus, dass die Bewältigung der Folgen rechtswidriger Beweiserhebung grundsätzlich eine Aufgabe des Gesetzgebers und der Fachgerichte sei.[2] Insbesondere wird die Geltung eines grundgesetzlichen Rechtssatzes verneint, wonach im Falle einer rechtswidrigen Beweiserhebung die Verwertung der gewonnen Beweise stets unzulässig sei. Ein solcher Rechtssatz könne daher dem Strafprozessrecht vom Grundgesetz auch nicht vorgegeben sein. Die Auffassung der Strafgerichte, wonach im Einzelfall eine Abwägung zwischen dem Strafverfolgungsinteresse und -anspruch einerseits sowie den betroffenen Grundrechten andererseits geboten und zulässig sei, wird nicht beanstandet. Ein Beweisverwertungsverbot s ei jedenfalls erst geboten, wenn "die zur Fehlerhaftigkeit der Ermittlungsmaßnahme führenden Verfahrensverstöße schwerwiegend waren oder bewusst oder willkürlich begangen wurden."[3] Diese ursprünglich dem Strafprozessrecht entnommene Schwereformel wird inzwischen als die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts angesehen und ihrerseits von den Fachgerichten zugrunde gelegt. So zutreffend der genannte Ausgangspunkt sein mag, wonach nicht jede (!) Verletzung von Form- oder Verfahrensvorschriften bei der Informationserhebung ein Verwertungsverbot begründet, so überprüfungsbedürftig ist doch die daraus hergeleitete Konsequenz, dass die Rechtsverletzung stets eine schwerwiegende sein müsse. Was zunächst wie ein Bagatellvorbehalt anmutete, wird so ohne Begründung zu einem Qualifikationstatbestand von Eingriffsmaßnahmen, dem nicht nur die verfassungsrechtliche Begründung, sondern insbesondere auch die Leistungsfähigkeit als Abgrenzungskriterium weitgehend abgeht. So hat die bisherige Rechtsprechung weder befriedend gewirkt noch konsentierte Maßstäbe herausgearbeitet.
Partiell wird auf den Rang des jeweiligen Richtervorbehalts in der Normenhierarchie abgestellt: Danach sollen grundgesetzlich angeordnete Vorbehalte eher als einfach-gesetzliche zum rechtsstaatlichen Mindestbestand eines fairen Strafverfahrens zählen.[4] Doch reicht diese Differenzierung allein offenbar nicht aus, wenn auch im Anwendungsbereich des Art. 13 Abs. 2 GG nicht stets ein Verwertungsverbot bejaht wird.[5] Auch die Qualifikation ungeschriebener verfassungsrechtlicher Vorbehalte[6] ist
hier noch offen. Im Falle eines Rechtsverstoßes wird von den ordentlichen Gerichten nicht selten weiter differenziert, und zwar sowohl nach der Schwere des Eingriffs wie auch nach der Intensität des Rechtsverstoßes. Wird etwa durch interne polizeiliche Anweisung die Einholung gesetzlich vorgeschriebener richterlicher Entscheidungen ausnahmslos untersagt, so kann dies ein Verwertungsverbot im Einzelfall begründen. Bei sonstiger Unterlassung wird weiter differenziert: Wenn ein den Beamten bekannter Richtervorbehalt "völlig missachtet" wird, "gerade so, als ob die Vorschrift gar nicht existierte", so könne sie ein Verwertungsverbot begründen.[7] Ein solcher Fall wird aber nicht stets angenommen, wenn "die Polizeibeamtin sich darauf beruft, die Anordnung der Blutentnahme durch Polizeibeamte an ihrer Dienststelle sei gängige Praxis."[8] Die schwer zu erkennende Differenzierung führt dann zu der Folgefrage, ob der Rechtsverstoß bewusst oder willkürlich begangen worden ist. Dabei kann es auf die Frage, mit welchem Grad an Wahrscheinlichkeit eine richterliche Anordnung ergehen würde, kaum ankommen:[9] Die Zulassung polizeilicher Prognosen über diesen Umstand würde den Schutzzweck der Richtervorbehalte weitgehend entwerten. Stattdessen wird eher auf "fehlendes Problembewusstsein" und "irrige Rechtsauffassung"[10] abgestellt, die allerdings wohl allein in rechtlichen Übergangssituationen herangezogen werden können. Ansonsten läge es in der Hand der Behörden, durch (unterlassene oder einseitige) Aus- oder Fortbildung ihrer Mitarbeiter den Grad ihrer Rechtsbindung zu beeinflussen. Doch schließt der Grundsatz vom Vorrang des Gesetzes gerade aus, dass die Adressaten einer Rechtsnorm über Inhalt und Umfang ihrer Bindung selbst disponieren. Als letztes Kriterium bleibt dann die im Einzelfall schwer aufklärbare Frage, ob "der Richtervorbehalt bewusst und gezielt umgangen bzw. ignoriert wird oder wenn die den Richtervorbehalt begründende Rechtslage in gleichgewichtiger Weise gröblich verkannt bzw. fehlerhaft beurteilt" wird.[11] Schließlich findet sich auch eine gewisse Kritik der Rechtsprechung von einzelnen Richtervorbehalten,[12] verbunden mit dem Hinweis auf die relative Geringfügigkeit des Grundrechtseingriffs.[13] Diese Rechtsprechung ist wenig geeignet, die Durchsetzung der Richtervorbehalte auch im Bewusstsein der Ermittlungsbehörden zu stärken und Rechtsklarheit herzustellen.
Ein Blick auf den Meinungsstand im Öffentlichen Recht ist gleichfalls kaum in der Lage, nähere Aufklärung zu vermitteln. Hier wird schon die Fragestellung offenbar nicht primär als eigene, sondern eher als eine solche des Strafverfahrensrechts angesehen.[14] Die älteren Lehren vom Folgen- und Folgenbeseitigungszusammenhang rechtswidriger Datenerhebung oder -verarbeitung[15] werden immer seltener diskutiert und fortentwickelt. Ein Grund hierfür mag der procedural turn im Datenschutzrecht sein: Seitdem werden Fragen der Informationsverarbeitung eher als solche des korrekten Informationsmanagements gesehen. Aus dieser Sicht sind Rechtsfolgen unzulässiger Datenerhebung dann eher Speicherungs- oder Übermittlungsverbote, Löschungs- oder Vernichtungsgebote. Die Frage nach der möglichen Verwendung rechtswidrig erhobener, gespeicherter oder übermittelter Daten gilt aus jener Sicht eher als old-fashioned. Fest steht aber wohl: Materielle und formelle Rechtsfragen, also das korrekte Informationsverwaltungsrecht und das materielle Informationsverwendungsrecht, sind nicht einfach identisch, sondern jede für sich und unter im Einzelfall möglicherweise divergierenden rechtlichen Bedingungen zu beantworten. Für das Verwendungsrecht wird der Meinungsstand hierzu jüngst kurz und knapp so resümiert: "Soweit eine Heilung (des Rechtsfehlers) nicht möglich ist, muss man mit einer normgeleiteten Abwägung operieren. Dafür kann man allgemein geltende, allerdings gegebenenfalls bereichspezifisch auszufüllende Kriterien anführen: Auf der einen Seite fließen Inhalt, Umfang und Gewicht der Rechtsgüter oder der öffentlichen Belange ein, die im Falle einer Rechtswidrigkeit der weiteren Verarbeitung der Daten nicht geschützt oder realisiert werden könnten. Auf der anderen Seite spielen das überindividuelle Interesse an der Rechtmäßigkeit exekutiven Handelns ("Disziplinierungsgedanke"), die Schutzfunktionen des Tatbestandselements, gegen das verstoßen worden ist, die Schwere der Rechtsverletzung sowie die Schutzwürdigkeit des individuell Betroffenen eine Rolle."[16] Dies gibt den Stand der Diskussion wohl zutreffend wieder, ist aber im Einzelfall von Behörden und Gerichten nicht immer einfach zu operationalisieren.
Als mögliche Parameter zur Konkretisierung jener Ideen bei der Gesetzesanwendung werden etwa genannt:
- phasenübergreifende gesetzliche Regeln für Datenverarbeitungsprozesse (etwa: der Gedanke der Zweckbindung), und zwar entweder allgemeiner oder aber bereichsspezifischer Art; der Kausalitäts- bzw. Rechtswidrigkeitszusammenhang, namentlich die Möglichkeit hypothetischer Ersatz- oder Wiederholungseingriffe;
- das Übermaßverbot;
- der Grundgedanke der Heilbarkeit bestimmter Verfahrensfehler sowie der Unbeachtlichkeit anderer Verfahrensrechtsverstöße.[17]
Jene Kriterien sollen bereichs- und einzelfallabhängige Entscheidungsfreiräume für die Fachgerichte eröffnen, diese aber umgekehrt auch eingrenzen. Sie sind gewiss allgemein genug, um über den unmittelbaren Bereich des Verwaltungsrechts hinaus auch in anderen Rechtsgebieten Anwendung zu finden.
Vor diesem Hintergrund steht das hier besprochene Urteil des BGH. Sein expliziter Ausgangspunkt ist die These vom "Überwiegen der Belange der Allgemeinheit, insbesondere des öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung – einem Prinzip mit Verfassungsrang (BVerfGE 44, 353, 374; BVerfG StV 1985, 177)" (Rn. 47, 51). Wenn dieses Prinzip "überwiegt", entsteht daraus nahezu zwangsläufig ein Regel-Ausnahme-Verhältnis: Die Verwendung erlangter Informationen, ist die rechtlich allgemein vorausgesetzte oder angeordnete Regel, das Verwendungsverbot die rechtlich begründungsbedürftige Ausnahme (so explizit Rn. 47). Solche Ausnahmen sucht der BGH mangels allgemeiner Regelungen durch Auslegung der strafprozessualen Einzelbestimmungen für die hier vorliegende Konstellation, namentlich des § 100d Abs. 5 (Nr. 3) StPO, zu gewinnen. Dieser enthält explizit einzelne Verwendungsverbote, andere hingegen – mehr oder weniger planmäßig – nicht. Dabei darf die im entschiedenen Einzelfall einschlägige Konstellation als durchaus atypische Konstellation gelten, welche nicht in jeder konkreten Einzelfallregelung Berücksichtigung finden kann und muss: Hier hatte der BGH über einen Fall der partiellen Verfassungswidrigkeit einer Informationserhebungsbefugnis des Polizeirechts während der Andauer eines vom BVerfG für parallele Gesetze gesetzten Übergangsfrist unter der faktischen Prämisse zu entscheiden, dass der vom BVerfG festgestellte Verfassungsverstoß in den geltenden Ermächtigungsnormen möglicherweise keine Auswirkungen auf die im Einzelfall durchgeführten Wohnungsüberwachungen hatte. Um so wichtiger ist dann die rechtliche Geltung und inhaltliche Feststellbarkeit allgemeiner Verwendungsregeln, die aber vom Gesetzgeber bislang nicht erlassen worden sind. Die tastenden Versuche differenzierender Einzelregelungen deuten bislang eher darauf hin, dass der Gesetzgeber entweder nicht von einem allgemein verbindlichen Gesamtkonzept von Informationsverwendungsregeln ausgeht oder aber ein solches jedenfalls bislang nicht in Gesetzesform verbindlich machen will.
Jener Ausgangspunkt ist verfassungsrechtlich zumindest diskussionsbedürftig. Der Zweck des Strafverfahrens mag verfassungsrechtlich vorgegeben sein; die Rechte der Beteiligten und Betroffenen sind es aber auch. Beide Interessen sind sowohl zur Verwirklichung individueller wie auch kollektiver Rechtspositionen vorgegeben und stehen daher verfassungsrechtlich gleichrangig nebeneinander, nicht hingegen in einem Verhältnis von Vor- und Nachrangigkeit, welches dann das geschilderte Regel-Ausnahme-Verhältnis begründen könnte. Die ältere, bisweilen noch von der Diskussion um die Abwehr und Aburteilung des RAF-Terrorismus überschattete Rechtsprechung samt den von ihr verwendeten allgemeinen Formeln kann gegenwärtig jedenfalls nicht mehr ohne Weiteres als Beleg für das Gegenteil herangezogen werden.[18] Inzwischen haben sich sowohl die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung wie auch die Verfassungsrechtswissenschaft erheblich pluralisiert.[19] Der Schluss vom Zweck auf die Mittel begründet für sich keine Eingriffsrechtfertigung mehr. Dies entspricht auch dem Sinn und Zweck des Strafverfahrensrechts: Der StPO geht es nicht darum, durch zahlreiche Form- und Verfahrensregelungen, materiellrechtliche Eingriffsschranken und Befugnisgrenzen das grundgesetzlich anerkannte "öffentliche Interesse an der Strafverfolgung" zu beeinträchtigen, sondern vielmehr dieses Interesse in seiner grundgesetzlich geschuldeten Form zu verwirklichen. Strafverfolgung nach Maßgabe und in den Grenzen von Verfassung und verfassungskonformen Gesetzen – dies zu ermöglichen und zu garantieren, ist Sinn und Zweck des Strafverfahrensrecht, seiner Befugnisse und Grenzen insgesamt. Grundgesetz und Strafprozessordnung wollen den staatlichen Strafanspruch nicht ver- oder behindern, sondern rechtsstaatlich ermöglichen und organisieren. Verfassungsrechtlich gesprochen ist die Durchführung des Strafverfahrens zur Verwirklichung des staatlichen Strafanspruchs demnach nicht die Voraussetzung, sondern das Ergebnis eines grundgesetzkonformen Strafprozesses auf der Grundlage eines grundgesetzkonformen Strafprozessrechts. Zugegeben: Diese Feststellung mag derart banal sein, dass man sie als Verfassungsrechtler nicht ohne Not den Fachgerichten und -wissenschaftlern des Strafprozessrechts zumuten sollte. Aber dahinter steckt der daraus herzuleitende methodische Gedanke: Die Abwägung zwischen dem Recht des Prozesses einerseits und demjenigen seiner Beteiligten und Betroffenen andererseits hat aus grundgesetzlicher Perspektive vom Prinzip der Gleichrangigkeit der Rechtsgüter auszugehen.[20] Danach wäre sie also vom Grundgesetz her offener als dies vom BGH zugrunde gelegt worden ist.[21] Rechtfertigungsbedürftig wäre dann nicht bloß das Verwendungsverbot, sondern gleichermaßen die Verwendungsbefugnis. Es versteht sich keineswegs von selbst, dass eine rechtswidrig erhobene Information wie eine rechtmäßige weiterverarbeitet und -verwendet wird. Dem können nicht nur Sinn und Zweck des Erhebungs-
verbots, sondern auch der Gedanke der Folgenbeseitigungspflicht und der Effektivierung des staatlichen Datenverarbeitungs- und -schutzrechts entgegenstehen.
Was wären die Konsequenzen im Einzelfall?
(1) Sie lägen zunächst darin, dass die Frage nach den Verwendungsverboten nicht ausschließlich aus den geltenden grundgesetzlichen oder gesetzlichen Verwertungsgrenzen als Ausnahmebestimmungen zu beantworten wäre. Vielmehr stellt sich die Frage ihrer Weiterentwicklung als eigenständige Aufgabe von Gesetzgebung und Rechtsprechung dar. Dabei wäre letztere nicht allein intra legem (Art. 20 Abs. 3; 97 Abs. 1 GG), sondern auch darüber hinaus zu einer verfassungsgeleiteten Rechtsfortbildung berechtigt und verpflichtet. Insbesondere ist die Rechtsprechung nicht auf die expliziten Beweisverwendungsregeln der StPO festgelegt.
(2) Sie lägen weiter darin, dass die vom BGH anerkannten Verwendungsgrenzen der Überschreitung gesetzlicher Beschränkungen (Rn. 52), der "bewussten" Umgehung des Gesetzes (Rn. 58) und der Verletzung besonders hochrangiger Informationserhebungsgrenzen aus dem Grundgesetz begründet und hinsichtlich ihrer Reichweite geklärt werden könnten und müssten. Verfassungsverwirklichung könnte dann eben nicht nur die Informationsverwendung, sondern auch ihre Nichtverwendung sein. Am Beispiel: So ist etwa im Anwendungsbereich des Art. 13 Abs. 2 GG die Notwendigkeit eines gerichtlichen Durchsuchungsbeschlusses die Regel und nicht die Ausnahme der Informationserhebung. [22] Dieser Umstand kann für die Frage nach der Verwendbarkeit ohne einen solchen Beschluss erhobener Informationen nicht ohne Bedeutung bleiben. Jedenfalls darf jene konkrete Regel des GG auf der Verwendungsebene nicht durch entgegengesetzte allgemeine Regel-Ausnahme-Verhältnisse außer Kraft gesetzt werden. Dies gilt erst recht, wenn der edukatorische Effekt von Rechtsnormen und ihrer Anwendung Berücksichtigung findet. Ihm kommt im Kontext polizeilicher Aufklärungsmaßnahmen eine gesteigerte Bedeutung zu, da hier der nachträgliche Rechtsschutz regelmäßig auf vollendete Tatsachen trifft. Die Garantie von Rechtsbindung und Rechtsdurchsetzung durch Kontrollverfahren ist regelmäßig kaum möglich. Umso wichtiger ist die Durchsetzung eigenverantwortlicher und "freiwilliger" Normdurchsetzung bei den Behörden im Wege des – auch sanktionsbewehrten – Lernens. Wohlgemerkt: Dies hängt an der wahrgenommenen Aufgabe, nicht an der sie wahrnehmenden Stelle. Es geht um die Besonderheiten heimlicher Informationserhebung durch Grundrechtseingriffe, nicht um die Besonderheiten gerade der Polizei.
(3) Und sie lägen nicht zuletzt darin, dass die so näher hergeleiteten – und ggf. weitere, noch herzuleitende – Verwendungsregeln den Gerichten und Behörden klarere Anhaltspunkte für ihre Rechtsanwendung vermitteln könnten. Dann könnte auch ein System strafprozessualer Beweiserhebungs- und -verwendungsrechte entstehen. Doch liegt nahe, dass ein solches System eher am Ende als am Anfang eines solchen Diskussionsprozesses stehen kann.
Das hier besprochene Urteil enthält auch zahlreiche Passagen, denen aus der Sicht des Öffentlichen Rechts zugestimmt werden kann. Wenn sich die Informationserhebung nach dem Polizeirecht richtet, so ist deren Rechtmäßigkeit auch nach polizeirechtlichen Grundsätzen zu überprüfen (Rn. 61 ff.) Hier hat sich die Dogmatik zum Gefahraufklärungseingriff – und um einen solchen ging es hier – allerdings über den in Rn. 62 mitgeteilten Stand hinaus entwickelt.[23] Der Informationstransfer aus dem Polizei- in das Strafprozessrecht ist grundsätzlich zulässig. Die Zulässigkeit der Verwendung so transferierter Daten richtet sich grundsätzlich nach dem Strafprozessrecht (Rn. 31 ff.), soweit und solange sichergestellt ist, dass im Einzelfall weder rechtliche Erhebungsgrenzen des Polizei- noch des Strafprozessrechts umgangen werden.[24] Informationen, welche zur Aufklärung schwerer Straftaten erhoben werden dürfen, dürfen auch nur zur Aufklärung schwerer Straftaten übermittelt und verwendet werden.[25] Bei der Verwendung präventiv-polizeilich erhobener Daten zu repressiven Zwecken muss dieser Grenze sinnhaft Genüge getan werden. Dies ist hier geschehen.
Somit bleibt die Frage nach den Folgen der partiellen Verfassungswidrigkeit des § 29 RPPOG a.F. Dieser hielt zwar die äußeren Befugnisgrenzen des Art. 13 Abs. 4 GG ein (Rn. 38), ihm fehlten jedoch Regelungen hinsichtlich der Schutzes des unantastbaren Kernbereichs der Privatsphäre und des zu seinem Schutz notwendigen Verfahrens. Im Lauschangriffsurteil hat das BVerfG für einen Parallelfall (§§ 100c, 100d, 101 StPO) die Grundgesetzwidrigkeit gerügt, aber keine Nichtigkeit erklärt und zugleich eine Übergangsfrist gesetzt. Die allgemeinen Folgen einer solchen Erklärung sind extrem umstritten.[26] Das Meinungsspektrum reicht vom grundsätzlichen Anwendungsverbot der betroffenen Norm bis hin zu ihrer weiteren Anwendungsanordnung, ggf. unter be-
stimmten Bedingungen. Das BVerfG verweist stets auf den Kontext der konkreten Entscheidung und das Bedürfnis nach Herstellung eines verfassungsgemäßen Zustandes. Von daher erscheint der Schluss vertretbar: Wenn – wie im Lauschangriffsurteil[27] – schon kein Anwendungsverbot im Kontext der von dem Urteil unmittelbar betroffenen StPO ausgesprochen wurde, so entsteht ein solches auch nicht eo ipso hinsichtlich anderer, nicht betroffener Gesetze. Dies gilt umso mehr, als die maßgeblichen Verfassungsnormen – Art. 13 Abs. 3 GG einerseits, Art. 13 Abs. 4 GG andererseits – gewisse inhaltliche Differenzen aufweisen. Der Kernbereichsschutz war also in materiell- wie in verfahrensrechtlicher Hinsicht intra legem unmittelbar aufgrund des Art. 13 GG in der Auslegung des BVerfG sicherzustellen. Das ist zwar keine verfassungskonforme Auslegung, wohl aber verfassungsgeleitete Auslegung. Entscheidend war hier, dass die handelnden Behörden jene Anforderungen nach den Feststellungen der Instanzgerichte offenbar erfüllt hatten (Rn. 74 ff.). Wäre dies nicht der Fall gewesen, hätte allerdings ein Informationserhebungsverbot – und dann wohl auch ein Verwendungsverbot – vorgelegen. Ähnliches hätte nach Ablauf der vom BVerfG gesetzten Übergangsfrist gegolten.
Es sind also eher die verwendeten Obersätze und die angewandten Methoden, welche das vorliegende Urteil als so diskussionswürdig erscheinen lassen. Ein weiteres Mal zeigt sich: Datenschutzrecht stellt weniger neue Probleme; es stellt vielmehr die alten Probleme neu. Hier bedürfen sie nicht nur neuer Lösungen, sondern auch neue Wege zur Lösungsfindung. Der vorliegende Fall war aufgrund seiner Gestaltung im Einzelfall hierfür vielleicht nicht optimal. Umso wichtiger ist es, die in ihm liegenden rechtlichen Weichenstellungen zu reflektieren.
* Der Autor ist Professor für Öffentliches Recht an der Universität Bielefeld.
[1] Das Thema ist dort wieder, aber auch erst jetzt überaus aktuell. S. zuletzt Dallmeyer HRRS 2009, 429; Schwabenbauer NJW 2009, 3207 (beide m.w.N.).
[2] BVerfG NJW 2008, 3053, 3054 ; jüngst BVerfG, Beschluss vom 2. Juli 2009 - 2 BvR 2225/08 = HRRS 2009 Nr. 648 . Zu Folgefragen etwa Daleman/Heuchemer JA 2003, 430.
[3] BVerfGE 113, 29, 61; NJW 1999, 273, 274; NJW 2006, 2684, 2686; Beschluss vom 2. Juli 2009 (Fn. 2).
[4] BVerfG NJW 2008, 3053, 3054 = HRRS 2009 Nr. 221. Ähnlich OLG Hamm NStZ-RR 2009, 185 f.
[5] So jedenfalls BVerfG, Beschluss vom 2. Juli 2009 (Fn. 2).
[6] Dazu o. II.
[7] OLG Dresden NJW 2009, 2149.
[8] OLG Bamberg NJW 2009, 2146, 2148.
[9] Anders aber OLG Köln NStZ 2009, 406, 408. Umgekehrter Fall: OLG Hamm StV 2007, 69.
[10] OLG Köln (Fn. 9).
[11] OLG Bamberg (Fn. 8). Siehe auch BGHSt 51, 285 = HRRS 2007 Nr. 463; LG Berlin DAR 2008, 534 ("Willkür").
[12] OLG Hamm (Fn. 9) ("Massengeschäft").
[13] OLG Hamburg NJW 2008, 2597; OLG Köln (Fn. 9).
[14] Jedenfalls findet sich bei Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 54. A. (2007), die Problematik allein im Kapitel über "Polizeihandeln im Strafverfahren" (Frister ebd., S. 768 ff.), nicht hingegen in dem Kapitel über Informationsverarbeitung im Polizei- und Strafverfahrensrecht (Petri ebd., S. 825 ff.). Ganz unterbelichtet ist die Fragestellung allerdings leider auch bei Gusy, Polizei- und Ordnungsrecht, 7. A. (2009), Rn. 179 ff., 268 ff.
[15] Zu ihnen etwa noch Gusy DÖV 1980, 431; Eberle, in GS Martens (1985), S. 351; ganz grundlegend Stoermer, Dogmatische Grundlagen der Verwertungsverbote (1992).
[16] Albers, in Hoffmann-Riem u.a. (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts II (2008), § 22 Rn. 143 (m.w.N.). Grundlegend für das prozedurale Paradigma dies., Informationelle Selbstbestimmung (2005); dies., Die Determination polizeilicher Tätigkeit in den Bereichen der Straftatenverhütung und der Verfolgungsvorsorge (2001).
[17] Der zuletzt genannte Grundgedanke findet sich explizit in §§ 45 f. VwVfG; Kriterien nach Albers, Grundlagen (Fn. 16) m.w.N.
[18] BVerfGE 44, 353, aus dem Jahre 1977, aber nicht zu einem RAF-Thema. Übrigens ist in den Entscheidungsgründen selbst von einem Regel-Ausnahme-Verhältnis zugunsten der "Aufrechterhaltung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege" und zulasten der Grundrechte Betroffener keine Rede. S. nun aber BVerfG HRRS 2009 Nr. 648, wo offenbar gleichfalls ein Regel-Ausnahmeverhältnis postuliert wird. Darin liegt vielleicht eher eine "Geburt" als eine "Wiedergeburt" auf Verfassungsebene.
[19] Vgl. dazu nur Amelung/Wirth StV 2002, 161; Gusy StV 2002, 153 (beide m.w.N.).
[20] Darstellung und Kritik von Gegenauffassungen bei Dallmeyer (Fn. 1), S. 432 f.
[21] S. noch Rn. 47 am Anfang, wo noch relativ offen formuliert worden ist. Im Laufe dieser Rn. wird der Abwägungsprozess immer mehr und weiter als hier eingeschränkt.
[22] BVerfGE 103, 142. Restriktiv zum Folgenmangement möglicherweise nun aber BVerfG HRRS 2009 Nr. 648; dagegen Dallmeyer (Fn. 1).
[23] Dies gilt umso mehr, als der unter Bezug auf BVerfGE 17, 232, 251 f. mitgeteilte Satz (dringende Gefahr liegt auch vor, wenn "die Beschränkung des Grundrechts dem Zweck dient, einen Zustand nicht eintreten zu lassen, der seinerseits eine dringende Gefahr ... darstellen würde.") möglicherweise für Gefahrbeseitigungseingriffe Anwendung finden kann. Doch ging es hier erst einmal um die Aufklärung einer Situation im Hinblick auf das mögliche Vorliegen dringender Gefahren. Dieser Eingriff verhindert selbst noch nichts und ist daher als vorgelagerte Maßnahme nur unter zusätzlichen Voraussetzungen zulässig. Ob diese im Einzelfall vorlagen, kann aus dem Urteil nicht vollständig geklärt werden liegt aber unter Zugrundelegung von Rn. 62 a.E., 63 eher nahe.
[24] Dies wiederum richtet sich nach Polizeirecht; insoweit zutr. Wolter in SK-StPO, Losebl. (60. Lfg. 2009), § 100d Rn. 64; in solchen Fällen könnten tatsächlich die in Rn. 32 a.E. als "nicht stimmig" bezeichnete Konsequenzen auftreten.
[25] Grundsätzlich BVerfGE 100, 313, 388 ff.; dort auch zu den verfahrensrechtlichen Folgerungen (am Beispiel der Kennzeichnungspflicht).
[26] Überblick bei Blüggel, Unvereinbarkeitserklärung statt Normkassation durch das Bundesverfassungsgericht (1998).
[27] BVerfGE 109, 279, 381.