HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

November 2009
10. Jahrgang
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Schrifttum

Martin Müller : Probleme um eine gesetzliche Regelung der Absprachen im Strafverfahren; Erlanger Juristische Abhandlungen für Anwaltsrecht und Anwaltspraxis, Bd. 4, 509 Seiten, 98 €; Carl Heymanns, Köln 2008.

Nachdem das Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29.7.2009 am 3.8.2009 verkündet (BGBl. I S. 2353) verkündet und am 4.8.2009 in Kraft getreten ist, scheint eine Arbeit, die umfassend Probleme einer gesetzlichen Regelung untersucht, überholt zu sein. Müller führt dazu in der Einleitung aus, der Gesetzgeber stehe in der Pflicht, eine in sich stimmige, konsequente und kohärente Lösung der Absprachen zu schaffen. Er nimmt an, die Regelung im Gesetz werde einen Meilenstein setzen und der Diskussion ein neues Gesicht geben. Deshalb könne ein erheblicher Teil der Literatur zum "vielversprechenden Kandidaten für eine Verlegung in die rechtshistorische Abteilung der Bibliothek werden" (S. 4). Hätte der Gesetzgeber einen "Meilenstein" gesetzt und wäre ihm eine überzeugende Lösung gelungen, dann müsste sich eine Besprechung darauf konzentrieren, ob vom Verf. erörterte Vorschläge ihren Niederschlag im Gesetz gefunden haben. Da die zentrale Vorschrift des § 257c StPO von einer stimmigen und konsequenten Lösung weit entfernt ist, verdienen die Überlegungen Müllers de lege ferenda weiterhin Aufmerksamkeit.

Seine Abhandlung beschränkt sich auf verfahrensbeendende Urteilsabsprachen (S. 20). Sie streift deshalb nur kurz andere "konsensorientierte Verfahrensweisen" (S. 11 ff.). Dies ist vernünftig, weil nahezu alle Vorschläge für eine gesetzliche Neuregelung keine vorsichtige Fortentwicklung der bislang schon gesetzlich ermöglichten einvernehmlichen Verfahrensbeendigungen vorgesehen haben, sondern sämtliche Verfahren von leichten Verge-

hen bis zum Mord erfassen wollten. Der Gesetzgeber ist dem in § 257c StPO gefolgt (vgl. dazu Meyer-Goßner, Ergänzungsheft zur 52. Aufl. 2009, § 257c, Nr.6).

In dem nächsten Abschnitt beschäftigt Müller sich mit der Phänomenologie und der aktuellen Absprachensituation in Deutschland und ihren Ursachen (S. 32 ff). Im Wesentlichen gleichgerichtete Interessen von Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung begründeten nach seiner Ansicht die Bereitschaft zu Absprachen. Dagegen sei die Situation des Opfers und des Angeklagten ambivalent (S. 48 ff.). Im Hinblick auf den Angeklagten, von dessen möglicher Unschuld ein rechtsstaatliches Prozesskonzept ausgehen müsse, legt Müller überzeugend dar, der Angeklagte trage allein das Risiko des Fehlschlags, das Gefälle zwischen ihm und dem Staat verschärfe sich, es entstehe ein erhebliches "Missbrauchspotential" (S. 65). Dies führt ihn nach der Erörterung der Bindungswirkung (S. 66 ff) zu dem Zwischenergebnis, eine grundsätzliche Bindung der Beteiligten sei unter Fairnessgrundsätzen geboten. Es handele sich um eine "vertragsähnliche Vereinbarung sui generis" (S. 76). Wirft man einen Blick auf § 257c StPO, so sieht man, dass der Gesetzgeber diese Analyse übernommen, nämlich an die Stelle der bisherigen gerichtlichen Zusage eine Vereinbarung des Gerichts mit den Verfahrensbeteiligten gesetzt hat, ohne freilich in der Frage der Bindungswirkung die Vertragsähnlichkeit konsequent zu sein, weil zwar Angeklagter und Staatsanwaltschaft an die Absprache gebunden sind, das Gericht sich aber sehr leicht gem. § 257c IV, 1 und 2 StPO von ihr lösen kann (zutr. Kritik bei Meyer-Goßner, Ergänzungsheft zur 52.Aufl. 2009, § 257c, Nr. 26 f). Durch diese erleichterte Lösungsmöglichkeit vergrößert sich das Gefälle zwischen Staat und Angeklagtem und erhöht sich das "Missbrauchspotential".

Im nächsten Hauptteil der Arbeit (S. 79 ff) setzt sich Müller mit der Zulässigkeit von Absprachen auseinander. Die Argumente pro und contra stellt er ausführlich und unter nahezu vollständiger Auswertung des umfangreichen Schrifttums dar. Sie sind bekannt und brauchen nach der Entscheidung des Gesetzgebers nicht wiederholt zu werden. Von bleibendem Interesse sind Müllers verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz, auf die Unschuldsvermutung und auf das Recht auf ein faires Verfahren als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips. Sie werden in der weiteren Diskussion eine erhebliche Rolle spielen, denn die Bedenken bestehen auch gegen die Neuregelung des § 257c StPO. Aus Platzgründen sei hier nur die Erörterung Müllers zum Gleichbehandlungsgebot (S. 91 ff) erwähnt. Diesbezügliche Bedenken hat der Gesetzgeber in den Wind geschlagen, weil er schon den Anwendungsbereich von Absprachen gänzlich unbestimmt gelassen hat. Wenn § 257c I 1 StPO von "geeigneten Fällen" spricht, dann überlässt er die Auswahl der Fälle, der Willkür des Gerichts. Ein "geeigneter Fall" kann dann auch ein Fall sein, bei der für eine Absprache die Bequemlichkeit von Richtern oder die Schwierigkeit der Sache maßgeblich sein lässt (vgl. dazu bereits Hettinger, Festschrift für Egon Müller, 2008, S. 280: Welche Fälle geeignet sein sollen, bleibe offen, geeignet seien eben nur geeignete Fälle; vgl. auch Meyer-Goßner a.a.O, Nr.6: Es sei nicht vorstellbar, welche Fälle ungeeignet sein sollten). Sind alle Fälle geeignet, so müsste die Neuregelung nach dem Gleichbehandlungsgebot auch auf alle Fälle angewandt werden – die alte Strafprozessordnung bliebe dann auf der Strecke.

Der nächste Hauptteil der Arbeit hat nur noch historische Bedeutung. Müller schildert ausführlich die Entwicklung der Rechtsprechung bis zur Entscheidung des Großen Senats in BGHSt 50,40 (S. 177 – 277). Er hält die vom BGH formulierten Leitlinien für eine Kompromisslösung, die weder theoretisch, noch praktisch überzeugen konnte (S. 278 f). Im Hinblick auf die gesetzliche Regelung der Verständigung im Strafverfahren ist es interessant, noch einmal die Abhilfeversuche aus Wissenschaft und Praxis, die Müller zuverlässig und in allen Details, auch rechtsvergleichend, referiert (S. 281-362), Revue passieren zu lassen. Müller zeigt auf, dass es in den von ihm untersuchten ausländischen Rechtsordnungen keine Initiative des Gerichts für eine Absprache gibt und das Gericht, wenn es nach hergestelltem Einvernehmen der Parteien in die Konsensfindung eingreift, dies als neutrale und unabhängige Instanz tut, mit dem Vorteil, dass die Drohung mit einer Sanktionsschere kaum Bedeutung hat. Müller betont zu Recht, die deutsche Absprachenpraxis und die Gesetzgebung müssten sich schwerpunktmäßig mit dem Schutz des Angeklagten und der Wahrung seines Subjektstatus, insbesondere auch mit der Frage der Willensbildungsfreiheit des Angeklagten, beschäftigen. Im Gegensatz zu anderen Rechtsordnungen hätten diese Gesichtspunkte in der deutschen Rechtsprechung nur eine sekundäre Rolle gespielt (S. 362). Man wird nicht behaupten können, daran habe sich durch das Gesetz zur Regelung der Verständigung etwas geändert. Allein schon die Möglichkeit des Gerichts, sich sehr einfach von der Absprache zu lösen (vgl. dazu Meyer-Goßner, a.a.O. Nrn. 26 f), zeigt, dass der Gesetzgeber dem Schutz des Angeklagten nur geringe Bedeutung zugemessen hat.

In dem nächsten Abschnitt schildert Müller wiederum ausführlich und präzise die Gesetzgebungsinitiativen (S. 363-460), beginnend mit der Forderung des Deutschen Juristentags 1990 nach einem Eingreifen des Gesetzgebers bis zum Gesetzesantrags Niedersachsens im März 2006. Er befürwortet nachdrücklich ein Eingreifen des Gesetzgebers (S. 369 ff) und geht davon aus, der Gesetzgeber sei sogar wegen des sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ergebenden Vorbehalt des Gesetzes und aufgrund der Wesentlichkeitstheorie zu einer gesetzlichen Regelung verpflichtet (S. 369 f). Nachdem der Gesetzgeber gesprochen hat, sind die Anforderungen, die Müller verfassungsrechtlich an eine gesetzliche Regelung stellt, nach wie vor von besonderem Interesse, weil durchaus fraglich ist, ob die gesetzliche Regelung mit der Verfassung in allen Punkten vereinbar ist (vgl. dazu bereits Meyer-Goßner, a.a.O., Nrn.3, 5,11,27). Im Rahmen einer Besprechung können hier nur einige Anforderungen an das "Idealbild einer gesetzlichen Regelung" (S. 402 ff) aufgezeigt werden, denen der Gesetzgeber nicht gefolgt ist. Müllers Absage an ein richterliches Initiativrecht (S. 402) ist nicht Gesetz geworden (vgl. § 257c III 1 StPO). Dies wäre hinnehmbar, wenn das Gesetz konkret den Anwendungsbereich von Absprachen umschriebe. Müller verdient uneingeschränkt Zustimmung, wenn er ausführt, es müsse ein Anwendungsbereich für das konsensuale Verfahren festgelegt werden, um sicherzu-

stellen, dass nicht willkürlich entschieden werde, wann welches Verfahren zur Anwendung kommt; nur so lasse sich Gleichheit vor dem Gesetz garantieren (S. 403). In diesem Punkt hat der Gesetzgeber versagt. Das von Müller zu Recht geforderte dogmatische Konzept, also die Anerkennung des Konsensgedankens und seine Widerspiegelung im Gesetz (S. 403), ist in der Neuregelung nicht zu erkennen, weil die Fortgeltung der Inquisitionsmaxime (§ 257c 2 StPO) ein "bloßes Lippenbekenntnis" (zutr. Meyer-Goßner, a.a.O., Nr.3) ist. Bei der zentralen Frage der Bindungswirkung einer Absprache lässt das Gesetz das Interesse des Angeklagten an einem gewissen Grad von Sicherheit unberücksichtigt (§ 257c IV StPO; vgl. dazu die zutr. Kritik Meyer-Goßners, a.a.O., Nrn. 12 ff). Und schließlich ist völlig unberücksichtigt geblieben, dass die Schwächung der Sachverhaltsaufklärung in der Hauptverhandlung und die Aufwertung der Aktenlage (S. 457 f.) nur bei einer Neugestaltung des Ermittlungsverfahrens hinnehmbar sind. Es verwundert deshalb nicht, dass Müller den Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums vom 18.5. 2006 und den Gesetzesantrags Niedersachsens vom 29.3.2006 in diesen zentralen Punkten nachdrücklich kritisiert (S. 411 ff., 422 ff., 426 ff.). Diese Kritik trifft auch das Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren, weil die Antworten des Gesetzgebers gerade in den zentralen Fragen "sowohl unter theoretischen als auch unter praktischen Gesichtspunkten nicht ausreichen, um der alltäglichen Herausforderung der Absprachen gerecht zu werden" (S. 465).

Nach alledem gehört die umfassende Untersuchung Müllers nicht in die Abteilung "Rechtsgeschichte", sondern hat ihren Wert und ihr Gewicht auch in der zukünftigen Diskussion über die Auslegung des neuen Gesetzes und seiner verfassungsrechtlichen Überprüfung.

Prof. Dr. Heinz Wagner, Ahrensburg/Universität Kiel (em.)

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Markus Thier : Zurechenbarkeit von Retterschäden bei Brandstiftungsdelikten nach dem Sechsten Gesetz zur Reform des Strafrechts; (Gießener Schriften zum Strafrecht und zur Kriminologie, Bd. 29). Diss. Bern, 2008, 232 Seiten, 54 €, Baden-Baden 2009.

I. Die Frage, inwieweit dem Täter Schäden objektiv zugerechnet werden können, die ein Dritter dadurch erleidet, dass er sich um die Rettung des vom Täter in Gefahr gebrachten Tatopfers oder Tatobjekts bemüht, gehört zu den klassischen Fragen des Allgemeinen Teils des Strafrechts. Thier nimmt die Änderungen, die das 6. Gesetz zur Reform des Strafrechts im Bereich der Brandstiftungsdelikte mit sich brachte, zum Anlass, diese klassische Frage neu zu erörtern. Als Gegenstand seiner Untersuchung nennt Thier "die Gesamtheit all jener Fälle, die im Zusammenhang mit der Brandstiftung stehen, und in denen das Opfer nach Vornahme bestimmter Verhaltensweisen durch andere oder parallel zu diesen selbst noch irgendwelche Handlungen vornimmt, aufgrund derer es zu Beeinträchtigungen an seinen Rechtsgütern kommt oder zu kommen droht" (S. 17 f.). Aus dieser Umschreibung ergibt sich, dass der Autor sowohl die Fälle der Retterschäden als auch die der Rettergefährdung behandelt. Entsprechend gliedert sich seine Arbeit: Während sich Kapitel 1 mit der Zurechnung von Retterschäden befasst, geht es in Kapitel 2 um die Zurechenbarkeit von Rettergefahren. Kapitel 3 behandelt die Problematik der Zurechenbarkeit von Erfolgsqualifikationen im Brandstiftungsdeliktsrecht. Schließlich werden hier die im Rahmen der ersten beiden Kapitel abstrakt gewonnenen wissenschaftlichen Befunde anhand von praktischen Beispielsfällen vertieft.

II. Thier eröffnet seine Ausführungen in Kapitel 1, in dem es um die Zurechenbarkeit von Retterschäden geht, mit der Feststellung, dass angesichts der Vielgestaltigkeit der zu untersuchenden Situationen hinsichtlich der Frage der objektiven Zurechnung eine differenzierte Lösung geboten sei (S. 22). Grenze des staatlichen Strafanspruchs sei das Selbstverantwortlichkeitsprinzip (S. 26, 84), doch betont der Verfasser die Konkretisierungsbedürftigkeit dieser Formel (S. 26 f.). Dabei gelte es, "die Qualität der Selbstgefährdung aus einem Vergleich der auf dem Spiel stehenden Interessen zu ermitteln. Sofern das Erhaltungsinteresse am gefährdeten Objekt gegenüber dem an der Vermeidung der Selbstverletzung als vordringlich zu bezeichnen ist, ist eine mißbilligte Risikoschaffung anzunehmen" (S. 29).

"Aufgrund fundamental unterschiedlicher Interessenlagen, die in Bezug auf private Retter auf der einen Seite und professionelle Retter auf der anderen Seite wirken," (S. 32) unterscheidet Thier im Folgenden zur Ermittlung von Abgrenzungskriterien für das Vorliegen der objektiven Zurechnung zwischen privaten und professionellen Rettern. Er untersucht hinsichtlich solcher Schäden, die private Retter erleiden, die gängigerweise diskutierten Kriterien zur Ermittlung des Maßstabs der Freiwilligkeit der Rettungshandlung, nämlich unter anderem die Fälle der Garantenpflicht des Retters, der Rettungsmotivation gemäß § 323c StGB, einer analogen Anwendung von § 34 oder § 35 StGB, einer Heranziehung des Rechtsgedankens des § 216 StGB sowie einer entsprechenden Anwendung der §§ 3 JGG, 19, 20, 21 StGB. Zudem erörtert der Autor hier eine entsprechende Heranziehung der Einwilligungslehre als Freiwilligkeitsmaßstab (S. 32 ff.). Einige dieser Rechtsinstitute werden von Thier als Abgrenzungskriterien abgelehnt. Er kommt zum Ergebnis, dass das Bestehen einer Rettungsverpflichtung die Freiwilligkeit eines gebotenen Rettungseinsatzes entfallen lasse (S. 38). "Ist die Gebotenheit der Rettungsmaßnahme im Rahmen der Rettungsverpflichtung zu bejahen, so sind die Risiken und Verletzungen des Retters dem Täter durchweg zuzurechnen" (S. 39). Aus den Vorschriften der §§ 3 JGG, 19, 20, 21 StGB leitet er das Prinzip ab, dass Rettungsmaßnahmen auch dann unfreiwillig sind, wenn zwischen dem Retter und dem Tatopfer eine besondere emotionale Beziehung besteht: "Typischerweise sind die Fälle angesprochen, in denen die Garantenpflicht mangels Gebotenheit entfallen ist und der Retter gleichwohl den Rettungseinsatz durchführt" (S. 47). In eine ähnliche Richtung geht Thiers Überlegung, derzufolge

"eine Drucksituation, die unterhalb des § 35[StGB]bleibt, zumindest beim privaten Retter die Freiverantwortlichkeit auszuschließen" vermag (S. 51).

Auch hinsichtlich der Fallgruppe der professionellen Retter betont der Verfasser seine bereits oben getroffene Feststellung, dass eine Rettungsverpflichtung grundsätzlich zur Verantwortlichkeit des Brandstifters führt (S. 53). Ausgehend von diesem Kriterium kommt er zum Ergebnis, dass Schäden, die professionelle Retter bei Ausübung ihrer Tätigkeit erleiden, dem Brandstifter in der Regel zuzurechnen sind, da den professionellen Retter eine entsprechende Retterpflicht treffe. Hieran ändere sich auch grundsätzlich nichts dadurch, dass der professionelle Retter – zum Beispiel der Feuerwehrmann – seine Rolle freiwillig gewählt habe. Der strafrechtlichen Berücksichtigung dieser vorgelagerten Freiwilligkeit begegnet der Autor mit dem Argument, dass "eine funktionierende Gesellschaft auf eine organisierte Feuerwehr angewiesen ist" (S. 62). Was die Grenzen der bestehenden Rettungspflichten anbelangt, unterscheidet Thier unter Hinweis auf den Rechtsgedanken das § 35 Abs. 1 S. 2 StGB zwischen privaten und professionellen Rettern. Anders als bei jenen entfalle die Rettungsverpflichtung bei professionellen Rettern nicht "schon dann, wenn das Eigenschutzinteresse geringfügig gegenüber dem Bewahrungsinteresse des Opfers überwiegt. Die Zumutbarkeit des Rettungseinsatzes und damit der Rettungspflicht bleibt auch dann noch bestehen, sofern das Eigenschutzinteresse geringfügig überwiegt" (S. 62).

Die sich hieran anschließenden Ausführungen (S. 63 ff.) gelten offensichtlich sowohl für private als auch für professionelle Retter. Aus der Regel, dass der Brandstifter nicht für freiverantwortliche Selbstschädigungen des Retters haften soll, möchte Thier nicht den Umkehrschluss bilden, demzufolge der Brandstifter für jegliche unfreiwillige Selbstschädigung haften solle. So führt er aus: "Zu beachten gilt[…], dass unfreiwillig erlittene Schäden, die zwar selbst verursacht wurden, aber deren Entstehung auf einer Rettungspflicht, Zwangslage oder Defektsituation beruhen, nur bis zu bestimmten Grenzen zugerechnet werden dürfen" (S. 63). Der Zurechnungsmaßstab orientiert sich hier also nicht an der Grenze zwischen freiverantwortlicher und nicht-freiverantwortlicher Selbstverletzung, sondern ist innerhalb der zuletzt genannten Gruppe verortet. Während die Freiwilligkeit des Retters die objektive Zurechnung des Brandstifters daher in jedem Fall ausschließe, sei die Abgrenzung der objektiven Zurechnung innerhalb der Fallgruppe der Unfreiwilligkeit des Retters vorzunehmen. Mit anderen Worten: Die Unfreiwilligkeit des Retters ist für Thier notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für die objektive Zurechnung des Brandstifters. Der Autor begründet diese Verschiebung des Maßstabs mit der Schutzwürdigkeit des Interesses des Brandstifters, nicht für solche Folgen zu haften, die aufgrund eines dem Retter anzulastenden Umstands eintreten (S. 63). Nachdem er im Folgenden verschiedene Ansätze darlegt, die in der Rechtsprechung und Literatur zur Abgrenzung vertreten werden (S. 64 ff.), kommt er zu dem Ergebnis, dass eine Zurechnung grundsätzlich dann zu bejahen ist, wenn der unfreiwillig handelnde Retter erstens objektiv unvernünftig handelt und zweitens diese Unvernunft schuldhaft zu vertreten hat (S. 74). Im Hinblick auf die Bestimmung dieser beiden Merkmale unterscheidet der Verfasser wiederum zwischen professionellen und privaten Rettern. Den Grund für diese Differenzierung sieht er in der Tatsache, dass professionelle Retter auf die Rettungssituationen vorbereitet seien, während private Retter meist unerfahren agierten (S. 74).

Professionellen Rettern – so Thier – muss regelmäßig ein Schuldvorwurf gemacht werden, wenn sie objektiv unvernünftige Rettungsmaßnahmen durchführen. Den Grund für diesen Automatismus sieht der Autor in der Tatsache, dass professionelle Retter eine fundierte Ausbildung genossen haben, die es ihnen ermögliche, sich ausführlich auf die Brandbekämpfungssituation vorzubereiten (S. 75). Die Schwelle zur Unvernunft soll dann überschritten sein, wenn ein "Durchschnittsfeuerwehrmann aufgrund des Unversehrtheitsinteresses von einem Einsatz mit großer Wahrscheinlichkeit Abstand genommen hätte" (S. 76). Thier siedelt diese Fälle im Bereich der groben Fahrlässigkeit und des Vorsatzes an. "Grobe Fahrlässigkeit ist dann anzunehmen, wenn des Erhaltungsinteresse bezüglich der durch das Feuer betroffenen Rechtsgüter im Verhältnis zum Interesse an der Vermeidung von Eigengefahren des Retters ungleich niedriger ist und der Retter diesen Umstand auch kennt oder kennen muss" (S. 78).

Einen anderen Maßstab legt der Autor bei privaten Rettern an – eine Tatsache, die er mit der Behauptung rechtfertigt, dass der unvernünftig handelnde private Retter "dem Opfer nahe steht und aus Verzweiflung gar nicht mehr weiß, was er tut" (S. 78). Dies ist allerdings eine Unterstellung, die in dieser Allgemeinheit nicht aufrecht erhalten werden kann. Aus seiner Behauptung folgert Thier, dass bei privaten Helfern "die Vernünftigkeit der Rettung nicht nur dann zu bejahen[…][ist], wenn bei privaten Rettern das Interesse am Eigenschutz im Verhältnis zum Interesse am Opferschutz geringfügig überwiegt, sondern auch dann, wenn kein krasses Missverhältnis angenommen werden kann" (S 79). "Schuldhaftes Handeln setzt insoweit voraus, dass die Person in klarer Erkenntnis der Konsequenzen ihres Verhaltens aktiv wird. Dies wird aber gerade bei privaten Rettern oftmals nicht der Fall sein, da sie oft impulsiv, die Gefährlichkeit der Situation ignorierend, sich blind selbst schädigen" (S. 79). "Daher ist eine auf einer groben Fahrlässigkeit beruhende Pflichtverletzung des privaten Retters nicht ausreichend, um die objektive Zurechnung zu durchbrechen. Deshalb muss bei den privaten Rettern ein strengerer Zurechnungsmaßstab gelten, mit der Konsequenz, dass lediglich die vorsätzliche Selbstverletzung die Zurechnung auszuschließen vermag" (S. 80).

III. Kapitel 2 befasst sich mit der Zurechenbarkeit von Gefahren, denen der Retter ausgesetzt wird. Nach einer Einführung in das Rechtsinstitut der konkreten Gefährdungsdelikte (S. 88 ff.) und einer Erörterung des Gefahrbegriffs (S. 92 ff.) widmet der Verfasser sich der Frage der Zurechenbarkeit konkreter Gefahren (S. 120 ff.). Hier führt er aus: "Die Zurechnungssituation im Rahmen der Gefährdungsdelikte unterscheidet sich in beträchtlichem Ausmaße von der der klassischen Erfolgsdelikte. Da ein Opfer trotz des verobjektivierten Charakters der konkreten Gefährdungsdelikten [sic!]sich sehr viel schneller diesen ausgesetzt sieht, als dies bei den klassischen Er-

folgsdelikten der Fall ist, bedarf es noch zu entwickelnde[sic!] Kriterien, die die Zurechnung in vernünftigem Maße beschränken" (S. 121). Im Folgenden gibt Thier die einschlägige Literatur und Rechtsprechung zur objektiven Zurechnung im Zusammenhang mit Eigengefährdungen des Opfers wieder (S. 121 ff.) und schließt sich sodann der herrschenden Meinung an, die die Fallgruppe der Selbstgefährdung als Problem der objektiven Zurechnung begreift (S. 153). Er ordnet die Brandstiftungssituation, die den Retter zu Hilfsmaßnahmen veranlasst, als Fall der Selbstgefährdung ein (S. 163). Gleichsam als Exkurs widmet sich Thier anschließend der Frage, ob die Grundsätze der aberratio ictus in denjenigen Fällen anwendbar sind, in denen der Brandstifter keinen Vorsatz hinsichtlich der Gefährdung des Retters, wohl aber hinsichtlich der Tötung eines Dritten hat (S. 166 ff.).

Im Folgenden untersucht Thier die Kriterien für die objektive Zurechnung der Gefährdung von Rettern (S. 180 ff.). Auch hier hält er an dem bereits in Kapitel 1 postulierten unterschiedlichen Zurechnungsmaßstab für professionelle und private Retter fest (S. 180). Beginnend mit der Untersuchung der professionellen Retter bekräftigt Thier seine bereits aufgestellte These, dass eine objektive Zurechnung stets dann zu bejahen sei, wenn der Retter in Ausführung einer bestehenden Handlungspflicht agiere, da in diesen Fällen nicht von einer Freiwilligkeit des Retters ausgegangen werden könne (S. 180). Jedoch sieht der Autor Unterschiede in der jeweiligen objektiven Zurechnung von Erfolgen oder Gefährdungen: "Festzuhalten bleibt[…], dass mit konkreten Gefahren in weitaus größerem Umfang zu rechnen ist, als dies bei klassischen Erfolgsdelikten der Fall ist. Daher bedarf die objektive Zurechnung weiterer limitierender Kriterien, um sie schuldangemessen zu begrenzen" (S. 180). Hieran anknüpfend gelangt Thier zum Ergebnis, dass die Schwelle, ab der die Unzumutbarkeit einer Rettungshandlung beginnt und demnach die Rettungsverpflichtung des professionellen Retters endet, bei Gefährdungsdelikten höher anzusetzen sei als bei klassischen Erfolgsdelikten: "Die Rettungsverpflichtung des professionellen Retters endet erst dann, wenn das Selbstschutzinteresse gegenüber dem Rettungsinteresse wesentlich überwiegt" (S. 181). Sofern nach diesem Maßstab die Freiverantwortlichkeit des professionellen Retters abzulehnen ist, soll sich die Frage der objektiven Zurechnung wiederum nach der Vernünftigkeit der Rettungsmaßnahme und eines eventuellen Retterverschuldens bemessen. Auch hier befürwortet Thier mit der oben genannten Begründung einen unterschiedlichen Maßstab zwischen Erfolgs- und Gefährdungsdelikten (S. 182). So kommt er zu dem Ergebnis: "Bei unfreiwilligen Rettungsmaßnahmen vermag bei professionellen Rettern bereits ein Rettungseinsatz die Zurechnung zu durchbrechen, sofern aufgrund mittlerer Fahrlässigkeit der Retterschaden eintritt" (S. 182 f.) – eine Formulierung, die deshalb ein wenig unklar bleibt, da der Verfasser hier vom Retterschaden spricht, obwohl es in diesem Kapitel um die Gefährdung des Retters geht. In Konkretisierung dieses Fahrlässigkeitsmaßstabs entwickelt Thier dann folgende Fallgruppen: "Sofern der professionelle Retter konkrete Gefahren in Kauf nimmt, so charakterisiert sich dieses Verhalten nicht als mittel fahrlässig, sofern der Rettungseinsatz die[sic!]Bewahrung der Opfer vor konkreten Gefahren dient […]. Im Gegensatz zu abstrakten Gefahren darf der professionelle Retter konkrete Gefahren nicht in Kauf nehmen, um lediglich materielle Güter zu erhalten. Dagegen werden (noch) solche konkrete[sic!]Gefahren dem Brandstifter objektiv zugerechnet, sofern der Retter abstrakt gefährdete Personen zu retten beabsichtigt" (S. 187).

Was die Gruppe der privaten Retter anbelangt, die nicht Adressat einer Garantenpflicht sind, geht Thier von regelmäßig vorliegender Freiwilligkeit aus, da es in diesen Fällen häufig am emotionalen Näheverhältnis zwischen Retter und Opfer fehlen soll (S. 189 f.). Jedoch betont der Autor zugleich, dass intellektuelle Defekte des Retters zur Annahme einer Unfreiwilligkeit der Rettungshandlung führen können (S. 190). Für diese Fälle merkt er an, dass der Verschuldensmaßstab für private Retter niedriger sein müsse als für professionelle Retter: "Im Unterschied zu professionellen Rettern ist bei privaten Rettern die objektive Zurechnung von konkreten Gefahren erst bei grob fahrlässigem Eigenverschulden zu verneinen" (S. 190).

Im Hinblick auf die anschließend untersuchte Personengruppe privater Retter mit Garantenstellung wiederholt Thier die Feststellung, dass hier grundsätzliche eine Rettungspflicht bestehe. Allerdings ende diese Rettungspflicht dann, wenn der Rettungseinsatz dem Retter nicht mehr zumutbar sei, wobei die Unzumutbarkeitsgrenze bei privaten Rettern niedriger anzusetzen sei als bei professionellen Rettern (S. 191). "Daher endet die Rettungspflicht des privaten Retters bereits schon bei Bestehen einer abstrakten Gefahr. Dies gilt erst recht beim Bestehen einer konkreten Gefahr, sofern kein Rettungsäquivalent vorhanden ist. Die Grenze der objektiven Zurechnung markiert jedoch[…]ein grob fahrlässiger Rettungseinsatz[…]" (S. 192).

IV. Kapitel 3 schließlich befasst sich zunächst mit der Zurechenbarkeit von Erfolgsqualifikationen bei Rettungssituationen im Brandstiftungsbereich (S. 195 ff.). Nach einer Einführung zum Unmittelbarkeitserfordernis bei Erfolgsqualifikationen widmet sich der Autor speziellen Zurechnungssituationen im Brandstiftungsbereich. So befasst er sich unter anderem mit der Frage der Anwendbarkeit von § 306 a Abs. 2 StGB als Grunddelikt zu § 306 b Abs. 1 oder § 306 c StGB in einer speziellen Fallkonstellation (S. 206 ff.). Das dritte Kapitel schließt mit Beispielsfällen, anhand derer die in den ersten beiden Kapiteln gewonnenen Ergebnisse dargestellt werden (S. 211 ff.).

V. Insgesamt bietet die rezensierte Arbeit eine umfangreiche Übersicht hinsichtlich der gängigen Abgrenzungskriterien für die objektive Zurechnung von Retterschäden und -gefährdungen. Gleichwohl erscheinen einige kritische Anmerkungen angebracht. Zunächst ist die an vielen Stellen zu Tage tretende allzu große Nachlässigkeit im Umgang mit Sprache und Stil zu bemängeln. Zudem entzieht sich der Aufbau der Arbeit teilweise einer stimmigen Systematik und lässt somit den Leser häufig über die konkrete Fragestellung im Unklaren. So hätten einige Punkte aus dem Kapitel 2 (zum Beispiel die Frage der dogmatischen Einordnung im Kapitel 2, A, V, 4) bereits im Kapitel 1 nutzbar gemacht werden können. Kritisch ist überdies einzuwenden, dass Thier die von ihm vertretenen Ansichten teilweise nicht näher begründet, son-

dern es bei unverbindlichen Bemerkungen belässt. So zieht er sich unter anderem auf Feststellungen zurück, ein anderes Ergebnis sei "zynisch" (S. 62) oder würde "auf ein breites Unverständnis in der Gesellschaft stoßen" (S. 83). Hier würde der Leser eher nähere Ausführungen und Begründungen als Werturteile erwarten.

Vor allem stellt sich die Frage, ob die vergleichsweise wenigen Kategorien, die Thier bildet, der tatsächlichen Vielschichtigkeit der vorliegenden Fallgestaltungen gerecht werden. So ist vor allem die vom Verfasser vorgenommene durchgängige Unterscheidung zwischen professionellen und privaten Rettern zu beanstanden. Wie sehr der Autor hier mit Verallgemeinerungen arbeitet, wird beispielhaft an folgenden Auslassungen Thiers deutlich: "Während die professionellen Retter als emotional unbeteiligte Personen aufgrund ihres Retterwissens rein analytisch durch rationale Motive geleitet unter stetiger Berücksichtigung der ihnen durch den Rettungseinsatz drohenden Gefahren vorgehen, charakterisiert sich der Rettungseinsatz privater Retter als unbedacht, spontan und von Sorge bezüglich der Personen geprägt, die durch das Feuer bedroht sind" (S. 189). Es ist mehr als zweifelhaft, ob diese Beschreibung sowohl sämtlichen Rettungssituationen wie der Vielfalt möglicher Motivationslagen auf Seiten der Retter gerecht wird. Abgesehen davon, dass eine Unterscheidung zwischen den genannten Rettergruppen letztlich nicht klar vorzunehmen ist (wie das Beispiel des ehrenamtlich tätigen Feuerwehrmanns zeigt), erscheint es überdies fraglich, ob eine Kategorisierung nicht losgelöst von der Unterteilung in private und professionelle Retter erfolgen sollte. So gibt es bei professionellen Rettern Aspekte, die genauso auf einen Teil der privaten Retter zutreffen: Es treten durchaus auch private Retter in Aktion, die eine Rettungsausbildung absolviert haben und die nicht emotional mit den zu rettenden Personen verbunden sind. Auch schließen die Erfordernisse einer funktionierenden Zivilgesellschaft die strenge Unterscheidung zwischen privaten und professionellen Rettern aus, da das Gemeinschaftsleben im gleichen Maße auf professionelle Rettungseinsätze wie auf die Aktivierung privater Zivilcourage angewiesen ist. Löst man sich freilich von der Perspektive, Thiers Ergebnisse als strenge Abgrenzungskategorien aufzufassen, so bieten die Kriterien, die er präsentiert und diskutiert, durchaus eine fundierte Argumentationshilfe für die strafrechtliche Beurteilung der Rettungskonstellationen im Brandstiftungsbereich. Die Lektüre dieser Arbeit ist bereits unter diesem Blickwinkel lohnend und bietet hinreichend Material für eine fruchtbare Vertiefung der angesprochenen Problematik.

Wissenschaftlicher Mitarbeiter Assessor Dr. Milan Kuhli, M.A., Frankfurt am Main.

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Heinz-Bernd Wabnitz; Thomas Janovsky : Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts; 3. Auflage, 1811 Seiten, 140 €, C.H.Beck, München 2007.

Das Wirtschafts- und Steuerstrafrecht schiebt sich in der öffentlichen Wahrnehmung mehr und mehr in den Vordergrund. Auch an den Universitäten ist jedenfalls das Wirtschaftsstrafrecht ein noch immer "boomendes Fach". Es nimmt entsprechend nicht wunder, dass das Literaturangebot zunehmend breiter und besser geworden ist. Ein Klassiker dieses Angebots, der schon früh den Bedarf und die Tiefe des Fachs erkannt hatte, ist hier in seiner dritten Auflage vorzustellen: Das Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, herausgegeben von den Staatsanwälten Wabnitz (Generalstaatsanwalt) und Janovsky (Leitender Oberstaatsanwalt).

Mit dem Wabnitz/Janovsky liegt auch in der dritten Auflage ein Werk für die Praxis vor. Weiterhin geben vor allem Praktiker dem Kommentar ein Gesicht. Bannenberg (Korruption) und Dannecker (Entwicklung des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts und Europäisierung) ergänzen die Autorenschaft mit nicht minder praxistauglichen Kommentierungen. Geboten wird von diesem Team sodann eine überaus informative Darstellung, die kriminalpolitisch regelmäßig die Notwendigkeit eines effektiven und weit ausgreifenden Wirtschaftsstrafrechts betont (vgl. etwa Bannenberg zur Korruption, Bär zur Computerkriminalität oder das ein wenig als "Schutzbehauptungs- und Nebelkerzenlexikon" dargebrachte "ABC des klassischen Verteidigungsvorbringens" von Köhler zum Insolvenzstrafrecht).

Der Wabnitz/Janovsky widmet sich zunächst wissenschaftlich verdienstvoll geschichtlichen und europarechtlichen Grundlagen des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, gefolgt von einem Kapitel zur Erfassung auslandsbezogener Straftaten (Kapitel 1 – 3). Insbesondere beeindrucken hier die Darstellungen Danneckers. Sie sind äußerst reich an Material und leisten einen hervorragenden Überblick über die Europäisierung des (Wirtschafts-)Strafrechts. In 14 Kapiteln folgt der näher aufgegliederte Stand des Wirtschaftsstrafrechts. Nach einem "AT des Wirtschaftsstrafrechts" (Raum) widmen sich 13 weitere Kapitel einzelnen Themengebieten. Hierbei ist neben dem informativen Kapitel Danneckers zum Kartellrecht (Kapitel 16) besonders das neue Kapitel Boxleitners zur Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung (Kapitel 17) hervorzuheben. Zum Insolvenzrecht wird sowohl eine strafrechtliche Analyse (Kapitel 7, Köhler) als auch eine insolvenzrechtliche Einführung geboten (Kapitel 6, Beck). Aktuell von besonderer Bedeutung (vgl. zu Großkrediten der Banken etwa BGH HRRS 2009 Nr. 900["Sengera-Urteil"]) und eine profunde Quelle ist das ausführliche Kapitel Knierims zu Straftaten im Bankbereich (mit einer allerdings bedenklichen Annahme eines Betruges durch sog. Phishing vgl. Kap. 8 Rn. 132).

Das Werk geht dann über zum Komplex "Steuer und Zoll". Hier wird von Kummer eine mit markigen Worten verbundene, stark verfolgungsorientierte Darstellung des Steuerstrafrechts geboten (Kapitel 18). Ob dabei allerdings mit einer täterstrafrechtlich anmutenden Sprache ("Steuerkriminelle") wirklich etwas praktisch sinnvolles für das Rechtsgut des staatlichen Vermögens bewirkt wird, muss bezweifelt werden. Rödl erläutert – in einem merklich anderen und ausgewogenem Ton – die Bezüge des Internationalen Steuerrechts zur Steuerhinterziehung (Kapitel 19). Harder stellt "den Zoll" und das Außenwirtschaftsstrafrecht dar (Kapitel 20 und 21). Abschließend folgt auf rund 400 Seiten der etwas eigentümlich benannte Block "Ermittlungs- und Strafverfahren". Hier gehen die

Autoren vor allem auf die Besonderheiten der Wirtschaftsstrafverfahren ein (Internationale Rechtshilfe – Veh; Ermittlungsverfahren – Gürtler; "Strafverfahren" – Gieg). Bär vermittelt in Anknüpfung an seine einschlägige Monographie und damit als ausgewiesener Kenner die EDV-Beweissicherung. Auch hier geht er zugunsten einer möglichst effektiven Kriminalitätsbekämpfung äußerst weit, wenn er zum Beispiel praktisch dazu rät, bei der grenzüberschreitenden Datensicherung das vorläufige Verfahren nach der sog. Cybercrime-Convention zu umgehen (vgl. Kapitel 25, Rn. 23, dagegen schon Gaede StV 2009, 96, 101 f.). Dierlamm erhält im Kapitel 27 insgesamt 28 Seiten, um Grundzüge der Verteidigung im Wirtschaftsstrafverfahren einzubringen.

Was ist das Fazit? Der Wabnitz/Janovsky bleibt ein Klassiker des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts. Dies gilt gerade wegen der Breite seiner Themen und infolge der spezialisierten und in ihrem jeweiligen Thema engagierten Autoren. Das Werk steht vor allem für eine kundige Information über den Rechtsprechungsstand und über die Denk- und Vorgehensweise der Ermittlungsbehörden. Das Handbuch bleibt daher ein Muss insbesondere für Schwerpunktstaatsanwaltschaften, für Wirtschaftsstrafkammern und für wirtschaftsstrafrechtlich ausgerichtete Spezialkanzleien. Gerade wegen der wachsenden Konkurrenz im Markt – auch aus dem eigenen Verlagshaus – bleibt allerdings zu bemerken, dass das in der 3. Auflage deutlich teurere Handbuch (der Preis stieg von 112 € auf 140 €), Verteidigungsbelange nicht vorschnell anderen Werken überlassen sollte. Da vor allem auch Rechtsanwälte eine Zielgruppe des Werks sein dürften, könnte eine verstärkte Erörterung der von der Verteidigung zu betonenden Wertungen und Grenzen des Wirtschaftsstrafrechts wesentlich dazu beitragen, dass das Handbuch seine Klassikerstellung auch in Zukunft behält.

Wiss. Ass. Dr. Karsten Gaede, Bucerius Law School, Hamburg

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