HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

November 2009
10. Jahrgang
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Hervorzuhebende Entscheidungen des BGH

I. Materielles Strafrecht - Allgemeiner Teil


Entscheidung

971. BGH 4 StR 280/09 – Beschluss vom 18. August 2009 (LG Dessau)

Strafbefreiender Rücktritt (fehlgeschlagener Versuch; Freiwilligkeit und Entdeckungsrisiko); Recht auf ein faires Verfahren (Recht auf effektive Verteidigung; Auswahl des Verteidigers; Pflichtverteidigung).

§ 24 Abs. 2 StGB; § 338 Nr. 8 StPO; Art. 6 Abs. 1, Abs. 3 c EMRK; § 142 StPO

1. Ein Versuch ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs fehlgeschlagen, wenn der Erfolgseintritt objektiv nicht mehr möglich ist und der Täter dies erkennt oder aber wenn der Täter den Erfolgseintritt irrig nicht mehr für möglich hält. Ein Fall des fehlgeschlagenen Versuchs liegt hingegen nicht vor, sofern der Täter nach anfänglichem Misslingen des vorgestellten Tatablaufs sogleich zu der Annahme gelangt, er könne ohne zeitliche Zäsur mit den bereits eingesetzten oder anderen bereitstehenden Mitteln die Tat noch vollenden (vgl. BGHSt 39, 221, 228; BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Freiwilligkeit 22; Versuch, fehlgeschlagener 8; Fischer, StGB, 56. Aufl., § 24 Rn. 11).

2. Eine Bestimmung des fehlgeschlagenen Versuchs nach Tatplankriterien ist rechtsfehlerhaft. Entscheidend ist vielmehr der Rücktrittshorizont der Täter. Das Tatgericht muss sich damit auseinandersetzen, ob die Angeklagten nach Vollzug der Tathandlung annahmen, den Tod des Opfers ohne zeitliche Zäsur überhaupt nicht mehr herbeiführen zu können.

3. Ein gesteigertes Entdeckungsrisiko ist allein für die Frage der Freiwilligkeit des Rücktritts von Bedeutung.

4. Es erscheint nicht unbedenklich, wenn das Tatgericht seine Entscheidung, dem Angeklagten nicht den von ihm gewünschten Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger beizuordnen, auf dessen Belastung mit Terminswahrnehmungen aus anderweitig übernommenen Mandatsverpflichtungen gestützt hat, ohne zuvor die Verfügbarkeit für die im vorliegenden Verfahren in Aussicht genommenen Hauptverhandlungstermine mit ihm geklärt zu haben. Im Übrigen kann das von § 142 Abs. 1 Satz 1 StPO geschützte Kosteninteresse nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei erheblichen Tatvorwürfen im Rahmen der gebotenen Abwägung aller Umstände hinter dem Interesse des Beschuldigten auf Verteidigung durch einen Rechtsanwalt seines Vertrauens zurücktreten (vgl. dazu BGHSt 43, 153, 155 f.).


Entscheidung

1006. BGH 3 StR 383/09 – Beschluss vom 22. September 2009 (LG Düsseldorf)

Unerlaubter Besitz von Betäubungsmitteln (Tateinheit mit Vertrieb; Weltrechtsprinzip); teilweise Einstellung des Verfahrens.

§ 29a BtMG; § 6 Nr. 5 StGB; § 154a StPO

1. Die Vorschrift des § 6 Nr. 5 StGB, nach der für den unbefugten Vertrieb von Betäubungsmitteln das Weltrechtsprinzip gilt, erfasst nicht deren Besitz.

2. Der Senat hegt – nicht tragend – Bedenken gegen diese Rechtsprechung in Fällen, in denen der Besitz an Betäubungsmitteln mit deren Vertrieb in Tateinheit steht.

II. Materielles Strafrecht – Besonderer Teil


Entscheidung

1011. BGH 3 StR 601/08 – Beschluss vom 1. September 2009 (LG Düsseldorf)

Geldfälschung (Gewerbsmäßigkeit).

§ 146 StGB

1. Der Täter handelt nicht gewerbsmäßig im Sinne des § 146 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 StGB, wenn er sich eine Falschgeldmenge in einem Akt verschafft hat und seine Absicht lediglich darauf gerichtet ist, die falschen Banknoten in mehreren Teilmengen in Verkehr zu bringen. (BGHR)

2. Gewerbsmäßig handelt, wer sich durch wiederholte Tatbegehung eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer verschaffen will. Liegt diese Absicht vor, ist bereits die erste Tat als gewerbsmäßig begangen einzustufen, auch wenn es entgegen den ursprünglichen Intentionen des Täters zu weiteren Taten nicht kommt. Eine Verurteilung wegen gewerbsmäßiger Deliktsbegehung setzt daher nicht notwendig voraus, dass der Täter zur Gewinnerzielung mehrere selbstständige Einzeltaten der jeweils in Rede stehenden Art verwirklicht hat. Ob der Angeklagte gewerbsmäßig gehandelt hat, beurteilt sich vielmehr nach seinen ursprünglichen Planungen sowie seinem tatsächlichen, strafrechtlich relevanten Verhalten über den gesamten ihm anzulastenden Tatzeitraum. (Bearbeiter)

3. Für gewerbsmäßiges Handeln ist erforderlich, dass sich die Wiederholungsabsicht des Täters auf dasjenige Delikt bezieht, dessen Tatbestand durch das Merkmal der Gewerbsmäßigkeit qualifiziert ist. (Bearbeiter)


Entscheidung

978. BGH 4 StR 382/09 – Beschluss vom 22. September 2009 (LG Halle)

Gefangenenmeuterei (besonders schwerer Fall: Begriff der Waffe; unbenannter schwerer Fall); Gesetzlichkeitsprinzip.

§ 121 Abs. 1, Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StGB; Art. 103 Abs. 2 GG

1. Ob eine „andere Waffe“ im Sinne des § 121 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StGB auch die Waffe im nicht-technischen Sinn ist, könnte mit Blick auf die Gründe der zu § 113 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB ergangenen Kammerentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 1. September 2008 (NJW 2008, 3627 ff.) zweifelhaft sein, der zufolge eine Waffe im nicht-technischen Sinne lediglich dem vom Gesetz in anderen Strafvorschriften verwendeten Begriff des „anderen gefährlichen Werkzeugs“ (§ 177 Abs. 3 Nr. 1; § 244 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a; § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, Abs. 2 Nr. 1 StGB) unterfällt, nicht aber auch dem im Gesetz verwendeten Begriff der (anderen) Waffe.

2. Jedenfalls bei einem massiven Einsatz einer Schere bei der Tat durch den bereits mehrfach auch einschlägig verurteilten Angeklagten kann ein unbenannter besonders schwerer Fall der Gefangenenmeuterei angenommen werden. Jedenfalls die Verwendung einer „Waffe im nicht-technischen Sinn“ bleibt in ihrem Unrechtsgehalt und der Gefährlichkeit der Handlung regelmäßig nicht hinter den von § 121 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StGB unter Zugrundelegung des engeren Waffenbegriffs erfassten Fällen zurück.


Entscheidung

951. BGH 2 StR 259/09 – Beschluss vom 16. September 2009 (LG Koblenz)

Räuberische Erpressung mit Todesfolge (erforderlicher Vorsatz oder Leichtfertigkeit bei Mittätern; Exzess).

§ 255 StGB; § 251 StGB; § 25 Abs. 2 StGB

1. Hat einer von mehreren Tatbeteiligten den qualifizierenden Erfolg des § 251 StGB verursacht, so sind die übrigen nach § 251 StGB strafbar, wenn sich ihr zumindest bedingter Vorsatz auf die Gewaltanwendungen oder die Drohungen erstreckt, durch welche der qualifizierende Erfolg herbeigeführt worden ist, und wenn auch ihnen in Bezug auf die Todesfolge wenigstens Leichtfertigkeit vorzuwerfen ist. Ein Beteiligter haftet somit gemäß § 251 StGB als Mittäter nur für die Folgen derjenigen Handlungen des den Tod des Opfers unmittelbar herbeiführenden Täters, die er in seine Vorstellungen von dem Tatgeschehen einbezogen hatte.

2. Die dem Opfer mit Tötungsvorsatz zugefügten Körperverletzungen dürfen nicht von wesentlich anderer Art und Beschaffenheit sein, als der Mittäter es wollte und sich vorstellte. Jedoch begründet nicht jede Abweichung des tatsächlichen Geschehens von dem vereinbarten Tatplan bzw. den Vorstellungen des Mittäters die Annahme eines Exzesses. Differenzen, mit denen nach den Umständen des Falles gerechnet werden muss, und solche, bei denen die verabredete Tatausführung durch eine in ihrer Schwere und Gefährlichkeit gleichwertige ersetzt wird, werden in der Regel vom Willen des Beteiligten umfasst, auch wenn er sie sich nicht so vorgestellt hat. Ebenso ist der Beteiligte für jede Ausführungsart einer von ihm gebilligten Straftat verantwortlich, wenn ihm die Handlungsweise seiner Tatgenossen gleichgültig ist und deswegen auf deren Billigung geschlossen werden kann (vgl. BGH NStZ 1998, 511, 512 f. m.w.N.).


Entscheidung

984. BGH 3 StR 175/09 – Beschluss vom 11. August 2009 (LG Lübeck)

Eigene Rechtsfolgenentscheidung des Revisionsgerichts (Angemessenheit der Rechtsfolge; Anhörung des Angeklagten; Wegfall einer Alternative eines Qualifikationstatbestands; Schuldspruchänderung); rechtliches Gehör; Strafzumessung.

Art. 6 EMRK; § 354 StPO; Art. 103 Abs. 1 GG; § 46 StGB; § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB

1. Für die Annahme eines hinterlistigen Überfalls im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB reicht die Feststellung (allein) eines plötzlichen Angriffs von hinten sowie des Ausnutzen des Überraschungsmomentes durch den Angeklagten nicht aus.

2. Beabsichtigt das Revisionsgericht, eine vom Tatrichter rechtfehlerhaft verhängte Strafe gemäß § 354 Abs. 1a StPO als (gleichwohl) angemessen aufrecht zu erhalten, so genügt es zur Anhörung des Angeklagten, ihn auf die Strafzumessung des Tatrichters sowie dessen diesbezügliche Feststellungen zu verweisen, sofern dies den Angeklagten in ausreichender Art und Weise in die Lage versetzt, sich gegen die beabsichtigte Strafzumessungsentscheidung des Revisionsgerichts umfassend zu verteidigen.

3. Der Wegfall einer Tatbestandsalternative eines Qualifikationstatbestands bedingt keine Schuldspruchänderung, sofern ein andere Alternative desselben Tatbestands verwirklich ist. Diese Konstellation ist einer Schuldspruchänderung auch nicht vergleichbar, da sich der Rechtsfehler auf den Schuldspruch in keiner Weise auswirkt, und hindert daher eine eigene Rechtsfolgenentscheidung des Revisionsgerichts nicht.


Entscheidung

970. BGH 4 StR 254/09 – Beschluss vom 28. Juli 2009 (LG Essen)

Betrug und Diebstahl beim „Tanken ohne zu bezahlen“ (Irrtum; Vollendung; konkludente Täuschung über die Zahlungsfähigkeit).

§ 263 StGB; § 242 StGB

In den Fällen des Selbstbedienungstankens setzt die Annahme eines vollendeten Betruges voraus, dass der Täter durch (konkludentes) Vortäuschen von Zahlungsbereitschaft bei dem Kassenpersonal einen entsprechenden Irrtum hervorruft, der anschließend zu der schädigenden Vermögensverfügung (Einverständnis mit dem Tankvorgang) führt. An der erforderlichen Irrtumserregung fehlt es, wenn das Betanken des Fahrzeugs vom Kassenpersonal überhaupt nicht bemerkt wird. Ist dies der Fall, liegt jedoch regelmäßig ein Betrugsversuch vor (vgl. BGH NJW 1983, 2827; OLG Köln NJW 2002, 1059).


Entscheidung

976. BGH 4 StR 354/09 – Beschluss vom 8. September 2009 (LG Frankenthal)

Diebstahl (Tatvorsatz; Absicht rechtswidriger Zueignung; fehlgeschlagener Versuch).

§ 242 StGB; § 22 StGB; § 23 StGB

Will sich der Täter nicht das Behältnis, sondern in der Hoffnung auf möglichst große Beute allein dessen vermuteten Inhalt aneignen, fehlt es hinsichtlich des Behältnisses am Zueignungswillen zum Zeitpunkt der Wegnahme (BGH NStZ 2004, 333). Erlangt der Täter die erstrebte Beute nicht, liegt lediglich ein – aus Sicht des Täters fehlgeschlagener – Versuch des Diebstahls vor.