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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
November 2009
10. Jahrgang
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Von Prof. Dr. Hendrik Schneider, Universität Leipzig
Das "Sommerloch" 2009 wurde von den Medien durch die Berichterstattung über den "Skandal" einer "Kopfprämie" im Gesundheitswesen gefüllt und vorschnell mit dem amorphen Etikett "Korruption" versehen. [1] Inhaltlich ging es um die Vergütung der Einweisung eines Patienten zur stationären Behandlung, die dem einweisenden Vertragsarzt durch das aufnehmende Krankenhaus (nicht selten aus den "Drittmittelkonten" der Kliniken) gezahlt wird. Trotz öffentlichkeitswirksam inszenierter "Überraschung" einiger Entscheidungsträger im Gesundheitswesen vor laufenden Kameras und angeschalteten Mikrofonen der Journalisten ist das Phänomen als solches im Gesundheitswesen seit langem bekannt. Bereits in der Aprilausgabe der Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht erschienen zeitgleich die unabhängig voneinander verfassten Beiträge von Kölbel [2] und Schneider/
Gottschaldt [3], die die strafrechtliche Relevanz der Zuweisungspauschale beleuchten. Zuvor waren bereits Aufsätze zu den mit der "Zuweisungspauschale" verbundenen sozial- und wettbewerbsrechtlichen Fragen erschienen. [4]
Im Mittelpunkt der bisherigen strafrechtlichen Analysen stand die Problematik der Strafbarkeit der niedergelassenen Ärzte, die eine Vergütung der Einweisung vor allem in ländlichen Gebieten mit geringer Facharztdichte mit der Drohung durchsetzen, das Klinikum bei Verweigerung der Zahlung "auszutrocknen" und keine Patienten mehr einzuweisen.
Insbesondere seit der Diskussion um die "Kopfprämie" im vergangenen Sommer wählen die Akteure, die zudem häufig kongruente wirtschaftliche Interessen verfolgen, Formen der Umgehungsfinanzierung, für die sich insbesondere Kooperationsverträge zwischen dem niedergelassenen Arzt und dem Krankenhaus eignen. [5] Das Krankenhaus bindet einen niedergelassenen Arzt in seinem Einweisungsverhalten, indem es die ambulante Nachsorge eines aus stationärer Behandlung entlassenen Patienten auf vertraglicher Grundlage durch den niedergelassenen Arzt erbringen lässt. Dieser hat aufgrund des Kooperationsvertrages mit dem Krankenhaus einen Vergütungsanspruch unmittelbar gegen das Krankenhaus, das ihn an der gegenüber der Kasse für die Behandlung geltend gemachten Vergütung beteiligt. Der Vorteil für den Vertragsarzt besteht bei diesem Modell darin, dass seine Leistung für das Krankenhaus frei vereinbart werden kann und außerhalb der budgetierten Gesamtvergütung (§ 85 SGB V) erbracht wird.
Die noch ungeklärte strafrechtliche Problematik bezieht sich auf die Reichweite des Abrechnungsbetruges gemäß § 263 StGB. Schließlich rechnet das Krankenhaus gegenüber der Krankenkasse des Patienten in der o.g. Fallgestaltung eine Leistung ab, die es zumindest teilweise nicht durch Angestellte des Krankenhauses, sondern durch einen niedergelassenen Arzt als "Erfüllungsgehilfen" erbracht hat. Ist dieses Verhalten Täuschung im Sinne des § 263 StGB und entsteht der Kasse trotz lege artis ausgeführter Behandlung ein Vermögensschaden? Bei der Beantwortung dieser Fragen ist zu berücksichtigen, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 263 StGB nicht ohne Rückgriff auf die sozialversicherungsrechtlichen Grundlagen der Kooperationsverträge geprüft werden können. Denn das Strafrecht findet seine Grenze dort, wo die Leistungserbringung und –abrechnung in Einklang mit diesen sozialversicherungsrechtlichen Vorgaben erfolgt ist. [6]
Seit den Rechtsänderungen durch das Gesundheitsstrukturgesetz vom 21. Dezember 1992 [7] ist es den Krankenhäusern gestattet, im Rahmen der vor- und nachstationären Behandlung eines Patienten ambulante Leitungen zu erbringen. Ziel dieser Reform war es, die Verweildauer der Patienten in der stationären Versorgung zu verkürzen, Doppeluntersuchungen zu vermeiden und die Gesamtbehandlungskosten zu reduzieren (§ 115a SGB V). [8]
Gemäß § 115a SGB V ist diese partielle Durchbrechung der Systematik der gesetzlichen Krankenversicherung, die eine konsequente Trennung zwischen der vertragsärztlichen Behandlung einerseits und der Krankenhausbehandlung andererseits vorsieht (§§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V),[9] statthaft, wenn im Fall der Verordnung von Krankenhausbehandlung die Erforderlichkeit einer vollstationären Krankenhausbehandlung geklärt werden soll (vorstationäre Behandlung, § 115a Abs. 1 Nr. 1 SGB V) oder der Erfolg einer vollstationären Behandlung nach der Entlassung einer Sicherung und Festigung durch ambulante Maßnahmen bedarf (nachstationäre Behandlung, § 115a Abs. 1 Nr. 2 SGB V). Ferner dürfen die vorstationäre Behandlung die Höchstdauer von drei Behandlungstagen innerhalb von fünf Tagen vor Beginn der stationären Behandlung und die nachstationäre Behandlung die Höchstdauer von sieben Behandlungstagen innerhalb von 14 Tagen nach Beendigung der stationären Krankenhausbehandlung nicht überschreiten, § 115a Abs. 2 Satz 1, Satz 2 SGB V.
Nach dem prononciert insbesondere vom Oberlandesgericht Schleswig[10] vertretenen Standpunkt, berechtigt § 115a SGB V allerdings nur zu einer ambulanten Behandlung im Krankenhaus. Zur Begründung dieser Auffass-
ung wird auf den Wortlaut des § 115a SGB V und die Systematik des Gesetzes verwiesen. Bereits die Überschrift des § 115a SGB V beziehe sich auf die "vor- und nachstationäre Behandlung im Krankenhaus". Außerdem zeige die Ausnahmeregelung in § 115a Abs. 2 Satz 5 SGB V, dass die ambulante Behandlung, zu der § 115a SGB V die Krankenhäuser berechtige, im Regelfall gerade nicht "außerhalb des Krankenhauses", sondern innerhalb erfolgen müsse.
Die Literatur hat sich dieser Auslegung des § 115a SGB V soweit ersichtlich ohne Gegenstimmen angeschlossen.[11] Denn wenn § 115a SGB V es den Krankenhäusern ausnahmsweise und nur in "geeigneten Fällen" (§ 115a Abs. 1 SGB V) gestatte, im Bereich der ambulanten Versorgung anstelle der niedergelassenen Ärzte tätig zu werden, zeige die Übertragung der Tätigkeit auf den niedergelassenen, außerhalb des Krankenhauses tätigen Arzt, dass die Voraussetzungen des § 115a SGB V gerade nicht vorlägen. Eine Schnittmenge zwischen gemäß § 115a SGB V "geeigneten Fällen" und Sachverhalten, die den niedergelassenen Ärzten zur Behandlung außerhalb des Krankenhauses übertragen werden können, sei daher nach der Konzeption des Gesetzes ausgeschlossen. Die Möglichkeit einer Behandlung durch niedergelassene Ärzte in deren Praxis während der Phase vor- und nachstationärer Krankenhausbehandlung beschränke sich deshalb auf anderweitige Erkrankungen (§ 115a Abs. 2 Satz 5 SGB V).
Wie sich aus den Gesetzmaterialen ergibt, deckt sich diese Auffassung nicht mit den Vorstellungen des historischen Gesetzgebers. Nach der Begründung zu § 115a SGB V im "Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung vom 05.11.1992" sollte sich die Möglichkeit der Behandlung durch niedergelassene Ärzte außerhalb des Krankenhauses nämlich nicht auf die Fälle der Behandlung einer anderen Erkrankung, die während der Phase der vor- oder nachstationären Behandlung auftritt (sog. interkurrente Erkrankung), beschränken, sondern sich außerdem – bei Vorliegen bestimmter Indikationen – auch auf die nachstationäre Behandlung der Grunderkrankung selbst erstrecken. Dies ergibt sich explizit aus der (weder vom OLG Schleswig,[12] noch von der Literatur herangezogenen) amtlichen Begründung zu § 115a Abs. 2 SGB V (eigene Hervorhebung):
"Ist während der Phase der vor- und nachstationären Behandlung im Krankenhaus eine ärztliche Behandlung aufgrund einer anderen Indikation erforderlich oder eine Behandlung der zur Krankenhauseinweisung führenden Erkrankung aus zeitlichen (z.B. Notfall), räumlichen (z.B. weite Entfernung des Krankenhauses vom Wohnort) oder anderen wichtigen Gründen außerhalb des Krankenhauses sinnvoll, kann diese Behandlung durch an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Ärzte durchgeführt werden."[13]
Dieser Wille des Gesetzgebers hat im Wortlaut des § 115a SGB V insofern einen Niederschlag gefunden, als sich § 115a Abs. 2 Satz 5 SGB V allgemein auf die "notwendige ärztliche Behandlung außerhalb des Krankenhauses" bezieht und deshalb grundsätzlich beide in den Materialien genannten Alternativen (Behandlung einer interkurrenten Erkrankung und Behandlung der Grunderkrankung) erfasst. Allerdings wird es auch in diesem Fall unzulässig sein, die gesamte nachstationäre Behandlung durch den niedergelassenen Arzt außerhalb des Krankenhauses erbringen zu lassen. Die Tätigkeit des niedergelassenen Arztes muss vielmehr auf einzelne Leistungen von untergeordneter Bedeutung beschränkt werden. Denn nur durch diese Einschränkung ist die nach der Systematik des SGB V erforderliche Differenzierung zwischen ambulanter Versorgung durch die Vertragsärzte (mit Vergütung durch die Kassenärztliche Vereinigung auf der Grundlage der budgetierten Gesamtvergütung) und vor- und nachstationärer Behandlung durch die Krankenhäuser (mit Vergütung durch die Kassen auf Grundlage der DRG-Fallpauschale) aufrecht zu erhalten.
Daraus folgt, dass die vor- und nachstationäre Behandlung in der Regel eine Behandlung im Krankenhaus darstellt.[14] Ergibt sich aufgrund der Spezifika des Einzelfalles, dass im Rahmen einer nachstationären Krankenhausbehandlung eine Behandlung außerhalb des Krankenhauses sinnvoll ist, können einzelne Behandlungsleistungen außerhalb des Krankenhauses erbracht werden. Zuständig sind dann die niedergelassenen Vertragsärzte.
Wird die vor- und nachstationäre Behandlung im Krankenhaus durchgeführt, ist weiterhin fraglich, ob sie zwingend durch Krankenhausärzte zu erfolgen hat. Dagegen spricht § 2 Abs. 2 Nr. 2 KHEntgG, nach dem auch die "vom Krankenhaus veranlassten Leistungen Dritter" "allgemeine Krankenhausleistungen" darstellen. Nach der zutreffenden Auffassung der Rechtsprechung bezieht sich diese Regelung aber lediglich auf Tätigkeiten, die gegenüber der vom Krankenhaus zu erbringenden Haupt-
leistung ergänzende oder unterstützende Funktion haben.[15] Die Hauptleistung müsse das Krankenhaus demgegenüber durch eigenes Personal erbringen. Eine Ausnahme ist weiterhin für den Fall denkbar, dass eine Behandlungsleistung zwar dem Versorgungsauftrag eines Krankenhauses entspricht, gegenwärtig (zum Beispiel aufgrund einer Stellenvakanz) aber nicht durch eigenes Personal erbracht werden kann.[16]
Zusammenfassend ergeben sich daher hinsichtlich der Beteiligung niedergelassener Ärzte an der vor- und nachstationären Behandlung eines Patienten folgende Prämissen:
Eine weitergehende Kooperation zwischen niedergelassenen Ärzten und Krankenhäusern (insbesondere die vollständige Übertragung der nachstationären Behandlung an niedergelassene Ärzte) widerspricht nicht nur den sozialrechtlichen Prämissen, sondern sie kann sich darüber hinaus als wettbewerbswidrig erweisen und einen Anspruch auf Unterlassen gemäß § 1 UWG begründen. [17] Fraglich bleibt jedoch, ob derartige Kooperationsvereinbarungen darüber hinaus strafrechtlich relevant sind.
Unter einem strafrechtlichen Blickwinkel ergeben sich bei einer unzulässigen Übertragung von Tätigkeiten im Rahmen des § 115a SGB V an niedergelassene Vertragsärzte für die im Krankenhaus für die Leistungsabrechnung verantwortlichen Personen strafrechtliche Risiken, wegen eines Kassenabrechnungsbetruges gemäß § 263 StGB zum Nachteil der Krankenkassen zur Verantwortung gezogen zu werden.
Eine Täuschung der Verantwortlichen auf Seiten der Krankenkasse durch Vorlage der Abrechnungen wegen der vor- oder nachstationären Behandlung gemäß § 115a SGB V liegt in den hier denkbaren Fallgestaltungen in der Regel vor. Denn durch die Abrechnung wird seitens der Repräsentanten des Krankenhauses "miterklärt" [18], dass die sozialrechtlichen Voraussetzungen einer vor- oder nachstationären Behandlung vorlagen, mithin die Leistung im Rahmen des § 115a SGB V im Krankenhaus und durch Personal des Krankenhauses erbracht wurde oder einer der oben genannten Ausnahmefälle vorlag. Wird die Leistung tatsächlich durch einen niedergelassenen Arzt außerhalb des Krankenhauses erbracht, täuschen die Repräsentanten der Krankenhäuser, die sich die Abrechnung zurechnen lassen müssen, über die Tatsache des Ortes der Leistungserbringung und der Person des Leistungserbringers.
Näherer Darlegung bedarf allerdings die Frage, ob den Kassen, die dem abrechnenden Krankenhaus hiernach irrtumsbedingt die Behandlungskosten in Höhe der DRG Fallpauschale bezahlen, ein Vermögensschaden im Sinne des § 263 StGB entsteht.
Nach dem Prinzip der Gesamtsaldierung [19] liegt ein Schaden jedenfalls dann vor, wenn die Leistung dem Krankhaus seitens der Kassen gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 3 KHEntgG wegen Überschreitens der so genannten "Grenzverweildauer" zusätzlich zur DRG-Fallpauschale honoriert wurde. [20] Denn wenn es sich in diesem Fall nach den oben genannten sozialrechtlichen Voraussetzungen "nur" um eine ambulante vertragsärztliche Behandlung nach einem stationären Aufenthalt und nicht um eine nachstationäre Krankenhausbehandlung nach § 115a SGB V gehandelt hat, hat die Kasse diese Leistung schon im Rahmen der Gesamtvergütung an die Kassenärztliche Vereinigung bezahlt, § 85 Abs. 1 SGB V.
Nach dem Prinzip der Gesamtsaldierung könnte ein Schaden jedoch zu verneinen sein, wenn die Summe aus stationären und ambulanten Behandlungstagen die Grenzverweildauer der jeweiligen Fallpauschale nicht überschreitet. Werden hier Leistungen der nachstationären Behandlung unter Verletzung der dargelegten Grenzen des § 115a SGB V durch die Vertragsärzte erbracht, entstehen für die Kassen keine Mehrkosten, weil das Krankenhaus den niedergelassenen Arzt lediglich an der
bereits durch die stationäre Behandlung "verdienten" [21] DRG-Fallpauschale beteiligt und das Verhalten insgesamt nicht als "negativer Beitrag zur Kostensteigerung im Gesundheitswesen" gewertet werden kann. [22] Allerdings ist auch bei der Gesamtsaldierung der Wert der Gegenleistung zu berücksichtigen, für den die Person des Leistungserbringers maßgeblich sein kann (sog. "leistungsbezogenes Schadenselement" [23] ). Hierfür ist vorliegend bedeutsam, dass die Kasse mit der Überweisung der DRG-Fallpauschale eine durch im Krankenhaus tätige Ärzte erbrachte Krankenhausleistung honoriert, während in Wahrheit eine ambulante Anschlussbehandlung durch einen niedergelassenen Arzt durchgeführt wurde. Diese hat, wie §§ 73 Abs. 4, 115a SGB V entnommen werden kann, einen anderen (niedrigeren) Wert als die Krankenhausbehandlung. Denn § 115a SGB V stellt die nachstationäre Behandlung in das Ermessen des Krankenhauses und koppelt ihre Durchführung damit an medizinische Indikationen: Danach ist die nachstationäre Krankenhausbehandlung erforderlich, wenn die ambulante Behandlung durch die Vertragsärzte nicht ausreicht, um den Behandlungserfolg zu festigen. Auch die ambulante Krankenhausbehandlung ist gegenüber der ambulanten Behandlung durch niedergelassene Vertragsärzte daher nicht nur formal ein aliud, sondern auch eine qualitativ andere und deshalb anders vergütete Leistung.
Nach der Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofs kommt es indessen auf die vorstehenden Überlegungen zum leistungsbezogenen Schadenselement nicht an. Denn im Bereich des Sozialversicherungsrechts legt der BGH die sog. "streng formale Betrachtungsweise" [24] zugrunde, nach der eine Leistung insgesamt nicht erstattungsfähig ist, " wenn sie in Teilbereichen nicht den gestellten (sozialversicherungsrechtlichen) Anforderungen genügt". Diese in der Literatur mit Blick auf das von § 263 StGB geschützte Rechtsgut [25] zu recht kritisierte Auffassung [26] führt dazu, dass ein Schaden bereits bei einer Leistungsabrechnung unter Verletzung sozialversicherungsrechtlicher Bestimmungen und unabhängig davon bejaht wird, ob die Leistung im Ergebnis fachgerecht erbracht wurde. Unter diesem Blickwinkel ist ein Schaden auch dann anzunehmen, wenn zum Beispiel im Rahmen eines Kooperationsvertrages grundsätzlich alle Leistungen der nachstationären Behandlung auf niedergelassene Ärzte übertragen werden oder wenn die Behandlung ohne wichtigen Grund außerhalb des Krankenhauses stattfindet.
Die Steuerung der Einweisungen über Kooperationsverträge birgt nicht nur wettbewerbsrechtliche und sozialrechtliche, sondern auch strafrechtliche Risiken, die bislang unterschätzt wurden.
Im Fall einer pauschalen Übertragung der nachstationären Behandlung auf niedergelassene Vertragsärzte kann ein Kassenabrechnungsbetrug seitens der Verantwortlichen im Krankenhaus vorliegen. Wer sich hiervor schützen will, sollte die Kooperationsverträge gegenüber den Kassen offen legen. Sind sie auch unter diesen Voraussetzungen noch zur Leistung der DRG-Fallpauschale bereit, würde diese nicht aufgrund eines Irrtums gezahlt werden. Der Tatbestand des Betruges wäre nicht erfüllt. Ansonsten bleibt lediglich die durch § 20 Abs. 2 S. 2 Ärzte-ZV i.V.m. § 19a Abs. 2 Ärzte-ZV geschaffene Möglichkeit, dem niedergelassenen Arzt eine parallele Tätigkeit als angestellter Krankenhausarzt anzubieten oder ihm im Rahmen der nachstationären Behandlung in Einzelfällen untergeordnete Leistungen zu überantworten.
Der Gesetzgeber hat die Krankenhäuser durch das GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000, das GKV-Modernisierungsgesetz 2004 und schließlich durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz 2007 in den Wettbewerb entlassen und verlangt von den Entscheidungsträgern an ökonomischen Prinzipien orientiertes Handeln. Dabei hat er sie aber nicht gleichzeitig auch mit den Werkzeugen ausgestattet, um sich in diesem Wettbewerb wirksam durchzusetzen. Da die Erlössituation der Krankenhäuser von den Patientenzahlen und der Fallschwere abhängt und der Patientenstrom in der Regel durch die niedergelassenen Ärzte in die einzelnen Häuser gelenkt wird, sind die verschiedenen Versuche, das Einweiserverhalten durch Kooperationsverträge zu beeinflussen, im Grundsatz gut nachvollziehbar.
Im Ergebnis wird die Branche daher die bestehenden Spielräume ausnutzen und sich in der Vertragsgestaltung entsprechend beraten lassen. Die Konsequenzen trägt vor allem der Patient. Denn die Krankenhäuser werden die Kooperationsverträge nicht mit dem qualifiziertesten Mediziner, sondern mit dem erfolgreichsten Einweiser
abschließen und der niedergelassene Arzt wird den Patienten nicht in das Krankenhaus mit der jeweils optimalen Versorgung, sondern in Häuser einweisen, mit denen er eine für ihn wirtschaftlich günstige Kooperationsvereinbarung unterzeichnet hat.
[1] FAZ vom 31.08.09: "Immer mehr Ärzte verkaufen ihre Patienten"; Süddeutsche Zeitung vom 31.08.09: "Reger Handel mit Kranken! Tausend Euro für einen Hüftpatienten?"; Wirtschaftswoche vom 07.09.09: "Im Wettbewerb um Patienten sind Kopfprämien gang und gäbe - Staatsanwälte ermitteln gegen die Korruption im Gesundheitswesen, der Schaden soll eine Milliarde Euro betragen".
[2] Kölbel, Die Einweisungsvergütung – eine neue Form von Unternehmensdelinquenz im Gesundheitswesen? wistra 2009, 129 ff.
[3] Schneider/Gottschaldt, Zuweisungspauschale – Lukratives Geschäft oder Straftat? Zur Strafbarkeit niedergelassener Ärzte wegen Forderns einer Vergütung für die Überweisung eines Patienten zur stationären Behandlung, wistra 2009, 133 ff.
[4] Walter, Pauschalentgelte von Krankenhäusern an niedergelassene Ärzte – zulässige Zuweiserbindung oder berufsrechtswidrige Provision? KHuR 2006, 71ff.; Wigge/Harney, Erbringung nachstationärer Leistungen für Krankenhäuser gemäß § 115a SGB V durch niedergelassene Vertragsärzte, Teil I, Das Krankenhaus 2007 (Heft 9), Teil II (Heft 11); Bonvie, Vergütung für ärztliche Dienstleistungen oder verbotene Provision? MedR 1999, 64 ff.
[5] Hakenberg, Der verkaufte Patient. Zum ethischen Wert von Kopfprämien aus medizinischer Sicht, Der Urologe 2009, 858 ff.; Schramm, Der gekaufte Patient – zum ethischen Wert von Kopfpauschalen aus juristischer Sicht, Der Urologe 2009, 864 ff.
[6] Vgl. hierzu grundlegend Lüderssen, Entkriminalisierung des Wirtschaftsrechts, Band 2 (2007).
[7] BGBI. 1992, 2266, 2285.
[8] Vgl. die amtliche Begründung zu § 115a SGB V im "Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung vom 05.11.1992", BT-Drucks. 12/3608, 102 f.; ferner: Hauk/Noftz-Steege SGB V Gesetzliche Krankenversicherung, 2. Band (Stand: 2009), § 115a, Rn. 1.
[9] Vgl. hierzu OLG Schleswig, Urteil vom 4. 11. 2003 - 6 U 17/03, NJW 2004, 1745 ff.: "D as System der gesetzlichen Krankenversicherung … trennt zwischen ärztlicher Behandlung und Krankenhausbehandlung (§ 27 I Abs. 2 Nrn. 1-5 SGB V). Die Krankenhausbehandlung wird gem. § 39 I 1 SGB V voll- oder teilstationär, vor- oder nachstationär sowie ambulant i.S. des § 115b SGB V erbracht, während die Tätigkeiten der niedergelassenen Ärzte ambulante Behandlungen i.S. der §§ 72 ff. SGB V sind. Grundsätzlich ist damit die stationäre Behandlung von Patienten Aufgabe des Krankenhauses, die weitere Behandlung hingegen Sache der niedergelassenen Ärzte".
[10] OLG Schleswig, Urteil vom 4. 11. 2003 - 6 U 17/03, NJW 2004, 1745 ff.
[11] Walter, Pauschalentgelte von Krankenhäusern an niedergelassene Ärzte – zulässige Zuweiserbindung oder berufsrechtswidrige Provision? KHuR 2006, 71ff.; Wigge/Harney, Erbringung nachstationärer Leistungen für Krankenhäuser gemäß § 115a SGB V durch niedergelassene Vertragsärzte, Teil I, Das Krankenhaus 2007 (Heft 9), Teil II (Heft 11); juris Praxiskommentar SGB V-Köhler-Hohmann, § 115a SGB V (2008), Rn. 21, 41.
[12] Das OLG Schleswig ( Urteil vom 4. 11. 2003 - 6 U 17/03, NJW 2004, 1745 ff.) stellt in seiner Entscheidungsbegründung zwar auch auf den "Willen des Gesetzgebers" ab, glaubt aber, diesen alleine aus dem Wortlaut (und nicht aus der amtlichen Gesetzesbegründung) ableiten zu können: "Der so verstandene Wille des Gesetzgebers ist … aus dem Wortlaut der Normen abzuleiten". Dieser Rückgriff auf die sog. "objektive Theorie" ist hier deshalb problematisch, weil sich der ausgelegte Gesetzestext und der Wille des Gesetzgebers nicht widersprechen und seit 1992 im Anwendungsbereich des § 115a SGB V weder ein Wandel der Rechtstatsachen, noch ein Wandel der rechtlichen Wertungen stattgefunden hat.
[13] BT-Drucks. 12/3608, 102.
[14] So im Ergebnis auch Wigge/Harney, Erbringung nachstationärer Leistungen für Krankenhäuser gemäß § 115a SGB V durch niedergelassene Vertragsärzte, Teil II, Das Krankenhaus 2007 (Heft 11): "Nach der derzeitigen Rechtslage ist daher im Ergebnis weiterhin davon auszugehen, dass der Ort der ärztlichen Leistungserbringung (innerhalb oder außerhalb des Krankenhauses) als (mit-) ausschlaggebend für die Zuordnung als poststationäre Krankenhausbehandlung bzw. als ärztliche Leistung im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung anzusehen ist".
[15] Sächs. LSG, Urteil vom 30.04.2008 - L 1 KR 103/07, GesR 2008, 548; BSG, Urteil vom 28.02.2007 - B 3 KR 17/06 R, NZS 2007, 657; Koller, Ärztliche Kooperationsformen unter haftungs- und berufsrechtlichen Gesichtspunkten (Diss. 2007), S. 238.
[16] Uleer/Miebach/Patt, Abrechnung von Arzt- und Krankenhausleistungen, Kommentar, 3. Aufl. (2006), § 2 KHEntgG, Rn. 4.
[17] OLG Duisburg, Urteil vom 01.04.2008 – (zitiert nach Ratzel MedR 2008, 445); OLG Schleswig, Urteil vom 4. 11. 2003 - 6 U 17/03, NJW 2004, 1745 ff.; OLG Koblenz vom 20.05.03 - 4 U 1523/02, MedR 2003, 580 f.; OLG Düsseldorf, Urteil vom 01.09.2009 – I-20 U 121/08.
[18] Es liegt insofern eine konkludente Täuschung vor. Vgl. zu dem Begriff "miterklärt" BGH, Urteil vom 15.12.1970 – 1 StR 573/70, GA 1972, 209.
[19] Nomos Kommentar Gesamtes Strafrecht-Duttge, 1. Auflage (2008), § 263 StGB, Rn. 56; Fischer, 56. Auflage (2009), § 263, Rn. 71; vgl. BGH Urteil vom 10.07.1952 - 5 StR 358/52, BGHSt 3, 102.
[20] Durch die DRG-Fallpauschale wird die gesamte akutstationäre Behandlung in einem bestimmten zeitlichen Rahmen vergütet. Die zeitliche Obergrenze markiert die sog. Grenzverweildauer, die sich dem "Bundesweiten Entgeltkatalog für Fallpauschalen" entnehmen lässt. Findet die nachstationäre Behandlung im Rahmen der jeweiligen Grenzverweildauer statt, wird sie nicht gesondert vergütet. Die Möglichkeit der nachstationären Behandlung ist insofern lediglich ein wirtschaftlicher Anreiz für die Krankenhäuser, die Rentabilität der DRG Vergütung durch Einsparung der Kosten für Unterbringung und Verpflegung des Patienten zu erhöhen.
[21] § 115a Abs. 3 SGB V sieht für die nachstationäre Behandlung zwar eine gesonderte Vergütungsregelung durch Normenvertrag vor. Zu einer zusätzlichen Vergütung kommt es aber nur in besonderen Fällen (z.B. bei Überschreiten der Grenzverweildauer oder wenn die vollstationäre Leistung nicht erfolgte, weil die Behandlung abgebrochen wurde). Im Regelfall sind die Kosten der Leistungen nach § 115a SGB V seit Geltung der DRG’s in die Relativgewichte eingeflossen und somit mit der Fallpauschale abgegolten, juris Praxiskommentar SGB V-Köhler-Hohmann, 1. Auflage (2008), § 115a SGB V, Rn. 33.
[22] BGH, Beschluss vom 28.09.1994 - 4 StR 280/94, NStZ 1995, 85 f.
[23] Volk, Zum Schaden beim Abrechnungsbetrug – Das Verhältnis von Strafrecht und Sozialversicherungsrecht, NJW 2000, 3385 ff.
[24] BGH, Beschluss vom 28.09.1994 - 4 StR 280/94, NStZ 1995, 85 f.
[25] Das in § 263 StGB geschützte Rechtsgut ist das Vermögen, (h.M.), vgl. Nomos Kommentar Gesamtes Strafrecht-Duttge (Fn. 19), § 263 StGB, Rn. 1; Schönke/Schröder-Cramer/Perron, 27. Aufl. (2006), § 263, Rn. 1 (jeweils m.w.N.); zur historischen Rekonstruktion der heutigen Auffassung zum Betrug als Vermögensdelikt (mit Überblick zum Meinungsspektrum): Grau, Sozialadäquate Geschäftstüchtigkeit oder strafbarer Betrug? (2008), S. 43 ff.
[26] Grundlegend Volk, Zum Schaden beim Abrechnungsbetrug – Das Verhältnis von Strafrecht und Sozialversicherungsrecht, NJW 2000, 3385 ff.; Zusammenfassung des Meinungsstandes bei Ulsenheimer , Arztstrafrecht in der Praxis, 4. Aufl. (2008), 549 ff.